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Sie kam erst während der folgenden Nacht zurück. Archibald lag bereits auf dem aus Decken zusammengebauten, harten Lager auf dem Boden, und er hörte sie draußen mit den anderen, vor allem mit Janet, reden. Dann kam sie herein, schob die Tür zu und war im Dunkel nicht zu erkennen.

„Schläfst du, Archibald?“, fragte sie.

„Nein.“ Archibald erkannte sie undeutlich, wie sie die Patronengurte ablegte und sich auszog. Dann legte sie sich zu ihm, legte den Arm um seine Schulter und küsste ihn.

„Morgen“, sagte sie.

„Was?“

„Morgen, werden wir Sheppard übergeben und das Geld bekommen. Dann verlässt uns Janet. Wir bleiben noch eine Nacht und vernichten das Camp dann.“

„Willst du bei uns bleiben?“

„Für ein bis zwei Wochen. Ich bin angeblich nach Mexiko gereist.“ Sie küsste ihn wieder.

„Janet gefällt es sicher nicht, dass ich hier bin.“

„Janet gehört nicht zu uns.“

„Ich gehöre auch nicht zu euch.“

„Aber du wirst eines Tages einer von uns sein.“

„Oder tot, was?“

Sie lachte leise und schmiegte sich an ihn, und obwohl er es nicht wollte, griff er nach ihren Hüften, die sich heiß anfühlten.

„Du wirst zu uns gehören, ich fühle es“, flüsterte sie. „Du bist doch auch für Gerechtigkeit. Und die anderen sind nicht gerecht, das weißt du genau!“

„Es ist immer ziemlich einfach, den Regierenden Fehler nachzuweisen, Lolita. Aber es ist nur Einbildung, wenn man glaubt, man würde selbst keine Fehler machen. Ihr habt doch eine gewählte Regierung!“

„Sie sind Marionetten des ausländischen Kapitals!“, stieß sie heftig hervor und setzte sich.

„Aber gewählt“, beharrte Archibald.

„Mit falschen, fadenscheinigen Versprechungen kamen sie an die Macht. Und uns stellten sie den Indios als Menschenfresser und sonst etwas dar. Es ist so einfach, die Indios zu belügen. Und es ist auch nicht so, dass jede Stimme das gleiche Gewicht hätte wie in anderen Ländern!“

„Ich will nicht mir dir streiten, Lolita.“ Sie legte sich wieder neben ihn. „Aber was ihr betreibt, ist eine nackte, brutale Diktatur. Ich zum Beispiel habe eine ganze einfache Wahl, ich kann für euch sein oder sterben. Mit anderen Worten: Willst du nicht mein Bruder sein, schlag ich dir den Schädel ein. – Du bist im Irrtum, wenn du meinst, das wäre die Freiheit!“

Sie lachte leise und schmiegte sich wieder an ihn. „Ich will dich für mich und meine Revolution haben, Archibald. Du kannst dich nicht mit anderen vergleichen!“

Draußen waren plötzlich Rufe zu hören. Dann hämmerte eine Maschinenpistole in die Nacht hinein.

Lolita war mit einem Satz vom Lager, fuhr in ihre Khakihose, zog die Bluse an und rannte hinaus.

„Der Gringo flieht!“, rief jemand.

Dann tackerten wieder Maschinenpistolen, und ein gellender Schrei hallte durch den Urwald.

Archibald zog seine Hose an und ging hinaus. Zwischen den Hütten brannte das große Feuer. Mädchen und Männer mit glitzernden Waffen in den Händen standen herum und blickten auf die Lianen, die wie verfilztes Gestrüpp den Lagerplatz umgaben und sich um gewaltige Baumstämme wanden.

Zwei Rebellen tauchten auf, die jeder den Fuß eines Mannes in der Hand hatten. Archibald erkannte, dass es Sheppard war, den sie über den Boden schleiften. Sie ließen ihn neben dem Feuer los, wo sich Lolita erst über ihn beugte und dann den Kopf hob.

„Er hat sich irgendwie befreit und ist losgerannt“, sagte Pablo. „Wir haben ihn immer wieder angerufen.“

Archibald ging bis zum Feuer. Sein Schatten fiel auf den dicken Mann, dessen gebrochener Blick ins Nichts gerichtet war. Er hatte keine sichtbare Verletzung. Archibald Duggan bückte sich, drehte die leblose Gestalt herum und sah ein halbes Dutzend Löcher in Sheppards Rücken. Er ließ ihn zurückfallen und richtete sich wieder auf.

Plötzlich stieß Janet einen gellenden Schrei aus, stürzte sich auf Pablo und wollte ihm das Gesicht zerkratzen. Aber der gewaltige Rebell stieß sie mit solcher Wucht zurück, dass sie zu Boden stürzte.

