Читать книгу Kiki süss-sauer - Doris Lilli Wenger - Страница 14

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Kiki streifte durch den Speisesaal. Zwölf Tische, weiss gedeckt, verstreute rote Blütenblätter. Die Melodie im Hintergrund summte wie ein lästiges Insekt.

Klassische, langweilige Trauung. Kikis Herz blutete.

Der Raum war holzverkleidet. Ein mannsgrosser Geiger aus Bronze und liebliche Details liessen die Lokalität familiär und heimelig wirken. Das Haus war 1750 erbaut worden, hatte Kiki gegoogelt. Ein würdiger Ort für eine altmodische Zeremonie. Achtlos zerdrückte sie ein Rosenblatt zwischen den Fingern.

Das Restaurant Traube lag erhöht, so dass sie vom Fenster, über die Terrasse, die ganze Flussebene überblicken konnte. Das Ufer war bewachsen und verhinderte die Sicht auf das Gewässer. Die Thur führte wenig Wasser, vermutlich tummelten sich Familien mit Kindern auf den vielen Kiesbänken, genossen Familienleben bei Picknick und Bad. Es eilte, wenn sie selbst Mutter werden wollte. Der Altweibersommer bäumte sich heftig gegen den baldigen Herbst.

Kiki ärgerte sich, dass sie die Einladung angenommen hatte. Sie hatte ein blaues Kleid ausgewählt, schulterfrei präsentierte es ihr makelloses Dekolleté. Überzeugt, in einer Woche ein Kilo abzunehmen, hatte sie sich für die kleinere Grösse entschieden. Der Frust, an der Vermählung eines ehemaligen Liebhabers als Single teilzunehmen, hatte jedoch ihr Fasten boykottiert. Jetzt kniff der breite Gurt am Bauch. Der Rock war in gerafftem, glänzendem Satin gearbeitet. Am Morgen vor dem Spiegel erkannte sie, dass er für ihre Beine zu kurz war und sie so kleiner aussah, als sie sich fühlen wollte. Ihr war heiss, das Oberteil klebte an ihrer Haut.

Sie genoss die Frische im Innern des Restaurants. Das Lachen der Gesellschaft auf dem Vorplatz, welche sich über den Entertainer amüsierte, drang gedämpft an ihr Ohr.

Sie bummelte um die Tische. Las jeden Namen auf den Karten, welche mit Pinselstrichen und vorgestepptem Herz verziert worden waren.

Und wieder dieser Stich in ihrer Brust. Der gleiche, welcher sie bei der Trauung in der Kirche gequält hatte. Die Braut war üppig gebaut. Auch Frauen, welche nicht dem gängigen Schönheitsideal entsprachen, konnten Glück haben. Ciril wirkte wonnetrunken, schmachtete für seine Angebetete. Dass ihr Ausdruck und ihre Gestalt mit den langen braunen Haaren, ihr so sehr glich, stachelte an Kikis Sehnsucht. Was hatte sie falsch gemacht? Warum hatte Ciril sich von ihr abgewandt? Behauptete, sich nicht binden zu wollen, um jetzt, so kurz danach, eine andere zu heiraten?

«Kann ich helfen?» Kiki stockte. Vor ihr stand ein Herr im mintgrünen Hemd, die Ärmel zurückgekrempelt. Grinsend.

Kiki lächelte. Die Tischkarte in ihrer Hand versteckte sie hinter sich. Sie schluckte.

«Mir ist es auch zu heiss. Kühlen wir gemeinsam ab? Ich glaube, diese Rede», er wies mit dem Kinn nach draussen, «ist eher was für hartgesottene Sonnenanbeter.»

Der Mann schillerte. Seine vielen, fröhlichen Lachfältchen liessen keinen Zweifel über seinen Jahrgang. Kiki schätzte ihn um die fünfzig. Strahlender Lausbube in grosser Verpackung.

«Hast du deines gefunden?», fragte er und schielte hinter ihren Rücken. Kiki senkte die Lider und schüttelte den Kopf. Verschmitzt arrangierte sie das Kärtchen zurück zu Wein- und Wasserglas. Überrumpelt von der eigenen Sprachlosigkeit.

«Suchen wir zu zweit, das geht schneller. Ich heisse Finn.»

«Kiki», stellte sie sich vor. Ihre helle Stimme gefiel ihr. «Da drüben habe ich bereits gesucht.» Plötzlich fühlte sie sich leicht.

«Voilà!» Finn streckte ihr Namensschild in die Höhe, als hätte er eine Trophäe gewonnen. «Du sitzt neben Eric und Manuela. Kennst du die?»

