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„Guck mal, so sollen die Anzeigen aussehen!“ Janne reichte Josie eine gefaltete Karte über den Schreibtisch. Die nahm sie entgegen und inspizierte sie. Gutes, schweres Papier, cremefarben. Vorne die üblichen verschlungenen Ringe, innen drin der übliche Text:

Wir heiraten

Janne Metz und Franz Walhauser

02.05.1013 13:00

St. Korbinian in Leisenberg.

Unoriginell. Aber das sagte sie besser nicht, überlegte Josie, Janne war nun mal konservativ und außerdem schnell beleidigt. Sonst war sie okay, und eigentlich war sie auch keine Kollegin, sondern lediglich jemand, mit dem sie sich das Büro teilte, ein Winzkämmerchen im Historikerbau der Leisenberger Uni. Gleichzeitig waren die beiden ohnehin selten anwesend.

Jannes Schwerpunkt war Bildungsgeschichte, vor allem mittelalterliche Universitäten, Josie dagegen sammelte gerade Material für ihre Habilitation über die rätselhafte Politik des Grafen Roderich, der sich etwas unentschlossen in den Konflikt zwischen Habsburgern und Wittelsbachern um die Kaiserkrone im 14. Jahrhundert eingemischt hatte und in der Schlacht bei Mühldorf verschwunden war – gefallen? geflohen? Die Quellen waren sich da nicht einig, und Roderichs jüngerer Bruder Willibald hatte ihn beerbt und die Dynastie fortgesetzt. Roderich – ein bescheuerter Name, aber jeder kannte ihn, vom Herzog-Roderich-Platz her. Der Herzog war ein später Nachfahre, kurz von dem Reichsdeputationshauptschluss, der auch Leisenberg die Souveränität gekostet hatte…

„Und?“

Josie fuhr zusammen und nickte. „Entschuldige. Ja, sehr elegant. Nicht so überladen wie manche andere. Das Standesamt schreibt ihr nicht drauf?“

„Da wollen wir ja noch keine Gäste haben. Nur die Trauzeugen, und die wissen sowieso Bescheid. Zur kirchlichen Trauung kommst du doch auch?“

„Echt?“

„Ja, logisch!“ Janne strahlte sie an.

„Danke schön, da komme ich gerne. Habt ihr irgendwo einen Hochzeitstisch?“

Janne nannte ein recht teures Einrichtungshaus in der Burggasse. Josie seufzte innerlich und hoffte, dass es dort auch Kleinigkeiten gab, während sie sich den Termin notierte. Janne sah währenddessen auf die Uhr, schrak zusammen, rief: „Himmel, ich muss ja weg!“, warf alles in ihre riesige Umhängetasche und enteilte.

Halb zwei… kein Grund, schon aufzubrechen, außerdem hatte sie ab zwei noch Aufnahmegespräche in ihr Seminar „Die Gründung Leisenbergs – Mythen und Wahrheit“. Angesichts des entlegenen Themas rechnete sie mit etwa zwanzig Leuten, die in begehrteren Kursen wie „Barbarossas erster Italienzug“ nicht mehr untergekommen waren.

Sie aß schnell das Käsesandwich, das sie sich vorhin geholt hatte, und trank eine Flasche Wasser und einen Espresso, räumte die Unterlagen für ihr aktuelles Buch „Einführung in die Geschichte der Kreuzzüge“ beiseite und sah erwartungsvoll zur Tür. Kurz vor zwei klopfte es zaghaft, und als sie öffnete, fiel sie fast um: Der lange Gang war voller Studenten!

„Meine Damen und Herren, Ihnen ist aber schon klar, dass das hier die Gründung Leisenbergs ist und nichts mit Gold, Kronen und prächtigem Schlachtengetümmel?“

„Wissen wir!“, rief jemand. „Leisenberg ist doch cool!“

„Na gut. Aber mehr als fünfunddreißig Leute kann ich nicht aufnehmen. So viele Arbeiten lassen sich aus dem Thema auch wieder nicht herausschnitzen. Wer ist denn die oder der erste?“

*

Zwölf Leute hatte sie abweisen müssen, erinnerte sie sich, als sie gegen sechs nach Hause lief. Schön, in der Uni zu arbeiten und an der Uni zu wohnen. Kurze Wege, da konnte man nicht meckern. Die armen zwölf! Aber es gab sicher ein noch abwegigeres Thema als ihres, und da konnten sie dann ja reingehen… Sie hatte früher auch nicht immer ihre Wunschkurse erwischt… Typisches Elternsprech.

