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3.5.1 Bedeutung der Androgene für die Kanzerogenese

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Androgene als Kanzerogene

Wachstum, Differenzierung und Funktion der Prostata stehen unter dem Einfluss der Androgene, deren Wirkung über den AR-Komplex vermittelt wird (Brinkmann et al., 1999; Cude et al., 1999; Cunha et al., 2004). Unter dem Einfluss der Steroide entfalten Wachstumsfaktoren, z. B. der Epidermal Growth Factor (EGF), zellproliferierende Eigenschaften auf die Prostata. Im Tierversuch wurde gezeigt, dass Androgene bei Ratten direkt Prostatakarzinome auslösen können (Bosland, 2000).

Das wichtigste auf genetischer Ebene agierende Androgen ist der Testosteron-Metabolit Dihydrotestosteron (DHT), der aus Testosteron durch die 5-alpha-Reduktase gebildet wird (s. Abb. 6). DHT moduliert die Expression von Genen, die mit Androgenen in Zusammenhang stehen (Griffiths et al., 1995). Die 5-alpha-Reduktase hat daher eine Schlüsselfunktion in der Entwicklung der Prostata. Die Höhe der 5-alpha-Reduktase-Aktivität, die zur DHT-Bildung führt, beeinflusst das Entstehungsrisiko eines Prostatakarzinoms (Eaton et al., 1999; Ross et al., 1992). Umgekehrt reduziert die Hemmung dieses Enzyms die Konzentration an biologisch aktivem DHT. 5-alpha-Reduktase-Hemmstoffe werden therapeutisch in der Behandlung des Prostatakarzinoms eingesetzt.

Die potentiell kanzerogene Wirkung von Testosteron selbst ist möglicherweise darauf zurückzuführen, dass Testosteron bei Männern mengenmäßig der bedeutendste Vorläufer von Estradiol ist. Die Bedeutung von Estradiol für die Kanzerogenese wird im nächsten Abschnitt ausführlich besprochen. Im Gegensatz zu Testosteron kann DHT nicht in Estradiol überführt werden. Bei Ratten führte DHT nur bei 5 % der Tiere zu Karzinomen, die Kombination mit Estradiol jedoch erhöhte das Auftreten der Tumoren auf 15 % (Bosland, 2005). Die krebsfördernde Wirkung von DHT wird demnach durch Estradiol verdreifacht.

Die Rolle von Testosteron wird kontrovers diskutiert. So tragen Testosteronpräparate eine Warnung, dass sie bei einem Prostatakarzinom nicht anzuwenden seien. Die Befürchtung, dass hohe Testosteronspiegel das Wachstum des Prostatakarzinoms fördern, stammt u. a. aus Beobachtungen, nach denen Eunuchen kein Prostatakarzinom entwickeln, sowie aus den Arbeiten von Huggins. Huggins und Hodges zeigten 1941 die therapeutische Wirkung einer Kastration von Männern mit fortgeschrittenem Prostatakarzinom und berichteten bei einem einzigen Patienten von einer schnellen klinischen Progression unter Testosterongabe (Huggins und Hodges, 1941; Morgentaler, 2007). Später wurde jedoch belegt, dass sich solche negativen Effekte nur bei kastrierten Männern ergeben (Morgentaler, 2008). Offizielle Studien zu Eunuchen und Prostatakarzinomen sind nicht auffindbar. Jedoch zeigte eine chinesische Studie (Wu und Gu, 1991), dass die Prostata von 26 Eunuchen durchschnittlich 54 Jahre nach Kastration entweder gar nicht oder nur sehr klein tastbar war.

Auch Imamoto et al. (2008) kommen in einem Review zu dem Schluss, dass die traditionelle Ansicht, höhere Testosteronspiegel würden ein höheres Risiko bedeuten, wenig faktische Evidenz hat. Eine Metaanalyse von acht epidemiologischen prospektiven Studien ergab keine signifikanten Unterschiede zwischen den Androgenspiegeln (einschließlich DHT und Testosteron) und Östrogenspiegeln von Männern, die in der Folge an Prostatakrebs erkrankten, und der Kontrollgruppe (Eaton et al., 1999).

