Читать книгу Die Therapie entdeckt die Familie - Dr. med. Günther Montag - Страница 53
Von der Ich - zur Wir - Perspektive
ОглавлениеIn der klassischen Vorstellung der VT ist der Wunsch nach Funktionieren und nach Überleben Antrieb für Verhalten und Lernen. Das Kind wird in der Familie weitgehend als ein Einzelwesen betrachtet das sich anpasst, um versorgt zu werden mit Nahrung und Zuwendung, damit es überleben kann. Die dysfunktionalen Verhaltensmuster werden als Ruf nach Zuwendung gesehen. Defizite im adäquaten Verhalten des Erwachsenen sind Lerndefizite in der Kindheit. Die Therapie soll helfen, zu lernen was wir bei den Eltern nicht lernen konnten. Es gibt eine klare, gegenwartsbezogene Vorstellung von richtig und falsch, die – in der Sprache des Familienstellens – dem persönlichen Gewissen entspricht.
Das Familienstellen sieht die Grundmotive des Lebens komplexer, es betrachtet 3 Ebenen des Gewissens, die teils zueinander im Widerspruch stehen. Das tiefste Grundmotiv des Menschen ist Liebe.
Erste Ebene: Das Kind tut alles, um dazugehören zu dürfen. Es ist getrieben von einem persönlichen Gewissen das ihm sagt was gut und was böse ist. Es will überleben, Zuwendung und Versorgung. Aber: Diese vordergründige Ebene kann nicht alles erklären. Warum wollen manchmal Kinder sterben?
Zweite Ebene: Diese kollektive Ebene des Gewissens schaut alle an und möchte alle, die ausgeschlossen sind, wieder hereinbringen, das führt zu einem Verhalten „aus blinder Liebe“: Ein Kind vertritt unbewusst einen oder mehrere Fehlende, es bringt sie symbolisch wieder in die Familie hinein. Die zweite Gewissensebene ist aber in sich widersprüchlich, weil es in ihr eine Instanz gibt, die die Hierarchie achtet und Spätere bestraft die für Frühere etwas tragen wollen. Diese Verwirrung führt zu merkwürdigem Verhalten und inadäquaten Gefühlen eines Kindes, in schweren Fällen zu Autismus, Stottern, Schizophrenie, die auf Mehrfach- Identifizierungen zurückzuführen sind, wie Aufstellungen oft zeigen. Dieses aus der Sicht der VT- Sprache sehr „dysfunktionale“ Verhalten lässt sich kaum noch mit der üblichen Lerntheorie erklären.
Dritte Ebene: Diese tiefste (oder höchste) Ebene des Gewissens ist die, auf der wir manchmal Lösungen finden. Um aber auf dieses sogenannte „geistige Gewissen“ zu hören, braucht es Übung und eine Einsicht die erst errungen werden muss. Auf dieser Ebene können Familienaufstellungen dort helfen und Frieden bringen, wo andere Hilfe versagt.
Beim Helfen haben wir also das ganze System und auch noch Ebenen darüber hinaus im Blick. Statt „Ich-Stärkung“ wie in der VT kommen wir zum Achten und Ordnen der Verbindungen des „Wir“ im systemischen Arbeiten. „Ich bin meine Eltern“ - also stärken wir die Verbindung. Wir helfen, die Eltern ganz zu nehmen. Das macht dann letztendlich erst eine gesunde Loslösung und Ichstärkung möglich.