Читать книгу Der 12 Romane Krimi Koffer Juni 2021 - Earl Warren - Страница 62

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Er lag zusammengekrümmt in einer Kiste, die geschlossen war. Licht huschte durch Ritzen und erlosch. Er wurde geschaukelt, überlegte, was es sein könnte, und hörte in der nächsten Sekunde das jähe Aufheulen eines Motors. Ein Ruck warf seinen Kopf gegen das rohe Holz, in einem Getriebe rasselte es, dann waren die Motorengeräusche wieder zu hören.

Eine dunkle Männerstimme sagte etwas, aber Archibald verstand nichts.

„Nein, ich gehe nicht in die Mine zurück“, sagte Janet auf einmal. „Das ist mir zu gefährlich. Milliam wird auf den gleichen Gedanken kommen wie Archi, zumal jetzt, wo er sicher weiß, dass er zu mir gegangen ist.“

„Aber wir brauchen die Verbindung“, sagte der Mann.

„Das ist mir egal, ich gehe nicht zurück“, beharrte Janet. „Ihr habt versprochen, dass ihr mich schützt, wenn etwas schiefgeht. Und wenn ich meinen Anteil habe, verschwinde ich sowieso.“

„Du hast es also nicht für die Revolution getan?“, schimpfte die Männerstimme.

„Hör auf mit dem Quatsch, Pablo“, sagte Janet abweisend. „Ich gehöre nicht hierher und interessiere mich nicht für Revolutionen. Dabei ist auch nie was herausgekommen.“

„Was soll denn das heißen?“, knurrte der Mann.

„Es hat auf der Welt schon eine Menge Revolutionen in der jüngeren Zeit gegeben“, erklärte Janet. „Überall in Lateinamerika, in Kuba, und was weiß ich wo noch. Und was ist dabei herausgekommen? Nirgendwo geht es den Menschen besser als bei uns in den Staaten. Dort verdienen sie mehr als sonstwo, und dort war keine Revolution. Wenn eure Funktionäre erst die Macht übernommen haben, werdet ihr schon begreifen, was es eingebracht hat!“

„Sie begreift es nicht“, sagte die Stimme einer zweiten Frau. „Lass sie in Ruhe, Pablo.“

„Bekomme ich meinen Anteil?“, fragte Janet.

„Du bekommst ihn“, erwiderte die andere Frau. „So, wie ich es versprochen habe. Und dann kannst du nach Mexiko gehen, wenn du noch willst.“

„Na also“, sagte Janet.

Der Motor heulte wieder auf, Archibald wurde geschüttelt, hörte das Getriebe abermals rasseln und merkte, wie der Wagen auf der einen Seite in ein Loch rumpelte. Bremsen quietschten, ein Ruck ließ seinen Kopf abermals gegen das Holz knallen, dann stand der Wagen.

„So, von hier aus müssen wir laufen“, sagte die zweite Frauenstimme, die der Anführerin der Rebellen gehören musste. „Der Wagen fährt nach La Paz zurück.“

„Ich verstehe das nicht“, meldete sich der Mann wieder.

„Was, Pablo?“

„Dass du sie wirklich fortlassen willst, Lolita“, erwiderte der Mann. „Das ist doch gefährlich. Sie braucht nur einen Brief zu schreiben. Von Mexiko aus, wo ihr nichts mehr passieren kann. Sie muss sich nicht mal selbst erwähnen!“

„Wer uns verrät, wird getötet“, erklärte die Frau mit klirrend kalter Stimme. „Das weißt du doch, Janet?“

„Redet doch nicht solches Blech!“, schimpfte Janet. „Warum sollte ich euch denn verpfeifen wollen?“

„Wer uns verrät, wird getötet, egal, wie weit er flieht“, sagte die andere Frau. „Uns entkommt kein Verräter. – Los, absteigen! Und lasst ihn heraus!“

Wieder huschte Lichtschein durch Ritzen, der Deckel der Kiste öffnete sich knarrend, eine brennende Taschenlampe blendete Archibald Duggan, und er erkannte undeutlich ein bärtiges Gesicht.

„Er ist munter, Lolita.“

Archibald setzte sich. Die Kiste stand auf einem kleinen Lastwagen, der auf der Ladefläche rechts und links Bänke hatte. Janet saß auf einer Bank, neben ihr die schwarzhaarige Frau, die jetzt einen Khakianzug trug und gekreuzte Patronengurte vor der Brust hatte. Das lange Haar fiel ihr bis auf die Schultern. Von einer Mütze mit Stern war nichts an ihr zu entdecken. Außerdem saßen noch die Kerle in den dunklen Anzügen auf der anderen Bank, und Pablo, der Vollbärtige, stand mit der Taschenlampe vor der Kiste.

