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Die Berufung

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Für mich stand nun außer Zweifel, dass Gott mich zu einem Leben im Kloster bestimmt hatte. Er liebte mich so sehr, dass er mich ganz für sich haben wollte. Ich hatte »den Richtigen« gefunden. Ich war berufen. Ich weiß nicht genau, wann mich diese Erkenntnis traf. Sie war einfach da. Ich war jedenfalls noch keine sechzehn Jahre alt. Bis zum Abitur hatte ich nun ein aufregendes und außergewöhnliches Abenteuer zu erleben: Ich musste die Gemeinschaft finden, in die Gott mich rief. Ich nahm Kontakt mit den besten und strengsten Ordensgemeinschaften auf (wobei gut und streng in etwa gleichbedeutend für mich waren), denn nur in eine von ihnen konnte Gott mich rufen wollen. Ich würde nur herausfinden müssen, in welche. So besuchte ich innerhalb von drei Jahren ganz auf eigene Faust die klausurierten Dominikanerinnen in Bamberg, die Kartäuser der Marienau im Allgäu, die Certosa della Trinitá bei Genua und die Betlehemschwestern bei Waldkappel. Nach und nach veränderte sich dabei auch mein Äußeres. Ich steckte meine Haare hoch und trug schließlich nur noch lange Röcke und langärmelige Oberteile. Meistens verbrachte ich einige Tage vor Ort und teilte das Leben der jeweiligen Kommunität, soweit das möglich war. Dabei fühlte ich mich in meinem Element: tägliche Messe, Stundengebet, Arbeit, geistliche Gespräche. Es war herrlich. Dennoch fehlte in allen diesen Gemeinschaften irgendetwas, eine Art Begeisterung.

Im Sommer 2002, ein Jahr vor dem Abitur, begegnete ich auf dem Kongress »Freude am Glauben« in Fulda das erste Mal der »Königsfamilie«, einer Gemeinschaft, deren Vertreterinnen zunächst keinerlei Eindruck auf mich machten. Die Schwestern trugen keine Ordenstracht, den sogenannten Habit. Damit waren sie gedanklich für mich schon aussortiert. Sr. Ottilie, eine hartnäckige kleine Schwester, die ihr dünnes graues Haar in einer altmodischen Steckfrisur trug und in eine Art dunkelgrünen Trachtenrock gekleidet war, drückte mir dennoch einen Flyer in die Hand, dessen Titelblatt ein Blütenmotiv zierte. Auf farbigem Glanzpapier fand sich eine kurze, wenig sagende Beschreibung der Gemeinschaft. »Im Dienst der Kirche« – welche katholische Gemeinschaft ist das nicht? Dazu gab es einige Fotos, die mich nicht besonders ansprachen, im Gegenteil: einige Bilder von Schwestern in einem weißen Chormantel schreckten mich regelrecht ab. Sie trugen stilisierte Dornenkronen auf dem Kopf, an denen weiße Schleier befestigt waren. Unheimlich. Als ich die Kongresshalle am nächsten Tag betrat, schien Sr. Ottilie auf mich zu warten. Es war unmöglich, ihr auszuweichen. Zu meinem Schrecken lud sie mich ein, das Mutterhaus der Königsfamilie in Österreich zu besuchen. Da eine höfliche Ablehnung bei ihr nicht zu fruchten schien und ich nicht unhöflich sein wollte, nahm ich die Einladung nolens volens an. Ich konnte ja dann immer noch sagen, dass es nichts für mich sei, dachte ich.

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