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Das Werk Gottes

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Dann kam etwas, das mich traf wie ein Blitz: auf dem nächsten Albumblatt war ein Christus-Fresko aus einer römischen Basilika zu sehen. Daneben ein Bibelvers aus dem Johannesevangelium: »Das ist das Werk Gottes, dass ihr an den glaubt, den er gesandt hat«. Dieser Vers sei das Motto der Königsfamilie, sagte Sr. Ottilie. Er erklärte den Namen der Gemeinschaft. Ich war wie vom Donner gerührt. Dieser Vers war mein Taufspruch! Nach gutem evangelischem Brauch erhält jeder Täufling einen Bibelvers, der ihn durchs Leben begleiten soll. Mein Vers war exakt dieser: Joh 6,29. Ich war sprachlos. Die Schwestern waren beinahe ebenso erstaunt wie ich, nur dass ihr Erstaunen sich sofort in helle Freude verwandelte. Sr. Hildegard kriegte sich fast nicht mehr ein. Auf dem Gesicht von Sr. Ottilie lag ein überlegenes Lächeln. Uns allen dreien war augenblicklich klar, dass das ein ganz klares Zeichen war. Ich war zur Königsfamilie berufen. In meiner Taufe schon hatte Gott diese Berufung in mich gelegt. Nun war alles klar. Die Entscheidung war im Grunde gefallen. Ich wusste nur nicht, ob ich mich freuen sollte.

Erst als ich wieder daheim war, gelang es mir halbwegs, meine Gedanken und Gefühle zu sortieren. Ich war hin- und hergerissen zwischen der Abneigung, die ich zuerst empfunden, und der Begeisterung, die ich dann erlebt hatte. Auf jeden Fall mochte ich Sr. Ottilie nicht. Und wenn ich eintrat, würde ich niemals ein Ordenskleid haben, dafür müsste ich aber früher oder später den Chormantel mit Dornenkrone und Schleier tragen. Schon die Vorstellung war mir zuwider. Konnte ich das wollen? Besser: konnte es wirklich das sein, was Gott von mir wollte? Andererseits war der Taufspruch ein so eindeutiges Zeichen. Und ich hatte noch nirgendwo so eine Feierlichkeit und Fröhlichkeit erlebt, so eine Begeisterung. Ich kannte keine Gemeinschaft, die so viele junge Mitglieder aus allen möglichen Ländern hatte – und eigene Priester! Priester, die im Vatikan arbeiteten und Kardinal Ratzinger kannten. Gedankenverloren saß ich in der Küche und hielt den Flyer in der Hand, den ich meiner Mutter zeigte. An den Chormantel würde ich mich schon gewöhnen, meinte sie. Vielleicht hatte sie recht, dachte ich. Jedenfalls war das kein ausreichender Grund, nicht dort einzutreten. Schließlich würde es in jedem Kloster die eine oder andere Kleinigkeit geben, die gewöhnungsbedürftig wäre. Vor allem war eines klar: wenn Gott mich in der Königsfamilie haben wollte, dann wusste er, was er tat. Dann musste ich mir nicht weiter den Kopf zerbrechen. Was immer nach dem Eintritt geschehen würde, ich würde seinen Willen tun, und damit wäre alles gut. Und eines wusste ich ohnehin: ein Leben in der Nachfolge Jesu schloss Verzicht und Leiden mit ein. So halb und halb war die Entscheidung damit gefällt. Allerdings wollte ich die Fahrt nach Rom noch abwarten. Ich wollte Sr. Ottilie die Freude meiner Zusage nicht zu früh machen.

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