Читать книгу Heilkräuter - Überliefertes Wissen für Hausapotheke und Küche - Elfie Courtenay - Страница 9

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Belege aus der Vergangenheit

Eine Sonderausstellung im steirischen Volkskundemuseum Stainz

Diese Ausstellung wurde 1977 zum 800-jährigen Bestehen von Stainz initiiert, dessen Name 1177 zum ersten Mal erwähnt wurde. In der Begleitschrift heißt es, dass unter anderem schriftliche Quellen über den »Höllerhansl« und andere Naturärzte und Kurpfuscher ausgewertet wurden und Scharlatane und Quacksalber streng von den wirklichen Naturärzten getrennt wurden, die aufgrund von überliefertem Wissen und Erfahrung ihre Tätigkeit verantwortungsbewusst ausübten. Somit sei die Ehrenrettung des »Bauerndoktors« gelungen!

Höllerhansl und Bergliesl


Weißdornfrüchte

Berichtet wird vor allem über den »Höllerhansl« (1866–1935) aus Stainz in der Steiermark. Sein medizinisches Wissen hatte er vom Vater, der es bereits von seinem Vater übernommen hatte. Er benutzte die Harndiagnose, die Claudius Galenus von Pergamon bereits im 2. Jahrhundert nutzte und die sich das ganze Mittelalter hindurch hielt. Der Höllerhansl soll aufgrund des Schaumes, der sich beim Schütteln der Harnflasche bildete, die Krankheit erkannt haben, auch Farbe und Geruch des Harns waren von besonderer Bedeutung. Die große Sicherheit seiner Harnkenntnisse war überall bekannt, und die Kranken kamen von weither, um sich behandeln zu lassen. Je nach Diagnose verordnete er den Leuten jeweils ganz bestimmte Kräutertees oder einen starken Kräutersud, den er selbst herstellte. Die Kräuter brachten ihm Kräuterfrauen, eine war die noch heute legendäre »Bergliesl«. Weitere Zutaten zu seinen Kräuter-Medizinen, wie beispielsweise Bittersalz, holte er sich bei dem befreundeten Apotheker Sarnitz in Graz. Der Höllerhansl soll ein sehr religiöser Mann gewesen sein, er half jedem und nahm lediglich freiwillige Spenden an. Aber trotzdem gab es Neider, die ihn 1921 wegen Kurpfuscherei anklagten und behaupteten, er würde den Kranken mit betrügerischen Behauptungen das Geld aus der Tasche ziehen. Er wurde sogar verurteilt, aber zu einem relativ geringen Betrag, da außer dem Kläger alle Menschen hinter ihm standen – und so hat er auch nach dieser Verurteilung weiter als Bauerndoktor gearbeitet und noch vielen Menschen geholfen.

Durch die Recherchen des Stainzer Volkskundemuseums, vor allem durch Elfriede Grabner, wurde in den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts viel historisches Material gesichtet und ausgewertet. So konnten in der Steiermark an die 50 Naturheiler nachgewiesen werden, die ab dem Ende des 18. Jahrhunderts bis hinein in die 50er-Jahre des 20. Jahrhunderts gelebt und gewirkt haben. Manche waren für die »inneren Leiden« zuständig, andere waren »Boaheiler« (Knochenheiler), Zahnreißer oder »fürs Viech« (für die Tiere).


Traditioneller Hausgarten im Freilichtmuseum »Glentleiten« bei Großweil in Oberbayern

Eines hatten sie alle gemein: Sie verwendeten die heimischen Kräuter, die sie auch selbst mischten und als Tees weitergaben. Sie setzten Kräutertropfen an und kochten Salben. Die »Weberpeterin« (1863–1951), aus Lasselsdorf bei Stainz, verwendete über 100 verschiedene Kräuter. Ihr Wissen bekam sie vom Vater vererbt, der auch schon den Urin »vom nüchternen Magen« las und »aus dem Fall des Wassers« und der Farbe des Urins die Krankheit erkannte. Wenn sie den Urin schüttelte, bildeten sich Bläschen, und je nach Krankheit zeigten sie sich verschieden. Wenn sie selbst dann nicht weiterwusste, schickte sie die Kranken zum Arzt.

Überlieferungen zu den damals verwendeten Kräutern

Leider war nur noch wenig schriftliches Material auffindbar, da die Nachkommen der Kräuterfrauen und Laiendoktoren deren alte Bücher und Aufzeichnungen bereits verbrannt hatten. Sie müssen oftmals sehr besorgt gewesen sein, der Kurpfuscherei verdächtigt zu werden, wenn jemand die Unterlagen finden würde.