Immerhin hatte sie jetzt 35 Anmeldezettel, und jeder hatte sich auch schon ein Arbeitsthema ausgesucht. Es war ohnehin schon ganz schön spät für einen Anmeldetermin, aber das lag ja auch daran, dass dieses Seminar wie auch zwei andere nachträglich hatte eingerichtet werden müssen, da einige andere ausgefallen waren.

Egal. Mit den Referaten würde sie eben etwas später anfangen. Kurzreferate, dann schaffte man drei bis vier in einer Doppelstunde.

Aber jetzt war Wochenende! Sie schleifte ihre Unitasche mit dem Kreuzzugskram und den Korb mit ihren Einkäufen hinauf in den zweiten Stock und schloss auf. Sie liebte ihre Wohnung, klein, voll die Siebziger, aber praktisch und zentral. Einfach ein Glücksgriff – und wozu brauchte eine allein denn mehr als zwei Zimmer? Eins fürs Gesellige und eins fürs Private, also Schlafen und Arbeiten. Die Küche war funktional, das Bad in Ordnung – und die Miete nicht hoch.

Und sie hatte gestern schon geputzt, das war fast das Allerbeste. Also musste sie nur noch schnell die Einkäufe verräumen und sich ein bisschen frisch machen, dann konnte sie nach Waldstetten fahren, „heim“, sozusagen. Obwohl sie seit acht Jahren nicht mehr dort wohnte – und das auch nie mehr gewollt hätte – dachte sie immer noch „daheim“.

Merkwürdig eigentlich. Vielleicht blieb man in der einen oder anderen Beziehung tatsächlich immer Kind…

Sie wusch sich das Gesicht und puderte sich neu, kämmte ihre dunkelbraunen halblangen Locken, putzte ihre Brille und setzte sie wieder auf und musterte stirnrunzelnd ihre Kleidung. Nein, Jeans, ein Markenpolo und ein blauer Tweedblazer, das war völlig okay. Nichts Billiges, das Mama ärgern würde. Mama hätte sich ja schon sehr gefreut, wenn sich alle ihre Töchter bei angesagten Designern einkleideten – aber nur Letti tat ihr den Gefallen.

Gut, Letti war schon über dreißig und brav verheiratet. Horri ging noch zur Schule, da reichte es doch wohl, wenn sie ab und zu ein Paar neiderregend edler Designerjeans in der Schule zur Schau trug. Und sie selbst musste es in der Uni ja auch nicht übertreiben. Für bessere Anlässe hatte sie durchaus Kostüme und das eine oder andere schicke kleine Schwarze – aber für das allwöchentliche Abendessen am elterlichen Tisch? Wirklich nicht.

Musste sie irgendetwas mitnehmen? Sie drehte sich im Flur langsam einmal um sich selbst und entdeckte die DVD, die sie ihrer Mutter leihen wollte – „Desirée“ mit Marlon Brandon und Jean Simmons. Den Roman kannte Mama praktisch auswendig, seit frühester Jugend, aber der uralte Film war ihr offenbar entgangen – erst letzten Freitag waren sie darauf gekommen.

Josie steckte die DVD in ihre Tasche und grinste. Sie selbst war bei dieser Bonaparte-Manie Mamas noch am besten weggekommen, Letizia und Hortense waren weitaus blödere Namen als Josephine!

Vor allem Horri… die Lehrer, die nicht wussten, ob sie das deutsch oder französisch aussprechen sollten, und französisch war es dann auch noch so ein Zungenbrecher – Hortense Trunz. Was hatte Mama sich dabei eigentlich gedacht? Dass Horri möglichst schnell heiraten würde, um wenigstens den Nachnamen loszuwerden?

Richtung Markt gab es in der Avenariusgasse eine Tiefgarage, in der Josie einen Stellplatz gemietet hatte. Dorthin eilte sie nun, fuhr ihren Golf aus der Garage und machte sich auf den Weg nach Waldstetten.

Typischer Vorort – kaum Ortszentrum, nur einige Geschäfte um den kleinen Bahnhof, an dem die S-Bahn fuhr und ab und zu auch ein Bus hielt. Josie schlich durch die verkehrsberuhigten Straßen bis in den Wendelsteinweg und parkte vor Nummer 6.

