Читать книгу Mein Leben im zweiten Weltkrieg und in den ersten Nachkriegsjahren - Dieter Schulz - Страница 11
Der Luftschutzkeller unter der Friedenskirche
ОглавлениеWie gesagt, musste man jeden Tag mit einem Angriff rechnen und der kam dann auch wenige Tage, nachdem wir den Bunker verlassen hatten. Meine Mutter wusste aber ganz genau, wo wir uns in Sicherheit begeben würden. Das war der Keller unter der evangelischen Friedenskirche an der Flora-Straße. Dieser Keller war angeblich ganz sicher und es gab niemanden, der irgendwelche Bedenken gehabt hätte. Der Einwand einer Nachbarin, wonach nur die Evangelischen Zutritt zu diesem Luftschutzkeller hätten, erwies sich als Blödsinn. Auch Katholiken, wie wir, durften da rein. Ich erinnere mich, dass dieser Luftschutzkeller besonders groß war. Anerkennend zeigte mein Vater auf die vielen Betonstützen, die dem Keller eine große Stabilität gaben. In einer Ecke stand die Frischluftmaschine, ein großer, fassähnlicher Rundkörper, der auf einem Stahlgestell ruhte. Ein dickes Rohr führte von dem Rundkörper zur Wand. Der Frischluftstutzen war oben auf dem Rundkörper angeordnet. Links und rechts war je eine Kurbel, ähnlich wie bei einer Heißmangel. Ich hatte versucht, mittels einer der beiden Kurbeln die Frischluftversorgung in Gang zu setzen, was mir aber nicht gelang, da mir die Kraft dazu fehlte. Als die Luft aber besonders miefig wurde, betätigten zwei Luftschutzwarte den Frischluftfilter, indem sie kräftig kurbelten. Die Frischluft, die sie dabei in den Luftschutzkeller pumpten, roch stark säuerlich.
Diesmal galt der Angriff zwar Düsseldorf, aber wir in Bilk bekamen nicht allzu viel mit und nach dem lang gezogenen Heulton der Entwarnung verließen alle den Luftschutzkeller. Dabei waren Ausrufe der Erleichterung wie „Gott sei Dank“, „noch mal Schwein gehabt“ und so ähnliches zu hören. Auf dem Heimweg in stockdunkler Nacht wurden die Menschen auch ein Bisschen übermütig und es kam vor, dass jemand laut lachte. Das kam übrigens öfters vor, dass zwar wir in Düsseldorf-Bilk verschont blieben, dafür kam aber in anderen Stadtteilen einiges herunter und wenn die Erwachsenen davon sprachen, dass diesmal Rath, Gerresheim oder Derendorf getroffen wurden, kam es mir vor, als würde über andere Länder gesprochen.
Was geschah eigentlich mit den vielen Toten, die aus den Trümmern geborgen wurden? Wenn die nicht unmittelbar nach ihrer Bergung von Angehörigen identifiziert werden konnten, wurden sie zum Zwecke der Identifikation in den Kirchen der einzelnen Pfarreien aufgebahrt. Wer also einen Angehörigen vermisste, konnte in die für den Vermissten zuständige Kirche gehen und dort nachsehen. Für uns war das die Sankt-Peter-Kirche. Es muss grauenhaft gewesen sein, wie ich einmal einem Gespräch meiner Mutter mit einer Nachbarin entnehmen konnte. Danach waren die Toten kaum zu identifizieren. Manchmal konnten von den Toten nur einzelne Gliedmaßen geborgen werden. Manche Leichen hatten große, aufgeblähte Köpfe, was von dem Luftdruck der Luftminen kam. Von abgerissenen Köpfen und zerfetzten Gedärmen war auch die Rede. Furchtbar muss aber auch der Geruch gewesen sein, der von diesen körperlichen Überresten ausging.
Andere Kinder hatten von ihren Eltern ähnliche Schreckensnachrichten gehört und darum gingen wir zur Sankt-Peter-Kirche, um uns selbst ein Bild zu machen. Den Weg hätten wir uns aber sparen können, denn Kinder durften da nicht rein. Das war nämlich nichts für Kinder, auch nichts für die größeren von uns. Wir sollten alle schnell nach Hause gehen. Wir blieben aber vor der Kirche und beobachteten die Leute, die hinein gingen. Sie gingen irgendwie anders, als Menschen normalerweise gehen. Selbst uns Kindern fiel auf, dass sie das Allerschlimmste befürchteten. Zögernd und voller Angst betraten sie die Kirche. Wie aber verließen sie die Kirche? Die eine Frau, die da heraus kam, schnitt Grimassen, die uns normalerweise zum Lachen verleitet hätten. Niemand von uns lachte aber. Andere Frauen mussten von NSV-Helferinnen gestützt werden. Zum Weinen fehlte denen wohl die Kraft. Dann kam ein Mann aus der Kirche und dem fehlte nicht die Kraft zum Weinen. Er weinte und schüttelte sich dabei. Das ein Mann weinte, verwunderte uns sehr, denn das ein Mann weinen konnte, hätten wir nicht für möglich gehalten. Vielleicht war es nur ein Gerücht, aber es wurde erzählt, dass einige Menschen nach dem Besuch der Kirche nach Grafenberg, das heißt, in die Psychiatrie mussten. Das hässliche Wort von der „Klapsmühle“ war damals noch nicht gebräuchlich.