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Vorwort
ОглавлениеManuel Neuer gehört sicherlich zu den besten Torhütern der Fußballgeschichte. Vielleicht wird man sogar eines Tages rückblickend sagen: „Er war der Größte.“ Doch bereits heute hat Neuer einen Eintrag in die Geschichtsbücher sicher. Nicht nur, weil er 2014 mit der deutschen Nationalelf Weltmeister wurde. Einige Monate später landete er bei der Verleihung des FIFA Ballon d’Or, der höchsten individuellen Auszeichnung, die ein Spieler im Weltfußball erreichen kann, hinter Cristiano Ronaldo und Lionel Messi auf Platz drei. Dass viele der abstimmenden Journalisten, Trainer und Spieler einen Torwart auf die gleiche Ebene stellten wie die beiden Megastars von Real Madrid und dem FC Barcelona, die die Wahl seit Jahren dominierten, hatte etwas mit Neuers Spielweise zu tun. Jogi Löw, Trainer der deutschen Weltmeisterelf: „Ich glaube, dass Manu für einen Wandel im Weltfußball steht. Er ist hinten der Erste, der das Spiel eröffnet und die anderen dirigiert. Das ist die Zukunft des Fußballs. Wir hatten mit ihm bei der WM einen elften Feldspieler. Er hat eine neue Dimension des Spiels geprägt.“
Trotzdem wurde ich in den letzten Monaten immer wieder gefragt: „Warum willst du über Neuer schreiben?“ Aus Gründen, die sich mir nicht so richtig erschließen, galt die Idee als eher langweilig. Und: Würde dieser 29-jährige Torwart überhaupt ausreichend Stoff für ein Buch hergeben?
Am Torwart und der Person Manuel Neuer haben mich folgende
Aspekte besonders interessiert:
Zuvörderst natürlich seine Spielweise. Eine Spielweise, die in dieser Radikalität und Konsequenz kein „Muss“ für einen Torwart sein kann, mich aber stets begeisterte. Vielleicht auch, weil ich ein Fan des alten Ajax-Fußballs bin, des „voetbal totaal“, gewissermaßen die Wiege eines Torwartspiels, das den „letzten Mann“ näher an die Männer vor ihm führte. Ein Grenzen überschreitendes Torwartspiel, das in den späten 1960ern und frühen 1970ern entwickelt und dann in den 1990ern erstmals von Edwin van der Sar überzeugend demonstriert wurde. Dieses Buch ist also ein parteiisches. In Deutschland war es Jens Lehmann, der als Erster die Torwartrolle offensiver interpretierte. Aber das alles war noch ein Stück entfernt von dem, was Manuel Neuer seit einigen Jahren vorführt. Neuer ist wohl der perfektest mitspielende Keeper in der Fußballgeschichte.
Die Probleme, die ein Teil der deutschen Fußballöffentlichkeit mit diesem Keeper immer wieder hatte und selbst nach der WM 2014 mit Neuers legendärem Auftritt gegen Algerien noch immer hat. Nicht wenige warten begierig auf seinen nächsten Fehler, um dann den Allgemeinplatz loszuwerden: „Ein Torwart muss in allererster Linie Bälle halten!“ Wer will das bestreiten? Und hält Manuel Neuer etwa keine Bälle? Wie viele Torhüter auf der Welt können Bälle besser halten als Manuel Neuer? Hätte Neuer es als Keeper jemals so weit gebracht, wenn er nicht auch auf der Linie stark wäre? Hätte Bundestrainer Jogi Löw Manuel Neuer für die Weltturniere 2010 und 2014 als Nummer eins gesetzt, wenn er nur Fußballspielen könnte, aber keine Schüsse parieren? Nein, Manuel Neuer ist als Torwart ein Alleskönner.
