Читать книгу Kiki süss-sauer - Doris Lilli Wenger - Страница 15
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ОглавлениеDer Affenbaum wurde gefällt. Heute.
Das Gespräch mit Daniel war kurz und erfolglos verlaufen. Riri hatte kaum Energie investiert.
Jetzt fuhr sie zu ihrer Mutter. Maman hasste Veränderungen.
Wie damals, als Vater eigenmächtig eine neue Couch bestellt hatte. Riri war zehn oder elf gewesen, vielleicht auch älter. Niemand hatte davon gewusst, bis der schwarzweissrote Lieferwagen eines Möbelhauses vor dem Haus parkte. Das moderne Polster war hellgrün. Kiki und sie hatten sich mit Geschrei auf die Liege gestürzt, liebten es von Anfang an. Maman hatte sich geweigert ihr altes, hellbraunes Sofa herzugeben, durchgesessen und fleckig wie es war. Nach einem Unglück mit Rotwein musste es mit einer rotbraun gestreiften Decke abgedeckt werden. Wochenweise abwechselnd waren die Schwestern beauftragt gewesen, täglich den Überwurf frisch und ganz straff aufzulegen. Die Packer wollten das Unding mitnehmen und entsorgen. Maman stellte sich ihnen entgegen und hatte darauf bestanden, dass es stehen blieb, obwohl es den Weg versperrte. Tagelang hatte sie kein Wort gesprochen, keinen angeschaut. Mit verkniffenen Lippen hatte sie sich um niemanden mehr gekümmert. Nach solchen Zerwürfnissen mit ihrem Gatten hörte sie einfach auf zu kochen. Dann bedienten sie sich direkt aus dem Kühlschrank und abends wärmte ihr Vater eine Fertigpizza oder zauberte Spaghetti mit selbstkreierter, ungeniessbarer Sauce. Riri liebte diese Phasen. Erfreute sich an der Dreisamkeit, frei von ihrer Mutter, während deren Abwesenheit Kiki aus der Fassung brachte. Maman stand dann in der Küche und schaute aus dem Fenster. Rauchte und schwieg. Wie sie tagelang nichts essen konnte, hatte Riri nie verstanden. Nach drei Tagen war der Spuck vorbei gewesen. Ihre Mutter verhielt sich, als wäre nichts passiert. Das zerschlissene Sofa überlebte. Der Ärger mit dem Bezug blieb an den Schwestern hängen, auch wenn bloss Maman sich zum Fernsehen dorthin setzte. Zwei Monate später war das alte Ding weg. Von einem Tag auf den andern. Maman zwängte sich zu ihnen auf die grüne Couch. Sie rutschten zusammen und machten Platz. Es wurde nie darüber gesprochen.
Riri lächelte.
Heute litt Maman. Ohne Papa war das nicht lustig. Riris Versuch um Mitgefühl misslang.
Ihre Mutter hatte sich für eine dunkle Bluse und eine schwarze Hose entschieden.
Lady in Black - Als wolle sie jemanden zu Grabe tragen
Kalt umarmten sie sich.
Mit steifem Arm hielt Maria ihre Tochter von sich, ihre Finger drückten sich unangenehm um Riris Oberarme. «Du siehst gut aus. Willst du an eine Beerdigung?», sagte Maman. Ihre taxierenden Augen negierten das Kompliment und hielten Riri gefangen. «Willst du nicht mal was Farbiges anziehen, so wie Frédérique.» Ohne eine Antwort abzuwarten, liess sie los.
Riri lachte, hilflos über ihre eigene Wertlosigkeit. «Gerade habe ich dasselbe von dir gedacht. Dir fehlt ein Hut.» Dass sie an einen Deckel für die alte Schachtel dachte, verschwieg sie. Die mentale Boshaftigkeit salbte ihre Qual.
Neuerdings hatte Riri begonnen, zur dunklen Garderobe auch weiss zu tragen. Falls es ihr gut ging. Heute brauchte sie den Schutz von Schwarz.