Lolita stand auf. Sie hatte eine Maschinenpistole russischer Bauart in der Hand, ging an der Kiste vorbei und sprang von dem Wagen, der am Rand des Urwaldes hielt.

Tausende von Stimmen kamen aus dem unheimlichen Dunkel.

Janet stand auf und stieg von dem Wagen.

„Na, was ist?“, schimpfte Pablo, an Archibald Duggan gewandt. „Willst du ne Extraeinladung?“

Archibald stützte sich auf die Ränder der Kiste, stand auf, stieg aus dem Verschlag und sprang von dem Wagen. Lolita stand mit der MP in der Hand in seiner Nähe, hatte die Waffe aber nicht angeschlagen. Janet sah aus, als käme sie sich ziemlich verloren vor.

Die Männer sprangen vom Wagen und klappten die Planke hoch.

Lolita ging zum Fahrerhaus und sagte: „Du kannst nach La Paz zurückfahren, Pedro. Du bekommst Nachricht von uns.“

Sie kam zurück. Der Wagen setzte sich in Bewegung, rumpelte durch ein Loch, erreichte eine Betonstraße und entfernte sich.

Pablo knipste die Taschenlampe an. Die beiden Kerle in den dunklen Anzügen richteten ihre Waffen auf Archibald.

„Ich weiß wirklich nicht, was ihr von mir wollt“, sagte er. „Mich interessiert auch Janets Belohnung für die Spitzeldienste und für die nette Falle nicht, zu der sie beigetragen hat.“

„Wir haben nur einen Imperialisten in unsere Gewalt gebracht“, erklärte Lolita.

„Und bei der Gelegenheit habt ihr zwei arme Teufel erschossen, die im Grunde genommen zu denen gehörten, die ihr befreien wollt. So ist das doch.“

„Sie hätten nicht nach den Waffen zu greifen brauchen“, sagte Lolita scharf und gepresst. „Sie waren Knechte der Imperialisten, die unser Land ausbeuten, die Indios schlagen und unsere Bodenschätze aus dem Land bringen wollen! – Los!“

Archibald wurde die Mündung einer Maschinenpistole in den Rücken gepresst.

Lolita wandte sich ab und lief in den Urwald hinein. Pablo folgte dicht hinter ihr und leuchtete mit der Taschenlampe. Dann ging Janet in den Wald, und Archibald musste hinter ihr her. Die beiden Kerle in den dunklen Anzügen liefen hinter ihm.

Der Lichtkegel irrte über Bäume und Lianen hinweg, erfasste einen springenden Schatten und verlor ihn wieder. Aufgeregtes Quietschen, Pfeifen und Brüllen kam aus dem Urwald, als wären Tausende von Tieren aufgeschreckt worden. Bambusrohr und morsches Unterholz zerbrach unter ihren Schuhen.

Archibald tastete über seine Jacke hinweg. Die Pistole war verschwunden, wie er es erwartet hatte.

Dann war die Gasse zu Ende. Verfilztes Gestrüpp wurde im Lichtkegel der Taschenlampe sichtbar.

Sie blieben stehen. Pablo ging an Lolita vorbei, zog ein Buschmesser hinter dem Gürtel hervor und schlug auf die verschlungenen Gewächse ein, bis die Gasse wieder offen war. Nun ging Pablo vor Lolita her.

„Ich hätte wirklich lieber in der Mine auf meinen Anteil gewartet“, sagte Janet. „Aber es ging bestimmt nicht mehr.“

„Sei froh, dass er dir verraten hat, was er denkt“, erwiderte Lolita, ohne sich umzublicken.

Vor Pablo lichtete sich der Urwald. Das Schmatzen von Sümpfen war zu hören, Frösche quakten, etwas zuckte über den Boden und wurde vom Lichtkegel der Lampe erfasst. Grün und gelb funkelte der feuchte Leib einer Schlange. Pablo trat zurück.

Lolita schlug die Maschinenpistole an und schoss Dauerfeuer auf den zuckenden Leib des Reptils, bis es sich nicht mehr vorwärtsbewegte.

Lolita ließ die Maschinenpistole sinken und sagte kalt und beherrscht: „Weiter, Pablo!“

Der Bärtige lief weiter.

Das Schmatzen der Sümpfe wurde lauter und verschluckte allmählich das dumpfe Echo der Schüsse, das immer noch aus dem Urwald kam.

Archibald war es, als würde der Boden unter seinen Füßen federn. Er wusste, dass hier schon bei Tagesanbruch keine Spuren mehr zu finden waren. Sein Blick glitt zu den Wipfeln hinauf, die ein dichtes Dach über dem Wald bildeten. Hier konnte man nichts mit Flugzeugen ausrichten, nichts mit Hubschraubern, Panzern oder Autos, hier war der im Vorteil, der den Urwald am besten kannte und zuerst schoss.

