Читать книгу Einmal Formentera, immer Formentera? - Dirk Prüter - Страница 17
1996 – Formentera für immer
ОглавлениеNach weiteren zwei Jahren Formentera Abstinenz dann 1996 für uns der Einstieg in ein neues Zeitalter: Wir rücken jährlich an. Und zu viert. Mehr oder weniger neun Monate nach der letzten Rückkehr von der Insel erblickt unser zweiter Sohn das Licht der Welt. Tim. Möglicherweise „made in La Mola“.
Als er anderthalb ist wird einstweilen zum letzten Mal experimentiert. Wir wollen noch einmal Neuland für uns entdecken, doch der letzte Urlaub auf Formentera setzte Maßstäbe. Hohe. Wieder sollten es drei Wochen werden, wieder wollten wir fliegen, wieder sollte der Flug nicht deutlich länger dauern als zwei Stunden, wieder sollte es ans Meer gehen, ein Strand nicht all zu weit entfernt sein, die Unterkunft nicht weniger als drei Sterne haben sowie einen Bungalow für uns bereit halten. Am besten so etwas wie die kleine Pityuseninsel, nur woanders, gerne aber in Spanien, wussten wir mittlerweile immerhin, dass „Agua con gas“ sprudelndes Wasser bezeichnet und kein Missverständnis ist, wie wir die Darreichung bevorzugen. Glas/Gas – wer hört da auf Anhieb schon die Spitzfindigkeiten heraus.
Bahnbrechend unsere Entscheidung 1995. Unsere Wahl fiel auf die große Schwester im Archipel. Auf die Insel, die wir bis dahin lediglich als Transitstrecke nach Formentera kennen lernten. Wir landeten auf Ibiza und blieben dort. Überlegte Ute erst ob wir die letzte Woche nicht auf dem lieb gewonnenen Eiland ausklingen lassen sollten, so kam für mich ein Kofferpacken mittendrin nicht in Frage. Das Ergebnis: ein kleines Desaster. Dass es im späten August fast eine Woche lang regnete? Sah zwanzig Kilometer weiter südlich wahrscheinlich auch nicht anders aus. Dass wir miterlebten wie jemand leblos aus den Fluten gezogen wurde? Kommt bedauerlicherweise auf Formentera gleichfalls immer wieder mal vor. Dass man uns am Strand beklaute? Wahrscheinlich ebenfalls auf unserer Trauminsel nicht auszuschließen, bis dato jedoch sind uns derartige Geschichten fremd. Dass der Diebstahl ausgerechnet dort stattfand, wo es uns bis dahin am besten gefiel? Ironie des Schicksals. Wir waren mit dem Auto etwa eine Stunde unterwegs und äußerst überrascht, ausgerechnet am Rande der Dünen am überlaufenen Salinas Strand einen Platz im Schatten einer Pinie zu finden. Merkwürdig dann, als wir zu viert badeten, ein kleines Mädchen allein zwischen den Bäumen. Abwechselnd warf es einen Blick auf unsere Sachen und wieder zurück über die Schulter auf den Parkplatz. Als warte es auf die Eltern, die sehr lange damit beschäftigt sind, Hab und Gut aus dem Kofferraum zu verfrachten. Ohne, dass jemand weiteres zu sehen war, schritt sie plötzlich zu dem Flecken, an dem wir uns nieder gelassen hatten, griff zum Rucksack mit unseren Habseligkeiten und machte sich damit von dannen. Der Moment, in dem ich einen verwirrten Rest der Familie zurück ließ, aus den Fluten stürmte sowie um diverse Strandtücher herum und dem Kind hinterher. Hinter den Sandhügeln auf dem Weg schließlich fand ich unsere Tasche – erleichtert um das Portemonnaie mit Geld und Papieren. Auto- und Apartmentschlüssel fehlten hingegen zum Glück nicht. Zwar wurde ich der kleinen Diebin sowie ihrer Mutter nebst Kleinkind auf dem Arm habhaft, die Geldbörse blieb jedoch für mich unauffindbar und auch die konsultierte Polizei konnte nichts weiter für mich tun als eine Anzeige entgegen zu nehmen.
