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Kambi das Kudu
ОглавлениеAuf eine Farm in Afrika ist ein kleines Tier zugelaufen. Es war ein noch ganz kleines weibliches Kudu-Kitz. Ein Kudu ist so etwas wie bei uns ein Reh, nur viel größer: Erwachsen ist es so groß wie ein kleines Pferd, und hat wunderschöne spiralförmige Hörner. Aber dieses Kudu war klein, mager, ausgetrocknet, hilflos. Es war schon vor längerer Zeit von seiner Mutter getrennt worden. Es kam zu der Farm weil es da Geräusche hörte.
Die Farmerfamilie nahm es auf und ernährte es mit der Flasche. Es schlief auf der Terrasse beim Farmhaus unter einem Dach, und wuchs im Schatten großer Bäume auf dem Rasen auf, zusammen mit kleinen Katzen und ihrer Katzenmutter und mit Hunden.
Die Farm war eine Gästefarm. Oft kamen Touristen, sie wohnten auf dem Campingplatz nicht weit vom Haus. Alle streichelten die kleinen Katzen und das kleine Kudu. Es bekam den Namen Kambi, klingt wie Bambi, wie das kleine Reh im Film, aber mit K wie Kudu.
Kambi wurde größer, erst größer als die Katzen, dann größer als die Hunde, dann größer als die Menschenkinder. Kambi fand an manchem Gefallen, was es so zu essen gab, zum Beispiel Gras und Gemüse (anders als die Katzen und die Hunde), aber nicht nur. Kambi war anhänglich und lief den Leuten nach, fraß ihnen aus der Hand, stöberte in Kühlboxen und in Autos, wenn die offenstanden, und probierte alles aus. Wenn Leute auf dem Campingplatz beim Essen saßen, kam Kambi und bettelte. Langsam wurde Kambi aufdringlich. Manchmal fraß sie Dinge vom Tisch weg, alles, auch was sie nicht vertrug, sogar mit der Verpackung, zum Beispiel eine ganze Tüte Frühstücksflocken, mit der Tüte, ganz und gar. So ging es manchmal gar nicht anders - die Leute auf dem Campingplatz mussten Kambi vertreiben. Am besten ging das, wenn man Wasser auf sie spritzte. Kambi ging dann weg. Aber sie probierte es immer wieder...
Die Farmfamilie hoffte, dass Kambi Anschluss finden würde zu den Kuduherden, die auf dem großen Farmgelände wohnten, und manchmal ging Kambi auch weg und stöberte im Busch und auf den Hügeln, doch immer wieder kam sie zurück. Vielleicht war Kambi verwirrt. Meinte sie, dass sie eine Katze ist, oder ein Hund, oder ein Mensch?
Eines Tages kam Kambi aus dem Busch zurück und bekam ein Kind. Aber sie ließ es liegen und kümmerte sich nicht darum, und es verhungerte. Die Farmfamilie sah das Kind erst, als es schon gestorben war, versteckt im Busch. Das ganze passierte noch einmal, und ein drittes mal. Diesmal gelang es der Farmersfrau, das kleine Kudukind zu finden. Sie wollte es auch großziehen mit der Flasche. Das ging eine Weile gut. Aber Kambi passte nicht auf ihr Kind auf, und eines Tages fiel es ins Schwimmbecken und ertrank.
Ich war dort manchmal zu Besuch und kannte Kambi schon. Nur wusste ich nichts von ihren Kindern. Immer mehr fiel mir auf, dass Kambi seltsam traurig war. Ich fühlte um sie herum etwas wie eine dunkle Wolke, in der letzten Zeit.
Später erst erzählte mir die Farmfamilie, was geschehen war mit Kambi und mit ihren drei kleinen Kindern.
Noch später hörte ich, Kambi war gestorben. Sie hatte Kunstdünger gegessen.
Ich dachte lange über die Geschichte nach. Gibt es denn nicht so etwas ähnliches auch bei uns Menschen? Mütter, die ihre Kinder nicht richtig bemerkten und nicht so versorgen konnten, wie die Kinder es gern hätten. Manche Kinder sterben, manche überleben, aber tief in ihnen stirbt doch etwas in der Seele.
So kam mir eine Frage in den Sinn: Was sage ich zu jemandem, der auf seine Mutter böse ist, weil sie nicht für ihn da sein konnte, so wie er als Kind es gern gehabt hätte? Ich weiß nicht immer was ich sagen soll, denn es ist so schwer. Worte können wenig sagen.
Aber manchmal erzähle ich von Kambi und von ihren Kindern. Das hilft dem Menschen, hilft dem Kind in ihm, dass es auf seine Mutter nicht mehr ganz so böse ist. Das kann schon viel bewirken.