Hauswurz

Aber da auch jede Bäuerin ihre eigenen Hausmittel hatte, Kräuter sammelte und Salben, Einreibungen und Tropfen erzeugte, gibt es doch noch einige Hinweise auf bestimmte Kräuter und wie sie im 19. und bis ins 20. Jahrhundert hinein in der Steiermark Verwendung fanden.

Diese hier wiedergegebenen Ausführungen sind keinesfalls als »Rezepte« zu verstehen, sondern als kulturhistorische Informationen, die einfach Vergleichsmöglichkeiten mit heute üblichen Kräuteranwendungen bieten können:


Johanniskraut

Almgraupen (Isländisch Moos, Cetraria Islandica) wurden mit Salbei (Salvia) und Eibisch (Althaea officinalis) gemischt und mit Honig gesüßt als Lungentee empfohlen.

Baldrian (Valeriana officinalis) galt als Herztee. In Schnaps angesetzt wäre er gut, »wenn’s Herz unruhig wird« (vermutlich wurde nur die Wurzel verwendet).

Butter, frisch gerührt und »ungewaschen« (noch nicht von Buttermilch gereinigt), war sehr gut für Brandwunden und wurde bei der Geburtshilfe zur Erweiterung der Geburtswege eingesetzt und auch, wenn die Nachgeburt nicht abging.

Hauswurz (Sempervivum tectorum) wurde bei Hals- und Zahnschmerzen »ausgezuzelt«, also ausgesogen. Bei Ohrenschmerzen wurde der warme Saft eingetropft. Es wurde auch eine Heilsalbe aus Hauswurz, reinem Lärchpech (Lärchenharz) und etwas Kampfer gekocht. Es hieß, die würde sogar »an Hintern zuahoiln« (zuheilen), so stark wäre sie.

Hirtentäschelkraut/Täschelkraut (Capsella bursa-pastoris) galt als »wassertreibend«, also harntreibend.

Holunder (Sambucus nigra) wurde ehrfürchtig betrachtet. Es hieß, mit Hollerbranntwein »erhält man einem das Leben, wenn er schon im Sterben ist«, er wurde bei Rippenfell- und Lungenentzündung sowie bei Herzbeutelwassersucht empfohlen. Bei Fieber wurden die Blüten als Tee verabreicht, manchmal wurden auch noch etwas frische grüne Rinde und ein Apfel in den Tee gekocht. Die Beeren »sind gut für den Hals« und wurden bei Halsentzündung als heißer Saft getrunken.


Knoblauch

Huflattich (Tussilago farfara) »kann man gegen Asthma rauchen« (ist aber wegen der leichten Giftigkeit des Huflattichs sicher nicht als Daueranwendung zu empfehlen). Die Blätter wurden auch auf »offene Füße« (Ulcus cruris) aufgelegt.

Johanniskraut, Hanskräutl (Hypericum perforatum) nicht nur als Teekraut, sondern »Johanniskraut-Öl gut auf Brandwunden«.

Knoblauch (Allium sativum) wurde bei Zahnschmerz zerdrückt und auf die schmerzende Stelle gelegt. Er sollte auch bei »Eingeweidewürmern« helfen und wurde zusammen mit »Patika« (Aloe hepatica) und Wermut (Artemisia absinthium) in Schnaps angesetzt.

Kren/Meerrettich (Amoracia rusticana) wurde bei Fieber gerieben eingenommen oder als »Krenteig«, mit Roggenmehl vermischt, aufgelegt.

Lavendel/»Spiganari« (Lavandula angustifolia) wurde, in Schnaps angesetzt, zur Magenstärkung eingenommen, aber auch zum Räuchern bei Gicht verwendet.

Liebstöckel/Luststock (Levisticum officinale) sollte bei Gicht helfen und gut für die Lungen sein, als Tee getrunken »öffnete er die Luftröhre« (wirkte entschleimend). Aus den Wurzeln bereitete man »eine heilsame Salbe«.

Melisse (Melissa officinalis) war gut für den Magen und für das Herz, außerdem bei Kopf- und Zahnschmerzen.


Misteln auf einem Apfelbaum

Mistelzweige (Viscum album) wurden in Schnaps angesetzt und sollten vor Arterienverkalkung schützen.

Mutterblätter/»Frauensolfer«/Balsampflanze (Tanacetum balsamita) galt als Mittel bei Verletzungen, vor allem bei eitrigen Wunden, aber auch gegen Rotlauf (Wundrose).

Rettich/Schwarzrettich (Raphanus sativus niger) wäre für den menschlichen Körper »so viel als a Ruaßkiahra für’n Ofen«. (Der Rettich wäre für den menschlichen Körper so viel wie ein Rußkehrer für den Ofen.)

