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Das Glück in der Schuhschachtel
ОглавлениеManchmal besuchte ich einen Freund von mir, der aus Brasilien kam und der mit mir studiert hat. Als Studenten sind wir öfters umgezogen, und manchmal half ich ihm beim Umziehen.
Er hatte immer alles sauber in seinem Zimmer, er hatte schöne Möbel und Einrichtungsgegenstände, und auch auf seine Bücher gab er gut acht und sie waren ordentlich eingebunden. Nur eine Sache fiel mir auf: Jedes mal, nach jedem Umzug, in jedem der Zimmer, die mein Freund bewohnte, bekam dieses Etwas einen Ehrenplatz, zum Beispiel in einem Regal in der Mitte, wo man es gut sehen konnte, oder oben auf dem Schrank.
Dieses Etwas war eine alte Schuhschachtel, die schon ganz abgegriffen war, dreckig und speckig, mit abgestoßenen Ecken und einem Riss. In dieser Schachtel war nichts. Ich sagte einmal zu ihm: „Warum wirfst Du diese alte Schuhschachtel nicht weg?“
Er wollte nichts dazu sagen. Erst später hat er mir erzählt, was für eine Bedeutung diese Schuhschachtel für ihn hat.
Mein Freund kennt seine Eltern nicht. Er weiß nur, was man ihm von ihnen erzählt hat. Er ist als neugeborenes Kind in einer Großstadt in Brasilien in dieser Schuhschachtel unter einer Autobahnbrücke gefunden worden. Er ist in einem Kinderheim und bei Pflegeeltern aufgewachsen.
Er hat lange darüber nachgedacht, wer seine Eltern sein könnten, und warum sie ihn in der Schuhschachtel ausgesetzt haben. Als Kind war er manchmal traurig, dass er nicht so wie andere Kinder bei seinen Eltern bleiben konnte.
Aber dann ist ihm etwas klar geworden: „Meine Eltern“, so hat er sich gesagt, „haben mich auf die Welt gebracht. Durch sie ist das Leben zu mir gekommen, in einem Augenblick der Liebe. Meine Mutter hat mich in ihrem Bauch getragen. Meine Eltern haben mir alles gegeben, damit ich da sein kann, und so wie sie es konnten, und das ist viel. Das ist mein Leben. Das bin ich. Und das haben sie in die Schuhschachtel gelegt. Mich. Mein Leben. Alles drin.
Andere liebe Menschen haben mir später das gegeben, was ich dann auch noch brauchte, um am Leben zu bleiben. Also halte ich diese Schuhschachtel in Ehren. Als Andenken an meine Eltern, und an das Große, das ich von ihnen bekommen habe. Und natürlich auch zum Andenken an die, die sie gefunden haben.
Und ich halte mein Leben fest. Es ist etwas wert. Und ich mache etwas Schönes daraus. Ich lebe es mit Liebe und gebe es weiter, an meine Frau und meine Kinder, und an Menschen, denen ich diene in meinem Beruf.“
So ist es auch. Mein Freund hat eine freundliche Ausstrahlung, hat eine glückliche Familie, und hat Erfolg in seinem Beruf. Er gibt viel an Andere weiter, was ihnen weiterhilft. Er ist richtig da auf dieser Welt.
Und ich bin froh, solch einen Freund zu haben, von dem ich so etwas lernen kann. Von keinem anderen Freund konnte ich das lernen. Jetzt, wenn ich ihn besuche, sehe ich die Schuhschachtel mit anderen Augen an. Ich weiß was drin ist!