Nach einer halben Stunde wurde das Gestrüpp wieder dichter. Manchmal musste Pablo mit dem Haumesser nachhelfen, damit sie weiterkamen. Dann auf einmal sah Archibald Lichtschein durch das Dickicht, und urplötzlich öffnete sich eine geschlagene Lichtung im Urwald vor ihnen, auf der ein paar Bambushütten standen. Feuer brannte vor den Hütten und ein paar brennende Petroleumlampen hingen an verschiedenen Wänden.

Archibald hatte die Posten im Urwald bemerkt. Sie waren alle bis an die Zähne bewaffnet und meistens Mestizen, jene Mischung aus dem Blut der Spanier und dem der Einheimischen, die heute die Oberschicht Boliviens darstellten, eine Oberschicht, die gespaltet war und gegeneinander kämpfte, die eine um die Erhaltung dessen, was ihre Macht stützte, und die andere, um den Kapitalismus abzuschaffen, wobei ihnen Kuba als Vorbild diente.

Archibald sah mehr als ein Dutzend Männer und sechs junge Frauen, die um das Feuer hockten und fast gleichgültig dreinblicken. Die Mädchen hatten zumeist kurzgeschnittene, schwarze Haare, und waren zwischen etwa sechzehn und zwanzig Jahren alt. Genau wie die Männer trugen sie grüne Anzüge, Patronengurte, Revolver oder Pistolen und hatten Messer hinter den Gürteln. Unter den Männern war ein Weißer und ein riesenhafter Schwarzer, und mindestens zwei waren Indios, die Schlangenhäute als Stirnbänder trugen, sonst aber wie die anderen gekleidet waren.

Der Weiße war ein schmaler junger Mann, der ein dickes, zerfleddertes Buch in den Händen hatte. Er trug eine Brille mit runden Gläsern und einem Blechgestell und hatte kurzgeschnittenes, blondes Haar. Er richtete sich langsam auf, musterte erst Janet und dann Archibald Duggan. Danach klappte er sein Buch zu und klemmte es unter den Arm.

„Das ist ein ziemlich gebildeter Mann“, meinte der bärtige Pablo grinsend. „Vielleicht Unterhaltung für dich, Mao.“

„Amerikaner?“, fragte der junge Weiße.

„So ist es“, sagte Janet.

„In Amerika leben Freunde von uns“, meinte Mao und lächelte. Er hatte etwas von einem Träumer an sich, wie Archibald fand.

„Nicht dort, von wo er kommt“, erwiderte Lolita kühl. „Aber vielleicht können wir ihn auf unsere Seite ziehen.“ Sie lächelte Archibald plötzlich aus ihren großen Augen strahlend an. „Wir können Freunde brauchen, Archibald.“

„Sie nennen ihn Mister Duggan!“ Janet lächelte verächtlich und mit blitzender Eifersucht in den Augen.

„Wir nennen ihn Archibald!“, bestimmte Lolita. „Er sollte für die Mine etwas herausfinden. Ob es sich lohnt, das Wolfram abzubauen, das sie gefunden haben.“

„Warum sollte es sich nicht lohnen?“, knurrte Pablo.

„Vielleicht, weil es nicht genug ist“, erwiderte Lolita. „Du musst deinen Verstand gebrauchen und nicht so viele Fragen stellen, Pablo, sonst bringst du es in unserer Republik nie zum Minister! – Er ist ein Experte auf vielen Gebieten. Wir könnten ihn sicher gut gebrauchen, wenn wir das Land befreit haben!“

Archibald lächelte die schwarzhaarige Schönheit an, die wie die Gebildeten sprechen konnte, die Guerillas anführte, und deren Kopf immerhin eine Million Pesos wert war. Von den Außenstehenden war er sicher außer Janet der einzige, der sie nun kannte.

„Du kannst dich hier frei bewegen“, erklärte Lolita. „Aber du darfst das Lager nicht verlassen, Archibald. Die Posten schießen manchmal ohne Anruf.“

„Danke für die Warnung.“

„Sheppard ist da drüben in der Hütte!“ Lolita zeigte mit der Maschinenpistole nach links.

Archibald blickte auf die Hütte, die sie meinte. An der Wand lehnten zwei der Rebellen, die, wie die anderen, Waffen in den Händen hatten.

„Sheppard kennt mich nicht“, fuhr Lolita fort. „Wenn er mich so beschreiben könnte, dass sie wissen müssten, wer ich bin, wird er kaum zu seinen Leuten zurückkommen“, fuhr Lolita fort. „Wir verstehen uns doch, Archibald?“

„Natürlich.“ Archibald Duggan schaute Jane an, der rote Flecken auf den Wangen brannten, und aus deren Augen Blitze schossen. Sie schien Lolita sehr gut zu kennen und hinter ihrer plötzlichen Freundlichkeit eine Menge mehr zu vermuten, als Archibald bis jetzt erkannte. Er ging an den anderen vorbei und auf die Bambushütte zu, auf die Lolita gezeigt hatte.