Das Haus war wirklich schön, fand sie immer wieder. Eine richtige große alte Villa, die aussah, als wohnte die Familie seit Generationen darin, dabei hatten die Eltern sie erst vor zehn Jahren gekauft. Die Vorbesitzer waren kurz nacheinander gestorben, die Erben konnten sich nicht einigen und wollten dann doch lieber den Erlös teilen.

In der großzügigen Einfahrt standen der Phaeton von Papa und der schwarze Porsche von Mama, beide frisch gewaschen und nobel im letzten Tageslicht schimmernd.

Gut, dass ihr recht ungewaschener A3 auf der Straße stand! Aber dass der dicke Audi von Letti und ihrem Mann noch fehlte? Die waren doch immer so besonders pünktlich?

Sie klingelte, der Summer ertönte und in der Tür stand Elli, das Mädchen. Dass ihre Eltern sich ein Hausmädchen und eine Haushälterin/Köchin leisteten, fand Josie insgeheim dekadent – aber sie hätte diesen Riesenhaushalt auch nicht selbst managen mögen. Schon gar nicht alles putzen!

„Hallo, Elli, wie geht´s?“, grüßte sie freundlich. Elli lächelte. „Alles prima. Ihre Eltern sind im Wohnzimmer.“

Ja, wo sonst um diese Zeit?

„Danke schön.“

Das Wohnzimmer war eindeutig größer als Josies ganze Wohnung. Intarsienparkett, Stuckleisten, französische Fenster auf die Terrasse hinaus, mehrere Sitzgruppen – eine blassgraue vor dem verschnörkelten Kamin, eine dunkelgraue ganz plebejisch von dem Riesenfernseher, in einer anderen Ecke eine Musikhörgruppe aus vier schwarzledernen Relaxsesseln, und dann noch eine apricotfarbene Recamière mit Blick nach draußen.

Zum Träumen für die Dame des Hauses, hatte sich der Innenarchitekt wahrscheinlich gedacht.

Auf der Recamière lümmelte Horri, in Camouflage-Jeans und schwarzem Kapuzenshirt, vor dem kalten Kamin saßen ihre Eltern bei einem kleinen Sherry.

Josie feixte innerlich und trat ein.

„Josie, schön, dass du so pünktlich bist!“

Mama stellte ihr Gläschen ab und erhob sich elegant. Josie trat zu ihr, hauchte ihr ein Küsschen auf die Wange und begrüßte ihren Vater, dann setzte sie sich dazu und akzeptierte ebenfalls ein halbes Glas Sherry.

„Und, wie war deine Woche?“, fragte ihr Vater.

„Recht gut, danke. Meine Seminare im Sommersemester werden sehr ordentlich besucht sein, und mit dem nächsten Lehrbuch komme ich zügig voran.“

Papa nickte billigend, Mama seufzte.

„Sehr schön, mein Kind – aber sonst?“

„Wie – sonst?“, fragte Josie mit weit aufgerissenen Augen zurück, obwohl sie genau wusste, was Mama meinte.

„Hast du jemanden kennen gelernt, meint sie“, ertönte es von der Recamière. „Du kennst Mama doch, sie giert nach einem zweiten Schwiegersohn und weiteren Enkelchen.“

„Hor-tense!!“ Mama war beleidigt.

„Ach, das hast du gemeint, Mama?“ Josie grinste. „Sorry, kein Interesse.“

„Aber Josie, du musst doch – ich meine, jede Frau – du kannst doch nicht immer nur – das ist doch unnatürlich!“

„Mama, sprich doch mal einen Satz zu Ende, dann wird auch klar, was du eigentlich meinst! Aber ich bin so ganz zufrieden, und es reicht doch wohl, wenn Letti dich glücklich macht. Du erzählst doch immer, wie niedlich die kleine Seraphina ist. Und sie ist ja auch ein netter Fratz. Kannst du damit nicht zufrieden sein?“

Ihre Mutter strahlte auf. „Ach, Josie, das weißt du ja noch gar nicht!“

Während ihrer Kunstpause gab Horri genervte Geräusche von sich, und Josie bemühte sich, gespannt oder doch wenigstens interessiert dreinzuschauen. Es konnte etwas Spannendes oder nur etwas aus dem Bereich gekrönter Häupter sein.

„Kate ist schwanger“, riet sie also.