Eine Untersuchung an 17.049 Männern brachte ein erstaunliches Ergebnis: Das Risiko für ein aggressives Prostatakarzinom wurde bei doppelten Testosteron- und Androstendion-Blutspiegeln (Nebennieren-Vorläufer von Androgenen und Östrogenen) fast halbiert und war bei der doppelten Konzentration von DHEA-Sulfat um 37 % niedriger. Ähnliche negative, aber statistisch nicht signifikante, lineare Trends wurden für freies Testosteron, Estradiol und Sexualhormon-bindendes Globulin (SHBG) beobachtet (Severi et al., 2006). Für das nichtaggressive Prostatakarzinom wurde im Zusammenhang mit den Blutwerten dieser Hormone keine Risikoerhöhung festgestellt. Diese Ergebnisse geben Sinn wenn man bedenkt, dass es beim Prostatakarzinom auf das Zusammenspiel von Hormonen und Rezeptoren ankommt: Hohe Hormonspiegel führen zu einer Herabregulierung der Rezeptoren und umgekehrt.

Bei einer weiteren Untersuchung an 326 Prostatakrebspatienten wiesen niedrige präoperative Testosteronwerte eine Korrelation mit einem fortgeschritteneren pathologischen Stadium auf (Isom-Batz et al., 2005). Auch eine Studie mit 2254 Patienten stützt die Hypothese, dass niedriges freies Serum-Testosteron ein Marker für einen aggressiveren Prostatakrebs sein kann, besonders bei Patienten mit einem PSA-Wert von ≤ 4 ng/​ml (D’Amico et al., 2002).

Bei 96 Patienten mit Prostatakrebs und Knochenmetastasen waren unter Hormontherapie hohe Testosteronwerte und niedrige LH- (luteinisierendes Hormon), FSH- (follikelstimulierendes Hormon) und Prolaktinwerte günstige prognostische Faktoren, unabhängig vom Tumorgrading (Chen et al., 2002a).

Dennoch ist eine Testosteron-Supplementierung sicher keine generelle Anti-Aging-Therapie. In einer Studie von Gaylis et al. (2005) wurde bei 20 Patienten die Entstehung von Prostatakrebs mit Testosteron-Supplementierung in Verbindung gebracht. Insbesondere bei kastrierten Männern, wo unter Androgenentzug der AR häufig hypersensitiv, überexprimiert oder mutiert ist, könnte eine Testosteron-Supplementierung zu einer massiven Tumorproliferation führen – analog zu der bereits erwähnten Beobachtung von Huggins und Hodges (1941).

Androgenrezeptor-Expression beim Prostatakarzinom

Der AR spielt in der Kanzerogenese des Prostatakarzinoms eine zentrale Rolle. Dies untermauert ein Tierversuch, bei dem ein AR-Antagonist die Entwicklung eines Prostatakarzinoms durch ein Kanzerogen nahezu komplett unterbinden konnte (unveröffentlichte Studienergebnisse, erwähnt in: Bosland, 2005).

Der AR ist im inaktiven Stadium an Hitzeschock-Proteine (HSP) gebunden. Erst durch die Bindung von DHT erfolgen die Dissoziation von HSP und die DNA-Bindung, was die Aktivierung der Androgen-Zielgene bewirkt und so zu Proliferation, Zellerhalt, PSA-Sekretion, etc. führt. Insbesondere unter Hormonentzug verändert sich die AR-Situation, v. a. durch Hyperexpression bzw. -sensitivität und Mutation (Röpke et al., 2004).

Die AR-Expression der Prostatakrebszellen ist unterschiedlich und hängt vom Tumorstadium ab. Im gewöhnlichen, hormonsensitiven Prostatakarzinom wird die Hauptmasse von exokrinen Tumorzellen gebildet, die zellbiologische Ähnlichkeiten mit dem sekretorischen Zelltyp im Differenzierungskompartiment des gesunden Prostataepithels aufweisen. Durch Androgenentzug können sie in die Apoptose getrieben werden (hormonsensitiv).

Im Androgen-insensitiven Tumorstadium ist der AR paradoxerweise häufig überexprimiert. Dadurch werden die Tumorzellen hypersensitiv gegenüber den restlichen Androgenen nach Androgenentzug, der keine Apoptose mehr auslöst (hormonrefraktär). Zellbiologisch ähneln die Tumorzellen in diesem Stadium den Basalzellen des normalen Prostataepithels.

Im fortgeschrittenen und Androgen-insensitiven Stadium werden zudem „basalzellspezifische“ Gene wieder exprimiert, deren Expression in früheren Stadien herunterreguliert ist. Demnach nimmt das Androgen-insensitive Prostatakarzinom zellbiologische Eigenschaften der Basalzellen bzw. Prostatastammzellen wieder auf. Der Hauptunterschied zwischen Basalzellen und hormonrefraktären Prostatakarzinomzellen ist die starke Überexpression des AR, die als Gegenregulation auf den Androgenentzug zu verstehen ist (Bonkhoff und Remberger, 1996; Li et al., 2004a).

