Читать книгу Kiki süss-sauer - Doris Lilli Wenger - Страница 17

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Riri hatte es sich nicht nehmen lassen, sich für ihre Schwester in die Küche zu stellen. Zur Vorspeise hatte sie Schinkenstrudel gebacken und einen üppigen Salat mit Kräutern aus dem Garten. Als Hauptspeise hatte sie Spaghetti an Spinatsauce gewählt. Sie hatte zu viel gekocht und würde ihre Schwester damit ärgern, weil Kiki gerne fertig ass. Doch Riri schätzte es, andere zu verwöhnen, sich mit aufwändigen Details zu beschäftigen. Petersilie, Schnittlauch und Liebstöckel zu waschen und zu schneiden. Den Teig bedächtig im nassen Tuch zu rollen, damit er unter der Füllung nicht platzte, die Verzierung aus ausgestochener Masse eigelb schimmern zu lassen.

Das waren ihre kleinen, alltäglichen Siege, die ihr Herz kurz mit Triumph übergossen. Selbst wenn die Freude für Augen und Gaumen nur kurz anhielt und der Lack des Genialen bald von ihr abfiel und ihr Innerstes fahl zurückliess. Etwas herzustellen, sich dem mit Haut und Haaren hinzugeben, das mochte sie. In solchen Momenten vergass sie ihre Bedeutungslosigkeit und die Welt um sich herum. Trotz der Einfachheit des Gerichtes fühlte sie sich wie eine Künstlerin. Die Hauptspeise forderte sie nicht heraus, nachlässig kochte sie diese nebenbei. Dazu servierte sie Rotwein. Alain trank bevorzugt Bier, so nutzte Riri die Gelegenheit, in Gesellschaft eine Flasche zu öffnen.

Kiki traf früh ein und plauderte fröhlich auf sie ein. Sie sassen im Garten, genossen den verhallenden Tag. Die abendliche Kühle trieb sie früh ins Haus und enttäuscht trugen sie die Gedecke hinein, um an der Wärme zu essen.

Den ganzen Abend hatte Kiki von ihrem Verehrer geschwärmt. Sie piepste. Riri hielt still, liess die Worte über sich plätschern und kam sich spiessig vor. Sie genoss die unaufgeregte Sexualität mit Alain, die Vertrautheit, die Tiefe, die Harmonie. Die Routine? Plötzlich fühlte sich ihre Ehe an, wie ausgedientes, vertrocknetes Papier. Flüchtig fiel ihr ein, dass sie sich schon einmal darüber Sorgen machen wollte, schob die unangenehme Pendenz aber innerlich beiseite.

So liebte Riri ihre Schwester. Erfreute sich daran, wenn sie schwatzte, von ihrer Arbeit und Kollegen erzählte, sich das volle Haar auf den Rücken strich. Wenn sie ihre Schultern dehnte und die Brust rausdrückte, dann sprühte Kiki und Riri klammerte ihre Hand fest. Dann waren sie verbunden. Wie früher, mit neu erfundenem Spiel oder frisch ergattertem Material, wenn sie von nichts anderem mehr reden konnten.

Riri identifizierte das übliche Strohfeuer ihrer Schwester zum Thema Männer. Verblüfft über ihren Mut, für diesen Mann aus ihrer Heimat wegzuziehen.

Sie beide hatten den Ort ihrer Kindheit nie für länger verlassen. Ausser damals, im ersten Lehrjahr, als Riri für einen Monat nach Pontresina gegangen war. Ihre Mutter hatte sich entschieden, eine Asthmaerkrankung vorzuschieben, welche am sichersten in den Bündner Bergen kuriert wurde. Riris Magen rollte sich ein, wie ein erschreckter Igel.

Kiki hatte nie nach diesem Aufenthalt gefragt.

Riris Herz pochte plötzlich unnatürlich laut. «Ist er verheiratet?», fragte sie.

Kikis Kopf zuckte hoch. «Du bist so fies. Würde er mich sonst zu sich holen? Ich will nicht wieder die zweite Geige spielen. Wir waren an dieser Feier, alle haben uns gesehen.» Kikis Glanz dimmte. Sie mimte Stärke, doch die Angst in ihren Pupillen brüllte.

«Wie du meinst. Klär das, wenn es für dich wichtig ist.» Riri biss sich auf die Zähne, um ihre Meinung zu unterdrücken. Die Schilderung war eindeutig. Kiki war unfähig, das Offensichtliche wahrzunehmen. Jetzt wollte Riri ihre Schwester schonen. Dieser Umzug durfte nicht gefährdet werden. Das war so spannend und fühlte sich an, als würde sie selbst weggehen. Da kam etwas ganz Neues auf sie zu.

