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§ 3. Weise der intellektuellen Erkenntnis. Abstraktion.

1. Es scheint, dass unser Verstand die körperlichen und stofflichen Dinge nicht durch Abstraktion von den Phantasmen (oder Bildern der Einbildungskraft) denkt. Denn jeder Verstand, der das Ding anders denkt, als es ist, ist falsch. Die Formen der stofflichen Dinge sind aber von den Einzeldingen, deren Bilder die Phantasmen sind, nicht abgesondert (abstractae). Wenn wir also die stofflichen Dinge durch Abstraktion der Bilder von den Phantasmen denken sollen, so wird in unserem Verstände Falschheit sein.

2. Außerdem, die stofflichen Dinge sind Naturdinge, in deren Definition der Stoff zu stehen kommt. Es kann aber nichts gedacht werden ohne das, was in seine Definition zu stehen kommt. Also können die stofflichen Dinge nicht ohne den Stoff gedacht werden. Der Stoff ist aber das Prinzip der Individuation. Also können die stofflichen Dinge nicht durch Abstraktion des Allgemeinen von dem Besonderen gedacht werden, was die Gedankenbilder von den Phantasmen abstrahieren heißt.

3. Außerdem, in 3 de Anima 7. 431a 14 f. heißt es, dass „die Phantasmen sich zu der Denkseele verhalten wie die Farben zum Gesicht" (genauer heißt es dort: „für die Denkseele sind die Phantasmen gleichsam Sinnenbilder, d. h. sie treten gleichsam an die Stelle der bei der Wahrnehmung entstehenden Sinnenbilder; Zeile 17 ff. ist dann besonders von dem Augapfel und der Luft als vermeintlichem Vehikel der Farben Wirkung die Rede; vgl. ib. 8, 432a 9 f.). Das Sehen geschieht aber nicht durch Abstraktion gewisser Bilder von den Farben, sondern dadurch, dass die Farben sich dem Gesichte eindrücken. Also geschieht auch das Denken nicht dadurch, dass etwas von den Phantasmen abstrahiert wird, sondern dadurch, dass die Phantasmen sich dem Verstände eindrücken.

4. Außerdem, wie es de Anima 3, 5 heißt, ist in der Seele zweierlei: der intellectus possibilis und agens. Aber es ist nicht Sache des intellectus possibilis, die Gedankenbilder von den Phantasmen zu abstrahieren, sondern die schon abstrahierten Bilder aufzunehmen. Es scheint aber auch nicht Sache des intellectus agens zu sein, der sich zu den Phantasmen verhält wie das Licht zu den Farben, das von den Farben nichts absondert, sondern ihnen eher etwas einflößt. Also denken wir in keiner Weise durch Abstrahieren von den Phantasmen.

5. Außerdem, der Philosoph sagt 3 de Anima 7. 431b 2, dass „unser Verstand die Bilder ( Formen) in den Phantasmen denkt". Also nicht dadurch, dass er sie abstrahiert.

Aber dagegen spricht, dass es 3 de Anima 4. 429 b 21 f. heißt: „wie die Dinge vom Stoffe getrennt sind, so sind sie im Verstände" (genauer: „so sind es auch die Vorstellungen des Verstandes von ihnen"). Also müssen die stofflichen Dinge gedacht werden, sofern sie von dem Stoffe und von den stofflichen Bildern, welches die Phantasmen sind, abstrahiert werden.

Ich antworte, man müsse sagen, dass nach unserer obigen Erklärung, 84, 7, das Objekt der Erkenntnis zu dem erkennenden Vermögen im Verhältnis steht. Es ist aber eine dreifache Stufe des erkennenden Vermögens. Ein erkennendes Vermögen ist die Wirklichkeit (Betätigung, actus) eines körperlichen Organs, nämlich der Sinn. Und deshalb ist Objekt jedes sensitiven Vermögens die Form, sofern sie in dem körperlichen Stoffe existiert. Und weil dieser Stoff das Prinzip der Individuation ist, deshalb erkennt jedes Vermögen des sensitiven Teils nur Partikuläres. — Ein anderes erkennendes Vermögen aber gibt es, das weder die Wirklichkeit eines körperlichen Organs ist, noch irgendwie mit dem körperlichen Stoffe verbunden ist, wie den englischen Verstand. Und deshalb ist das Objekt dieses erkennenden Vermögens die ohne den Stoff subsistierende Form. Denn wenn sie (die Engel) auch die stofflichen Dinge erkennen, so schauen sie sie doch nur in Unstofflichem, nämlich entweder in sich selbst oder in Gott. — Der v menschliche Verstand aber verhält sich auf mittlere Weise: denn er ist nicht die Wirklichkeit eines Organs, aber er ist doch ein Vermögen der Seele, die die Form des Leibes ist, wie aus dem oben 76, 1 Gesagten erhellt. Und deshalb ist es ihm eigen, die Form zu erkennen, die zwar in dem körperlichen Stoffe individuell existiert, nicht aber sofern sie in einem solchen Stoffe ist. Das aber erkennen, was in dem individuellen Stoffe ist, nicht sofern es in einem solchen Stoffe ist, heißt die Form von dem individuellen Stoffe, den die Phantasmen vorstellen, abstrahieren. Und deshalb muss man sagen, dass unser Verstand das Stoffliche erkennt, indem er es von den Phantasmen abstrahiert, und dass wir durch das so betrachtete Stoffliche zu einiger Erkenntnis des Unstofflichen gelangen, so wie umgekehrt die Engel durch das Unstoffliche das Stoffliche erkennen.