„Was – ja, aber das wissen doch nun wirklich alle, der Geburtstermin ist doch schon im Juli!“ Mama war entrüstet.

„Ja, sorry, ich lese diesen Quatsch halt nie. Also, was weiß ich Tolles noch nicht?“

„Letti ist schwanger!“

„Ah. Schön, ja. Glückwunsch. Ist sie heute deshalb noch nicht da?“

Mama nickte. „Ihr ist ja so übel, der Armen!“

„Genau wie Kate damals“, ließ sich Horri mit Grabesstimme vernehmen. Josie gluckste. „Ich dachte, man spricht da von Morgenübelkeit?“

„Mädchen! Gibt es keine anderen Themen?“ Papa schenkte sich noch einen Sherry nach, und Mama beobachtete das unzufrieden. „Aber Wolfgang – noch einer? Du wolltest doch…?“

Papa kippte das Gläschen und stellte das Glas beiseite. „Solche gynäkologischen Erörterungen schätze ich eben nicht so sehr.“

„Papa! Sag bloß, du warst bei unseren Geburten nicht dabei?“, spottete Josie.

„Nur bei Letti“, petzte Mama, „danach hatte er Ausreden. Jedenfalls ist die Nachricht doch fantastisch, nicht? Vielleicht bekommen die beiden endlich einen Stammhalter!“

„Stammhalter!“, murrte Horri, und Josie pflichtete ihr bei: „Mama, du klingst, als sei ein Bub endlich ein richtiges Kind und ein Mädchen bloß so naja. Das ist ja sowas von oldschool!“

„Was?“

„Altmodisch“, erläuterte Horri freundlich und rappelte sich von der Recamière auf. „Gibt´s nicht bald mal was zu futtern? Mir hängt der Magen in den Kniekehlen!“

„Hor-tense! Was für eine Ausdrucksweise! Kannst du dich nicht um etwas mehr Damenhaftigkeit bemühen – und ich dächte, wir hätten vereinbart, dass man sich abends zum Essen umkleidet? Was ist das denn für eine entsetzliche Aufmachung?“

Josie streckte Horri triumphierend die Zunge heraus.

„Jo-se-phi-ne!!“

Die beiden kicherten immer noch, als die Hausdame gravitätisch meldete, das Dinner sei serviert. Kopfschüttelnd folgte Josie den anderen ist das ebenfalls großzügig bemessene Esszimmer. Welchen Lebensstil sich ihre Eltern zugelegt hatten! Total übertrieben – zum Essen umziehen, Personal, diese Riesenhütte, dynastische Erwägungen…

Na, wenn es ihnen Spaß machte? Vielleicht brauchte man so etwas in Waldstetten. Sonst war hier ja auch nichts los.

Während die Suppe aufgetragen wurde, durften Horri und Josie sich nicht ansehen, um nicht wieder loszuplatzen; danach begannen sie sittsam zu löffeln. Tomatensuppe mit Croutons, nicht weltbewegend, aber durchaus schmackhaft, fand Josie und sagte das auch.

Böser Fehler.

„Möchtest du noch eine Tasse Suppe?“

„Danke, Mama, nein. Ich muss ja noch etwas Platz für das Übrige lassen.“

Mama seufzte. „Kind, isst du eigentlich genug? Mir scheint, du wirst immer dünner!“

„Natürlich esse ich genug. Und ich wiege immer das gleiche. Meine Klamotten passen auch immer noch, nichts schlottert. Du musst dir keine Sorgen machen!“

„Ach, ich weiß nicht… du siehst so richtig – wie soll ich sagen – ja, asketisch aus?“

Josie prustete Suppe über den Tisch und entschuldigte sich für die Sauerei auf dem blütenweißen Tischtuch. „Aber wenn du auch solche Sprüche raushaust, Mama!“

„Warum, was habe ich denn gesagt? So mager, wie du bist…“

„Ich bin nicht mager, sondern schlank. Und durchaus gut trainiert. Horri hat auch nicht mehr Speck auf den Rippen – und du übrigens auch nicht!“

„Horri! Horri ist ja auch noch ein Kind.“

„Mama!“ Jetzt war Horri beleidigt.

„Mit siebzehn? Nicht wirklich. Und, wie gesagt, du bist auch nicht gerade dick.“

„Ich achte eben auf meine Figur“, entgegnete ihre Mutter mit einem Rest an Würde.

