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Intervention 2. März 2014

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Habe die Ehre, Ihnen mitzuteilen, dass die Lieblingsfarbe der Silke Müller eines der dunkelsten Blau auf der Welt ist und HKS 41 heißt. Des Weiteren, dass Stephan Roiss voll der Hase ist. Wie alle Hasen ist er immun gegen Tod und Mumps. Wenn er nicht gerade zurückrudert, rudert er nach vor. Alle weiteren Informationen unter Hase Roiss 4020 Internet. Die Kurz-Graphic-Novel Hafen wurde von eben dieser Silke Müller illustriert, von eben diesem Stephan Roiss beschlagwortet, 2013 beim Literaturwettbewerb der Akademie Graz sowohl durch einen Vergleich mit Sartre und Beckett als auch mit dem 1. Preis ausgezeichnet – und wird jetzt dann präsentiert, und zwar derart, dass die Arbeit auf diese jene Leinwand projiziert wird, Silke Müller die Bilder durchklickt und Stephan Roiss den Text liest. – Sobald ich still.

Der Roiss, die Müller leben in Linz. Er ist 1983 geboren, sie – ich weiß nicht, wann. Er arbeitet unter anderem als Vokalist, Performer, Radiojournalist. Sie ist Kommunikationsdesignerin. Aufgewachsen an der Ostsee. Prinzipiell illustriert Silke Müller fast naturalistisch, Lebewesen treten dabei nie in Massen auf, sondern einzeln oder in Paaren.

Da ich ausdrücklich dazu angehalten bin, Subjektives von mir zu geben, gebe ich hiermit von mir, dass ich angesichts all der Arbeiten, die ich zu Gesicht bekommen habe, mit Müllers akademischer Abschlussarbeit am meisten sympathisiere. Da hat sie nämlich u. a. in Schwerin und Hamburg Menschen interviewt, ihnen Wunschgutscheine gegeben, sie gefragt, was sie ihnen zeichnen soll. Diese fertigen händischen Illustrationen wurden dann wiederum von diesen Menschen kommentiert, also mündlich retour-illlustriert. Das erinnert mich, Pardon, an das Marxwort von der freien Assoziation freier Individuen und an die Gerechtigkeitsmaxime Jedem nach seinen Bedürfnissen, jeder nach seinen Fähigkeiten. Denn in Müllers akustischem Bilderbogen äußern Menschen, was ihnen das Leben leichter macht.

Roiss beeindruckt mich zuvorderst mit seiner Romanerzählung Gramding, erschienen 2012, handelnd – so scheint mir – von den Menschen, die ein Zivildiener 12 Monate lang in Not und Tod erlebt, und davon, dass infolge von Organisationsverschulden nie Abhilfe geschaffen wird. Gramding wurde von der Kritik mit Gottfried Benn assoziiert. Ich halte Gramding für ein zapatistisches Ding. Das ist das bessere Ding. Vielleicht nämlich müsste man bloß einmal 30 junge Zivildiener ihre Memoiren schreiben lassen. Das reicht aus, die Politik neu zu erfinden. Vorausgesetzt, sie wurden im Sozialdienst nicht hilflos und unklug gemacht, wie die Erwachsenen sind.

Die Jurybegründung für den Literaturpreis an Roiss und Müller verweist, wie gesagt, auf Beckett und Sartre. Das wäre nicht nötig. Roiss und Müller sind selber wer. Können etwas, das einmal – von wem auch immer – wie folgt formuliert wurde: Freiheit ist jene kleine Bewegung, die einen Menschen macht. Müller und Roiss können das. Es ist auch sinniger als jene kleine Bewegung, die in einem berühmten Meerfahrer-Comic erzählt wird, nämlich dass der Handfläche eines Kindes die Glückslinie fehlt. Da nimmt es ein Messer und schneidet sich selber seine Schicksalslinie neu. Werte Damen und Herren – Silke Müller, Stephan Roiss und ihre Novelle Hafen.

Lesefest NEUE TEXTE 2014, Kulturzentrum bei den Minoriten, Graz

Ich zähle jetzt bis drei

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