Mit einem Milchkaffee setzten sie sich schweigend auf die Terrasse. Der Herbst zeigte seine goldene Seite. Auf den Strässchen ringsum waren Mütter mit Kinderwagen, Rentner und Hundehalter unterwegs. Wärme stieg aus dem Rasen, Wespen summten. Ein Schmetterling tanzte vorbei, kehrte zurück und platzierte sich auf der gewärmten Brüstung. Langsam öffnete er seine Flügel, sonnte sich und flog weiter.
Die unerwünschten Sträucher waren von Arbeitern bereits ausgerissen worden. Äste und Blätter lagen auf der Wiese, als hätte ein Hurrikan gewütet. Es roch und duftete nach Erde und Sägemehl. Dessen ungeachtet wirkte der Garten aufgeräumt.
Riri hatte ihre Jacke ausgezogen und den obersten Knopf ihrer Bluse geöffnet. Die schwarze Kleidung zog Wärme an ihren Körper und machte sie müde. Den Kopf im Nacken schloss sie die Augen. Genoss es, gleich dem Sommervogel, gedankenlos vor sich hin zu dösen.
Wenn der Affenbaum weg ist, ist alles vorbei
«Wenn sie ihn am Nachmittag fällen, werde ich nicht hier sein.» Maman hatte die Lippen kaum geöffnet. «Ich esse mit Frédérique im Gasthof zu Mittag». Leise und hartnäckig hustete sie. Sie quirlte ihren Kaffee, bis Schaum aus der Tasse schwappte. «Ich werde nicht zusehen», flüsterte sie.
Riri horchte auf, ihre Lider flatterten. Seit wann sprach ihre Mutter von sich aus Dinge an, die unangenehm waren? Irgendetwas veränderte sich. Oder täuschte sie sich? Wollte ihre Mutter das Gestern gleichermassen hinter sich lassen und war froh, dass die einstigen Zeugen beseitigt wurden? Wusste Maman, dass ihre Geschichte mit diesem Baum zusammenhing?
Auch mit ihr möchte ich reden
Eine eisige Hand kribbelte Riri über den Rücken. Sie schaffte das nicht. Warum war sie so schwach, wenn es darum ging, Frieden in ihre Biografie zu bringen?
Mein Fehler bleibt an der Zeit kleben
Maman spielte mit dem Löffel. Der monotone Klang am Porzellanrand reizte Riris Nerven. Das Gummiband in ihrem Innern spannte bis unter ihre Haut.
«Ich geh dann mal.» Ohne ihr Getränk angerührt zu haben, erhob sie sich. Sie ignorierte die drei Stufen, lehnte sich an das Terrassengeländer und schwang ihre Füsse über das Holz, als wäre sie ein Teenager. Die Maserung schrammte an der Hose, dann sprang sie auf der anderen Seite leichtfüssig auf den Kies.
Seit sie um fünf Uhr aufgewacht war, rückte ihr die Vergangenheit zu Leibe. Riri war unkonzentriert gewesen, hatte Milch in Jans Orangensaft statt in ihre Tasse gegossen und das Honigglas vom Tisch geworfen. Bevor der Tag begann, hatte sie aufwischen und saubermachen müssen. Sie hatte sich nicht geärgert, half es ihr doch, ihr inneres Chaos zu sortieren.
Je mehr sie sich dem Baum näherte, desto weiter glitt sie ins Gestern zurück.
Der Baum war immer für sie da gewesen.
Er war für sie da, nachdem sie ihr Kind verloren hatte.
Er war da, als sie erfahren hatte, dass sie schwanger war.
Er war da, als sie ihre Keuschheit verprasste.
Er war da, während der fröhlichen und traurigen Tage ihrer Jugend.
Er war da für sie, für Kiki, für Maurice und für Marcel.
Abschied.
«Es ist Zeit», murmelte sie.
«Wie bitte?»
Riri zuckte. Aus dem Nichts stand ein Mann neben ihr. Sie erkannte ihn. Blonde, lange Locken, Blue-Jeans, weisses T-Shirt. Seine dicken Muskeln waren nicht zu übersehen.
Sie brauchte einen Moment, um in die Gegenwart zurückzukehren.
«Sorry, was wollten sie von mir?» Der helle und warme Ton seiner Stimme brachte Riri aus der Fassung und hastig schloss sie ihren Mund. Sie räusperte sich. Leise sagte sie: «Ich bin die Nachbarin und möchte in die Hütte.»