Niemand hinderte ihn.

Archibald erreichte die Tür, die mit Bastschnüren mit der Wand verbunden war.

Es ging sehr primitiv hier zu, viel primitiver noch als oben in der Zinnmine.

In der Bambushütte brannte eine Lampe und beleuchtete einen kleinen Tisch, ein paar umgestülpte Bananenkisten, ein Bündel Decken und Sheppard, der auf den Decken lag und an Händen und Füßen gefesselt war.

„Hier hört man jedes Wort“, sagte der dicke Amerikaner, dem das feiste Doppelkinn auf der Brust hing, dessen Gesicht in Schweiß gebadet war, und aus dessen wässrigen Augen die Angst sprach, die ihn beherrschte.

„Dann wissen Sie ja Bescheid“, erwiderte Archibald. Er setzte sich auf eine Bananenkiste, stand wieder auf, rückte die Kiste weiter an den Aktionär heran und setzte sich abermals.

„Wie kommen Sie denn hierher, Mister Duggan?“ Sheppard wälzte sich ächzend auf die Schulter.

„Ich hatte etwas herausgefunden und dann selbst nicht ernst genug genommen.“

„Was? – Ich verstehe kein Wort.“

„Es konnte nur Janet sein, die der Bande den Tipp gegeben hat. Aber ich wollte es selbst nicht glauben. Vielleicht habe ich es ihr deshalb zu direkt gesagt. Dann ging sie das Abendessen bestellen und verständigte die Bande.“

„Janet? – Meinen Sie ...“

„Ja, ich meine Janet.“ Archibald nickte. „Ihre tüchtige Sekretärin in der Mine, die sich ein paar tausend Dollar verdient. An Ihnen, Sheppard.“

Der Gefesselte fluchte abscheulich, rollte sich auf den Rücken und zischte: „In diesem verdammten Land kann man keinem trauen, nicht mal seinen eigenen Leuten, die auch Weiße sind!“

„Da spielt nur Geld eine Rolle.“ Archibald nickte. „Geld, von dem die einen zu viel und die anderen immer zu wenig haben.“

„Was?“ Sheppard wälzte sich wieder ächzend auf die Schulter. „Sind Sie auch schon von denen angehaucht worden?“

„Ich sage nur, was wahr ist“, entgegnete Archibald Duggan. „Wenn die einen nicht so verdammt viel haben müssten und die anderen wie Kulis schuften ließen, wäre vieles nicht so wie jetzt, und Sie würden vielleicht auch nicht hier liegen und zwischen Himmel und Hölle schweben.“

„Wir haben alle ordentlich bezahlt!“, zischte Sheppard. „Sogar die Indios, die nicht mal ihren eigenen Namen schreiben können!“

Archibald lächelte den Mann mit nach unten gebogenen Mundwinkeln an. „Was ist das, ordentlich, Sheppard? Macht das ein Prozent vom Erlös für das Zinn oder weniger?“

„Ordentlich! Mehr, als sie jemals zuvor verdient haben.“

Archibald stand auf und nickte. „Mehr als vorher, das ist allemal ein gutes Argument, was? – Übrigens, der bullige Ire in der Mine, der hat Ihre Leute nach Gutdünken noch mal bezahlt. Mit Schlägen und Tritten.“

„Dann waren sie faul!“

Archibald schüttelte wieder den Kopf. „Nein, der Ire war nur wütend.“

„Dann haben sie ihn gereizt!“

„Die Indios? Die machen doch noch nicht mal den Mund auf, wenn sie geprügelt werden, lassen sich alles gefallen und heben noch nicht die Hand. Der bullige Ire war wütend, weil ich die ganze Nacht bei Janet war. Und da hat er die Indios geprügelt. Ich weiß wirklich nicht, über was ihr euch noch wundert.“

Sheppard fluchte, rollte sich auf den Rücken und starrte die trübe Lampe an. Archibald setzte sich.

„Wenn ich nicht genau wüsste, dass Sie erst vor drei Tagen nach Bolivien gekommen sind, ich würde beschwören, dass Sie auch zu der Bande gehören, Mister Duggan.“

„Wie gut, dass Sie genau wissen, dass es sich anders verhält, Mister Sheppard. Übrigens, die Bande hat ihre Forderung schon gestellt.“

„So?“ Sheppard setzte sich und starrte Archibald Duggan an.

