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3. Fremdheit
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a) Eine Sache ist fremd,[54] wenn sie nicht im Alleineigentum des Täters steht und nicht herrenlos ist,[55] oder anders formuliert: wenn ein anderer zumindest Miteigentum an ihr hat.[56] Für die Bestimmung der Fremdheit ist der maßgebliche Zeitpunkt die Tathandlung,[57] wobei die Fremdheit als solche nicht während der gesamten Tatausführung vorliegen muss. Es führt daher nicht zu einer Verneinung der Fremdheit, wenn der Täter durch die Wegnahme zugleich das Eigentum an der Sache erlangt, da die Sache zumindest zu Beginn der Wegnahme noch fremd war.[58]
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Grundsätzlich richtet sich die Fremdheit der Sache nach den zivilrechtlichen Eigentumsverhältnissen,[59] weshalb die Regeln des dinglichen Eigentumserwerbs nach den §§ 929 ff. BGB einschließlich des Abstraktionsprinzips ausschlaggebend sind.[60] Der Eigentumsübergang findet daher losgelöst von der Tatsache statt, ob z.B. das Verpflichtungsgeschäft gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, soweit das Verfügungsgeschäft hiervon unberührt bleibt.[61] Hingegen wird bei einem Eigentumserwerb durch einen Stellvertreter der Vertretene nur dann Eigentümer, wenn es sich entweder um eine offene Stellvertretung handelt und der Vertreter Besitzdiener des Vertretenen ist[62] oder wenn es sich (bei der verdeckten Stellvertretung) um ein „Geschäft für den, den es angeht“, handelt.[63]
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Eine Ausnahme von der Zivilrechtsakzessorietät bei der Bestimmung der Fremdheit besteht nach h.M. bei den zivilrechtlichen Rückwirkungsfunktionen.[64] Zum Beispiel haben diese im Fall einer Anfechtung der Übereignung nach der Wegnahme durch den Anfechtungsberechtigten keinen Einfluss auf die strafrechtliche Fremdheit der Sache zum Tatzeitpunkt, mit der Folge, dass die Sache weiterhin als fremd anzusehen ist.[65] In diesen Konstellationen ist jedoch diskutabel, ob dann die Rechtswidrigkeit der erstrebten Zueignung verneint werden muss oder ob ein Strafaufhebungsgrund vorliegt.[66]
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b) Ebenso sind Sachen, die im Miteigentum (§§ 1008 ff. BGB) des Täters stehen, taugliche Diebstahlsobjekte.[67] Das Gleiche gilt für Gesamthandseigentum[68] und solche Sachen, an denen der Täter erst Vorbehaltseigentum erworben bzw. Sicherungseigentum bei einem anderen begründet hat. Eine Änderung dieser formalen Eigentumsposition erfolgt auch nicht durch (schuldrechtliche) Eigentumsverschaffungsansprüche bzw. Sicherungsabreden. Für den Alleingesellschafter einer (Ein-Mann-)GmbH sind im Eigentum der Gesellschaft stehende Sachen aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Selbstständigkeit juristischer Personen fremd, auch wenn die Gesellschaft und ihr Eigentum rein wirtschaftlich betrachtet dem Gesellschafter gehören.[69] Jedoch besteht in diesen Fällen grundsätzlich keine Strafbarkeit, wenn der Täter zugleich Alleingeschäftsführer ist,[70] da er konkludent sein Einverständnis in die Wegnahme erklärt oder weil es an der Rechtswidrigkeit der erstrebten Zueignung fehlt.[71]
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c) Herrenlose Sachen sind keine tauglichen Diebstahlsobjekte, da sie in niemandes Eigentum stehen.[72] Hiervon erfasst sind Sachen, die von Natur aus als herrenlos gelten, wie z.B. wilde Tiere, unabhängig davon, ob sie sich schon immer in Freiheit bewegt haben oder die Freiheit nach § 960 Abs. 3 BGB wiedererlangt haben.[73] Ebenso sind jagdbare wilde Tiere herrenlos. Der Jagdberechtigte hat aber ein Aneignungsrecht nach § 1 Abs. 1 BJagdG, § 958 Abs. 2 BGB, außerdem wird der Fall von den §§ 292 ff. StGB erfasst. Wie sich auch aus § 960 Abs. 1 BGB ergibt, sind Fische in Teichen oder anderen geschlossenen Privatgewässern sowie Zootiere nicht herrenlos.
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Daneben können auch Sachen, die ursprünglich im Eigentum einer Person standen, herrenlos werden, wenn die Voraussetzungen der Dereliktion (Eigentumsaufgabe) nach § 959 BGB vorliegen und der Verzichtswille in der Außenwelt auf irgendeine Art und Weise in Erscheinung getreten sind.[74] Denkbare praktische Anwendungsfälle einer solchen Dereliktion sind etwa Sperrmüll und Altpapier,[75] das an den Straßenrand gestellt wurde, oder Speisereste in der Mülltonne.[76] Die Dereliktion ist hingegen zu verneinen, wenn der Eigentümer sein Eigentum nicht aufgeben, sondern übertragen möchte bzw. der Eigentümer nicht den unmittelbaren Besitz an der Sache aufgeben will.[77] Eine Herrenlosigkeit liegt daher nicht bei Sachen, die für (z.B. soziale) Sammelzwecke zur Abholung an der Straße abgelegt wurden[78] oder die nach dem Willen des Berechtigten einer bestimmten Entsorgung zugeführt werden sollen.[79] Gleiches gilt für Blumen auf einem Grab.[80] Im Gegensatz hierzu bleiben verloren gegangene Sachen fremd – unabhängig davon, ob sie verlegt oder vergessen wurden.[81] Hier ist jedoch dann zu untersuchen, ob sie nicht gewahrsamslos geworden sind (vgl. unten Rn. 31, 34).