Liebe und Hass, süss und sauer

«Ich freue mich für dich», Riri räusperte sich, die Stimmbänder belegt mit zähem Film. «Wie flott das geht, wenn es harmoniert.» Ihr inneres Gummiband spannte. Sie blickte Kiki nicht an.

Jetzt! Ich erzähle jetzt davon

Angst sog den Sauerstoff aus dem Raum. Riri schnappte.

Bevor sie einen geeigneten Text fand, durchbrach Kiki federleicht das Vakuum.

«Weisst du, jetzt bin ich vierzig», sinnierte sie.

Riri lachte eine Spur zu laut. «Glaub mir, das weiss ich.» Sie stand auf und trat mit zittrigen Beinen an die Kaffeemaschine.

«Ich bin nicht zu alt, um Kinder zu bekommen. Viel Zeit bleibt nicht.» Kiki grinste. «Was kann ich dafür, wenn es ewig dauert, um den Richtigen zu finden? Das mit dem Down-Syndrom haben die Ärzte sicher längst im Griff, oder? Weisst du, was gibt’s anderes zu beachten?»

Sie schauten sich ins Gesicht. Riri stand wie vom Donner gerührt, unbeweglich. Sekunden tropften. Der Minutenzeiger an der Uhr im Eingang hüpfte unnatürlich laut. Kiki schüttelte verärgert den Kopf.

«Es gibt heute diese Tests. Ist etwas abnormal, hilft man dem ab.»

Riri zuckte wie unter einem Stromschlag. Gänsehaut überzog ihren ganzen Körper. Tränen sprangen hervor. Sie schaute zur Decke und blinzelte sie weg.

Jetzt nicht heulen

«Oh nein, das jetzt wieder? Bearbeite endlich deine zwei schwierigen Geburten mit deinem Hauspsychologen? Das ist widerlich.»

Auch Kiki stand jetzt auf. «Es geht nur um dich. Nicht wahr? Ich will auch Kinder, deswegen brauchst du nicht zu flennen. Hilfst du mir beim Umzug?»

Riri zog die Nase hoch, strich sie an ihrem Unterarm ab. Sie weinte um ihr drittes Kind. Nein, um ihr Erstes. Keiner ausser ihrer Mutter wusste davon. Kiki war herzlos.

Geh weg - Geh einfach weg

Riri straffte sich. Sie wischte eine Strähne aus der Stirn. «Ja, ich rede mit Alain. Habe ich lange nicht gemacht.» Sie lächelte.

«Was hast du lange nicht gemacht?» Sana stand plötzlich hinter ihr. Es war ihnen entgangen, wie sie hereingekommen war. Ohne eine Antwort abzuwarten, umarmte Sana ihre Tante. «Was habt ihr gegessen? Schinkenstrudel? Echt? Dafür wäre ich gerne eher heimgekommen.»

«Warst du nicht bei Chiara essen, während den Prüfungsvorbereitungen?»

«Ach Mama, ich war nicht bei Chiara. Wir haben für das Musical geübt. Die Aufführung ist fürs Juhu-Fest. Schon vergessen?» Sana streckte ihr Kinn.

«Ich habe das anders mit dir vereinbart.» Riri ärgerte sich. «Ich hatte ein Telefon von deiner Lehrerin. Ich lass das nicht so stehen. Ich muss mich mit dir zusammensetzen.»

«Ich, ich, ich … redest du auch mal über anderes als über das, was du willst?» Sana knallte ihre Schuhe in die Ecke und rannte die Treppe hoch.

Die beiden Schwestern sahen sich an.

«Oh je. Pubertät?» Kiki grinste schadenfreudig.

«Vielleicht lass ich es besser bleiben. Mit Kindern, mein ich. Angenommen meine Tochter wäre so alt wie Sana jetzt ist, dann wäre ich», sie sinnierte zur Decke, «fünfundfünfzig? Tönt ziemlich schlimm.»

Ohne Ankündigung griff Kiki nach ihrer Jacke. Riri wollte sie umarmen und sich an sie klammern, ihr eigenes Verhalten bagatellisieren. Kiki überging das, küsste ihre Schwester flüchtig auf eine Wange und flitzte aus der Türe. «Ist sowieso Zeit für mich», rief sie über die Schulter. «Manchmal ruft Finn mich spät abends an und dann quatschen wir ein bisschen.» Sie blinzelte. «Darauf habe ich mehr Lust als auf pubertierende Girls.» Sie zog die Tür hinter sich zu und weg war sie.

Riri schüttelte den Kopf. Schlapp von der nachlassenden Spannung.

Vorausgesetzt sie wollte Kiki ernsthaft von sich erzählen, dann musste sie das anders anstellen. Dem Zufall durfte sie das nicht mehr überlassen. Das Versprechen würde sie einlösen, ihr Geheimnis drückte sie zu Boden, wurde schwerer und schwerer.

