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Vorwort November 2014
ОглавлениеEin kalter, unfreundlicher Tag, draussen dunkelt es schon um 17 Uhr ein. Ich muss ein Buch holen in der Zentralbibliothek Zürich. Im Erdgeschoss, wo sich die Computer zur Recherche aneinanderreihen, entdecke ich einen mir bekannten weisshaarigen Kopf: Ruth Gattiker, Professorin für Herzanästhesie, 91 Jahre alt. Was macht sie hier? Ich gehe zu ihr hin. Sie sitzt vor einem Bildschirm, neben ihr liegen ein aufgeschlagenes Wörterbuch, mehrere Blätter Papier. «Guten Abend, Frau Gattiker.» Sie schreckt leicht auf, stutzt, erkennt mich: «Ah, grüezi Frau Schmid.» Ich frage, ob sie an etwas arbeite. «Nein, nein, ich mache Hausaufgaben, habe heute Abend noch Griechischunterricht oben an der Uni.»
Das ist Ruth Gattiker, besucht Altgriechischkurse mit über 90 Jahren. Sie wohnt in Davos, reist zwei- bis dreimal pro Woche mit dem Zug nach Zürich, geht ins Konzert, in die Oper oder eben an die Universität. Sie fährt noch Auto, geht jeden Tag ein bis zwei Stunden spazieren und scheint mir geistig und körperlich mindestens so fit wie ich mit meinen fast 50 Jahren. Nur das Gehör funktioniert nicht mehr optimal. Ab und zu muss sie nachfragen, und sie trägt ein Hörgerät. Doch das Erstaunliche an dieser Frau sind nicht nur ihre beneidenswert guten Gene. Erstaunlich ist, was sie aus ihren Gaben in diesen 91 Jahren gemacht hat, wie sie unbeeindruckt von Vorurteilen und gesellschaftlichen Normen, die für eine 1923 geborene Frau galten, ihren Weg gegangen ist und ihre Intelligenz, ihre Energie und die vielseitigen Begabungen genutzt hat und immer noch nutzt.