Einschneidender jedoch eine andere Feststellung: auf Formentera lebt es sich entspannter. Es gibt keine weiten Wege, so gut wie jeder Zipfel der Insel ist für uns aus eigener Kraft erreichbar, wir brauchen weder zwingend ein Auto noch sitzen wir lange darin, greifen wir doch auf eines zurück, und ein schöner Strand ist nahezu direkt vor der Haustür. Logische Konsequenz: wozu lange Prospekte wälzen wenn man weiß, wohin man will. Rümpften wir bis dahin die Nase über diejenigen, die alljährlich Fehmarn, Juist, den Wolfgangsee oder was auch immer zum Ziel der schönsten Wochen des Jahres machten – mit einem Male verstehen wir sie und sind selbst nicht besser.
Begünstigt wird der Entschluss einstweilen durch ein Angebot, das uns entgegen kommt. Im La Mola Hotel können wir Ende Mai/Anfang Juni drei Wochen unterkommen, zahlen aber lediglich den Katalogpreis für vierzehn Tage. Der Zeitraum ist noch nicht so gefragt. Für uns optimal. Wir „sparen“ Geld, ebenso Jahresurlaub, je nachdem wie Himmelfahrt, Fronleichnam oder Pfingsten fallen, und meist meint es das Wetter gut mit uns. In der Regel ist es sonnig und angenehm warm, noch nicht zu heiß, das Meer aber bereits einladend. Hinzu kommt: Ute kann entspannt altern. In dem Zeitfenster, in dem wir unsere Ferien verbringen, liegt ihr Geburtstag. Einerseits schön, andererseits hat die Sache einen Wermutstropfen. Ute nimmt das Ereignis gerne zum Anlass, im Kreise von Freundinnen und Freunden zu feiern. Erfolgt die Einladung - „Ihr seid herzlich willkommen – Ihr müsstet lediglich nach Formentera kommen“ - eher in dem Bewusstsein, dass außer Ehemann und Kindern kein vertrautes Gesicht am Tisch sitzen wird, so ist die Freude groß, als es plötzlich und unerwartet anders kommt.
An ihrem Ehrentag leuchten schon beim Abendessen die Augen. Nachdem der Hauptgang verputzt ist, rückt eine dreiköpfige Delegation des Hauses an. Angeführt vom Maître wird eine kleine Geburtstagstorte serviert. Während eine darauf gesteckte Wunderkerze Funken sprüht, schmettert man ein Ständchen. Cumpleaños feliz, happy birthday to you. Der halbe Saal stimmt ein, zum Abschluss Applaus. Aufgrund der Meldepflicht sind dem Hotel diverse Daten seiner Gäste bekannt. Oder hatte ich mich verplappert? Unerheblich. Ute ist gerührt.
Nachdem der Kuchen verspeist ist, der übliche Gang zur Kinderdisco. Während die Kinder zu „Veo veo, que ves“ und Konsorten herum hüpfen und Ute und ich zur Feier des Tages vor einem Glas Sekt sitzen, öffnet sich die Tür. Herein schreiten keine Unbekannten. Rüdiger und Birgit mit Daniel und Marvin im Schlepptau. Der Nachwuchs ist in etwa eine Altersklasse. Unsere Kinder trennen keine vier Jahre. Die Überraschung ist perfekt, der Abend wird lang – trotz der Strapazen, die unsere Freunde für den Spaß auf sich nahmen und von denen wir nach und nach erfahren. So kommen sie mehr oder minder direkt von der Fähre, warfen schnell ihre Koffer in das nur unweit entfernt gelegene Ferienhaus, machten sich kurz frisch und rollten die Serpentinen wieder hinab in dem kleinen, roten Italiener, der am Hafen für sie mit Schlüsseln unter der Sonnenblende abgestellt bereit stand – ein Fiat Bambino. Er zählt quasi zum Inventar des Ferienhauses, ist von diesem kaum weg zu denken und soll uns auch in den folgenden Tagen noch eine Anekdote bescheren.