„Na eben. Das tue ich auch.“

„Aber wozu? Du suchst ja gar nicht nach einem Mann!“

„Ach – und du suchst?“ Horri hatte sich schnell wieder erholt.

„Hor-tense!“

Horri hielt drei Finger hoch und grinste Josie zu, die mit fünf Fingern gegenhielt.

Bevor Mama fragen konnte, was das nun wieder bedeuten sollte, wurde der Hauptgang aufgetragen – Forelle Müllerin mit Herzoginkartöffelchen und jungen Brechbohnen. Lecker, fand Josie und aß munter drauf los.

„Kann ich jemandem anbieten, ab und zu auf Lady in Black zu reiten?“, wollte Horri wissen – aber wenigstens nicht mit vollem Mund, das hätte Josie nicht gelten lassen.

„Wenn sie wirklich reiten kann, warum nicht? Du hast ja genug für die Schule zu tun, mit diesem fürchterlichen G 8, nicht dass das Pferd zu wenig bewegt wird“, antwortete ihr Vater, der gerade methodisch seinen Fisch zerlegte. „Wer ist es denn?“

„Tessa“, kaute Horri nun doch.

Beide Eltern sahen fragend drein.

Horri schluckte herunter und schaute ergeben drein. „Teresa von Collnhausen. Kennt ihr doch, oder? Sie ist in meinem Mathekurs. Die volle Null in Mathe, übrigens.“

„Tatsächlich?“ Die Eltern sprachen beinahe im Chor. „Warum hat Teresa denn kein eigenes Pferd?“

Horri zuckte die Achseln und angelte nach den Kartoffeln. „Sie sagt, ihre Eltern wollen das nicht, weil sie so miese Noten hat. Aber ich glaube, die wollen bloß das Geld sparen.“

„Sparen? Die Collnhausens?“

„Ja, Mama, warum nicht? Geiz ist geil, weißt du doch.“

„Hor-tense!“

Horri hielt vier Finger hoch und zog ein unschuldiges Gesicht. Josie starrte auf ihren Teller, um nicht loszuprusten. Die Collnhausens kannte sie zwar auch, aber sie fand sie eher uninteressant.

Zugegebenermaßen die reichste und vornehmste Familie in Waldstetten – aber was war schon Waldstetten? Außerdem waren die Collnhausens unglaublich stereotyp, fand sie – er saß in diversen Aufsichtsräten, sie in allerlei Wohltätigkeitskomitées und Kunstvereinen, der Sohn gab den Playboy und die Tochter das verwöhnte Püppchen. Kein Kitschfilm konnte platter sein!

Und ob Tessa Collnhausen sich ein Pferd leisten konnte oder nicht, war ihr erst recht herzlich gleichgültig.

„Es ist doch nicht so tragisch, wenn Teresa nicht so gut in der Schule ist“, meinte Mama tatsächlich. „Ich meine – braucht sie denn das Abitur?“

„Stimmt“, grinste Horri und warf Josie einen verschlagenen Blick zu, „früh heiraten kann sie auch als Idiotin.“

„Hor-tense!“

Horri hielt Josie die Hand hin, und die kramte ächzend einen Fünfeuroschein aus der hinteren Hosentasche. Jeden Freitag das gleiche – aber Horri verdiente sich ihre Wettgewinne ja redlich, jedes Familiendinner war auf seine Weise lustig. Andererseits war das Geld auch leichtverdient, denn Mama auf die Palme zu bringen, war wirklich nicht gerade schwierig. Für fünf kleine Frechheiten fünf Euro?

Egal, sie verdiente so schlecht nicht, und Horri war immer noch Taschengeldempfängerin.

„Ernsthaft, Mama“, mischte sie sich dann hastig ein, bevor Mama nach dem Sinn dieser Finanztransaktion fragen konnte, „Das ist doch Unsinn! Warum sollte Tessa keine Bildung brauchen? Wer sagt denn, dass die Collnhausens immer so reich sein werden? Soll Tessa im schlimmsten Fall bei Aldi an der Kasse sitzen, weil sie sonst nichts gelernt hat? Ohne Abi reicht es doch nicht einmal für diese Tussenjobs in den Kunstgalerien.“

„Josie, du bist immer so negativ“, klagte ihre Mutter. „Die Collnhausens haben ein immenses Vermögen. Bist du nicht eigentlich mit Christoph Collnhausen bekannt?“

Josie zuckte die Achseln. „Man sieht sich ab und an bei Festen, und wir waren im gleichen Mathekurs.“ Sie gackerte. „Horri, ich glaube, das mit den Mathegenies ist genetisch bedingt – Chris konnte auch nicht gerade viel. Knapp, dass er im Abi nicht ins Mündliche musste.“ Sie kicherte noch einmal. „In der Abizeitung hat er nur eine Rubrik gewonnen.“

„Nämlich?“ Ihre Mutter klang direkt begierig.

