Читать книгу Kiki süss-sauer - Doris Lilli Wenger - Страница 10
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ОглавлениеKiki räkelte sich in ihrem Bett. Montagmorgen. Der Wecker zeigte zwanzig nach sechs. Sie hatte keine Zeit zu verlieren. Sie war kein pünktlicher Mensch, aber niemals würde sie zu spät an der Arbeit erscheinen. Verschlafen machte billig, erinnerte sie an Pubertät, Pickel, Stunden vor dem Kleiderschrank und an einen gehetzten Schulweg mit hungrigem Magen. Dann lieber gleich krank.
Ihr Job langweilte sie.
Sie sollte sich sputen. Mechaniker einteilen, Dienstpläne anfertigen, Rapporte ablegen, Frachtpapiere erstellen, Rechnungen, Offerten, Termine, Auskünfte, Telefonanrufe, mit Mitarbeitern plaudern.
Keine Lust
Die Kollegin, welche seit einem Monat das Büro mit ihr teilte, würde ohne sie ins Schleudern geraten. Kiki hielt sie für begriffsstutzig, das nervte.
Der Juniorchef würde seine Gattin im Sekretariat aushelfen lassen, damit der Betrieb reibungslos von statten ginge. Das gäbe Schwierigkeiten. Die Frau hatte unlängst Zwillinge geboren und stand unter Stress. Sie tat sich ebenso schwer mit der neuen Arbeitskraft wie sie.
Kiki schob die Laken von sich, setzte sich auf. Ihre Hülle fühlte sich leer an. Welk wie eine Blume ohne Frischwasser. Sie brauchte dringend wieder einen Mann.
Am Sonntagabend war sie mit einem der Fahrer ausgegangen. Er war nett. Sie hätte es sich vorstellen können. Die Fantasie mit ihm zu schlafen, hatte ihre Haut prickeln lassen.
Und das Essen war vorzüglich gewesen. Gespritzter Weisswein zum Aperitif, verführerischer Amarone zu Rindsfiletsteak und Pommes. Die zweite Flasche wäre nicht nötig gewesen. Dass er ihr erst nach dem Hauptgericht eröffnet hatte, dass er sich wieder mit seiner Ex-Frau traf, nahm sie ihm übel. Nur deshalb hatte sie Nachtisch bestellt.
Wieder hatte sie sich getäuscht. Sie hatten sich in der Innenstadt verabschiedet. Und sie entschied sich für einen Absacker in ihrer Lieblingsbar. Obwohl sie ahnte, dass sie da keine Neuerscheinungen treffen würde.
Dem Kerl wollte sie heute bei der Arbeit nicht begegnen.
Sie fühlte sich wie in einer Wäscheschleuder, kreiselte noch ein wenig. Benommen schlurfte sie ins Bad. Ihre rotbraune Mähne türmte sich wirr auf ihrem Kopf. Bevor sie sich im Spiegel ansah, griff sie nach ihrer Bürste. Sich zu frisieren brachte alles in Ordnung. Sie genoss es, bearbeitete Strähne für Strähne. Behutsam, ausgiebig, sinnlich. Auf ihren wallenden, roten Schopf war sie stolz. Ihre Haare waren es, die sie exotisch und sexy aussehen liessen. Jetzt erst begrüsste sie ihr Spiegelbild. Sie gefiel sich, ihre runden Brüste, ihr weicher Bauch. Ihr sanftes Wesen wurde durch ihr üppiges, wallendes Haar sichtbar.
Guten Morgen Prinzessin
Abermals war sie dem Charme eines witzigen Kollegen erlegen. Zweideutigen Sprüchen, flapsigen Höflichkeiten und der Andeutung, begehrt zu werden, konnte sie sich nicht entziehen. Wieso erkannte sie niemand?
Immer der Falsche
Wann tauchte endlich der Richtige in ihrem Leben auf? Sie würde sich so gerne verlieben.
Sie kämmte sich in Trance, bis sie ihren Pyjama entdeckte, welcher leidenschaftslos an ihr hing. Sie wandte sich ab. Es ging ihr miserabel. Leise und sorgfältig legte sie ihre Bürste auf die Ablage und wanderte Richtung Küche.
Der Weg war zäh wie Watte. Ein Grappa und Resten von Gebäck standen auf der Spüle und erzählten ihr vom Frust der vergangenen Nacht. Sie räumte den Teller in die Abwaschmaschine und grabschte sich die Flasche. Verdutzt wie wenig sich darin befand, drehte sie kratzend den Deckel auf und schnupperte an der Öffnung. Reflexartig zog sie die Augen kraus und die Nase hoch, überrascht, dass der Geruch sie nicht ekelte. Schnell stellte sie die Flasche neben Essig und Öl in den Schrank. Die Kaffeemaschine gluckerte grollend und wartete auf ihren Auftrag.
Sie würde anrufen.
Migräne
Migräne wäre ein verständlicher Grund, zu Hause zu bleiben. Sie sehnte sich nach Musse, um sich zu trösten. Kiki fischte ihre Bratpfanne hervor und briet sich zwei Spiegeleier. Wenn nichts mehr ging, besänftigte sie diese sonnige Eierspeise. Sie ass sie stehend, mit der Gabel direkt aus der Pfanne.
Sie wollte einzig rausgehen und ihren Wagen in die Garage stellen. Es war nicht angebracht, wenn Riri mitbekam, dass sie blaumachte.
Morgen würden alle froh sein, wenn sie wieder im Büro erschien.
Beim Gedanken an Riri schob sie ihre Unterlippe vor. Riri würde in dieser Verfassung arbeiten. Klaglos. Sie wäre hart mit sich und würde ihre Schwäche keinem zeigen. War Riri überhaupt jemals müde? Diese Selbstdisziplin war so abstossend.