Ringelblumen (Calendula officinalis) wurden vielerorts für Heilsalben verwendet, die bei »offenen Füßen« (Ulcus cruris) aufgetragen wurden. In Schnaps angesetzt, wären sie das beste blutstillende Mittel gewesen, und »hatte ein Kind Rauden« (Schorf), nahm man reines Öl, gab die Blüten hinein und ließ es abstehen – das heilte.

Rosmarin (Rosmarinus officinalis) galt als herz- und nervenstärkend und wurde auch bei Geschwulst angewendet.

Sanikelwurzel/»Zauniglwurzn« (Sanicula europaea) wurde dafür geschätzt, selbst die »grauslichsten Wunden« zu heilen. Die Salbe der Mockbäuerin enthielt folgende Zutaten: »Rindschmalz, Lärchpech (Lärchenharz), echtes Bienenwachs, Wurzel von Beinwell (Symphytum off.), Wurzel von Liebstöckel (Levisticum off.), Fette Hennwurzn (Sedum telephium) und Nicklwurz (Sanicula europaea).«

Schafgarbe (Achillea millefolium) galt als Blutstiller und wurde auch bei offenen Wunden angewendet. Außerdem hat man sie bei zu starken Monatsblutungen gegeben.


Rosa Schafgarbe

Spitzwegerich/»Gspitztwegat« (Plantago lanceolata) galt als blutreinigend, der Breitwegerich hingegen »ist so viel für’s Fiaba, als er Wurzeln hat«.

Die Familie Ragginer, 200 Jahre Volksmedizin in Südtirol

Aufgrund glücklicher Umstände konnte der Nachlass der Familie Ragginer für das Südtiroler Volkskundemuseum in Dietenheim bei Bruneck gerettet werden.

Mehrere unveröffentlichte Handschriften (Publikation R. Asche und E.-D. Schulze, siehe Literaturverzeichnis S. 252) dokumentieren Volksmedizin und Leben im Lasankental bei Brixen in Südtirol in der Zeit von 1780 bis 1975.

Im Jahr 1781 heiratete der Gastwirtssohn Joseph Ragginer die Erbin des Hofes Kleinkaneid in Lüsen. Neben der Landwirtschaft soll er begonnen haben, sich um die medizinische Versorgung der 1000-Einwohner-Gemeinde zu kümmern. Es gibt dafür allerdings keine eindeutigen Belege. Aus Joseph Ragginers Zeit ist die Handschrift »Vademecum PASTOR BONUS« erhalten, die eine Fülle von Heilmitteln für Mensch und Tier beschreibt. Diese Rezepte repräsentierten im 18. Jahrhundert das Wissen der Ärzte und Laienmediziner in Südtirol.

Später setzte sein Sohn Joseph Ragginer junior die Tradition des Vaters fort und behandelte Mensch und Tier nach der Säftelehre (Humoraltherapie) und mit Mitteln der Volksfrömmigkeit. Aus seinen Tagebuchaufzeichnungen ist ersichtlich, dass er 130 einheimische selbst gesammelte Pflanzen, 30 teilweise erworbene Mineralien und 40 tierische Drogen in 78 Heilmitteln zur Behandlung von 40 Krankheiten verwendete.


»Blutströpfchen« mit Alpendistel


Medizinflaschen der »Ragginer« im Volkskundemuseum in Dietenheim/Südtirol

Als Joseph Ragginer junior 1873 starb, übernahm sein ältester Sohn Sebastian (1830–1899) den Hof Kleinkaneid. Er setzte die eigentliche ärztliche Tradition des Vaters nicht fort, war aber in ganz Tirol als »Salben-, Öl- und Wasserkramer« unterwegs. Im Keller von Kleinkaneid stellte er seine selbst gefertigten Medikamente nach den Rezepten seiner Vorfahren her. Er kaufte sich Bücher über die moderne Medizin der Wiener Schule und richtete im Futterhaus des Bauernhofes einen Kurbetrieb für Wasser- und Aschekuren ein.

Vademecum Joseph Ragginer junior, Oberhauser und Pastor Bonus

Als »Vademecum« wurde ein Buch bezeichnet, das als unentbehrlicher Begleiter zur Berufsausübung mitgeführt wurde. Einige der in diesen drei Schriften aufgeführten pflanzlichen Heilmittel finden Sie bei den Pflanzenporträts in diesem Buch.

Maria Ragginer, die einzige Tochter Sebastians, wurde bürgerlich erzogen. Sie führte nach dem Tod ihres Vaters ein Leben in Abgeschiedenheit und stellte »Produkte der Volksfrömmigkeit« her. Sie geriet noch zu Lebzeiten in den Ruf einer Hexe. Sie hütete die medizinischen Heilmittel und Geräte, ohne von ihnen Gebrauch zu machen. Ihr ist es zu verdanken, dass sämtliche Schriften und Aufzeichnungen ihrer Vorfahren erhalten blieben.