„Ihr verdammten Schweine!“, schrie Janet. „Das war doch Absicht! Das ist doch alles abgekartet, damit ich mein Geld nicht bekommen soll!“

Niemand antwortete ihr. Sie waren alle noch so geschockt, dass sie Janet vielleicht nicht einmal verstanden hatten.

Sie stand wieder auf und strich sich das blonde Haar aus dem Gesicht. Sie sah wütend aus, ihr Gesicht war verzerrt, und sie schien von einer Minute zur anderen zehn Jahre älter geworden zu sein.

„Ihr Schweine!“, schrie sie wieder. „Das war doch Absicht, damit ich meinen Anteil nicht bekomme!“ Sie fiel Pablo abermals an.

Der Bärtige packte sie, fluchte und schleuderte sie neben dem Feuer auf den Boden.

Sie schrie gellend, sprang wieder auf und fiel ihn erneut an, und er schlug ihr die flache Hand ins Gesicht. Sie stürzte auf die Knie und weinte verzweifelt.

Lolita blickte noch immer geistesabwesend auf den Toten, und Archibald wusste, dass es alles andere als ein abgekartetes Spiel war. Sheppard war die Hoffnung der Rebellen-Anführerin gewesen; die Hoffnung auf Geld für kostspielige Waffen und Munition, die sie brauchte, um ihre ehrgeizigen Pläne verwirklichen zu können.

Archibald wandte sich ab, ging in die Hütte zurück, zündete die Lampe an und setzte sich vor dem Tisch auf eine umgestülpte Bananenkiste an der Wand.

„Schweine, ihr verdammten!“, schrie Janet draußen wütend.

„Sollen wir ihn verscharren?“, fragte Pablo.

„Nein“, meldete sich Lolita. „Ich muss nachdenken. Legt ihn in die Hütte!“

„Ihr Schweine!“, schrie Janet.

„Und bringt sie endlich zur Ruhe!“, bestimmte Lolita. „Knebelt sie, wenn es nicht anders geht!“

Archibald blickte auf das Leninplakat. Es glänzte im Lampenlicht so sehr, dass es schien, als würde der Revolutionär Archibald Duggan angrinsen.

Lolita kam herein, blickte Archibald an, ging um den Tisch herum, setzte sich und legte die Maschinenpistole aus der Hand. Archibald hätte jetzt leicht danach greifen können, aber er ließ es, weil es keine Chance für ihn war.

Die Rebellen blufften nicht, das stand nun fest. Sie hatten auf die Abschreckung vertraut, und ihre Abschreckung bestand darin, auf den zu schießen, der zu entkommen versuchte. Das hatte Sheppard nicht ernst genug genommen, während sie selbst zu sehr darauf vertraut hatten, dass keiner den sinnlosen Versuch machen würde.

„War er denn verrückt?“, fragte Lolita.

„Er hat geglaubt, ihr würdet ihn sowieso töten“, gab Archibald Duggan zurück. „Er war überzeugt davon. Es wundert mich, dass er es nicht schon letzte Nacht versucht hat. Aber vielleicht dachte er, ich würde noch einmal zu ihm kommen.“

„Ich werde ihn trotzdem verkaufen“, sagte Lolita entschlossen und stand auf. Ihr Gesicht war hart und kantig geworden, die Backenknochen stachen durch die Haut, und in ihren Augen war es finstere Nacht. „Ich werde ihn verkaufen, das wirst du sehen!“

„Was hast du denn mit seinen Leuten vereinbart?“

„Das wirst du auch sehen. – Du weißt doch nun, dass keiner zweimal angerufen wird, wenn er zu fliehen versucht?“

„Das geht bis zur Selbstzerfleischung, was?“ Archibald Duggan lächelte die hübsche Rebellin an, stand auf, ging zu dem Deckenlager, zog sich aus und legte sich nieder.

„Es gibt keine Ausnahmen“, sagte Lolita schroff. „Wenn man einmal eine Ausnahme zulässt, wissen die Leute nie mehr, woran sie sind. Sie würden dann immer erst fragen, bevor sie etwas tun. – Ich werde ihn trotzdem verkaufen. Es ist ja nicht meine Schuld!“

„Sie werden aber dann wissen, dass du nicht fair spielst, Lolita. Und sie würden nie wieder so ein Geschäft mit dir machen.“

„Ich wollte das Geschäft sowieso nur einmal machen. Dort, wo ich die Waffen holen will, bekommen wir mehr für das Geld, als wir forttragen können.“

„Und Janet?“

„Sie bekommt trotzdem ihren Anteil. Sie kann ja auch nichts dafür.“ Lolita stand auf und ging zur Tür. „Ich komme gleich wieder. Und noch etwas, Archibald: Meine Leute sind jetzt noch genauso wachsam wie vor einer halben Stunde.“

„Das kann ich mir denken.“

Der 12 Romane Krimi Koffer Juni 2021

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