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1.2. Begriffe: chansons de geste, riddarasögur

chansons de gesteriddarasögurDie oben genannten Texte lassen sich in ihrer Überlieferungsgeschichte nicht nur verschiedenen historischen und sozialen Kontexten zuordnen, sondern vertreten unterschiedliche Genres, die an dieser Stelle einer näheren Erläuterung bedürfen. Neben zentralen Charakteristika wird im Folgenden in erster Linie auf die von der Forschung als relevant angesehenen Funktionen der jeweiligen Gattung eingegangen.

1.2.1. Chansons de geste

Die weiter oben aufgelisteten altfranzösischen Vorlagen der ostnordischen Bearbeitungen Chanson de RolandRoland, Voyage de Charlemagne à Jerusalem et à Constantinople, Chanson d’Aspremont und Chevalerie Ogier le Danemarche gehören zur Gattung der französischen Heldenepik, den sog. chansons de gestechansons de geste. Die frühen chansons, vor allem das Rolandslied, stellen in der älteren Forschungsgeschichte laut Bernd Bastert die Höhepunkte der Gattung dar, während die neueren Texte als „depravierte, nicht mehr authentische Heroik“1 angesehen werden. Chansons de geste berichten von Heldentaten großer Persönlichkeiten, die Karolingerzeit mit der Figur Karls des Großen ist hierbei besonders zentral. Klassischerweise wurden die Gesten in drei Zyklen eingeteilt, den Cycle du Roi, den Cycle de Doon de Mayence und den Cycle de Monglane, deren strukturierendes Merkmal die Genealogie ist.2 Im Laufe der Forschungsgeschichte wurde diese Einteilung zugunsten einer thematischen Differenzierung modifiziert, so dass man die altfranzösischen Epen nun in den Cycle du Roi (Königsgeste), die Geste de Guillaume d’Orange (Wilhelmsgeste) und den Cycle des Vassaux révoltés (Empörergeste) unterteilt. Freilich werden auch mit dieser Klassifikation nicht alle chansons de geste erfasst, allerdings führe eine weitere Differenzierung der französischen Heldenepik in genealogisch organisierte Stoff- oder Erzählkreise zu einer „Flut von Zyklen, deren Spezifik oder auch deren Konnex kaum mehr überschaubar sind“.3 Bastert schlägt daher eine von François Suard entwickelte Differenzierung der französischen Heldenepik nach der jeweils dominierenden Thematik vor. Dabei unterscheidet Suard drei Typen: Typ A vereint Texte, die eine kriegerische und religiöse Auseinandersetzung zwischen Christen und Heiden zum Gegenstand haben. Dazu zählen die meisten Epen des Cycle du Roi, u.a. Chanson de Roland, Chanson d’Aspremont und der kurze Voyage de Charlemagne à Jérusalem et à Constantinople. Im Mittelpunkt steht der Kampf Karls des Großen gegen die Heiden. Zum Typ B, den Empörer- und Geschlechtergesten, chansons de révolte et de lignage, gehören Texte mit feudaler Thematik, also Vasallität oder dynastische Konflikte und deren Bewältigung.4 Dazu zählen die klassischen Empörerepen wie Renaut de Montauban sowie die Chevalerie Ogier, Raoul de Cambrai oder auch Elie de Saint-Gilles. Den dritten Typ C, chanson d’aventures, bilden Texte mit einer großen Anzahl fantastischer Motive bei gleichzeitiger Ansiedlung im karolingischen Chronotopos. Wie Bastert feststellt, weist der Typ C mit seinen „Kombinationen von Verwechslungen, Trennungen und Wiedervereinigungen“5 starke Strukturanalogien zum antiken Reise- und Abenteuerroman auf, so dass sich eine wissenschaftliche Debatte, ob diese Texte überhaupt zum Genre der chansons de geste gehören können, nicht vermeiden lasse. Dabei wurden die chansons d’aventures als Depravation der ursprünglichen, archaischen Epen betrachtet, als „dekadente Spätblüten“6 – ein ähnliches (Vor-)Urteil galt lange Zeit auch den übersetzten höfischen Romanen in der skandinavischen Literaturgeschichte, ausgehend von den Idealen einer archetypzentrierten Philologie. Das narrative Potenzial dieser Texte, die Möglichkeit einer „fortgesetzten Horizontstiftung und Horizonterweiterung“Alteritätchansons de geste7 wurden nicht erkannt.

