Читать книгу Kiki süss-sauer - Doris Lilli Wenger - Страница 12

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Sie stand am Bahnhof.

Leer.

Die Leere füllte ihren Bauch, bis er fast platzte.

«Bronchitis geheilt.» So nannten sie es.

Sie hatte es mit ihren Gedanken umgebracht.

Es. Er.

Es wäre ein Junge geworden, sagten sie.

Sie wollte es nicht sehen.

Das Tote.

Wollte nicht sehen, woran sie schuldig geworden war.

Eine Frau ging an ihr vorbei.

Kenn ich die?

Die Frau schaute zurück. Ihr ins Gesicht.

Sah man einem Menschen an, wenn er jemanden umgebracht hatte?

Alle werden es sehen

Sie senkte den Blick. Blieb einfach stehen.

Sie wollte nach Hause.

Will ich nach Hause?

Sie wollte wieder wie früher.

Ohne dieses Loch im Bauch. Ohne diesen Defekt.

Was hatte Maman gesagt? Sie solle nach Hause laufen? Oder warten?

Sie wusste es nicht mehr.

Stillstand.

Wer bin ich?

Sie hob den Kopf.

Eine Taube hatte sich vor ihr auf den Asphalt gesetzt.

Sie schaute dem Vogel zu. Tauben waren hier normalerweise nicht anzutreffen. Sie waren in Scharen am Hauptbahnhof als Störenfriede und Verschmutzer zu beobachten. Mit Stacheldraht von sämtlichen Verstrebungen ferngehalten und von Kindern auf Plätzen und Bahnsteigen aufgescheucht.

Und doch nicht zu vertreiben.

Eine Taube.

Hier.

Abseits von jedem Trubel.

Auf diesem kleinen Bahnhof, der einzig an einem Bushäuschen erkennbar war.

Eine braune Taube.

Braun wie Zimt

Braun wie das Blut, welches in ihrem Slip geklebt und das Ende der Schwangerschaft eingeläutet hatte. Als brauner, sternförmiger Fleck, der sie an Weihnachtsgebäck erinnerte.

Zimtstern

Die Taube hüpfte. Ein Bein hochgezogen. Die Krallen verkrümmt und verstümmelt.

Mitleid überkam sie und verdrängte leise ihren eigenen Kummer.

Klare, dunkle Augen blickten umher.

Angst.

Trotzdem.

Die Taube kam näher.

Oder gerade weil.

Sie bückte sich, streckte die Hand aus.

Sie ekelte sich vor Tauben.

Zimtstern

Mein kleiner, reinkarnierter Zimtstern

Ein Lächeln bahnte seinen Weg von ihrem Innersten über ihre Brust, drängte den Hals empor.

Sie konnte es nicht verhindern.

Die Taube hüpfte auf sie zu.

So stark verletzt und so vertrauensvoll. Ihr Mitleid verabschiedete sich und Bewunderung für diese Kreatur, welche sich mit seinem Schicksal abgefunden hatte und der Welt zuversichtlich entgegenhüpfte, übermannte sie.

«Kleines, ekliges Tier. Wie grossartig bist du?»

Mit wem spreche ich?

Wie schön Tauben waren. Braune Tauben.

Es war März. Der grosse Schnee war vorbei. Überall spriesste es, helles Grün und klare Farben drängten den müden Winter zurück. Eine kleine Pfütze sammelte sich auf dem Bahnsteig. Die Taube hüpfte etwas zurück, trank, pikte aus dem klaren Wasser, in welchem sich Schäfchenwolken spiegelten.

Zimtstern

«Wo bleibst du? Komm endlich!»

Hart, fordernd, lieblos.

Riri hob den Kopf. Die Taube flog fort. Riri schaute ihr nach bis sie weit hinter ihr im Himmel verschwand.

Wo sie wohl hinwill?

«Aurélie!»

Sie blickte auf.

Maman.

Sie drehte den Kopf nach der Taube um.

Zimtstern

Ihr Staunen hatte einen Namen.

Kiki süss-sauer

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