Kiki nickte. «Das ist ein Arbeitskollege von Ciril und mir, mit seiner Frau.»

«Was erklärt, weshalb du eingeladen wurdest.»

Sie suchten weiter. «Hier steht dein Name», rief Kiki. «Neben Richard und Paul. Ich kenn nicht so viele Gäste.»

«Freunde der Braut. Ein Schwulenpaar, die sind lustig.»

«Bist du allein da?» Kiki biss sich auf die Lippen. Es gelang ihr nicht, ihren Mund zu halten. Finn zwinkerte ihr zu, ohne zu antworten. Mit zitternden Beinen überlegte sie, ob ein Tausch machbar wäre, um mit ihm an einer Tafel sitzen zu können.

Zu spät. Eine betagte Frau am Stock trat durch die Tür und weitere Gäste tropften nach und nach herein. Kiki stellte sich ans Fenster und linste nach dem Brautpaar. Dieses drapierte sich unter Anleitung des Fotografen vor einem Rosenbeet. Umringt von Trauzeugen und Eltern.

Eine Fliege kitzelte sie am Arm und als sie das Insekt wegwischen wollte, stand Finn neben ihr.

«Komm mit!» Er schob seine Hand in die ihre und zog sie mit sich. Schelmisch, als täten sie etwas Verbotenes. Ihr Magen flatterte. Traf sie ausgerechnet hier ihren Mann? Kiki versuchte erfolglos, nicht zu Ende zu denken. So oft hatte sie sich getäuscht.

Bis die Eingeladenen zum Dinner gerufen wurden, verbrachte Kiki mit Finn an der Bar. Sie unterhielten sich über Männer in der Midlife-Crisis, verstopfte Toiletten, rosa Hemden. Die Welt entfernte sich von ihr und die Gegenwart dehnte sich. Sie entspannte sich. Ihr Mut wurde belohnt.

Später, beim Essen, musste sie sich drehen, um Finn sehen zu können. Sie langweilte sich im Gespräch mit den drei Paaren in ihrer Runde, die allesamt ihre Kleinen mit Babysitter zu Hause gelassen hatten. Sie hörte sich die ausführliche Schilderung einer Geburt und den unappetitlichen Auswirkungen eines Dammschnittes an, nickte verständnisvoll während der Diskussion um nächtliche Zahnschmerzen und beteiligte sich lustlos an der Debatte über das geeignetste Mittel gegen Schnupfen.

Ihre Fantasie hing am Nebentisch wie Spinnweben. Am liebsten hätte sie den Platz mit einem jungen hungrigen Vater gewechselt, welcher nicht aufhören wollte, Kartoffelgratin und Braten in sich hinein zu schaufeln. Er hatte den dritten Teller vor sich. Von seiner Position aus hätte sie Finn ungestört beobachten können. Nach einer halben Stunde besiegte die Neugier ihren Stolz und sie drehte sich um. Finn schien sich zu amüsieren, plauderte und lachte. Die Selbstsicherheit, die er ausstrahlte, verursachte Kiki weiche Knie.

Sie setzte sich einen inneren Timer, zwang sich, sich frühestens in einer halben Stunde wieder umzudrehen und schalt sich dumme Kuh. Das Fixieren des Zeigers erleichterte ihr jedoch, die Einseitigkeit elterlicher Themen durchzustehen.

Nach dem Dessert trat das Hochzeitspaar an Kikis Tafel. Während die Braut sich nach den Kindern erkundigte, legte Ciril den Arm um sie.

«So schön, dass du damit klarkommst, dass aus uns nichts geworden ist. Ich habe mich echt darüber gefreut, dass du hier bist.» Sie verstand Ciril kaum, so leise sprach er.

Kikis Augen weiteten sich, sie öffnete den Mund.

«Nein, sie weiss nicht, dass wir mal was hatten», unterbrach er sie. «Behältst du das auch künftig für dich? Bitte? Linda ist ziemlich anstrengend in dieser Hinsicht.»

Kiki wurde blass. «Es …»

Auf einmal stand Linda neben ihr. «Hallo Kiki. Nett, dass auch Leute von der Arbeit mit uns feiern.»

Cirils Lachen schepperte. Er rückte ein Stück von ihr weg. «Ja, ja. Kiki ist unsere Sekretärin und unser Mädchen für alles.» Er klopfte ihr hart auf den Rücken.

«Ich hoffe, nicht für alles», erwiderte Linda schmallippig und drehte sich weg, um mit anderen zu plappern. Ciril formte ein lautloses «Danke» in ihre Richtung und liess sich von seiner Angetrauten mitziehen.