Er schaute sie unverwandt an.
«Auf diesem Baum.» Ihr Finger zeigte zum Ahorn.
«Ach so. Ich bin der Gärtner. - Sie mögen keine Motorradfahrer?»
Riri starrte Richtung Auffahrt und zwinkerte mit den Wimpern in der Hoffnung, nicht rot zu werden. Dankbar über die Locke in ihrem Gesicht, holte sie tief Luft.
Er kam ihr zuvor. «Der wird heute gefällt. Da steigen sie nicht mehr hoch.» Er deutete auf ihre Kleider. «Sie wollen in diese Baracke?» Unglauben und Neugier sprach aus seinem Blick.
«Ja.» Riri warf imaginäre Haare in den Nacken. «Wetten, auch ein Mädchen kann auf Bäume klettern?» Sie wandte sich um.
Ups! Das war ihr kindlicher Spruch gewesen. Die Ansage hätte sie ihrem Alter anpassen sollen. Egal. Mit einem Sprung krallte sie sich am zweiten Ast fest und federte, zog die Füsse hoch, und stand auf dem untersten Geäst. Sie drehte sich um die eigene Achse, langte nach einer höheren Verästelung, hüpfte auf einen dicken Zweig. Dort angelte sie sich den verwitterten und brüchigen Strick. Kurz wägte sie ab, ob der Knoten noch tragen würde. Diese Blösse wollte sie sich nicht geben. Der Typ war stehen geblieben und sah ihr zu. Ohne nachzudenken schwang sie sich an dem Seil auf den kleinen Sims an der Hausfassade. Von da gelang es ihr, den Ast oberhalb zu fassen. Sie stiess sich ab, schaukelte dreimal, viermal, bis sie das Bodenbrett des Verschlags erreichte und sich daran hochzog.
Von unten hörte sie einen Pfiff, während sie auf dem Bauch in den Horst robbte und sich der Beobachtung entzog.
Ihr Herz klopfte. Die düstere Stimmung verdrückte sich. Sie fühlte jeden Muskel und Stolz über ihre körperliche Leistung. Und Verlegenheit ob der Bewunderung des jungen Kerls.
Unvorbereitet wurde sie von Stille umfangen. Die Dielen waren feucht.
Maurice und Kiki. Die beiden hatten zusammengehört, waren wie geschaffen füreinander. Er hatte sie auf Händen getragen. Selbst als keiner der Knaben aus der Klasse sich freiwillig in Begleitung eines Mädchens gezeigt hätte. Sie liessen sich das nicht nehmen, egal wer sie verspottete.
Demgegenüber war ihre Freundschaft mit Marcel oberflächlich geblieben. Er war ein Clown, der sie oft zum Lachen gebracht hatte. Ernsthaftigkeit war ihm fremd. Er lechzte nach Anerkennung und Lob und als der Jüngste im Quartett forderte er oft Hilfe und Unterstützung.
Riri war nicht gewillt gewesen, ihm diese zu geben. Sie war für Kiki da.
Ihre Schwester fand permanent Menschen, die ihr halfen, während sie sich alles selbst erkämpfte. Das machte sie traurig. Meist gleichzeitig stolz, weil alles was sie besass, sie selbst erreicht hatte, aus eigener Kraft erschaffen war.
Sie hatte Marcel gern, niemals hätte sie sich in ihn verliebt.
Kiki hatte gelitten, als die Bilderbuchfamilie der Buchers zerbrochen war und distanzierte sich von ihrem Garten. Das Nest gehörte von da an ihnen allein, doch es war nie mehr wie zuvor. Sie beide blieben zurück und mit ihnen diese Angst, verloren zu gehen.
Riri passte auf, dass die verfaulten Bretter unter ihr nicht brachen. Löcher und spröde Stellen erzählten von vergangenem Wetter. Eine rosa Stoffwindel, als Gardine aufgehängt, war zerrissen und bauschte sich leicht im Wind. Es knarrte und quietschte. Auf der Terrasse waren sie geschützt gewesen. Hier oben strich der Wind frisch durch die Blätter, sie hörte jede Bewegung, nahm das Zittern der Planken unter ihren Füssen wahr. Der erfundene Naturgeist, den sie als Verbündeten hier oben vermutet und verehrt hatten, war er hier? Einsam?
