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Kapitel 3: Die Hauptstadt des Holocaust

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(Mai 1943 – Januar 1944)

Als Symbol des Holocaust scheint Auschwitz besonders geeignet, obwohl schon über eine Million Juden von den Nationalsozialisten ermordet worden waren, bevor seine Gaskammern arbeiteten. Das an Größe und Komplexität fast unvorstellbare Lager lässt sich mit den Worten des Historikers Peter Hayes als „Hauptstadt des Holocaust“ verstehen.1 Auschwitz umfasste das ganze Spektrum des NS-Terrors, es war sowohl ein zur Bestrafung und Ausbeutung bestimmtes Konzentrationslager wie ein für den Mord bestimmtes Vernichtungslager. Es bestand aus den drei Hauptlagern Auschwitz I, Auschwitz II – Birkenau und Auschwitz III – Monowitz, wo sich die IG-Farben-Fabrik befand. Es gab fast 50 Außenlager von landwirtschaftlichen Betrieben bis zu Bergwerken, wo Menschen oft bis zum Tod arbeiten mussten.

In Auschwitz fiel eine große Zahl von Juden und anderen Menschen aus allen Teilen Europas der letzten Konsequenz der NS-Rassenpolitik zum Opfer. Man hörte dort ein chaotisches Sprachengewirr aus Jiddisch, Polnisch, Romani, Slowakisch, Norwegisch, Holländisch, Ladino, Griechisch, Ungarisch, Französisch, Tschechisch, Italienisch, Kroatisch, Russisch, Dänisch, Deutsch und sogar Englisch. Die wirtschaftliche Ausbeutung raubte nicht nur die Arbeitskraft eines Menschen, sondern auch seine Kleider und seinen Körper: Goldzähne und Haar als Matratzenfüllung. Medizin und Wissenschaft wurden hier missbraucht und an unfreiwilligen Patienten erprobt, oft mit tödlicher Wirkung. Die Industrie wurde zum Komplizen und stahl Arbeitskraft und Leben, um Profit zu machen. Auschwitz war der Schauplatz einer beispiellosen Tragödie, niemals endender Angst und Sorge, wo zahllose Familien auseinandergerissen und vernichtet wurden. Hier fand der Holocaust seinen konsequentesten Ausdruck.

Im Gegensatz zu den Todeslagern Treblinka, Belżec und Sobibór im besetzten Polen, die von den Nazis zerstört wurden, um Beweise zu vernichten, war der Mechanismus des Mordens in Auschwitz leicht zu entdecken. Aus anderen Todeslagern überlebten nur wenige Menschen, die davon erzählen konnten; in Auschwitz gab es viele Tausend Überlebende, die vom Schrecken berichteten, den sie erlebt und gesehen hatten. Aus diesem Grund wissen wir so viel über Auschwitz.

Wie Auschwitz als Ort zum Symbol des Holocaust geworden ist, so hat Mengele als Täter eine ähnliche Rolle für das Lager angenommen. Vielleicht aus diesem Grund ist viel, was über Mengeles Zeit in Auschwitz bekannt ist, mehr Symbol als Tatsache. Zahllose imaginierte Begegnungen, falsch zugeschriebene Taten und Klischees über seine Aktivitäten haben das größere Bild seiner Tätigkeit verdeckt. Das ist keine Frage der Schuld – Mengele war ohne Frage zahlloser Verbrechen schuldig –, aber es betrifft den Charakter seiner Aktivität, ihre Motivation und ihren Zusammenhang.

Angesichts der gewaltigen Zahl der betroffenen Menschen war der Hauptvorwurf gegen Mengele durch deutsche Justizbehörden, die seine Ergreifung und Verurteilung anstrebten, seine offizielle Tätigkeit als Lagerarzt: seine Beteiligung an den Selektionen neu angekommener Gefangener wie auch jener, die schon Häftlinge des Lagers waren. Dies gab Mengele selbst gegenüber mehreren Personen zu, darunter seinSohn, und es besteht keinerlei Zweifel über seine Schuld. Man kann viele seiner Selektionen mit Datum, Zahl und Herkunft der Opfer rekonstruieren, wie Staatsanwälte es schon getan haben. Mengeles Forschung in Auschwitz hat aber die meiste Aufmerksamkeit erregt, unsere Imagination mit alptraumhaften Bildern beschwert und unser Vokabular mit Superlativen des Bösen und Verworfenen überflutet. Mengeles übergroßer Ruf als medizinisches Monster steht in umgekehrtem Verhältnis zu dem, was über sein tatsächliches Handeln bekannt und verstanden ist.

Der Grund für Mengeles Versetzung nach Auschwitz im Mai 1943 ist umstritten. Bewarb er sich auf die Stelle? Wurde sie durch seinen Mentor Verschuer arrangiert? Oder wurde er einfach ganz normal versetzt? Wir wissen, dass Benno Adolph, Mengeles Vorgänger als Lagerarzt im Zigeunerlager, sich Ende April mit Scharlach ansteckte und abgelöst werden musste. Zur selben Zeit stand Mengele, der den passenden Rang und die Erfahrung besaß, in einer Reserveeinheit zur Verfügung. Mengeles Sohn Rolf erzählte einem Journalisten 1985, laut seiner Mutter habe Verschuer seinen Vater „motiviert“, nach Auschwitz zu gehen, und sogar den Antrag für ihn gestellt.2 Hans Sedlmeier, ein Angestellter der Firma Mengele in Günzburg und Vertrauter der Familie, erzählte deutschen Vernehmungsbeamten 1984, nach den Worten Mengeles habe Verschuer bei der Versetzung geholfen; ein Neffe Verschuers habe den Posten übernehmen wollen, sich aber in letzter Minute zurückgezogen.3 Auch wenn wir wahrscheinlich nie die genauen Umstände kennen werden, erscheint es als sicher, dass Mengele nicht gegen seinen Willen dorthin ging – wie Verschuer nach dem Krieg behauptete, auch um sich selbst zu schützen.4 Wenn man bedenkt, wie schnell und begeistert Mengele die Gelegenheiten ergriff, die Auschwitz bot, ist leicht anzunehmen, dass er die Versetzung beantragte. Und tatsächlich hatte Verschuer klare Motive dafür, seinen Lieblingsschüler in Auschwitz zu platzieren, denn seine eigene Forschung und die anderer Mitarbeiter am Kaiser-Wilhelm-Institut profitierte eindeutig von Mengeles dortiger Arbeit.

Was immer die unmittelbare Ursache seiner Versetzung war, Mengele blühte in Auschwitz auf. Robert Jay Lifton glaubte, „daß Mengeles Einklang mit Auschwitz sui generis erfolgte“.5 Mehr noch: „Mehr als jeder andere SS-Arzt hat sich Josef Mengele in Auschwitz verwirklicht. Dort fand er sich in seinem Element, fand Anwendungsmöglichkeiten für seine Begabungen – was potentiell vorhanden gewesen war, konnte hier faktisch sein.“6

Mengele

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