Читать книгу Einmal Formentera, immer Formentera? - Dirk Prüter - Страница 14
Abschied
ОглавлениеAuch wenn wir das Gefühl haben, auf Formentera ticken die Uhren langsamer, die Zeit verfliegt. Zweieinhalb Wochen nach unserer Ankunft lesen wir unsere Namen auf der Abreiseliste. Die unsägliche Seite in dem gefürchteten Ordner unseres Hostals, den wir laut Miss Neckermann nicht aus den Augen verlieren sollten. Dem Blatt entnehmen wir, wann wir uns mit gepackten Koffern vor der Tür unserer Herberge einzufinden haben, wollen wir uns auch den bis dahin verdrängten Teil der gebuchten Pauschalreise nicht entgehen lassen.
Der Vergänglichkeit des Vergnügens bewusst kosten wir die Dinge aus, die bis dahin einem unbekümmerten Alltag zum Opfer fielen. Wir legen einen Nachmittag am Pool ein. Eine blöde Idee. Dösen, lesen, abkühlen – ohne Sand zwischen den Zehen, ohne salziges Wasser, ohne Sicht auf den Horizont. Kann das der Sinn des betreuten Urlaubens sein? Nach einer Weile beschließen wir: nein – es muss etwas geschehen. Wir siedeln um. Von den Sonnenliegen geht es rüber zum Tresen. Der nächste Fehler. Sommer, Sonne, Meer – was wäre ein Urlaub in Spanien ohne Sangria. Das Glas zur Begrüßung kann nicht alles gewesen sein. Was folgt, dauert nicht lange. Vier Mann, vier trockene Kehlen – eine Karaffe ist schnell geleert. Schmeckt lecker. Geht runter wie nichts, das fruchtig süße Gebräu. Victor hat den Dreh der Mischung raus. Ob er sich für das Trinkgeld erkenntlich zeigen will, er einfach nur seine Ruhe haben möchte oder die Gelegenheit sieht, im Regal mit den Flaschen aufzuräumen – der nachbestellte zweite Liter ist von anderem Kaliber. Bei der Zubereitung schauen wir unserem Universaltalent ein wenig auf die Finger. Vielleicht auch nicht das Schlaueste. Aus diversen Flaschen Hochprozentigem wandern Anteile in das bauchige Tafelgefäß. Nachdem es geleert ist, haben wir die Lampe an – noch weit vor Anbruch der Dämmerung. Es Pujols an dem Abend fällt aus.
Der Ort ist statt dessen die Anlaufstelle unseres letzten Morgens. Wir wollen einmal woanders frühstücken, vielleicht gar einen sanften Übergang zur heimischen ersten Mahlzeit des Tages herbeiführen. Drei Wochen lang trockenes Weißbrot, Schlabberwasser, das uns zwar unter dem Namen Kaffee angeboten wird, dem geschmacklich aber nur mit viel Fantasie nahe kommt, sowie jeden Tag aufs Neue Marmelade in Portionspäckchen mit zwei Monate zurück liegendem Mindesthaltbarkeitsdatum? Wir schieben es auf den einen Stern, mit dem unsere Herberge im Reisekatalog beworben wird. Mehr war für unsere Verhältnisse nicht drin und irgendwo müssen die Relationen gewahrt bleiben. Sicher, Victor hätte das Stangenbrot Morgens aufschneiden können anstatt als letzte Amtshandlung vor Feierabend, doch wer weiß, wie es dann ausgesehen hätte. Das Frühstücksei, dessen Dotter fest, das Eiweiß aber glibberig blieb? Ein Geheimnis, das besser nicht gelüftet wird. Nein, am letzten Morgen, da soll wenigstens der Gaumen seine Freude haben. Das Café unserer Wahl wird das Sa Volta. In der Kurve im Ort gelegen der Platz, an dem das Leben pulsiert. Quasi das Pendant zur Bar Verdera, die Bar des Verderbens in San Fernando, nur halt nicht in der Inselmitte, an der zentralen Kreuzung, sondern im Mittelpunkt des touristischen Treibens.
Der Tisch, den wir erwischen, ist perfekt. Sehen und gesehen werden. Aus Korbstühlen mit Armlehnen schauen wir, wer vorbei flaniert: die früh aufgestandenen Badegäste mit Luftmatratze, Schnorchel und Strandlaken unter dem Arm, die Shopping-Queens und -Kings auf der Suche nach dem Schnäppchen des Tages, die Geschäftsleute, die vom urlaubenden Volk leben. Ein buntes Auf und Ab und Hin und Her. Das Frühstück? Der Hammer! Der Kaffee könnte tatsächlich einer gemahlenen und aufgebrühten Bohne entstammen. Der Saft? Orange, ein wenig wässerig, doch mit Fruchtstückchen. Croissant und Honig – nun ja, lässt sich nicht viel dran falsch machen. Das Brot? Zwei Scheiben. Quadratisch, hell, getoastet. Ei? Unauffällig, wie auch die Scheibe Schinken und Käse. Butter, Marmelade? Ein wenig enttäuschend. Wie in unserem Hotel. Abgepackt. In Kunststoffschälchen mit Metallfolie. Das Besondere jedoch: das Mindesthaltbarkeitsdatum des fruchtigen Brotaufstrichs. Es unterscheidet sich von dem in unserem Lago Dorado. Wie ein irritierter Blick zeigt: es liegt noch weiter zurück in der Vergangenheit. Vielleicht die Folge, dass Formentera eine Insel ist. Abgeschieden vom Festland. Nur vom Nachbareiland auf dem Seewege erreichbar. Da können Wege lang werden.
Wenige Stunden später legen wir die Strecke zurück. Bei einer ruhigen Überfahrt nach Ibiza gibt es nicht den geringsten Anlass, sich die letzten Happen nochmals durch den Kopf gehen zu lassen. Voller Sehnsucht blicken wir zurück auf die Orte, von denen wir Tage zuvor die Perspektive in anderer Richtung genossen: den schmalen Strand östlich des Hafens, von dem aus wir erstmals in das westliche Mittelmeer eintauchten, die Salzmühle, in der wir die Allioli kennen lernten, den Illetas, den Strand, an dem Otto schneller auf das offene Meer trieb als wir dem entsprechend beschrifteten Wasserball folgen konnten, auf die Inselspitze im Norden, an der Formentera nur wenige Meter breit ist und von wo aus wir nach Espalmador stiefelten und ein Schlammbad nahmen. Zwar wurde bereits 1986 davor gewarnt, dass zum unbewohnten Nachbareiland hinüber gefährliche Unterströmungen herrschen könnten, doch als wir durch die Fluten stapften, waren wir nicht allein. Außerdem war der Matschpfuhl eine Empfehlung Miss Neckermanns.
Mit dem Wind in den Haaren und der salzigen Luft in der Nase stehen uns die Tränen in den Augen. Es war eine schöne Zeit. Der Abschied ist ein bisschen wie sterben. Könnte das alles nicht endlos so weiter gehen? Erste Worte unseres Begrüßungskomitees am Pool schwirren uns durch den Kopf.
„Uns sehen die hier nicht wieder.“
Wir müssen schmunzeln. Uns schon. Wir sind uns so gut wie sicher. Ist nur die Frage: Wann …
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