Nach dieser kurzen Skizzierung der Debatte um die Klassifizierung der chanson de geste ist es wichtig, die Strukturmerkmale dieser Dichtung festzuhalten, um zu prüfen, wie eben diese im Prozess der stilistischen und inhaltlichen Transformation aus dem Altfranzösischen ins Altnorwegische und später ins Ostnordische vor dem Hintergrund der veränderten Rezeptionsformen eliminiert, modifiziert oder womöglich übernommen werden.

Die chansons de gestechansons de geste sind anonym überliefert und präsentieren sich als Historienerzählungen, also als Berichte über abgeschlossene Begebenheiten in der Vergangenheit, welche jedoch für die Gegenwart und Zukunft des Rezipienten von Bedeutung sind.8 Im Gegensatz zu zeitgenössischen hagiographischen Schriften verwenden chansons de geste die Volkssprache und enthalten keine Hinweise auf Datierungen, sondern nur systemimmanente Markierungen, wie etwa Jahreszeiten und kirchliche Feiertage wie Pfingsten oder Ostern, so dass eine Verortung in einem außerliterarischen System nicht möglich ist. Der gegenseitige Bezug der chansons de geste aufeinander lässt die Erzählungen der altfranzösischen Epik wie ein großes Kontinuum erscheinen. Bernd Bastert spricht in diesem Zusammenhang von einem ausgefeilten „System der Verknüpfungen der einzelnen Texte zu teilweise sehr voluminösen Zyklen“.9 Als zentraler Bezugspunkt gilt dabei die in der Chanson de RolandRoland beschriebene Katastrophe von RoncesvallesRoncesvalles, deren Erwähnung in anderen Texten eine chronologische Beziehung dazu ermöglicht, während andere Gesten dezidiert die Vorgeschichte der Chanson de Roland darstellen, so z.B. auch der Voyage de Charlemagne. Bastert interpretiert all diese Vor- und Rückverweise als Strategie zur Herstellung einer geschlossenen Erzählwelt, eines jederzeit bezugsfähigen „virtuellen epischen Universums“,10 das eine Art Sagengedächtnis, also einen Teil des kulturellen Gedächtnisses darstellt, das für die zeitgenössischen Rezipienten selbstverständlich war. Für moderne Rezipienten ist jenes epische Universum allerdings nur schwer rekonstruierbar. In diesem Zusammenhang spricht Bastert daher von einem „epischen Substrat“, welches die verschriftlichte chanson de geste an den Fundus der gesamten zeitgenössischen französischen Sagentradition bindet und das Fundament der verschriftlichten chanson de geste bildet, durch das sie mit Authentizität aufgeladen wird.11 Die fehlende Rückbindung an das speziell romanische Sagengedächtnis beeinflusst allerdings die Rezeptionsmöglichkeiten der chansons in neuen literarischen Milieus. Die Frage nach der Transformation der Texte, welche, ihres epischen Substrates beraubt, in einen anderen kulturellen und sozialen Raum übertragen werden, ist für die vorliegende Untersuchung von zentraler Bedeutung.

1.2.2. Höfische Texte: Rittersagas, riddarasögur

riddarasögurDer Begriff der übersetzten riddarasögurriddarasögur, auch als Rittersagas, chivalric sagas oder sagas of knights bekannt, lässt sich schwer präzise definieren, obgleich er fest innerhalb der Forschung etabliert ist.riddarasögur1 Das Adjektiv ‚übersetzt‘ ist hierbei von besonderer Bedeutung und ist als Gegenpart zu den originalen, nicht übersetzten riddarasögur, den sogenannten lygisögur und fornaldarsögur zu sehen. Die Gattung der übersetzten riddarasögur subsumiert übersetzte Texte mit Vorlagen in der französischen, anglonormannischen oder deutschen Dichtung, welche während der Herrschaft des norwegischen Königs Hákon IV. Hákonarson (1217–1263) ins Altnorwegische übertragen wurden.