Als das Volkskundemuseum Dietenheim die Schätze von Kleinkaneid bergen konnte, wurde zum ersten Mal deutlich, wie diese Bauerndoktoren über fast zwei Jahrhunderte gearbeitet hatten. Im Haus befanden sich noch eine Vielzahl von Ölen, Pulvern, Wassern, Geistern und Tinkturen. 25 Mittel waren mit handschriftlichen Hinweisen über die Anwendung versehen, und so gab es Arzneien gegen Wunden, Gelenkleiden, Frauenkrankheiten, Purgiermittel (Abführmittel), Mittel gegen Erkrankungen der Atemwege, Augen-, Magen- und Nervenheilmittel. Zwei Medikamente trugen eine handschriftliche Zeitangabe auf dem Etikett: Ein Digitaliswein stammte aus dem Jahr 1870, ein Puder für offene Füße und Wunden aus dem Jahr 1895.

Die Bibliothek des Bauerndoktors Sebastian Ragginer enthielt drei Bücher zur Pflanzenbestimmung und 31 Werke über Arzneimittelherstellung.

Verschollenes Wissen

Auffällig ist, dass für die Zeit des 18. und 19. Jahrhunderts aus Süddeutschland kaum detaillierte Überlieferungen oder Aufzeichnungen zu Kräuterfrauen oder Bauerndoktoren vorliegen. Informationen finden sich am ehesten zu pflanzenkundigen Hebammen oder Klosterfrauen. Offenbar hat sich im südlichen Deutschland bisher noch kein Museum ernsthaft mit dem Thema »Volksmedizin« auseinandergesetzt.

Aus den handschriftlichen Aufzeichnungen des Bauerndoktors Oberhauser, der in der Nachbarschaft von Kleinkaneid lebte (Vademecum Oberhauser von 1825), geht hervor, dass er die Pflanzenteile vornehmlich zwischen dem 15. August und 8. September gesammelt hat. Er hat die Pflanzen frisch verwendet, den Saft ausgepresst oder im Schatten getrocknet, hat sie zerstoßen und gesiebt. Anschließend hat er die Pflanzenteile verbrannt oder in Öl gesotten, bis die Masse Blasen warf – oder er röstete sie in Butter. Wurzeln hat er zerstoßen oder zerschnitten, oder er band sie in ein Tüchlein ein und hängte sie in warmen Wein. Den Pflanzenbrei strich er als Verband auf, die Pflanzenasche legte er als Pflaster auf den Leib, oder er verrieb sie in Salben. Die Salbenmasse breitete er auf einem Tuch zum Eintrocknen aus und strich sie anschließend auf ein Papier, von dem er bei Bedarf abschnitt. Öle und mit Pflanzenteilen angereichertes, verflüssigtes Butterfett siebte er durch ein feuchtes Tuch und bewahrte die Masse in Büchsen oder Gläsern auf.


Kräuterkundige Frauen

Auch wenn die Bauerndoktoren fast immer Männer waren, so haben während der letzten Jahrhunderte doch auch unzählige kräuterkundige Frauen ihr ererbtes Heilwissen in den Dienst ihrer Nächsten gestellt. Stellvertretend für diese unzähligen Frauen möchte ich hier drei von ihnen erwähnen. Die folgenden Zitate stammen aus dem Volkskundemuseum Dietenheim:

Wurzelgraberin und Schnapsbrennerin Maria Tipotsch, geboren vor 1680, Witwe mit sieben Kindern, ansässig im Landgericht Sterzing. 1704 erhielt sie die Lizenz zum Brennen von Enzianbranntwein.

Hebamme Maria Ruener,

geboren um 1726 in Olang, legte 1769 die Hebammenprüfung in Innsbruck ab, nachdem ab 1765 die Hebammenausbildung in Tirol Pflicht wurde. Sie war im Bereich von Olang/Altrasen tätig. Landhebammen übernahmen die geburtshilfliche Betreuung von Mutter und Kind, bereits vor, sowie während und nach der Entbindung. In äußersten Notfällen durften sie auch die Taufe spenden.

Klosterfrau Maria Cajetana Kempterin,

geboren um 1703, gestorben 1788 im Kloster Säben bei Klausen, Oberapothekerin, Chor- und Kapellmeisterin im Kloster Säben.

Klöster sind mit ihren Bibliotheken seit dem Mittelalter wichtige Wissenshorte und -quellen der Naturheilkunde. In den klostereigenen Gärten und Apotheken setzten Klosterfrauen und Mönche ihr Wissen in die Praxis um.

Heilkräuter - Überliefertes Wissen für Hausapotheke und Küche

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