In einer Ecke stand schief und bemoost der Nachttisch, welchen sie als letztes emporgehievt hatten. Der kleine, graue Elektroofen stand daneben, das Kabel lag lose auf den Dielen, wie der Schwanz einer Maus. Am Stamm wiegte eine Kette aus Kastanien, verdeckte eine Fotografie mit Eselsohren, welche sie zu viert am Boden auf dem Rasen zeigte. Sie riss das Bild vom Nagel, setzte sich hin und liess ihre Füsse hängen.
Die Aufnahme war im Herbst entstanden. Ungefähr ein halbes Jahr, bevor alles zu Ende ging. Maurice hatte den Arm um Kiki geschlungen und blickte stumm in die Kamera. Sie hatte den Schnappschuss schon tausendmal gesehen. Jetzt fiel ihr auf, dass Maurice traurig wirkte. Ob er da bereits ahnte, dass seine Eltern sich trennen würden? Marcel streckte zwei Finger in die Höhe, um Hasenohren an ihrem Kopf anzudeuten. Sie hatte versucht, ihn wegzuschieben. Dazu hatte sie sich gedreht, das Gesicht weiterhin Richtung Linse gewandt, um den Klick nicht zu verpassen. Kiki schaute Maurice an und lächelte, sah glückselig aus. Riri fragte sich, ob Kiki nach dem Umzug der Jungs je wieder so zufrieden gewesen war. Ihnen zu Füssen sass der gelbgraue Affe.
Es war ein heisser Sommer gewesen, sie glaubte, das Zirpen im Gras und die Kuhglocken von der nahen Weide zu hören. Und Maurices Papa, welcher mit Sprüchen und Faxen versuchte, sie zum Lachen zu bringen.
Riri knickte das Bild und steckte es sich in die Gesässtasche. Unzulänglichkeit befiel sie und sie begrüsste das bekannte Gefühl. Aufmerksam erfasste sie den Raum. Eine Schublade des Kästchens war leicht geöffnet und sie streckte sich, um sie aufzuziehen. Aufgeregt zerrte sie den lehmfarbigen Stoff des durchnässten und moosbefleckten Plüschaffen hervor. Er tropfte schlapp. Der Knopf vom linken Auge hing an einem dünnen Faden.
Ein Schluchzen überschwappte sie. Sie drückte das kalte, triefende Teil an sich. Tränen nässten ihre Wangen. Was geschehen war, wurde Gegenwart, zeitlos.
Wie hatte das passieren können? Ausgerechnet ihr. Sie war so zuverlässig, seriös, anständig gewesen. Sie hatte sich weder für Mode noch für das andere Geschlecht interessiert, sie hatte keinen Freund und liess diverse Anwärter anbrennen, war scheu und unnahbar gewesen. Bis ihr der Ruf der eisernen Jungfrau vorausgeeilt war. Irgendwann störte sie sich an diesem festgefahrenen Image. Sie wollte den Sex ausprobieren, den Kiki so hemmungslos und mit jedermann genoss, nachdem sie Maurice irgendwann in der Pubertät hatte fallen lassen. Kiki ging mit jedem mit, der sie begehrenswert fand und sie anlachte. Mit ihrer Unzuverlässigkeit, ihrem Optimismus, ihrer Blauäugigkeit und ihrer mangelnden Menschenkenntnis, hätte es Riri nicht gewundert, wäre Kiki schwanger geworden.
Riri hatte ihren Ruf und damit ihre Kindheit abstreifen wollen. Dazugehören, unabhängig und frei sein. Erwachsen. Weggehen. Und dann hatte sie in einem alkoholisierten, triebhaften Moment Zimtstern gezeugt.