Plato aber stellte, da er nur auf die Unstofflichkeit des menschlichen Verstandes sein Augenmerk richtete, nicht aber darauf, dass er dem Körper gleichsam geeint ist, als Objekt des Verstandes getrennte Ideen auf und behauptete, dass wir denken, nicht indem wir abstrahieren, sondern vielmehr, indem wir an dem Abstrakten teilnehmen, wie oben 84, 1 gesagt wurde.

Auf das Erste ist also zu sagen, dass es zweierlei Abstraktion gibt. Einmal eine Abstraktion in Weise der Verbindung und Trennung, wie wenn wir denken, dass etwas nicht in einem anderen ist oder von ihm getrennt ist; sodann eine solche in Weise der einfachen und absoluten Betrachtung, wie wenn wir das eine denken, ohne uns um das andere zu bekümmern. Wenn man nun mit dem Verstände das abstrahiert, was in der Wirklichkeit nicht abstrahiert (abgesondert) ist, nach der ersten Weise zu abstrahieren, so geschieht dieses nicht ohne Falschheit. Wenn man aber in der zweiten Weise mit dem Verstände abstrahiert, was in der Wirklichkeit nicht abstrahiert ist, so enthält es keine Falschheit, wie klar bei den sinnlichen Dingen zutage tritt. Denn wenn wir denken oder sagen, dass die Farbe nicht an dem farbigen Körper ist oder von ihm getrennt ist, so wird der Meinung oder Rede Falschheit anhaften. Wenn wir aber die Farbe und ihre Eigentümlichkeiten betrachten, ohne uns um den farbigen Apfel zu bekümmern, oder was wir so denken, auch in Worten ausdrücken, so wird es ohne Falschheit der Meinung oder der Rede geschehen. Denn der Apfel gehört nicht zum Wesen der Farbe. Und deshalb kann die Farbe ganz wohl gedacht werden, ohne dass man an den Apfel denkt. — Ebenso sage ich, dass man das, was zum Begriff der Art eines beliebigen stofflichen Dinges gehört, wie eines Steines, eines Menschen oder eines Pferdes, ohne die individuellen Prinzipien betrachten kann, die nicht zum Begriffe der Art gehören, und das heißt das Allgemeine von dem Besonderen oder das Gedankenbild von den Phantasmen abstrahieren, nämlich die Natur der Art betrachten ohne Betrachtung der individuellen, durch die Phantasmen vorgestellten Prinzipien.

Wenn also der Verstand, der das Ding anders denkt, als es ist, falsch sein soll, so ist das wahr, wenn das Anders 13 auf das gedachte Ding bezogen wird. Denn der Verstand ist dann falsch, wenn er denkt, das Ding sei anders, als es ist. Daher wäre der Verstand falsch, wenn er das Bild des Steines so von dem Stoffe abstrahierte, dass er dächte, es sei nicht im Stoffe, wie Plato behauptet hat. — Dagegen ist die Behauptung nicht wahr, wenn man das Anders seitens des Denkenden nimmt. Denn es hat keine Falschheit an sich, wenn die Weise des Denkenden beim Denken anders ist, als die Weise des Dinges im Dasein, weil das Gedachte in dem Denkenden auf unstoffliche Weise ist, nach Art des Verstandes, nicht stofflich, nach Art des stofflichen Dinges.

Auf das Zweite ist zu sagen, dass einige gemeint haben, Art des Naturdinges sei nur die Form (vgl. S. T. I, 75, 4), und der Stoff sei kein Teil der Art. Aber danach 'käme der Stoff nicht in die Definitionen der Naturdinge zu stehen. Und deshalb ist die Sache anders zu bestimmen und zu sagen, dass es einen zweifachen Stoff gibt, den Stoff im allgemeinen (materia communis) und den bezeichneten oder individuellen Stoff (in signata vel individualis) : den Stoff im allgemeinen, wie z. B. Fleisch und Knochen, den individuellen aber, wie dieses Fleisch und diese Knochen. Der abstrahierende Verstand sondert also die Art (species) des Naturdinges von dem individuellen sinnlichen Stoffe ab, nicht aber von dem sinnlichen Stoffe im allgemeinen. So sondert er z. B. die Art des Menschen " von diesem Fleische und diesen Knochen ab, die nicht zum Wesen (ratio) der Art gehören, sondern Teile des Individuums (des Sokrates z. B.) sind, wie es 7 Metaphys. 10. 1035b 30—33 heißt; und deshalb kann sie ohne sie betrachtet werden. Aber die Art des Menschen kann nicht mit dem Verstände von dem Fleische und den Knochen abgesondert werden.