„Zwanzigtausend Dollar in kleinen Scheinen“, fuhr Archibald Duggan fort. „Und Milliam hat gesagt, sie würden zahlen. Er wusste nur noch nicht, wo die Übergabe stattfinden soll, und wie sie vor sich zu gehen hat. Aber das wird er sicher bald erfahren.“

„Und Sie, Mister Duggan?“

Archibald zuckte die Schultern. „Ich kenne die Frau, die euch eine Million Pesos wert ist, Mister Sheppard.“

„Wie sieht sie aus?“, zischte der Gefesselte flüsternd. „Kenne ich sie?“

„Woher soll ich denn das wissen? Vielleicht kennen Sie sie, vielleicht auch nicht. Ich könnte mir denken, dass sie durchaus in der Gesellschaft auftritt, in der Sie auch verkehren.“

„Wie sieht sie aus?“

„Draußen stehen Wachen, die hören sicher jedes Wort, Sheppard. Und wer sie beschreiben kann, hat sicher keine Chance, von der Bande noch einmal wegzukommen.“

„Ach so.“ Sheppard legte sich auf seine Decken zurück und blickte das Dach der Bambushütte an. „Daran hab ich nie gedacht.“

„Woran?“

„Dass man ihr vielleicht in unseren Kreisen begegnet. Dass man womöglich sogar mit ihr redet und keine Ahnung hat, wer sie wirklich ist. Jedenfalls steht es nun fest. Es ist wirklich eine Frau. –

Sind Sie ganz sicher, dass Milliam die zwanzigtausend Dollar bezahlen wird?“

„Er sagte, es stünde in den Verträgen, wie Sie auch einen hätten.“

Sheppard setzte sich wieder. Sie hatten ihm die Hände so zusammengebunden, dass er sich leicht von den Fußfesseln hätte befreien können, aber das konnte ihm allein kaum weiterhelfen. „In den Verträgen steht vieles!“, knurrte er unterdrückt. „Sie halten sich nur nicht immer daran!“

„Ich hatte den Eindruck, als wollte Milliam sich daran halten.“

Sheppard blickte auf die Tür. „Und ob man deshalb freigelassen wird, ist auch nie sicher! Die kassieren am Ende das Lösegeld und bringen einen trotzdem um!“

Sheppard blickte an den Bambuswänden entlang und dann wieder auf Archibald Duggan. „Ist es weit bis zur Straße?“

„Noch nicht mal eine Stunde zu laufen.“

„In welcher Richtung?“

Archibald zeigte auf die rechte Wand. „Dahin. Die Himmelsrichtung weiß ich nicht, aber ich würde denken, man muss nach Süden.“

„Wir sollten es versuchen!“, raunte Sheppard mit vorgeneigtem Oberkörper.

„Ich habe mehr als ein Dutzend Männer gezählt, Mister Sheppard. Ein paar stecken noch im Busch. Es müssen also an die zwanzig Mann sein, mit denen wir es zu tun haben. Dazu noch sechs Mädchen, Janet und die Urwald-Lady, wenn ich sie mal so nennen darf. Und die Posten hören uns schon darüber reden.“

Sheppard blickte wieder auf die dünne Wand. Der Schweiß rann ihm nun in Bächen über das Gesicht und glitzerte im Lampenlicht in seinen Bartstoppeln.

„Die sind alle bis an die Zähne bewaffnet“, fuhr Archibald Duggan fort. „Und sie rechnen sicher auch damit, dass jeder an nichts weiter als Flucht denkt, wenn er sich in ihrer Gewalt befindet.“

„Diese Halunken!“, zischte Sheppard. „Was haben wir schuften müssen, bis wir die Mine endlich rentabel hatten und bis es die Straße durch den Urwald gab!“

Archibald stand auf und steckte die Hände in die Hosentaschen. Er lächelte verächtlich und erwiderte: „Aber Sie doch nicht, Sheppard. Das haben die Indios gemacht, angetrieben von solchen Strolchen, wie der Ire einer ist. Und vielleicht noch ein paar andere Männer, arme Teufel, versteht sich. Hinter der ganzen Geschichte steckt schon eine gewisse Logik. Mehr jedenfalls, als euch recht sein kann.“

Die Tür knarrte leise.

Archibald blickte über die Schulter und sah Janet in die schäbige Hütte kommen,

Sheppard saß auf seinen Decken und starrte sie wütend an, während ein Zischen aus seinem Munde kam. Aber Janet lächelte unbeeindruckt. Sie hatte amerikanische Farmerhosen an und eine derbe Lederjacke, deren Kragen hochgestellt war.

