Читать книгу Das verborgene Glück - Dr. med. Günther Montag - Страница 11

Tapetenwechsel

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Jemand krabbelt auf dem Dachboden seines Hauses herum, weil er alte Tapetenrollen oder irgendetwas anderes sucht. In diesem Winkel des Dachbodens, da ist er noch nicht gewesen.

Da knarrt etwas unter seinen Füßen. Auf einmal fühlt er, dass er langsam, immer schneller schwerelos nach unten sinkt. Dann kracht es laut, er sieht sich schweben, sieht sich wie von außen, sieht sich wirbeln wie in einer Wolke, ist das Nebel? Ist das Staub? Ist es der Staub der Zeit oder der Nebel der Erinnerung? Alles um ihn her ist Chaos, Trümmer streifen ihn, dann überschlägt er sich, er schlägt wo an und tut sich weh, doch nur ein bisschen, alles dreht sich vor den Augen, ihm ist schwindlig, und dann landet er. Nur wo? Er sieht noch nichts, zittert, atmet tief, ist erschrocken. Erst fürchtet er, schon tot zu sein, dann bemerkt er, dass er seine Arme und Beine spüren und bewegen kann.

„Wo bin ich?“, denkt er sich. „Was ist passiert?“ Nachdem sich seine Augen an das Dunkel um ihn her gewöhnen, kann er langsam etwas sehen. Die Tapeten hier sind wirklich anders. Auch die Möbel, Dinge, auch der Boden. Oder sieht er erst die Decke mit dem Loch darin, weil er noch auf dem Rücken liegt? Wie unbekannt und doch zugleich bekannt das Ganze. Wie fremd und doch wie alt vertraut, als wäre er vor langer Zeit als Kind schon einmal hier gewesen. Da tauchen auf einmal Bilder vor den Augen auf, fast wie aus der Kinderzeit, oder Bilder wie aus einem Buch, oder sind da Bilder von Gesichtern an der Wand in diesem Raum? Mal schauen. Steht er auf? Geht er nun langsam auf und ab? Geht er von Wand zu Wand und sieht sie, die aus Bildern hier nun zu ihm schauen? Geht er an das Fenster? Sieht er, wie er es von innen öffnen kann? Lassen sich die verstaubten Vorhänge zur Seite schieben? Kann er einen Fensterladen knarrend in den Angeln drehen bis das spinn­weben­durchsiebte Licht von außen nach vielen Jahren wieder neu nach innen kommen kann, und die Bilder heller werden?

Es sind Bilder aus der ersten Zeit und von der ersten Liebe. Manche Bilder sind verhängt, sind umgedreht oder verstaubt, nach und nach und später erst werden die angeschaut, Bilder aus den Zeiten, wo geschehen ist, was noch verborgen bleiben muss. Immer heller fällt das Licht zuerst nun auf die Bilder jener ersten Zeit, der ersten Liebe. Fast geblendet ist er von der Pracht der Schönheit, von der Freude der Erinnerungen an Geborgenheit, an Mutter, Vater, Großeltern und andere.

Nach und nach gewöhnen sich die Augen an die Helle, und er weiß, er darf ja wiederkommen. Aber muss er immer wieder jenen Weg der Krise nehmen, der ihn aus dem Dach herunter purzeln ließ? Gibt es da eine Tür? Nur wo? Er schaut herum, und es kann sein, dass eine Tapete halb nur angeklebt ist oder dass ein Schrank in seiner Hinterwand eine geheime Öffnung hat, die ihn wohin führt? Ein Blick aus dem Fenster zeigt es: Er ist immer noch im eigenen Haus. Schön dass es das Fenster gibt, und diese Tür, und diese Schwelle, die Verbindung. Er erkennt in welchem großen, schönen und erfüllten Haus er wohnt. Das ist das Volle, Ganze. Ja, was erst unheimlich erschien, ist doch das ganze Glück, das sich nun zeigt, nach und nach, ganz langsam, nah und weit zugleich.

Das verborgene Glück

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