Zimtstern
Ein einziger Abend, ein einziger Fehltritt hatte ihre Zukunft in Frage gestellt. Wofür hatte sie sich verkauft? Sie hätte alles dafür gegeben, ihre Unberührtheit zurück zu erhalten. Hatte sich dafür geschämt, zu sein wie alle anderen. Wollte nicht mehr, dass ihr Leumund sich änderte oder jemand von ihrer Lasterhaftigkeit erfahren würde. Damals hatte sie geschworen, nie wieder Regeln zu brechen, zu rebellieren. Und glaubte, so alles rückgängig zu machen. Sie hatte jenes Baby nicht gewollt, nie. Erst nachdem sie es verloren hatte, begann sie es zu lieben. Beharrlich hatte sie diese Liebe sich selbst gegenüber verleugnet. Es musste ein Irrtum des Schicksals sein, dass sie später mit Alain Kinder haben konnte. Wie hatte sie es geschafft, sich ein Leben aufzubauen, nachdem sie sich dieses Kreuz aufgeladen hatte? Warum war sie bereit gewesen, ihr Leben und ihre Erfahrungen zu verleugnen.
Warum?
Sie hatte sich an ihrem Eid festgeklammert. Wem hatte sie dieses Versprechen gegeben? Wer forderte die Einhaltung ein? Dieser Fleck, der an ihr haftete. Kein Mittel, um sich reinzuwaschen. Sie wurde ihn nicht los und hatte ihn deshalb verborgen und kaschiert. Niemand, mit dem sie reden konnte. Riri hob den Kopf. Bis zum Jahrestag würde sie darüber sprechen.
Ein neuer Schwur
Sie würde mit ihrer Mutter reden, mit ihrer Schwester.
Auch mit Alain. Sein Name riss sie zurück ins Jetzt. Er fühlte sich so abwesend an.
Die Vertrautheit zwischen ihm und seiner Sekretärin verunsicherte sie. War ihr Ehemann treu? Gerade noch hätte sie die Hand für ihn ins Feuer gelegt. Plötzlich konnte sie ihn nicht mehr spüren, blieb orientierungslos. Wann hatte sie sich vor lauter Pflichterfüllung so von ihm entfernt? Wie achtlos! Sie hatte alles mit ihm besprochen. Alles, ausser dem Wichtigsten. Warum hatte sie ihr Innigstes nicht mit ihm geteilt? Für wen schwieg sie? Für Maman?
Was habe ich getan? - Lügnerin
Für mich? Aus Angst, dass Alain sie erkennen, ihren Fehler missbilligen könnte? Sie stand nicht zu sich selbst. Damals nicht und heute nicht.
Schweigen oder reden?
Durch die Blätter schaute sie in den Himmel und straffte die Schultern. Den langjährigen, unnützen Schwur wollte sie im Baum lassen. Er würde ihn beim Fällen mit sich reissen.
Ich will mich dem echten Leben stellen
Plötzlich wollte sie runter.
Sie fröstelte. Der tropfnasse Affe hatte die Bluse durchnässt und der dünne Stoff klebte an der Haut. Sass sie schon lange hier? War das schon früher so hoch?
Sie spürte jedes ihrer neununddreissig Lenze. Riri hoffte, beim Absteigen unbeobachtet zu bleiben. Es war anstrengender als erwartet. Sie hatte Angst. Den letzten Ast zu hangeln, erforderte einiges an Mut. Schlussendlich hielt sie sich zögerlich mit den Armen am Stamm fest und robbte abwärts, wie ein zu dick gewordenes Faultier. Die Kleider rutschten hoch und die Rinde ritzte spitzschürfend am Bauch. Mit einem letzten Satz hatte sie es geschafft. Ihre Bluse war zerschlissen, ihre Haut blutig zerkratzt. Der Büstenhalter zeichnete sich ab. Hastig zog sie das ramponierte Oberteil zurecht.
«Ola, Mädchen!» Der Gärtner stand unvermittelt bei ihr. «Das war Klasse». Er schaute ihr nicht ins Gesicht und schnalzte.
Riri lief rot an.
«Wo kommt das denn her?» Er bückte sich und hob den Affen auf, welchen sie ihrem Abstieg voraus geworfen hatte.
Wortlos griff Riri danach. Ihre Hand streifte die Seine. Sie zuckte elektrisiert und betroffen hob sie die Lider. Das Grün seiner Augen sog sie auf. Verwirrt drehte sie sich um.
«Schönen Tag.» Schnellen Schrittes ging sie zum Haus.
Irritiert, verunsichert, geschmeichelt.
Sein Blick in ihrem Rücken.