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Die armen Russen

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Wurden die französischen Kriegsgefangenen auch gut behandelt, so wurden Russen nicht nur sehr schlecht behandelt, sie wurden sogar regelrecht misshandelt. Das fiel selbst uns Kindern auf. Die Russen mussten hart arbeiten, sie wurden geschlagen, getreten und sie bekamen sehr wenig zu essen. Wir Kinder konnten zusehen, wie der Wachmann vor seinem Baustellenwagen saß und dünne Brotscheiben mit Marmelade, die er aus einem Eimer nahm, dünn bestrich. Dann rief er die Russen zu sich, die sofort angerannt kamen und ihre knappe Mahlzeit entgegen nahmen, um sie hastig zu verzehren.

Da sie ständig hungrig waren, suchten sie nach zusätzlichen Essensresten in den Mülltonnen. Meine Mutter und andere Frauen steckten den Russen hin und wieder belegte Brote zu. Das musste aber heimlich geschehen, da es verboten war, den Russen etwas zu geben und man konnte dafür bestraft werden. Eines Tages wurde meine Mutter dabei erwischt, als sie den Russen etwas gab und sie bekam eine Verwarnung. Den Russen war es zu dieser Zeit aber noch erlaubt, essbare Abfälle aus den Mülltonnen zu nehmen. Diese „Toleranz“ wurde von meiner Mutter und anderen Frauen dazu genutzt, um die Schalen extra dick geschälter Pellkartoffeln in die Mülltonnen zu tun. Das wurde aber später auch untersagt.

An der Ecke Kronenstraße Bilker Allee gab es ein Lebensmittelgeschäft und vor dem Schaufenster standen ein paar Gemüsekisten. Einer der Russen hatte wohl sehr großen Hunger und nahm aus einer der Kisten ein paar Möhren. Der „Dieb“ wurde von einem meiner Freunde bei dem Wachmann angezeigt. Der nahm seinen Ochsenziemer und schlug damit heftig auf den Russen ein. Der Lebensmittelhändler wollte besänftigen und erklärte, dass das doch nicht schlimm gewesen wäre, zumal es sich doch um halbverfaultes Gemüse und demnach um Abfall gehandelt hätte. Der Wachmann schlug aber weiter auf den armen Russen ein und beschimpfte ihn mit gemeinen Worten. Nach einiger Zeit machten Erwachsene uns Kindern Vorwürfe, weil einer von uns den Russen verraten hatte. Sie erklärten uns, dass die Russen ganz arme Menschen wären und wir sollten mit denen doch etwas Mitleid haben. Im Gegensatz zu den Franzosen waren die Russen aber keine Kriegsgefangenen, sondern Zwangsarbeiter.

Es gab aber unter den Russen auch weibliche Zwangsarbeiter, die in ihrer knappen Freizeit, meistens also in der Nacht, taubengroße Vögel aus Holz bastelten, um diese gegen Brot einzutauschen. Die Vögel konnten mit den Flügeln schlagen und mit den Köpfen nicken. Meine Mutter nahm mich einmal mit in die Altstadt zum Einkaufen und da sah ich die Russinnen, die ihre Vögel zum Tausch anboten. „Nurr eine Brott!“ bettelten sie und hielten den Leuten ihre Holzvögel entgegen. Andere sagten „Habben Hungerr, grosse Hungerr!“ Daran erinnere ich mich sehr genau und auch daran, dass es aus der Backstube der Bäckerei Kinkel herrlich nach frisch gebackenem Brot duftete. Dass aber irgendjemand ein Brot gegen einen der Holzvögel eintauschte, sah ich nicht. Später erklärten meine Eltern mir, dass es riskant war, einen derartigen Tausch zu tätigen, denn auch dafür konnte man bestraft werden. Ein hoher Nazifunktionär verkündete die These, dass es eine Verschwendung wertvoller Lebensmittel wäre, wenn man diesen Untermenschen, er meinte damit die Russen, auch nur ein Stück Brot geben würde.

Mein Leben im zweiten Weltkrieg und in den ersten Nachkriegsjahren

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