Tags drauf inspizieren wir, was unsere Trauzeugen sich über ein Inserat in einem Anzeigenblatt mieteten. Ihr Haus steht dort, wo die Kurven die Hochebene hinauf enden. An sich würde das Domizil eher zu uns passen. Jedenfalls dem Namen nach. Casa Colonia. Der Eigentümer lebt nicht weit von uns in Deutschland entfernt. Die Hütte selbst: einfach, klein, aber zweckmäßig geschnitten und eingerichtet sowie je nach Geschmack traumhaft gelegen. Aus dem Wohnraum beziehungsweise von der Terrasse aus schaut man über die Insel, über das Meer, bis hinüber nach Ibiza. Einzig kleiner Haken: die Strände liegen knapp 150 Meter tiefer – man kann nicht alles haben. Zwar verläuft der Römerweg, ein steiniger Pfad, unmittelbar vor beziehungsweise unterhalb des Hauses, doch wer möchte alltäglich zum Baden oder mit Einkaufstaschen beladen über den blanken Fels der Steilküste kraxeln? Insofern schon sinnig, das Angebot des Hauses direkt mit Auto.
Einen der darauf folgenden Tage verbringen wir am Strand. Das Wetter ist herrlich, das Meer glatt, alle guter Dinge. Sind die Frauen in Zeitschriften und Bücher vertieft, kümmern Rüdiger und ich uns darum, dass auch den Kindern nicht langweilig wird. Irgendwann rollt ein Ball. Fußball geht immer. Tore werden abgesteckt, Mannschaften gebildet, anschließend wird gebolzt – soweit vier Zöglinge im Vorschulalter es zulassen. Doch egal, es geht weder darum technisch zu brillieren noch Meisterschaften zu gewinnen. Alle sollen bloß ihren Spaß haben. Mit einem Male ist es damit vorbei. Gerade noch versuchte Rüdiger elegant den Ball zu lupfen, plötzlich ein Aufschrei sowie ein schmerzverzogenes Gesicht. Im Eifer des Gefechts traf er einen Stein. Natürlich barfuß. Pusten und Streicheln lindern die Pein kaum. Wie zudem unschwer selbst für Laien erkennbar: irgend etwas stimmt nicht. Der kleine Zeh steht ungewohnt ab. Nach zwei Tagen Humpelei wird ein Fachmann konsultiert. Über das Wochenende soll es so nicht weiter gehen. Birgit fährt Rüdiger zur ärztlichen Ambulanz. Ein Krankenhaus existiert auf der Insel zu diesem Zeitpunkt bestenfalls in den Vorstellungen einiger Köpfe. Als die beiden zurück sind, ist der Fuß bandagiert. Eindrucksvoller hingegen, was Rüdiger über den Verlauf der Behandlung berichtet. Nach einem prüfenden Blick hätte es vom Spezialisten im weißen Kittel eine Spritze in den lädierten Zeh gegeben. Wenig später habe der Arzt unseren Freund angelächelt und gefragt, ob der Schmerz weg sei. Rüdiger habe zurück gelächelt und bestätigt – alles wieder gut. Das Ende der Therapie? Mitnichten. Lediglich der Moment ab dem der Doc davon ausging, dass die lokale Betäubung wirkt und Startschuss für die eigentlichen Maßnahme: ein beherzter Griff zum Fußglied der seinen Abschluss darin findet, dass dieses zurück gelangt in seine ursprüngliche Form. Der Moment, in dem es Schluss war mit lustig. Rüdiger hätte die Wand hochgehen können. Mit den Worten, dass er das gebrochene Körperteil schonen solle, ward er statt dessen entlassen. Eine Empfehlung mit Folgen.
Am nächsten Tag der Entschluss, gemeinsam doch mal einen anderen Strand aufzusuchen. Tapetenwechsel, sozusagen. Schwangen wir uns bei unserem ersten Urlaub zu viert dazu einfach auf die Sitzbänke unserer Roller und gaben Gas, so ist es zu acht schon nicht mehr gar so einfach, gilt es auch noch diverse Badeutensilien sowie Strandspielzeuge zu transportieren. Luftmatratze, Schwimmringe, Bälle, Handtücher, Schüppen, Eimer und was nicht alles. Auf die Schnelle ein zweites Auto dazu mieten? Uncool. Ein Fiat Bambino richtig bepackt ist ein wahres Raumwunder. Sieht man dem Fahrzeug von außen gar nicht an. Die Kinder sind von der Idee begeistert. Einmal im „Kofferraum“ mitfahren – so und nicht anders soll es sein. Vom Grundsatz her ist die Idee einfach. Wie mit den Elefanten und den Telefonzellen. Hier: Heckklappe öffnen, Gepäck rein, drei Kinder oben drauf, Klappe zu, fertig. Jedenfalls fast. Mit dem Rest ist es nicht viel komplizierter. Seitentüren auf, Rückenlehnen der Sitze nach vorne klappen, Frauen auf die Rücksitzbank, das verbliebene Kind dazwischen beziehungsweise auf den Schoß, Lehnen wieder zurück, Männer auf die Vordersitze, Türen zu, Abfahrt. In Anbetracht des zu schonenden Zehs trifft es mich, den Platz hinter dem Lenkrad einzunehmen.
