Читать книгу Kiki süss-sauer - Doris Lilli Wenger - Страница 9
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ОглавлениеRiri lief in den Garten. Auf dem Parkplatz des Nachbarn stand das Motorrad, welches sie beinahe gerempelt hätte. Das hatte sie beim Ankommen nicht bemerkt. War das Daniels Fahrzeug? Geplapper schwappte herüber. Schnell bückte sie sich neben einen üppig blaublühenden Hibiskus und riss an einer verirrten, wilden Kamille. Es wäre ihr peinlich gewesen, jetzt gesehen und angesprochen zu werden.
Der Weg war von Sonnenblumen und Lilien gesäumt. Sie hob den Kopf und ihr Blick verfing sich in den Blättern des betagten Ahorns. Diese Erde war ihre Verbündete. Jeder Pflanze hatte sie ihre Geschichte erzählt, ihre Gefühle offenbart, sie mit ihren Tränen getränkt, mit Melancholie verwöhnt.
Das war ihr Garten. Sie wollte sich nicht gegen dieses Projekt stellen. Kiki machte ihr das Leben schwer. Die Hoffnung, sich mit ihrer Schwester auszusprechen zerrann, wie Wasser auf ausgetrocknetem Boden. Das Gummiband in ihrem Inneren dehnte sich zum Bersten. Sie richtete sich auf, zog die Schultern hoch, liess sie wieder hängen, liess sie kreisen, schaukelte sich hin und her, versuchte ihre Brust zu entspannen.
Ihre Schwester zettelte Streit an, wie üblich. Wieder war es ihr nicht gelungen, gelassen zu bleiben. Wieder hatte sie den Kampf verloren. Mit angespannten Zügeln war es schwierig, den richtigen Ton zu treffen.
Zimtstern – ich hätte mich für dich wehren sollen
Im Gemüsebeet wucherte Unkraut und Grashalme standen da und dort im Kies.
Fehlerhaft
Sie würde gerne häufiger herkommen. Die Schultermine ihrer Kinder, Fussballtraining, Turniere, Hausaufgaben, der Haushalt. Der alltägliche Wahnsinn einer Kleinfamilie. Wie sollte sie das alles schaffen? Niemand merkte ihre Anstrengung. Für alle war sie die Perfekte, Unermüdliche. Unkraut zwischen Daumen und Zeigefinger zerkrümelnd, ging sie zum Geräteschuppen und langte nach einem Eimer. Sie klaubte die umgestülpten Fingerteile ihrer Gartenhandschuhe hervor, zog sie sich über, legte eine Matte auf die Erde und kniete sich hin.
Sie vergass alles um sich, liess sich von der Zeit verschlingen.
Sie vermisste ihren Vater. Er war es gewesen, der sich oft zu ihr gesellt hatte, bisweilen eine Stunde lang neben ihr gewerkelt hatte, bevor er zu plaudern begann. Er hatte die Beklemmung in ihrem Herzen immer verstanden. Auch wenn sie mit ihm nur floskelte. Seine Naturverbundenheit fehlte ihr. Dass er so früh hatte sterben müssen, tat ihr heute noch weh. Er hätte sie auch jetzt erkennen können.
Unvermittelt stand Kiki hinter ihr. «Du machst Gartenarbeit?»
Riri guckte hoch.
«Komm bitte rein.»
Erstaunlich. Lange her, dass Kiki von sich aus Versöhnung angeboten hatte. Riri stand langsam auf.
«Ich habe die Pläne studiert. Du hast Recht. So schlimm sieht das Vorhaben gar nicht aus. Wir haben darüber geredet. Maman möchte den Brief bestätigt zurückschicken», sagte Kiki.
Riri begriff nicht, weshalb ihre Schwester das nicht selbst erledigte. Sie wurde behandelt wie eine Angestellte. Riri schaute weg, drehte sich und schob mit dem Fuss so heftig den Eimer zur Seite, dass er umkippte. Ihr Rücken brannte. Sie liess ihr Werkzeug liegen und stumm betraten sie die Küche. Das Geschirr war stehen geblieben. Butter und eine frisch angebrochene Packung Käse trotzten vergeblich der Wärme. Maman hatte sich aufs hellgrüne Sofa gelegt, die Augen geschlossen.
Riri räumte den Tisch ab, ordnete die Unterlagen.
Ein paar Handgriffe, dann entschied sie, den Boden feucht aufzuwischen. Kiki und ihre Mutter hatten sich derweil auf die Terrasse verzogen, lagen auf Liegestühlen und plauderten. Riri stopfte schmutzige Wäsche in die Maschine, staubte duzende Porzellanengel ab, welche Maman in ihrem Glasregal aufbewahrte, haushaltete still für sich. Sie vergass zu denken, beruhigte sich an der einförmigen Tätigkeit. Erneut fiel sie durch die Zeit. Auf einmal fand sie sich in der sauberen Küche wieder, hielt inne. Dachte unvermittelt an Alain.
Normalerweise kochte sie samstags für ihre Mutter. Jetzt wollte sie nur noch nach Hause. Maman würde sich wundern, wenn sie einfach ginge. Sie liess die gestoppte Luft durch ihre Nase entweichen und erschrak ob dem Geräusch, welches hervorzwängte. Sie öffnete den Kühlschrank. Er war voll, als würde eine Familie da wohnen. «Oh?», erleichtert blubberte sie vor sich hin. Sie schluckte ihre Gewissensbisse. Hastig durchquerte sie das Wohnzimmer, lehnte sich in den Türrahmen zur Veranda, winkte ein kurzes «Adieu» und bevor die beiden Frauen reagierten, verschwand sie durch die Haustür.
Ein Typ in weissem T-Shirt lehnte am Motorrad und tippte in sein Handy. Lässig, sich seiner Wirkung bewusst, jung. Das war nicht Daniel. Er hob den Kopf, schaute sie an, blieb an ihr hängen. Sein Mund öffnete sich. Riri nickte zum Gruss, stieg aufs Fahrrad und radelte wild los. Hoffentlich hatte er die Hitze in ihrem Gesicht nicht gesehen. Nach einigen Metern schaute sie sich um, scannte die Umgebung. Der Mann war verschwunden, dafür lehnte sich Kiki aus dem Küchenfenster, sah ihr nach.
Sie grinste.
Flucht gelungen
Wie sollte sie mit Kiki reden? Ihre Schwester suchte ständig Streit. Einst, in diesem Garten, waren sie sich so vertraut gewesen.
Ich würde ihr so gerne von mir erzählen