„Was bildest du verdammtes Biest dir denn ein, was sie mit dir machen, wenn ihre Revolte Erfolg haben könnte?“, schimpfte Sheppard. „Du bist für die ein Gringo, genau wie ich, wie Archibald Duggan und andere, die nicht in dieses Land von Geburt gehören!“

Janet lächelte noch immer überlegen und selbstsicher. „Ich interessiere mich nicht für Revolten, Mister Sheppard. Mit dem, was diese Leute hier wollen, hab ich nichts zu tun. Fragen Sie Archibald Duggan, der weiß es.“

„So, nichts damit zu tun.“ Sheppard nickte grimmig. „Du willst dir also nur was von der Beute in die Tasche stecken, was?“

„Ja, Mister Sheppard“, gab Janet noch immer sicher lächelnd zu. „Ich will endlich mal ein paar tausend Dollar in die Hand bekommen. Auf einmal, verstehen Sie! – Einmal ein wenig mehr, als man gleich wieder ausgibt!“

„Habgierige Bande!“, schimpfte der Gefesselte.

Archibald setzte sich wieder.

„Auf keinen kann man sich heute verlassen!“, zischte Sheppard.

„Für euch sind andere Menschen doch nur auf der Welt, um euren Reichtum zu vermehren“, sagte Janet scharf. „Sie haben doch, solange Sie leben, im Fett gesessen, Sheppard. Oder mussten Sie jemals einen Dollar umdrehen, bevor Sie ihn ausgaben?“

„Als ich studiert habe ...“

Janet schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab. „Ans Studieren sind andere gar nicht erst gekommen. Aber ich sehe schon, Sie glauben wirklich an das, was Sie sagen.“ Janet blickte von Sheppard auf Archibald und setzte hinzu: „Es lohnt sich nicht. Er kann die nicht verstehen, die seinen Reichtum schaffen.“

Sie drehte sich um und ging hinaus. Die Tür fiel zu und die ganze Bambushütte schwankte. Archibald war sicher, dass man sie umwerfen konnte, ohne viel Kraft aufwenden zu müssen.

„Habgierige Bande!“, schimpfte Sheppard. „Da lässt man sie arbeiten und leben und ordentlich was verdienen, und was machen diese Strolche? – Der Teufel soll sie holen.“

„Jetzt kommen Sie sich wie der liebe Gott vor“, sagte Archibald leise.

„Was?“

„Sie haben gesagt, Sie würden diese Strolche arbeiten und leben lassen.“

„Stimmt das denn nicht?“

„Ich weiß nicht, woher Sie das Recht ableiten wollen zu bestimmen, wer zu leben hat und wer nicht, Sheppard.“

„So wörtlich war das doch nicht gemeint, verdammt!“

„So haben Sie es aber gesagt, Sheppard. Und so war es auch gemeint, auch wenn Sie sich nie die Mühe gemacht haben sollten, darüber nachzudenken ...“

„Sie sind ein Roter, Duggan!“

Archibald nickte. „Für einen Mann, der studiert hat, sind Ihre Argumente dünn, Mister Sheppard.“ Er stand auf, ging zur Tür und öffnete sie.

„Warten Sie, Duggan!“, rief Sheppard.

Archibald blickte zurück. „Was denn noch?“

„Kommen Sie her!“

Archibald ging widerwillig zurück und neben den Decken in die Hocke. „Was denn, Sheppard?“

„Die bringen mich um, Mister Duggan!“, zischte Sheppard. „Ich kenne ihr Lager und eine ganze Menge der Kerle. Ich weiß von Janet! Aber vor allem, ich kann die Polizei oder das Militär hierher führen!“

Archibald richtete sich auf und blickte durch die jämmerliche Hütte. „Ich glaube nicht, dass den Rebellen an dem Lager was liegt. Solche Hütten lassen sich in kurzer Zeit an einer anderen Stelle wieder aufrichten. Und sie bleiben wahrscheinlich sowieso nie sehr lange an einem Ort. – Wenn Sie meinen Rat hören wollen: Machen Sie keinen Blödsinn, Sheppard. Milliam wird sicher dafür sorgen, dass Ihr Konzern bezahlt. Was sind schon zwanzigtausend Dollar für so eine große Gesellschaft? Ich rate Ihnen, machen Sie keinen Unsinn!“

„Die bringen mich um!“, flüsterte Sheppard, dem nackte Angst aus den Augen leuchtete. „Ich spüre es, Duggan!“

Archibald ging rückwärts. „Ich kann Ihnen nur raten, keinen Blödsinn zu machen, Sheppard. Die Rebellen wollen Geld und sind an Ihnen nicht die Spur interessiert.“

„Aber ich kann die Polizei oder das Militär hierher führen!“

Hinter Archibald öffnete sich die Tür. Er wandte sich um und sah Pablo, den vollbärtigen Bolivianer. Er blickte prüfend durch den Raum und auf Sheppard, dann trat er zurück und schob die Tür zu.

„Ich muss mal raus!“, rief Sheppard.