Wir befinden uns gerade auf der langgezogenen Inselhauptstraße auf dem Weg Richtung Inselmitte, da sehe ich im Rückspiegel wie sich ein Fahrzeug nähert. Lackierung und Aufbau auf dem Dach lassen keine Zweifel: ein Polizeiwagen. Scheiße. 'Tschuldigung – Mist. Natürlich – was wir machen, ist unverantwortlich. Dennoch. Jetzt nur keinen Ärger riskieren. Die Kinder werden instruiert. Hinlegen, Handtücher über die Köpfe ziehen, nicht bewegen. Lange zu schwitzen braucht keiner. Rechts vor uns taucht der Ofiusa auf. Ein Supermarkt. Unsere Rettung. Ich setze den Blinker, parke vor dem Laden, kurz darauf sind die Ordnungshüter an uns vorbei. Glück gehabt. Vorsichtshalber gedulden wir uns noch einen Augenblick, dann geht es weiter – immerhin mit schlechtem Gewissen.
Abermals verbringen wir ansonsten eine vergnügliche, unaufgeregte Zeit. Wie auch in den folgenden Jahren. Einmal im Urlaub leihen wir uns für einen Tag ein Auto und schauen, ob sich noch alles auf der Insel an seinem Platz befindet. In der Regel werden wir angenehm überrascht. Nach und nach verschwinden am Straßenrand entsorgte Autos, Kühlschränke und Fernseher, auch schon mal knietiefe Schlaglöcher im Asphalt, über die man im Vorjahr noch einen Bogen machen musste, gibt es mit einem Male nicht mehr und in den Orten entstehen Fußgängerzonen, wo vormals Autos fuhren.
Bei einer dieser Touren haben wir jedoch unsere Zweifel, ob alles mit rechten Dingen zugeht. Die knapp fünfzig Meter Höhenunterschied zwischen dem Parkplatz am Hotel sowie der Inselhauptstraße sind gerade überwunden und wir rollen auf Es Calo zu, der Ansammlung von Häusern rund um einen kleinen Hafen, in dem Fischer ihre Boote liegen haben, da trauen wir unseren Augen nicht. Im Hafenbecken steht etwas, das dort nicht hinein gehört. Ein Kleinbus. Lediglich Scheiben und Dach ragen aus dem Wasser. In dem Fahrzeug sitzt glücklicherweise niemand. Wie wir in Erfahrung bringen, hatte man wohl die Handbremse nicht richtig angezogen, als man das Fahrzeug an der abschüssigen Rampe abstellte, über die normalerweise Boote zu Wasser gelassen beziehungsweise an Land geholt werden. Ironie des Schicksals: wir blicken auf den Transporter der Tauchschule.