Kiki sass wie erstarrt. Warum heiratete er sie? Er hätte es besser haben können. Sie hatte Ciril verwöhnt. Gewohnt, allein zu leben, hatte sie ihm Raum gelassen und ihm auch Platz für sich und seine Freunde ermöglicht. Oder waren die beiden schwanger? Erschreckt scannte sie Lindas Bauch. Sie wollte auch Kinder. Sie kniff die Augen zu und in einem Zug trank sie ihr Glas Wein leer.

Als sie es abstellte, lehnte Finn neben ihr an der Tischkante.

«Oh je, so traurig, schöne Frau?», witzelte er.

Kiki schwieg.

«Hat es dir die Sprache verschlagen?»

Sie schluckte.

«Lass uns rausgehen. Inzwischen ist es im Garten angenehmer.»

Sie erhob sich, ging atemlos hinter ihm her. Ihr Kopf schwankte vom Wein und dem Eifer ihrer Hingabe. Im Dunkeln suchte er ihre Hand. Weich schmiegte sie sich in die ihre, vermittelte Festigkeit und Sicherheit. Sie wäre überallhin mitgegangen.

Sie setzten sich auf die Bank über dem Weinberg, welcher sich vor dem Restaurant bis ins Flussvorland erstreckte. Im Sitzen leuchteten ihre Knie blass unter dem Saum hervor und Kiki fragte sich, ob das sexy war.

Sie erfuhr, dass Finn in Lausanne lebte und dort in einer grossen Logistikfirma arbeitete. Er liebte Weisswein, deutschen Schlager und im speziellen Udo Jürgens, den er noch immer betrauerte. Alles was Finn erzählte, schlürfte Kiki auf wie einen Zaubertrank, der sie betäubte und sie schwindlig machte.

Um zwei Uhr traten mehrere Personen auf den Parkplatz. Die Feier war vorbei. Kiki schaute sich um. Sie hatte nicht bemerkt, wie die Zeit fortgeschritten war. Finn sprang auf und drückte ihr einen Hauch von Kuss auf ihren Mund. Ihr stockte der Atem. Bevor sie reagierte, drehte er sich um und schlenderte zum Reisebus, der wie aus dem Nichts mit geöffneten Türen wartete. Dieser fuhr die Gesellschaft zur Traukirche zurück, wo die Gäste ihre eigenen Fahrzeuge parkiert hatten. Finn stand mitten unter Menschen, bevor sie sich bewegen konnte. Seinen Arm hatte er um Linda gelegt, drückte sie und strich ihr vertraulich eine Strähne hinters Ohr. Kiki fragte sich, ob sie sich seinen Kuss eingebildet hatte. Wie gebannt schaute sie ihm zu. Die Materie um sie herum wurde schal und leer.

Sie lief zurück ins Lokal, um ihre Tasche und ihre Jacke zu holen. Sie sputete und stieg als Letzte in den Bus ein. Zuvorderst rutschte sie auf den letzten freien Sitz. Finn hatte sie nicht mehr getroffen, scheute sich, ihn zu suchen. Sass er im Bus? Vermisste er sie? Eine halbe Stunde sass sie neben dem Fahrer und verfolgte die Scheinwerfer auf der dunklen Strasse. Vergass zu atmen.

Genial, wenn jemand weiss, wo’s langgeht

Nach der Fahrt stromte sie durch die sich verabschiedenden Gäste, die ihre Taschen und Jacken an sich drückten und sich ihren Privatfahrzeugen zuwandten. Wie Ameisen die ihren Staat sortierten.

Finn entdeckte sie plaudernd, mitten in der Familie der Frischvermählten. Die Hände tief in den Hosentaschen versenkt, die Ellbogen durchgedrückt, lachend. Er wirkte glücklich. Die Atmosphäre um ihn herum knisterte.

Sie trat zu der Gruppe und begann, allen zum Abschied die Hand zu schütteln. Finn wollte sie als Letzten verabschieden. Bevor sie bei ihm ankam, erhaschte sie seinen Blick. Er blinzelte ihr zu und hob zwei Finger. Mit einem «Gute Nacht allerseits» ging er weg und verschwand raschen Schrittes in der Dunkelheit zwischen den Fahrzeugen. Lustlos reichte sie den restlichen Personen die Hand. Sie fühlte sich bieder und antiquiert.

Später im Bett lag sie endlos wach. Der Abend war wie ein Traum. Sie würde mit Riri reden. Riri wusste was zu tun war. Und endlich, im Morgengrauen, fiel sie in einen unruhigen Schlaf.

Kiki süss-sauer

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