Mutationen im AR-Gen werden vor allem bei metastasierten oder hormonrefraktären Prostatakarzinomen beschrieben. Verschiedene Steroidhormone weisen eine höhere Affinität zu diesem mutierten AR auf, führen dadurch zu einer höheren transkriptionellen Aktivität und stimulieren die Proliferation (Röpke et al., 2004).

Eine Studie von Montgomery et al. (2008) zeigt, dass metastasierte Prostatakarzinome kastrierter Männer verstärkt Enzyme exprimierten, die für die Synthese von Testosteron und DHT aus Cholesterin nötig sind. So konnten die Tumoren Androgenspiegel aufrechterhalten und AR-Zielgene aktivieren, um ihr Überleben zu sichern. Auf diese Weise können Karzinome trotz sehr niedriger Androgen-Blutwerte überleben.

Dies zeigt einerseits, dass auch androgenunabhängige Karzinome nicht wirklich androgenunabhängig sind, sondern sich einfach von der fehlenden externen Androgenzufuhr (bei Androgenentzugstherapie) unabhängig gemacht haben. Neue Medikamente wie Abirateron und Enzalutamid haben hier ihren Ansatzpunkt. Andererseits wird deutlich, wie jeder extreme Eingriff zu einer Gegenregulation führt. Je niedriger die Androgenspiegel im Blut auf Dauer sind, desto mehr wird die Entwicklung der „scheinbar“ androgenunabhängigen, aggressiveren Karzinome forciert.

Neuroendokrine Differenzierung im Prostatakarzinom

Bonkhoff und Fixemer (2004) beschreiben die neuroendokrine Differenzierung im Prostatakarzinom als einen unerkannten und therapierefraktären Phänotyp: Neuroendokrine Zellen (Marker: Chromogranin A; ChrA) sind primär Androgen-insensitiv, da sie keinen AR tragen. Zudem sind neuroendokrine Tumorzellen gegen konventionelle Strahlentherapie resistent. Die Hauptmasse der ChrA-positiven Tumorzellen ist daher potentiell unsterblich und somit therapierefraktär. Einzelerfahrungen weisen darauf hin, dass transurethrale Hyperthermie und Hochdosis-Vitamin-C-Infusionen gegen ChrA-positive Tumorzellen wirksam sind.

Das Ausmaß der neuroendokrinen Differenzierung (messbar an der ChrA-Expression) nimmt im Rahmen der Tumorprogression und der Entstehung der Androgenresistenz kontinuierlich zu. Die höchsten ChrA-Expressionsraten und Serumwerte finden sich bei Patienten mit klinisch Androgen-insensitiven Karzinomen. Neuroendokrine Krebszellen haben eine langsame Proliferation, nähren jedoch durch Wachstumsfaktoren exokrine Tumoren in der Umgebung. Neuroendokrine Karzinome können sich unter Hormonblockade nach mehreren Jahren entwickeln, sind besonders aggressiv und gehen nicht mit einem wesentlichen PSA-Anstieg einher. Unter Hormonblockade können sich auch aus ehemals PSA-positiven Karzinomzellen neuroendokrine Karzinomzellen entwickeln.

In der Tabelle sind die unterschiedlichen Krebszelltypen mit den Kriterien Marker, Hormonstatus, Prognose und Therapie übersichtlich zusammengefasst (s. Tab. 1).

Tab. 1: Grobeinteilung der Prostatakarzinomzelltypen

Krebszelltyp Marker Hormonstatus Prognose Therapie
Hormonsensitiv Ähnlichkeiten mit sekretorischem Zelltyp des gesunden Prostataepithels (Zytokeratinmuster, PSA-Produktion, Androgenrezeptor) androgenabhängig Gut (in Abhängigkeit von GleasonScore und Metastasierung) Stadienabhängig: active surveillance/​watchful waiting, Prostatektomie, Bestrahlung, Hormonblockade
Stammzellartig Ähnlichkeiten mit Basalzellen des gesunden Prostataepithels (Expression von z. B. erbB-2, erbB-3, HER2-neu, EGFR und Bcl-2) Scheinbar androgenunabhängig; starke Hypersensitivität und/​oder Überexpression des Androgenrezeptors; Eigensynthese von Androgenen Schlecht Operation Off Label
Neuroendokrin Chromogranin A Echt androgen- unabhängig Schlecht Operation
Prostatakrebs-Kompass

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