Die hohen Wellen, die sein Wechsel vom „Arbeiterverein“ Schalke 04 zum „elitären“ FC Bayern München geschlagen hat. Es waren vermutlich die höchsten Wellen, die der Wechsel eines Spielers innerhalb Deutschlands je losgetreten hat. Manuel Neuer verkörpert wie kein anderer Profi ein Dilemma dieses Berufsstands – weil er wie kaum ein anderer Profi in seiner Jugend und sogar noch in seinen ersten Profijahren auch den Fußballfan gelebt hat. Als er von der Emscher an die Isar wechselte, wurde das Spannungsverhältnis zwischen der Realität des Profifußballs und dem Denken der Fans überdeutlich. Manuel Neuer ist von Beruf Fußballer. Und wie in jedem Beruf wechselt der Angestellte seinen Arbeitgeber, wenn er sich hiervon eine berufliche Verbesserung verspricht. Den Beruf des Fans gibt es nicht. Der Fan ist eine der größten Konstanten des Spiels. Wer einmal sein Herz an Schalke verloren hat, bleibt sein Leben lang ein Schalker. Für die Fans des FC Bayern gilt dies ebenfalls. Daraus erklärt sich, warum für Fans ein Spielertransfer viel gefühlsbeladener sein kann als für den Spieler selbst.
Der fragile Charakter von Karrieren und der Anteil, den „stille Helden“ daran haben. Neuers Karriere hätte auch anders verlaufen können. Als er 13 war, wollte man ihn bei Schalke 04 aussortieren, weil er zu klein war. Hätte es damals nicht Menschen gegeben, die den Keeper Manuel Neuer nicht als Momentaufnahme einfroren, sondern perspektivisch dachten, hätte es den Welttorhüter Manuel Neuer möglicherweise nie gegeben. Die Guardiolas, Klopps und Co. stehen tagtäglich im Rampenlicht. Aber diejenigen, die Fußballer überhaupt erst zu Fußballern machen, sieht man häufig nicht, sie sind nahezu unbekannt. Das Buch handelt deshalb auch von den unbesungenen und stillen Helden des deutschen Fußballs, den Norbert Elgerts, Lothar Matuschaks und all den anderen, die man auf jeder Ebene des Nachwuchsfußballs findet. Aufrichtige und lebenserfahrene Typen, denen man stundenlang zuhören kann, wenn sie über das Spiel reden. Weil sie nicht nur fachlich kompetent, sondern auch überragende Pädagogen sind. Und bescheiden noch dazu. So wurde mir in fast jedem zweiten Satz mitgeteilt, dass „für alles, was Manuel erreicht hat, er selber verantwortlich ist“ (Lothar Matuschak).
Bei folgenden Personen, die in irgendeiner Weise zu diesem Buch beigetragen haben, möchte ich mich bedanken: Eddy Achterberg, Bernd Beyer, Jörg Butt, Norbert Elgert, Siegbert „Siggi“ Hüneborn, Christoph Osigus, Hartmut Hering, Lothar Matuschak, Christina und Michael Matthoff, Olivier Kruschinski, Jaap Visser, Fans von Schalke 04 und des FC Bayern. Hierzu gehören auch die Bayern-Ultras von der „Schickeria“, deren Probleme mit Manuel Neuer ich nie so richtig verstehen und akzeptieren konnte (ohne dass meine Anerkennung für ihren Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus und Homophobie im Fußball darunter gelitten hätte).
Eher halbherzig habe ich auch den direkten Kontakt zu Manuel Neuer gesucht, wenngleich es mir nicht zwingend notwendig erschien, um dieses Buch schreiben zu können. Ich hätte kaum andere Fragen gestellt, als dies die Journalisten der Tagespresse bereits seit Jahren tun. Und die Antworten wären ebenfalls kaum andere gewesen. Und schon gar nicht wollte ich den Eindruck einer Pseudo-Autorisierung erwecken.
Manuel Neuers Management hatte dem Verlag in einem sehr frühen Stadium geschrieben, dass der Zeitpunkt für ein Buch über den Torwart noch nicht gekommen sei – was den Keeper irgendwie ehrt. Aber mir ging es nicht darum, seine Lebensgeschichte zu erzählen. Mir ging es um sein Torwartspiel: woher dieses Spiel stammt, wie Manuel Neuer zu diesem Spiel kommt und es weiter entwickelt hat, wie dieses Spiel seitens der Öffentlichkeit betrachtet wird, welche Erfolge es verbuchen kann.
Dietrich Schulze-Marmeling
August 2015