Pablo kam wieder herein und winkte mit einer Kopfbewegung. Ein weiterer Mann betrat die enge Hütte, schob Archibald gegen die Wand, befreite Sheppard von den Fußfesseln, zog ihn auf die Füße und stieß ihn zur Tür.

Archibald folgte den beiden und blickte ihnen draußen nach.

„Da hinten ist die Latrine“, sagte Pablo grinsend, während er ebenfalls aus der Hütte kam. „Aber es stehen überall Wachen, Gringo!“

Archibald ging zum Feuer, um das die Männer, Janet und ein Teil der jungen Mädchen auf dem Boden saßen. Der Weiße, den sie Mao nannten, hatte sein zerfleddertes Buch aufgeschlagen und las auf spanisch Verse vor. Er hob langsam den Kopf und sagte: „Gesammelte Aussprüche von Mao Tse Tung, Mister. Hören Sie ruhig zu, da kann jeder noch was lernen, auch wenn er sich wer weiß wie gescheit vorkommt.“

Mao senkte den Kopf und las mit veränderter Stimme weiter vor. Ein paar der Männer und Mädchen lauschten ihm scheinbar gespannt, andere schienen sich zu langweilen.

Janet sagte: „Ich wünschte, wir hätten Sheppard schon verkauft, und ich könnte das Land verlassen.“

Mao klappte seine Bibel der Revolution zu. „Du willst uns wirklich verlassen, Janet?“

„Was hast du denn gedacht? Ich will doch von meinem Geld was haben. Ich bin doch Realist!“

„Realist?“, fragte Mao gedehnt und mit einem verächtlichen Lächeln im Gesicht. „Eure Konsumwelt ist nicht die Realität, Janet. Das reden sie euch nur ein, um immer neue Profite machen zu können. Damit ihr ausgebt, was ihr verdient und immer wieder für sie arbeiten müsst. Das ist die Realität.“

„Und diese Realität müssen wir ändern“, sagte ein anderer, der zustimmend nickte. „So ist es, Mao!“

Janet bog die Mundwinkel nach unten. „Ihr könnt ja machen, was ihr wollt. Aber Freiheit ist jedenfalls, dass ich auch machen kann, was ich will. Und Freiheit wollt ihr ja – oder?“

„Sie lernt es nie“, brummte einer.

„Natürlich kannst du machen, was du willst“, sagte Mao und klappte sein Buch wieder auf.

Sheppard kam vor zwei Bewachern aus dem Dickicht und blickte herüber. Die beiden Rebellen stießen ihn mit ihren Maschinenpistolen in die Bambushütte hinein und folgten ihm.

Kaum hatte sich die Tür geschlossen, öffnete sich eine andere, und Lolita tauchte auf. Sie winkte Archibald.

Er ging um das Feuer, sah noch das Sprühen in Janets Augen und dann nur noch die schöne Frau in der aufgeschwungenen Tür. Sie trat zurück. Archibald ging hinein, zog die Tür zu und lehnte sich mit der Schulter an die Wand.

Die Hütte war genauso eng und schäbig wie die andere, in der Sheppard hausen musste. Lediglich ein vergilbtes Plakat, auf dem Lenin zu sehen war, und eine rote Fahne hingen an der Wand.

Lolita setzte sich auf eine umgestülpte Bananenkiste hinter dem Tisch und legte die Hände auf die rohe Platte. Sie hatte schöne Hände, schlank und mit langen Fingern.

„Ja?“, sagte Archibald.

„Ich will dir sagen, dass ich bei Tagesanbruch das Camp verlasse, Archibald.“

„So?“

„Ich muss nach La Paz zurück.“

„Du bist überhaupt selten hier, was?“

„Ja, sehr selten. Aber ich arbeite nicht in dem Konzern, zu dem die Zinnmine gehört.“

„Das dachte ich mir schon. Ihr hättet Janet dann vermutlich nicht bemühen brauchen. Wie seid ihr denn mit ihr zusammengekommen? “

„Wir suchen zu allen Arbeitern Kontakt. – Setz dich doch.“

Archibald Duggan ging zum Tisch und setzte sich der schönen Frau gegenüber auf eine Kiste. Sie griff nach seinen Händen und lächelte. „Die Revolution wird nicht nur mit Feuer und Rauch gemacht, Archibald. Man muss auch Menschen mit Kopf dabei haben; Männer und Frauen!“

„Denkst du dabei an mich?“

„Ja, das weißt du doch. Ich würde dich gern für unsere Sache gewinnen.“

„Ich gehöre nicht hierher, Lolita.“

„Es ist doch egal, wo man lebt, wenn es nur für eine gerechte Sache ist.“

Archibald zog die Hände unter den ihren hervor und nahm sie vom Tisch. „Was ist denn daran gerecht, dass ihr den Fahrer von Sheppards Wagen einfach über den Haufen geschossen habt? Der war letzten Endes einer von euch!“