Neben den im 13. Jahrhundert ins Norwegische übertragenen höfischen Romanen gehören jedoch auch die altschwedischen und mitteldänischen EufemiavisorEufemiavisor sowie eine Reihe von norwegischen, schwedischen, färöischen und isländischen Balladen sowie isländische rímur, welche die durch die riddarasögurriddarasögur vermittelten ritterlichen Motive aufgreifen, ins selbe thematische Umfeld. Dessen Heterogenität und Vielfalt wird deutlich, wenn man sich die Stoffkreise der dafür verwendeten Vorlagen verdeutlicht. Zu nennen wären die französischen Heldengedichte chansons de gestechansons de geste aus dem breiten Fundus der matière de France, zu denen beispielsweise die Karlamagnús sagaKarlamagnús saga ok kappa hans, Elis saga ok Rósamundu oder Bevers saga zählen. Weiterhin gehören dazu auch die höfischen Romane der matière de Bretagne mit ihrem prominenten Vertreter Tristrams saga ok Ísöndar, die übersetzten Werke Chrétiens de Troyes, Ívens saga und Parcevals saga, sowie die lais von Marie de France, im Altnordischen unter dem Namen strengleikar bekannt. Zuletzt sind auch die auf den verlorenen lateinischen Vorlagen basierenden Flóres saga ok Blankiflúr, Partalopa saga und Clári saga zu nennen, welche der sogenannten matière d’aventure entstammen. Eine Gruppe der jüngeren riddarasögur bilden Texte wie Bærings saga, Mírmanns saga, Rémundar saga keisarasonar und Konráðs saga keisarasonar, für die keine fremdsprachigen Vorlagen bekannt sind. Auch die Antikensagas wie Alexanders saga, Breta sögur oder Trójumanna saga werden als Teil der riddarasögur angesehen, während die Þiðreks sagaÞiðreks saga af Bern, welche die Stoffe der germanischen Heldensage um Dietrich von Bern bearbeitet, und die Barlaams saga ok Josaphats, eine Übersetzung der lateinischen Legende, zwei „borderline cases“2 darstellen.

Diese keineswegs vollzählige Auflistung der übersetzten Stoffe offenbart die Heterogenität des Genres, das erst in den letzten Dekaden eine Aufwertung in der Literaturgeschichtsschreibung erfuhr, welche zuvor in der bipolaren, d.h. sich an der Genuinität bzw. Depravation durch Übersetzung orientierten Betrachtungsweise des Sagafundus verhaftet war. Gerade für die isländische Literatur fand die Bewertung literarischer Phänomene unter dem Gesichtspunkt der Konzeption isländischer Geschichte und Identität statt. Vor diesem Hintergrund waren Texte wie riddarasögurriddarasögur von einer „kanonisierenden Ausgrenzung seitens der Altnordistik“riddarasögur3 betroffen. Vor allem die kulturwissenschaftlich ausgerichteten Arbeiten Jürg Glausers, Stefanie Groppers und Susanne Kramarz-Beins räumen den übersetzten riddarasögur ihren Platz in der skandinavischen Literaturgeschichte ein als „ein herausragendes Beispiel für die Aneignung kulturellen Wissens durch die Adaption von Textmodellen aus einem anderen literarischen Zusammenhang“.riddarasögurÞiðreks saga af Bern4 Im gleichen Zusammenhang wie die übersetzten riddarasögur sind auch die zentralen Texte dieser Abhandlung zu verorten: die Bearbeitungen der altnorwegischen Karlamagnús sagaKarlamagnús saga ok kappa hans ins Schwedische und Dänische.

Die Übertragung höfischer europäischer Stoffe in die Volkssprachen des ostnordischen Kulturraums nimmt ihren Anfang mit den sog. EufemiavisorEufemiavisor, drei im Knittelvers verfassten Versromanen, Herr IvanHerr Ivan (1303), Hertig Fredrik af NormandieHertig Fredrik af Normandie (1308) und Flores och BlanzeflorFlores och Blanzeflor (1311/1312), laut Stefanie Würth „die ältesten in altschwedischer Sprache enthaltenen Beispiele des mittelalterlichen höfischen Romans“.5 Hier erfolgte die literarische Produktion über dynastische Verbindungen zwischen Norwegen und Schweden auf Initiative der deutschstämmigen norwegischen Königin Eufemia, so dass der soziokulturelle Hintergrund, nämlich das höfische Milieu, für die Transmission von größter Bedeutung ist.Eufemiavisor6 Die Adaptionen kontinentaler Stoffe brachten neben den zentralen Figuren der europäischen Literatur auch neue Gattungen und innovative Impulse im Umgang mit der Fiktionalität mit sich, was wiederum zur Herausbildung einer neuen Gattung beitrug, der sog. originalen riddarasögurriddarasögur oder Märchensagas, „a strange mix of the translated sagas and domestic genre the fornaldarsögur“.riddarasögur7

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