Riri, immer wieder Riri. Es gab Menschen, die machten nie etwas falsch. Kiki entsann sich nicht, dass Riri je irgendetwas versiebte. Jünger und kleiner gewachsen und trotzdem überall die Erste. Und auch wenn sie sich öfters über Riris Art oder ihre Einstellung geärgert hatte, im Nachhinein betrachtet lag in all ihrem Tun ein Sinn. Und was sie tat, geschah in einem Tempo, welchem Kiki nicht folgen konnte. Riri gelang alles, Riri hatte alles.
Alles, was ich mir wünsche
Kiki versuchte nicht neidisch zu sein. Oder eifersüchtig. Die beiden Begriffe verwechselte sie regelmässig, hatte die Differenz nie gerafft.
Wie auch immer
Riri war anfänglich vom Vater und danach von der Liebe bevorzugt worden. Und Kiki wollte Riris Leben. Egal, wie sich dieses Gefühl nannte.
Scheisse
Sie hatte Riri gern. Ihre Bewegungen, ihr Lachen, ihr Wille, sich um alles zu kümmern. Sie schaute Riri gerne an, schaute ihr gerne zu, war gerne ihre Schwester. Sie waren füreinander da, wenn sie jemanden brauchten. Riri fiel alles leicht, Riri war die Goldmarie.
Kiki hatte es satt die Pechmarie zu sein. Sie war nicht faul, tat ihre Pflicht und gab sich Mühe. Was sie auch tat, Unglück und Mühsal blieben an ihr kleben. Sie wollte endlich zum Zug kommen. Sie konnte nichts dafür, dass Papa sie nicht liebgehabt hatte, sie ihm nie genügte, ihr deshalb vieles schwerer fiel als anderen.
Sie genügte heute, fünfzehn Jahre nach seinem Tod, noch immer nicht.
Selbstmitleid kroch in ihr hoch. Riri hatte am Samstag umwerfend ausgesehen. Trotz ihrer langweiligen, schwarzen Garderobe. Kiki war eine attraktive Frau und Männer fühlten sich zu ihr hingezogen. Doch egal was sie tat, neben Riri blieb sie gewöhnlich. Manchmal vergriff sie sich im Stil, da nützten ihr ihre aussergewöhnlichen Haare nichts. Und ihr Alter war nicht zu verbergen. Kürzlich hatte tatsächlich eine Verkäuferin sie Oma genannt.
Sie war es leid, als Erstgeborene Zweite zu sein.
Sie dachte an Maman und ihre trübe Laune verkrümelte sich. Kiki hob den Kopf, drehte sich dem Porträt ihrer Mutter zu, welches gerahmt auf dem Sideboard neben dem Esstisch lehnte. Sie nickte ihr flüchtig zu. Ein Lächeln vertrieb unauffällig einige Falten von ihrem Gesicht.
Dass sich der Garten durch den Bau der Nachbarn verändern würde, störte sie mit der Beharrlichkeit einer Dornwarze. Riris Gespräch mit Daniel würde nicht fruchten und bald wäre nichts mehr wie einst. Früher hatte es befreit, dem oberflächlichen Getue ihrer Mutter und dem strengen Regime ihres Vaters nach draussen in den Ahornbaum zu entfliehen und mit Riri, Marcel und Maurice ihre eigene Welt zu erschaffen.
Maurice
Sie hätte ihn um ein Haar vergessen. Die Verbindung zu ihrem Kindergartenschatz hatte sich mit Beginn der Pubertät verändert. Nach seinem Umzug hatten sie sich einige Male zufällig an offiziellen Anlässen, Gemeindeveranstaltungen, Turnervorstellungen, Konzerten und ähnlichem getroffen. Er hatte mit ihrer Entwicklung nicht mitziehen können. Er war ihr peinlich geworden. Dann, ohne es zu bemerken, hatte sie ihn vergessen. Seit letzten Samstag spukte er in ihrem Kopf herum. Sie könnte seine Mutter besuchen, wo wohnte die heute? Das wäre spannend, wahrscheinlich würde sie etwas über Maurice erfahren.
Kiki telefonierte mit ihrem Vorgesetzten und parkierte um. Als sie den Briefkasten öffnete, fiel zwischen den Werbeprospekten ein zartlila Umschlag auf den Boden. Sie hob ihn auf und drehte ihn um.
Herzchengeprägt.
Geburt oder Vermählung
Heftig riss sie die Klappe auf. Es handelte sich um eine Anzeige zur Trauung eines Bekannten. Eines Freundes. Ex-Freundes.
Das Verhältnis mit Ciril war vage geblieben. Er war ein weicher Mann. Angepasst und beflissen. Vielleicht etwas zu bieder, demütig. Als er sie in den Bären zum Essen eingeladen hatte mit der Ankündigung, er müsse mit ihr reden, hatte sie abgewägt, ob es ideal wäre, nach so kurzer Verliebtheit, in eine gemeinsame Wohnung zu ziehen. Ihre Freude war unbändig gewesen. Berauscht hatte sie ein extravagantes Kleid gekauft. Und mitten im Hauptgang machte er Schluss. Er sei nicht offen für eine feste Beziehung. Wie lange war das her? Vier Monate?
Und jetzt heiratete er. Bereits nächsten Samstag.
Ha!
Ihr Herz tat ihr weh. Der Grappa rief.
Nein, sie würde sich nicht unterkriegen lassen. Hochzeiten versprachen, andere Leute kennen zu lernen.
Diese Einladung würde sie annehmen.