Wer fährt als erster einen Porsche zu Schrott? Ich glaube, das hat er zwei Tage nach dem Abi geschafft.“

Mama lächelte nachsichtig. „Mein Gott, jung und munter… ist er eigentlich älter als du?“

„Keine Ahnung.“ Josie aß den letzten Bissen und legte ihr Besteck ordentlich auf den Teller. „Sehr gutes Essen, mein Kompliment an Frau Bösel.“

„Das mit dem Pferd finde ich aber tatsächlich merkwürdig“, beteiligte sich nun auch ihr Vater am Gespräch. „Ich muss mich da mal intensiver umhören, aber ich glaube, ich habe so etwas läuten hören, dass die Collnhausens tatsächlich irgendein Geldproblem haben. Vielleicht hat er irgendein größeres Geschäft in den Sand gesetzt.“

„Aber Wolfgang – drück das doch nicht so – so – so deutlich aus! Das ist unfein“, mahnte Mama.

„Claudia, krieg dich wieder ein, wir sind hier nicht in der Tanzstunde. Und ich will auch nicht, dass unsere Kinder sich nicht mehr trauen, die Wahrheit deutlich auszusprechen!“

Mama schwieg beleidigt.

„Seid ihr jetzt eigentlich im Golfclub?“, streute Horri noch Salz in die Wunde. „Da soll ja nächste Woche eine tolle Party stattfinden. Tessa hat gesagt, wenn sie auch Lady in Black reiten darf, nimmt sie mich als ihren Gast auf die Party mit.“

„Das ist ja sehr schön für dich“, lobte Mama matt.

Der Vater brummte. „Nein. Aufnahmesperre. Man müsste für uns eine Ausnahme machen. Ich meine, die Aufnahmegebühr wäre ja kein Problem…“

„Was kostet sowas?“, fragte Josie aus Höflichkeit.

„Fünfundzwanzig pro Nase“, antwortete ihr Vater mit wegwerfender Geste.

„Fünfzigtausend Euro, bloß um einen Ball durch die Gegend zu schlagen? Boah!“ Josie war ehrlich entsetzt. „Im Leisenberger Prinzenpark gibt´s einen Minigolfplatz, reicht der nicht?“

„Josie, du hast wirklich kein Gespür für die bessere Gesellschaft“, tadelte ihre Mutter und dirigierte Elli, die das Dessert auftrug, mit einer eleganten Handbewegung.

„Nee, Mama, da hast du aber mal Recht“, stimmte Josie ihr zu und reckte den Hals, um in die silbernen Schüsselchen zu spähen. „Ist das Eis? Au fein!“

„Nein. Panna cotta mit kandierter Limone.“

„Danke, dann verzichte ich. Wenn ich was hasse, dann den Geschmack von gekochter Milch.“

„Ich auch“, stimmte Horri zu.

„Ihr wisst eben nicht, was gut ist. Das ist ein ganz neues Rezept, ich habe es von Frau Regierungsdirektor Scheuerlein“, erklärte ihre Mutter.

„Oh – eine Regierungsdirektorin kocht neben ihrer Verwaltungstätigkeit auch noch selbst? Sehr fleißig!“, lobte Josie etwas unehrlich.

„Ach, Josie – langsam solltest du dich hier aber auskennen“, grinste ihr Vater. „Natürlich ist Frau Regierungsdirektor Scheuerlein einfach die Frau von Herrn Regierungsdirektor Scheuerlein, und garantiert lässt sie kochen. Stimmt´s, Claudia?“

„Ja, natürlich. Eine Frau als Regierungsdirektor, wo gibt´s denn sowas!“

„In der echten Welt durchaus“, schnappte Josie. „Die Scheuerlein ist selbst also gar nichts? Warum ist dann ein fieses Rezept von ihrer Köchin so heilig?“

„Scheuerleins sind im Golfclub“, gab Mama zu bedenken.