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Der menschliche Leichnam ist zwar grundsätzlich eine herrenlose Sache, so dass die Wegnahme nur von § 168 StGB erfasst wird. Nach h.M. kann jedoch dann Eigentum am Leichnam oder einzelnen Körperteilen begründet werden, wenn, z.B. bei einer Organspende (zu Lebzeiten oder nach dem Tod durch Angehörige nach §§ 3 f. TPG), die Organe aus dem körperlichen Zusammenhang gelöst werden[82] oder durch die Überlassung an ein anatomisches Institut, wodurch dieses Eigentum am Leichnam erwirbt.[83] Im Falle der bloßen Bestimmung zur Bestattung dürfte die Eigentumsfähigkeit des Leichnams aber ausgeschlossen sein.[84]
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d) Fremd sind grundsätzlich nur verkehrsfähige Sachen, die überhaupt im Eigentum eines anderen stehen können. Daher handelt es sich bei verkehrsunfähigen Sachen (sog. res extra commercium), wie etwa der lebende Körper (zur fehlenden Sachqualität vgl. auch bereits oben Rn. 18), um keine tauglichen Diebstahlsobjekte. Auch atmosphärische Luft, frei fließendes Wasser in Flüssen oder Seen sind nicht verkehrsfähig, sofern sie einen natürlichen Zu- und Abfluss haben.[85] Dagegen können Personalausweise taugliches Objekt eines Diebstahls (und insbesondere auch einer beabsichtigten Zueignung) sein, obgleich sie nach § 4 Abs. 2 PAuswG im Eigentum der Bundesrepublik Deutschland stehen.[86]
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Fraglich ist der Eigentumsschutz für illegale Betäubungsmittel. Die ganz überwiegende Rechtsprechung und auch große Teile der Literatur sehen in ihnen keine res extra commercium,[87] obwohl ihr Erwerb regelmäßig strafbar und das Erwerbsgeschäft daher nach §§ 134, 138 BGB nichtig ist. Denn jedenfalls ihre Erzeuger werden i.d.R. gesetzlich Eigentum erwerben (vgl. §§ 950, 953 BGB) und dann bei unwirksamen Übereignungsvorgängen Eigentümer bleiben (oder eben das Eigentum durch neue gesetzliche Eigentumserwerbsvorgänge verlieren).[88] Demgegenüber hatte der 2. Strafsenat in einem Anfragebeschluss die Frage aufgeworfen,[89] ob der (etwa nötigungs- oder täuschungsbedingte) Verlust von Betäubungsmitteln einen Vermögensschaden im strafrechtlichen Sinne bedeuten kann, und in diesem Zusammenhang auch auf die Rechtsprechung des Schweizerischen Bundesgerichts verwiesen, wonach mangels Verkehrsfähigkeit kein fremdes Eigentum i.S. des Diebstahlstatbestandes bestehen soll (BGE 122 IV, 179, 183 f.).
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Zu einer Entscheidung des Großen Strafsenats ist es (auf Grund einer Rücknahme der Vorlage) bislang noch nicht gekommen. Für die tradierte Auffassung spricht freilich, dass auch sonst bei einem Diebstahl Eigentümer und Gewahrsamsinhaber nicht übereinstimmen müssen und ein weitgehend (vermögensstraf-)rechtsfreier Raum im Drogenmilieu droht. Andererseits mag man mit guten Gründen fragen, ob es Aufgabe der staatlichen Strafjustiz ist, in diesem Feld für „Rechtsgüterschutz“ zu sorgen und dass es eben doch einen Unterschied macht, ob Eigentümer und Gewahrsamsinhaber zufällig auseinanderfallen oder ob in bestimmten Lebensbereichen der Diebstahl strukturell immer allein zum Gewahrsamsschutz degeneriert. Soweit man dem Standpunkt der tradierten Rechtsprechung folgt, ist es freilich wenig konsequent, wenn der 4. Strafsenat gegen die unbefugte Entziehung von Betäubungsmitteln die zivilrechtlichen Besitzschutzrechte (§ 859 Abs. 2 BGB) nicht als Rechtfertigungsgründe zulassen will, weil eine im Anschluss an eine Besitzentziehung geübte Besitzkehr erneut zu einer strafrechtswidrigen Besitzlage führen würde.[90] Denn wenn § 242 StGB in solchen Fällen auch allein den Bruch eines strafrechtswidrigen Gewahrsams (ohne ernsthaften Eigentumsschutz) unter Strafe stellt, ist es nur konsequent, gegen die Störung dieses Besitzes auch die Besitzschutzrechte anzuerkennen.