Die mathematischen Begriffe (species) aber können mit dem Verstände nicht nur von dem individuellen sinnlichen Stoffe, sondern auch von dem sinnlichen Stoffe im allgemeinen abstrahiert werden, jedoch nicht von dem intelligibeln Stoffe im allgemeinen, sondern nur von dem individuellen. *Denn sinnlicher Stoff wird der körperliche Stoff genannt, sofern er den sinnlichen Qualitäten, Wärme und Kälte, Härte und Weiche u. dgl. unterliegt. Intelligibler Stoff aber wird die Substanz genannt, sofern sie Subjekt der Quantität ist. Es ist aber offenbar, dass sich die Quantität an der Substanz früher findet als die sinnlichen Qualitäten. Es können daher die Quantitäten, wie Zahlen, Ausdehnungen und Figuren, welches Grenzbestimmungen der Quantitäten sind, ohne die sinnlichen Qualitäten betrachtet werden, was bedeutet, dass sie von dem sinnlichen Stoffe abstrahiert werden : aber sie können nicht betrachtet werden ohne den Begriff (intellectus) der Substanz als Trägerin der Quantität, was bedeutete, dass sie von dem intelligibeln Stoffe im allgemeinen abstrahiert würden. Jedoch können sie ohne diese oder jene Substanz betrachtet werden, was bedeutet, dass sie von dem individuellen intelligibeln Stoff abstrahiert werden.

Manches aber gibt es, was auch von dem intelligibeln Stoff im allgemeinen abstrahiert werden kann, wie Seiendes (ens), Eines, Potenz und Akt, und anderes dergleichen, was auch ohne jeden Stoff sein kann, wie man es an den unstofflichen Wesen sieht — Und weil Plato das von der doppelten Abstraktionsweise Gesagte nicht bedachte, so ließ er alles, was nach unserer Erklärung durch den Verstand abgesondert wird, in der Wirklichkeit abgesondert sein.

Auf das Dritte ist zu sagen, dass die Farben, wie sie in dem individuellen körperlichen Stoff sind, dieselbe Seinsweise haben, wie auch das Sehvermögen, und deshalb können sie dem Gesicht ihr Bild eindrücken. Die Phantasmen aber haben, da sie Nachbilder der Individuen sind und in körperlichen Organen existieren, nicht dieselbe Seinsweise wie der menschliche Verstand, wie aus dem Gesagten erhellt, und deshalb können sie mit ihrer Kraft in dem intellectus possibilis keinen Eindruck hervorbringen. Aber durch die Kraft des intellectus agens entspringt in dem intellectus possibilis vermöge der Hinkehr des intellectus agens zu den Phantasmen ein gewisses Abbild, das die Objekte der Phantasmen nur nach der Natur der Art vorstellt. Und in diesem Sinne sagt man, dass die species intelligibilis, das Gedankenbild, von den Phantasmen abstrahiert wird: nicht als ob eine der Zahl nach identische Form, die zuvor in den Phantasmen war, sodann in den intellectus possibilis käme, in der Art, wie man einen Körper von der einen Stelle nimmt und an eine andere versetzt.

Auf das Vierte ist zu sagen, dass die Phantasmen sowohl von dem intellectus agens belichtet, wie andererseits von ihnen durch die Kraft des intellectus agens die Gedankenbilder abstrahiert werden. Belichtet werden sie, weil wie der sensitive Teil vermöge der Verbindung mit dem intellektiven wirkungsfähiger wird, so die Phantasmen vermöge der Kraft des intellectus agens geeignet werden, dass die intelligibeln Erkenntnisbilder von ihnen abstrahiert werden. Es abstrahiert aber der intellectus agens die Gedankenbilder von den Phantasmen, sofern wir durch die Kraft des intellectus agens in unsere Betrachtung die Naturen der Arten ohne die individuellen Zutaten aufnehmen können, nach deren (der Naturen) Abbildern der intellectus possibilis informiert wird.

Auf das Fünfte ist zu sagen, dass unser Verstand sowohl die Gedankenbilder bei der Abstraktion von den Phantasmen absondert, sofern er die Naturen der Dinge im allgemeinen betrachtet, als sie gleichwohl in den Phantasmen denkt, weil er die Objekte, deren Bilder er abstrahiert, nicht denken kann, ohne sich zu den Phantasmen zu wenden, wie oben 84, 7 erklärt wurde. S. Th. J » 85, 1; vgl. ib. 12, 4; Cont. Gent. 2, yj.

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