Grübelnd ging sie nach oben. Sie klopfte leise und trat ins Zimmer ihrer Tochter. Sana lag im Pyjama auf dem Bett, ein Buch vor sich.

«Sana, was soll das? Ich bin enttäuscht. Deine Lehrerin hat angerufen. Du machst deine Hausaufgaben nicht mehr. Kaum hat das Schuljahr angefangen. Ich möchte wissen, was los ist. Das kann so nicht weitergehen.»

Sana drehte sich um. «Mama, du solltest dich mal hören? Alles dreht sich um dich, um Kiki oder um Grandmaman. Papa, Jan und ich interessieren dich überhaupt nicht mehr. Mir ist schleierhaft, warum du Kinder geboren hast.» Spott klebte an ihren Lippen, als sie sich wegdrehte.

Wäre Zimtstern nicht gestorben, hätte ich ihn weggegeben

Riri schluckte.

«Ihr seid das Wichtigste, was ich habe», sagte Riri. So leise, dass Sana nachfragte. «Ihr seid das Wichtigste, was ich habe», wiederholte sie. Lauter diesmal. Laut war das Vibrieren ihrer Stimme nicht zu verbergen.

Hätte ich ihn weggeben können?

«Mama, du zitterst so, es fällt mir schwer, dir das abzukaufen. Das müsstest du mal schreien. Nicht nur dann, wenn dir wieder mal etwas nicht passt.»

Riri liess die Arme hängen. Was passierte da gerade? Sie hatte Mühe, ihrer Tochter zu folgen.

«Kiki und Maman machen mit dir, was sie wollen. Du nickst und du gehorchst. Glaubst du, ich will auch so werden? Dann lieber eine schlechte Schülerin.»

«Ich hab dich lieb! Ich hab dich lieb!», schrie Riri ihrer Tochter entgegen, drehte sich um und rannte in den Flur. Ausser sich, emotional aufgewühlt und schwindlig, als sässe sie schon zu lange auf einem Karussell. Sie legte sich angezogen auf ihr Bett und schloss die Lider.

Bevor sie sich sortieren konnte, war sie eingeschlafen.

Alain weckte sie. 00.27 Uhr. Sie erschrak. «Was ist los? Bist du erst jetzt nach Hause gekommen?»

Er setzte sich im Schlafanzug neben sie. Er roch frisch geduscht.

«Ich habe eine Kleinigkeit gegessen, die Küche aufgeräumt. Der Strudel war göttlich. Ich habe Jan ins Bett geschickt und sicher eine Stunde mit Sana diskutiert. Sie ist fix und fertig. Da müssen wir dranbleiben.»

Müde knüllte Riri an einem verweinten Taschentuch.

«Wie jetzt?», sie stutzte. «Sorry, jetzt weiss ich gerade nicht, worum es geht?»

Alain beobachtete sie eindringlich. «Riri, so geht es nicht weiter. Du benimmst dich wie auf einem fremden Stern. Nimmst du uns noch wahr?» Und nach einer Pause: «Du liegst angezogen im Bett?»

Erschrocken betrachtete Riri ihre Kleider. «Mir hat Sana nichts erzählt», lenkte sie ab und rieb sich die Augen.

«Sana wird von zwei Mädchen ihrer Klasse gemobbt. Weil sie zu dünn ist, weil sie eine Streberin ist, weil sie zu gute Noten hat?» Er schaute sie fragend an.

Abrupt setzte Riri sich auf, dann erhob sie sich.

«Da hilft nur ein Gespräch mit der Lehrerin. Oder mit den Eltern der zwei Mädchen. Die wohnen offenbar neben Müllers. Kennst du die?», hakte er nach.

Alain begann die Decke aufzuschütteln.

«Meinst du die Zwillinge? Ich weiss …, ich …« Riri stockte. «Ich werde mich darum kümmern.»

Zimtstern.

Es zerrte in ihrer Brust.

Jetzt

«Alain, es gibt da etwas, das ich dringend mit dir besprechen will.» Das war ihre Chance, jetzt, wo sie miteinander sprachen.

«Tut mir leid.» Alain hob die Hände hoch, als hätte sie einen Anschlag auf ihn geplant, den es abzuwehren galt. «Es ist spät und morgen Vormittag habe ich eine anspruchsvolle Besprechung mit der gesamten Belegschaft eines Unternehmens. Die möchte ich nicht versieben und ich bin hundemüde. Du musst warten.» Er drückte ihr einen Kuss auf die Nase, legte sich hin und rollte sich in seine Bettdecke. «Gute Nacht.»

Sie stand auf und zog sich um, schlich ein letztes Mal durch das ganze Haus. Ihre Müdigkeit war wie weggeblasen.

Sie musste die Zügel in die Hand nehmen.

Und wusste nicht wie.

Kiki süss-sauer

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