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Kapitel 1 Aufruhr um die erste Herztransplantation 1969 Man will, man muss es mal versuchen

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«Ruth, wärst du bereit für eine Herztransplantation?» Professor Åke Senning spricht die Oberärztin für Herzanästhesie Ruth Gattiker auf dem Flur des Operationstrakts an. Er steht dort mit dem Direktor für Neurochirurgie, Prof. Hugo Krayenbühl. Mit der Frage meinte er, ob sie bereit wäre, die Narkose zu machen, während er die Operation durchführen würde. Senning ist Herzchirurg, ein gross gewachsener, eleganter Schwede, Mitte 50 und seit acht Jahren Direktor der Chirurgischen Klinik A des Kantonsspitals Zürich. Es ist Montag, der 14. April 1969, gegen halb zehn Uhr morgens, und Ruth Gattiker kommt eben aus dem Pausenraum, im Schlepptau den schwedischen Journalisten Bernt Bernholm, hohe Stirn, Hornbrille, sympathisch und aufgeschlossen. Der Tag hat früh begonnen. Senning hat die Anästhesistin morgens nach sieben Uhr gebeten, Bernholm unter ihre Fittiche zu nehmen. Dieser wolle einen Tag in der Herzchirurgie verbringen, überall zusehen. Er sei der beste Medizinjournalist, den er kenne, hat Senning für ihn geworben. Er und Bernholm sind Jugendfreunde. Sie haben früher in Schweden zusammen Fussball gespielt.

Ruth Gattiker ist überrascht über die unvermittelte Frage. Das Thema Herztransplantation liegt zwar in der Luft, seit Christiaan Barnard eineinhalb Jahre zuvor in Kapstadt ein Herz verpflanzt hat, und im Experimentallabor des Kantonsspitals forscht man auch zu diesem Thema, aber jetzt, so plötzlich an diesem Montagmorgen? Der Grund ist einfach, man hat endlich einen Spender für einen der beiden möglichen Empfänger, die darauf warten. Der Neurochirurg Krayenbühl hat eben ein hirntotes Unfallopfer mit der Blutgruppe A positiv für die Entnahme des Herzens freigegeben.1 Der Tag der ersten Herztransplantation in der Schweiz ist da, und der schwedische Journalist Bernholm hat damit unverhofft den Jackpot für seine Recherche geknackt.

Die Anästhesistin, 46 Jahre alt, gross, schlank, mit rotbraun gewelltem Haar, seit zwölf Jahren am Kantonsspital tätig, hat an diesem Morgen schon eine Anästhesie für eine Herzoperation gemacht. Es war ein kleinerer Eingriff. Ruth Gattiker weiss im Rückblick nur noch, dass alles glattging und sie die weitere Überwachung des Patienten einem Assistenzarzt und den Schwestern überlassen kann. Nach getaner Arbeit gönnt sie sich in ihrer grünen OP-Bekleidung in dem kleinen Pausenraum des Operationstrakts zusammen mit Kollegen und dem Journalisten einen Kaffee. Senning winkt sie zu sich, als sie den Raum verlässt. Er und Krayenbühl erklären ihr kurz die Situation.

Der Herzspender ist ein 27-jähriger Hilfsarbeiter und Hobby-Privatdetektiv aus Lachen, der zwei Tage zuvor durch ein Glasdach gefallen und bewusstlos, mit schweren Schädel-Hirn-Verletzungen ins Kantonsspital eingewiesen worden ist. Die Messung der Hirnaktivitäten mittels EEG (Elektroenzephalografie) hat schon am Sonntag nur noch einen Strich auf dem Bildschirm gezeigt, obwohl der Patient noch selbstständig atmete. Die erneute Messung am Montagmorgen hat wieder das gleiche Resultat gezeigt: keinerlei Hirnaktivität. Und um sieben Uhr hat die Atmung ausgesetzt, deshalb hat man ihn an eine Beatmungsmaschine angeschlossen. Für den Neurochirurgen Krayenbühl ist der Fall klar: Der Patient ist hirntot. Klare Vorschriften oder Regeln bezüglich Einwilligung der Angehörigen gibt es damals genauso wenig wie offizielle Kriterien zur genauen Definition des Todes. Der Operation steht nichts im Weg.

Obwohl man vermutet, dass genetische Ähnlichkeiten zwischen Spender und Empfänger zu einer Verringerung der Abstossungsgefahr beitragen, kann man die sogenannte Leukozytentypisierung nicht durchführen. Alle dazu qualifizierten Leute sind am Kongress für experimentelle Chirurgie in Davos.2 Aber eine gesicherte Erkenntnis ist das mit der Leukozytentypisierung nicht. Man weiss so oder so noch vieles nicht zum Thema Abstossung, hat aber dank den Nierentransplantationen, die man seit fünf Jahren regelmässig macht, doch schon etwas Erfahrung mit dem Thema. Man will, man muss es mal versuchen. Am Mittag soll es losgehen.

Ruth Gattiker

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