„Ach, und das ist sowas wie eine Heiligsprechung?“

„Josie, du verstehst das nicht. Aber du kennst doch unsere Situation hier in Waldstetten!“

„Jaja“, seufzte Josie, „ich weiß doch. Die Waldstettener Hautevolee. Oder was sich so dafür hält. Aber ganz ehrlich, was ist daran denn so wichtig? Ihr habt hier ein schönes Haus, ihr habt drei ganz, ganz tolle Töchter und eigentlich auch genug zu tun. Und arm seid ihr weiß Gott auch nicht. Was liegt euch an der Billigung von Leuten wie der ollen Scheuerlein und anderen reichen Hohlköpfen?“

„Nana“, machte ihr Vater und zog Josies verschmähtes Schüsselchen vorsichtig zu sich heran. „Harte Worte.“

„Wolfgang! Nicht so viel Süßes! Denk an deinen Blutzuckerspiegel!“

Er warf seiner Frau einen missvergnügten Blick zu und schob das Schüsselchen wieder weg.

„Dass du das fiese Scheuerlein-Zeug magst, Papa?“, wunderte sich Horri. „Und außerdem finde ich, Josie hat ganz recht. Was wollt ihr von den Scheuerleins? Sie ist doof und er ein staubtrockener alter -“

„-Sack“, vervollständigte Josie und feixte in sich hinein.

„Jo-se-phi-ne!“

„Ich schlag dich noch“, flüsterte Josie ihrer Schwester zu. „Zwei hab ich auch schon.“

„Phh! Fünf zu zwei für mich!“, zischte Horri zurück.

„Um die Scheuerleins geht es doch gar nicht“, erklärte ihr Vater. „Wir möchten eben in den Golfclub aufgenommen werden. Das gäbe sehr schöne geschäftliche Möglichkeiten für mich – und für Mama auch interessante Kontakte. Und da Scheuerleins nun mal im Golfclub sind… wie sollen wir denn sonst diese Aufnahmesperre umgehen?“

Josie seufzte. „Jemand Besseres ist nicht im Golfclub? Jemand, den man vielleicht tatsächlich freiwillig kennen möchte?“

„Collnhausens“, schlug ihre Mutter vor.

Horri kicherte. „Tessas Alte? Na, viel Spaß! Ich finde die schon ein bisschen seltsam. Letzte Woche war ich bei Tessa, um ein bisschen Kurvendiskussion in ihren kleinen Hohlkopf zu stopfen – und ich sag euch!“

„Ja, dann sag doch!“, reagierte Josie gereizt. „Jetzt wird es ja vielleicht mal interessant! Wie sind denn die Collnhausens so drauf? Vielleicht kann Papa sie ja erpressen, damit sie euch in den Golfclub reinlassen?“

„Jo-se-phi-ne!“ Das war Papa.

Josie wandte sich zu Horri. „Ich finde, das zählt doppelt. Vier zu fünf. Und jetzt pack mal aus.“

„Ach, sie hat mindestens drei hysterische Anfälle bekommen, die durchs ganze Haus geschallt sind, einmal, weil sie ihre – wie war das? – maronenfarbenen Wildleder-Louboutins nicht finden konnte, dann, weil sie einen Altersflecken auf ihrer linken Hand entdeckt hat und schließlich, weil irgendwas nicht perfekt geputzt war. Die reinste Furie. Und er war knurrig und unhöflich und hat sich dann mit dem Sohn gestritten. Worüber, habe ich nicht mitgekriegt, aber es wurde ordentlich mit Türen geknallt und gebrüllt und Chris ist dann mit hochrotem Gesicht raus und mit diesem affigen TT vom Hof gebraust, dass es nur so gestaubt hat. Tessas Zimmer ist ja genau über dem Portal.“ Das letzte Wort mit gespitztem Mündchen.