Neben den motorisierten Ausflügen gehen wir dazu über, uns zunehmend aus eigener Kraft über die Insel zu bewegen. Mal radeln wir zu anderen Stränden, andere Male wird gewandert. So entdecke ich so gut wie direkt vor der Haustür einen wunderschönen Rundweg, der mir eine Frage beantwortet, die sich mir schon lange stellte: gibt es nicht auch eine Möglichkeit, entlang der Südküste auf die Mola hoch zu gelangen? Wie ich nach einem Anlauf feststelle: es gibt sie, die Möglichkeit. Ich stiefele zunächst ein Stück an der Küste entlang, vorbei am auslaufenden Strand und dem Geheimtipp von Miss Neckermann, der kleinen, versteckten Bucht, erklimme ein paar Felsen beziehungsweise steige diese wieder herab, umrunde eine weitere Bucht, in der abgestorbenes Seegras in den Wellen hin und her schwappt, und folge einem schmalen Pfad. Umgeben von knorrigem Gestrüpp entferne ich mich vom Meer, bevor ich es unmittelbar vor dem Erheben der Steilküste noch einmal vor mir habe und ich vor weiteren Bootsunterständen stehe. Alles andere als eben dann der Weg zur Hochebene hinauf. Ein ganz besonderes Vergnügen, dieser Streckenabschnitt, als ich Ute und den Kindern stolz präsentiere, auf was ich da stieß: der Nachwuchs zetert und meutert bereits nach wenigen Metern – zu anstrengend. Zur Wahrung des Familienfriedens nehme ich die Sprösslinge abwechselnd auf die Schultern. Ein Spaß ganz besonderer Güte, der den nächsten Supermarkt herbei sehnt. Abenteuerlich geradezu die Vorstellung, wie Autos diesen Weg rauf beziehungsweise runter kommen mögen. Mich jedenfalls kann der Gedanke nicht begeistern, hinter dem Lenkrad zu sitzen. Oben angekommen schlängelt sich der Weg ein wenig durch die Felder, kurz vor El Pilar taucht zur Rechten die Windmühle auf, in der einer Legende nach Bob Dylan für einige Zeit gelebt haben soll, es folgen ein paar Schritte durch den Ort, das Abschreiten eines größeren Weinfeldes, dann ist die Straße zu überqueren, das obere Ende des Römerwegs erreicht und es beginnt der Abstieg. Er führt uns vorbei an der Casa Colonia, an Höhleneingängen und an Aussichtpunkten mit diesem Blick über das Eiland bei denen man aufpassen muss, nicht mit der Insel zu verschmelzen. Findet man im Rausch der einigen hundert Meter abwärts den richtigen Abzweig, überquert man die Straße noch in den Serpentinen ein weiteres Mal, bleibt unter Bäumen, biegt ein in den Camino Es Ram, einer üblen Holperpiste, die in der gleichnamigen Bucht mit den Fischerhütten endet, in der das Seegras schwappt. Knickt man rechtzeitig in den noch übleren Weg ab, der in einen ausgetrockneten Wasserlauf übergeht und nach kurzem Anstieg wieder abfällt, nimmt schließlich den sandigen Pfad nach rechts, dann steht man plötzlich wieder dort, wo man begann, brach man sich zwischenzeitlich nicht die Haxen. Ausreichendes Potential jedenfalls bieten die etwa zwölf Kilometer. Um so erstaunter sind wir, als wir auf einer der Wanderungen auf der unebenen, felsigen Piste bergab in zügigem Tempo überholt werden. Von zwei Radfahrern. Die beiden Mountainbiker haben ihren Spaß daran, eigene Fähigkeiten sowie die Belastbarkeit ihrer Gefährte unter Beweis zu stellen.
Woran wir uns im Laufe der Zeit außerdem gewöhnen? Das Unperfekte auf Formentera hat seinen Charme. Es macht selbst vor Vier-Sterne Hotels nicht halt. Das eine Mal fällt das Wasser aus, das andere Mal der Strom. Als man sich des Abends beim Essen darüber auslässt, wie man kurz zuvor eingeschäumt unter der Dusche stand und es plötzlich nur noch tropfte, müssen wir schmunzeln. Erinnerungen an den Morgen werden wach als wir es waren die dafür sorgten, dass im Lago Dorado Elektrogeräte ihren Dienst quittierten. Eines anderen Abends dann hat es den Anschein, als habe jemand für die gesamte Insel den Stecker gezogen. Wie häufiger zu dieser Stunde sitzen wir auf der Terrasse des Casablanca, eines Restaurants beziehungsweise einer Bar neben dem Hotel. Ein Cocktail an der frischen Luft reizt uns mehr als die Bespaßung durch ein Animationsteam in einem klimatisierten Salon. Auf einen Schlag ist es dunkel. Weder in den Räumlichkeiten des Lokals noch im Hotel brennt Licht. An sich nirgends, so weit die Blicke reichen. Auch das Rauschen der Air-Condition ist verstummt. Man trägt es mit Fassung. Stromausfall halt. Formenteras Energieversorgung hängt an zwei unterseeischen Kabeln. Wenig später ist es dafür um so stimmungsvoller: Kurzerhand flackern auf den Tischen die Kerzen. Dass das Babyphon weiterhin schweigt? Sowohl unsere Kinder als auch wir überleben es. Schauen wir halt gelegentlich mal um die Ecke, ob beim Nachwuchs die Welt noch in Ordnung ist. Ute und ich wurden auch ohne derartige Technik groß, sofern man bei eins-paar-und-sechzig beziehungsweise -siebzig Meter zwischen Fußsohle und Scheitel davon sprechen kann.
