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Zwischen Ruhrgebiet und Münsterland

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Mit „Gelsenkirchen“ ist der Heimatort Manuel Neuers nur unzureichend benannt. Genauer muss es heißen: Gelsenkirchen-Buer. Ein Bindestrich und vier zusätzliche Buchstaben, die einen kleinen, aber feinen Unterschied markieren. Als Neuer anlässlich seines Wechsels zum FC Bayern zu seiner vermeintlichen Ultra-Vergangenheit befragt wird, antwortet er: „Bei mir muss man einfach sehen: Ich komme ja nicht aus Gelsenkirchen, sondern aus Gelsenkirchen-Buer. Das ist das Monaco von Gelsenkirchen. Das glauben nur leider viele nicht, die nicht aus Buer stammen.“

Buer das „Monaco Gelsenkirchens“ zu nennen, ist nicht so abwegig, wie es im ersten Moment klingen mag. Zwar halten viele Nicht-Ruhrgebietler das Revier städtebaulich und sozial für eine monolithische Einheit. Wer dort aufgewachsen ist, weiß jedoch, dass sich die Städte, aber auch Stadtteile sehr stark unterscheiden. Gerade Gelsenkirchen gilt als „extrem binnendifferenziert“, wie es der dort lebende Stadt- und Fußballhistoriker Hartmut Hering formuliert.

Während sich im südlichen Ruhrgebiet, entlang der Hellwegzone, die besseren Gegenden eher im Süden der Städte befinden, ist es in Gelsenkirchen wie auch im Rest der Emscherzone umgekehrt. Dort bilden Emscher und Rhein-Herne-Kanal eine soziale und geographische Binnengrenze. Die schon ins Münsterland übergehenden Gebiete nördlich davon gelten als „besser“. Hier liegt auch Buer, das zwar nicht vergleichbar ist mit den gediegenen Gegenden im Süden Essens und Dortmunds und schon gar nicht mit München oder Monaco. Aber Buer ist anders als andere Stadtteile Gelsenkirchens.

Ursprünglich war es ein altes südmünsterländisches Handwerker- und Bauerndorf, das über eine gewisse Tradition der Selbstverwaltung und damit auch über ein tradiertes lokales Selbstbewusstsein verfügte. Buer wäre vermutlich noch heute ein unbedeutendes Dorf, wenn der Bergbau im 19. Jahrhundert nicht auch das Gebiet nördlich der Emscher erfasst hätte. Schon 1858 hatte der irische Unternehmer William Thomas Mulvany die erste Gelsenkirchener Zeche „Hibernia“ (lateinisch für „Irland“) abgeteuft, und innerhalb von 20 Jahren war das gesamte Gebiet südlich der Emscher bergbautechnisch erschlossen. Zu Beginn dieser Industrialisierung war Gelsenkirchen noch ein kleines Dorf, ebenso wie die angrenzende Gemeinde Schalke, wo die Zeche „Consolidation“ entstand, die 50 Jahre später für den FC Schalke 04 eine wichtige Rolle spielen sollte.

Nördlich der Emscher begann der Bergbau später, weil dort das Deckgebirge über der Kohle und damit auch die Abbaukosten höher waren. Als erste nahm 1875 Zeche „Hugo“ in Beckhausen ihren Betrieb auf, und bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden in den bislang kaum besiedelten Bauernschaften rund um Buer weitere Schachtanlagen. Um die Arbeiter unterzubringen, wurden Wohngebiete hochgezogen. Daraus entwickelten sich die Orte Hassel, Resse, Erle, Beckhausen, Schaffrath und Scholven, die sich fortan wie Satelliten um die „Sonne“ Buer, dem heutigen Stadtteil Buer-Mitte, gruppierten. Ab 1911 nannte sich das ganze Gebilde stolz „Buer in Westfalen“.

In Buer-Mitte selbst wurden keine Zechen oder andere Industrieanlagen errichtet, so dass es im Gegensatz zu seinen überwiegend proletarisch geprägten Ortsteilen seinen Charakter als kleinbürgerlich geprägte westfälische Kleinstadt erhalten konnte. In keinem anderen Teil Gelsenkirchens ist der westfälische Pohlbürger mit seiner konservativen Mentalität so stark vertreten. Als der Ort 1928 mit der Stadt Gelsenkirchen und der Gemeinde Horst-Emscher zur neuen kreisfreien Stadt Gelsenkirchen-Buer zusammengelegt wurde, steuerte Buer fast 100.000 Bürger bei, ein Drittel der neuen Einwohnerzahl, dennoch wurde schon zwei Jahre später der Städtename auf „Gelsenkirchen“ reduziert. Im Boom der Nachkriegszeit erreichte Gelsenkirchens Einwohnerzahl 1959 mit 391.745 den historischen Höchststand. Mit dem Niedergang der Montanindustrie begann die Bevölkerung zu schrumpfen, bis heute um mehr als ein Drittel auf ca. 256.000.

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