Lolita stand auf. Kälte stand auf einmal in ihren großen Augen. „Er und der Leibwächter haben sofort nach den Waffen gegriffen. Wir hatten von daher keine Wahl. Im Übrigen sind es solche Männer, denen die Kapitalisten ihre Macht verdanken. Sie, ihre Polizeiknechte, die Militärs und das Geld, das sie nach Wohlverhalten verteilen, das ist die Macht der Kapitalisten. Allein wären sie gar nichts; nicht mehr als eine kläffende Meute alter Wölfe, die man allein mit Knüppeln vertreiben könnte! Es sind die Handlanger, mit denen wir es zu tun haben.“

Archibald lehnte sich auf der Kiste sitzend an die Wand und blickte in die flammenden Äugen der jungen Frau, und er begriff, dass sie an das glaubte, von dem sie sprach. Sie, Mao und ein paar andere waren überzeugte Guerillas, die nicht das Abenteuer suchten, sondern ihre Sache durchsetzen wollten, so hoffnungslos das auch schien.

Sie setzte sich wieder, und die Kälte verschwand langsam aus ihren Augen. „Man muss darüber nachdenken, dann weiß man bald, wie ungerecht die Welt des Kapitalismus ist, Archibald. – Denke darüber nach. Ich komme in der nächsten Nacht wieder. Du kannst hier wohnen, es ist meine Hütte.“

„Was wird mit Janet?“

„Sie bekommt ihren Anteil und wird verschwinden.“

„Ihr lasst sie wirklich gehen?“

„Ich halte mein Wort immer. Sie ist für uns ungefährlich, denn sie kann keinem Menschen sagen, wie sie zu dem Geld gekommen ist, und wenn sie von der Polizei gegriffen wird und plaudert, dann wird die Polizei zu spät kommen. Wir waren sowieso schon viel zu lange hier: Wir werden das Camp verlassen, sobald Sheppard verkauft ist.“

„Und wann soll das sein?“

„Mal sehen. Vielleicht schon übermorgen.“

Archibald betrachtete sie, erwog einen Moment, ihr zu sagen, dass es ein schweres Verbrechen war, dessen sie sich schuldig machen wollten, aber dann fielen ihm die erschossenen Männer Sheppards ein. Das würden die Gerichte Mord nennen und mit dem Tod bestrafen.

„Wir leben nicht nach den Gesetzen der Kapitalisten“, sagte Lolita, als hätte sie seine Gedanken erraten. „Wir haben unser eigenes Gesetz, Archibald; ein Gesetz, das alle Menschen eines Tages gleich behandeln wird. – Und wir brauchen Geld, um Waffen kaufen zu können. Waffen bedeuten für uns neue Freunde und eine Erhöhung unserer Schlagkraft. – In diesem Land leben über drei Millionen geknechteter Menschen, und wir haben nur zehntausend Soldaten gegen uns. Die Polizei und ihre Hilfstruppen mitgerechnet dreizehntausend Mann.“

„Die aber ganz gut ausgerüstet sind!“

„Das nützt im Urwald und in den Bergen nicht viel. Wenn wir die Arbeiter bewaffnen, fegen wir das System über Nacht davon!“

Archibald stand auf und streckte sich.

„Hab ich dich gelangweilt?“, fragte die junge Frau mit blitzenden Augen.

„Nein, Lolita. Du hast studiert, nicht wahr?“

„Ein paar Jahre. Zwei davon in Harvard, wo sie die Elite ihrer Gesellschaft ausbilden. Aber es hat sich auch dort schon manches geändert. – Leg dich schlafen. Wir können morgen Abend weiter darüber reden.“ Sie ging zur Tür und öffnete sie.

„Du wagst eine Menge“, sagte Archibald schleppend. „Hast du denn gar keine Angst, dass sie dir auf die Schliche kommen könnten? Es gibt sicher genug unter deinen geknechteten Landsleuten, die sich die Million Pesos verdienen möchten.“

„Von meinen Landsleuten keiner“, erwiderte sie. „Auch wenn einen die Habgier dazu treiben könnte, er würde wissen, dass er mit der Million nichts mehr anfangen kann. Vielleicht wäre er schon tot, wenn er sie bekommen soll.“

„So sicher wäre ich an deiner Stelle nicht, Lolita. Wenn ich das richtig mitbekommen habe bei der Polizei, bist du seit Che Guevara die meist gehasste Person in diesem Land.“

Blitze schossen aus ihren Mandelaugen. „Ihr Hass bestätigt nur, wie gefährlich wir für ihr System sind. Bis morgen, Archibald. Und denke daran, sie schießen manchmal ohne Anruf!“

Der 12 Romane Krimi Koffer Juni 2021

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