Dass Fomentera auch drüber hinaus seine Schattenseiten hat, darüber informiert bereits der Reiseprospekt. Für nächtliche Schritte zu Fuß wird angeraten, eine Taschenlampe mitzunehmen. Nicht jeder Winkel ist von einer Straßenlaterne ausgeleuchtet. Die Folge einer deutlich geringeren Lichtverschmutzung gegenüber „zivilisierteren“ Gegenden: bei wolkenlosem Himmel ein fantastischer Sternenhimmel. Großes Naturkino. Wer das Erkennen von Sternbildern oder fremder Galaxien zu seinen Hobbys zählt, dürfte schlaflose Nächte haben. Wir hingegen belassen es dabei, den diesbezüglich unkundigen Blick in die Unendlichkeit zu genießen, hin und wieder einen Wunsch an eine Sternschnuppe zu heften oder einfach nur mit offenen Augen zu träumen. Beispielsweise wie es wäre, auf Formentera nicht nur die Ferien zu verbringen, sondern zu leben. Ein faszinierender Gedanke. Eine Idee, wie dies zu bewerkstelligen sei, fällt leider nicht auf uns herab.
Tage, Wochen und Urlaube gehen in das Land. Zeiten unbeschwerten Seins. Schnell vorbei sind die Jahre, da wir mit Buggy, Wickeltasche oder Koffern voller Babynahrung anreisen. Selbstverständlich könnten wir Gläschen und Brei auch im balearen Supermarkt erstehen, doch wir wollen nichts riskieren. Unsere Kinder wachsen mit Lebensmittelunverträglichkeiten auf, haben eine Laktose Intoleranz und unser Wortschatz in der fremden Sprache ist lückenhaft. Dos cañas, por favor – zwei Bier bitte, daran sollte es nicht scheitern, ist für unsere beiden aber noch etwas verfrüht. Was als ständiger Begleiter erhalten bleibt: ein Inhaliergerät. Trotz eines höheren Salzgehaltes und deutlich geringerer Schadstoffe in der Luft machen auch chronische Atemwegserkrankungen unseren Knirpsen das Leben schwer. Pfeifendes und rasselndes Luftholen sind leider selbst in einem Paradies wie auf Formentera keine Seltenheit. Was Ute und ich hingegen zu spüren bekommen: mit dem Urlaubsantritt sind wir unseren Heuschnupfen los.
Wie es so ist, wenn die Kinder klein sind: die Zeit vergeht viel zu rasch. Schnell ist der Zeitpunkt erreicht, in dem die erste Einschulung bevor steht. Ein Versuch, im letzten Anlauf das drei-für-zwei-Wochen Angebot auf ein vier-für-drei auszuweiten, scheitert. Schade. Im Jahr darauf, angewiesen auf die Schulferien, wird es richtig heftig. Noch einmal gönnen wir uns drei Wochen im lieb gewonnen Hotel, doch was man uns abverlangt sprengt für mich den Rahmen. Gut zwei Monatsgehälter. Ein Betrag, der das Vierstellige überschreitet. Eine derartige Summe für zwanzig Tage Sommer, Sonne, Strand und mehr? Zwar bilde ich mir ein, nicht schlecht zu verdienen, doch alles hat seine Grenzen. Hinzu kommen weitere Kleinigkeiten, die Kurskorrekturen verlangen. Zum einen sind da die Essenszeiten. Morgens sind es Nick und Tim, die ihre Spielsachen nicht aus der Hand legen wollen, Abends haben Ute ich keine Lust zusammen zu packen, wenn es am Strand leerer wird.
Eine andere Sache ist das Hotelpublikum. Kinder im Vor- oder Grundschulalter sind nicht jedermanns Geschmack. Mit gesellschaftlichen Zwängen noch nicht so wohl vertraut ecken sie in ihrer Unbedarftheit schon mal an. Insbesondere bei Landsleuten. Den Kopf schütteln können wir nur, als sie eines Tages unter dem Sonnenschutz am Strand der Nachbarliege zu nahe rücken und von dort erbost zu hören bekommen:
„Das ist mein Schatten!“
Wie bereits erwähnt: Zeit für Kurskorrekturen, Zeit für etwas Neues.