„Schade, Erpressung fällt flach. Zicke sein ist nicht strafbar – und wahrscheinlich ist das sowieso schon allgemein bekannt.“

„Frau von Collnhausen ist eine sehr verdienstvolle Frau!“ Mama war entrüstet. „Sie kümmert sich um die Waldstettener Kinderstiftung und um die Ausstellungen im Bürgerhaus. Und sie hat die Adventskonzerte in St. Severin angeregt. Wisst ihr noch, letztes Jahr?“

„Was macht denn die Kinderstiftung?“, wollte Josie wissen. „Das klingt ja wenigstens ganz vernünftig.“

„Sie möchte dafür sorgen, dass sie Kinder in der Grundschule ein ordentliches Frühstück bekommen. Auch hier gibt es Eltern, die ihre Kinder ohne Frühstück in die Schule schicken, stellt euch nur vor! Dafür möchte sie irgendwann im Mai einen Ball veranstalten, um Spenden zu sammeln.“

„Verstehe ich nicht. Mit dem Geld, das so ein Ball kostet, könnte man die Kids doch bestimmt monatelang füttern?“

„Ach, Josie!“

„Gilt nicht“, murmelte Horri.

„Wenn man einen solchen Ball gibt, kommen alle Leute, die sich Spenden leisten können. Die Karten kosten, glaube ich, hundertfünfzig Euro pro Stück – und wenn etwa hundert Leute kommen, sind das doch rund fünfzehntausend Euro.“

„Abzüglich der Ballkosten.“ Josie ließ sich nicht beirren. „Ich finde das keine gute Kosten-Nutzen-Relation.“

„Wo Josie Recht hat, hat sie Recht“, warf ihr Vater ein. „Man erwartet wahrscheinlich exorbitante Spenden von uns, damit sich die ganze Sache irgendwie lohnt. Naja, vielleicht kann man auf so einem Ball den einen oder anderen Kontakt knüpfen.“

„Christens kommen bestimmt“, vermutete die Mutter, „und vielleicht auch Petersens. Nathalie Petersen ist ja ebenfalls sehr an Kunst interessiert – obwohl ich finde, sie hat nicht das angemessene Auftreten. Vielleicht ist sie einfach noch zu jung…“

„Vier Karten sind sechshundert Euro – nicht tragisch“, meinte ihr Vater nachdenklich. „Es ist eben einfach eine gesellschaftliche Verpflichtung…“

„Wieso vier? Wollt ihr Letti und Michi mitnehmen? Muss Letti sich nicht irgendwie schonen oder so?"

„Sie ist schwanger, nicht krank“, entgegnete ihre Mutter und bedeutete Elli, abzuräumen. „Aber Michael kann die Karten für seine Frau und sich wohl selbst finanzieren. Die beiden Karten sind für euch. Es ist ja wohl eine soziale Pflicht, so einen Ball zu besuchen!“

Josie stöhnte. „ Kann ich nicht einfach einen Hunderter abdrücken und daheimbleiben?“

„Nein, das kannst du nicht. Und du hast am siebten Mai auch noch nichts vor, jetzt ist mir das Datum nämlich wieder eingefallen.“

„Und wenn doch?“

„Dann sag das gefälligst ab! Und ich erwarte von euch beiden, dass ihr uns Ehre macht. Korrekte Kleidung und gutes Benehmen. Und keine sozialkritischen Ausfälligkeiten! Denkt doch einmal an euren Vater und mich, wir wollen hier schließlich anerkannt werden!“

„Man könnte meinen, die Waldstettener mobben euch“, murrte Josie. „Na gut, ich gehe mit. Aber ein neues Abendkleid kaufe ich mir nicht, das dunkelblaue wird´s ja wohl tun.“

„Mit anständigem Schmuck, ja. Horri, was wirst du tragen?“

Horri grinste ihre Mutter an. „Da brauche ich wohl ein neues Kleid. Aus dem rosa Ding bin ich bestimmt rausgewachsen, und das cremefarbene hat einen Rotweinfleck. Ich kann ja mit Tessa shoppen gehen.“

„Ich denke, Tessa ist so doof?“, wandte Josie ein.

„In der Schule, ja, aber reiten und Klamotten kaufen kann sie.“

„Die ideale Waldstettenerin“, murmelte Josie, aber leider zu leise – ihre Mutter konnte sie nicht so tadeln, dass sie mit Horri gleichziehen konnte. Wenn Horri siegreich blieb, hatte Josie keine Chance, ihre fünf Euro zurückzubekommen. Auch egal.

Ihre Mutter hob die Tafel auf und man scharte sich nebenan um den (kalten) Kamin, um zu plaudern. Josie konnte wieder Boden gutmachen, denn ihre Mutter war von den Windsors fasziniert und Josie konnte als Historikerin doch das eine oder andere historische Detail beisteuern, auch wenn ihr Thema eher das Mittelalter war. Wie standesgemäß Queen Mum vor ihrer Ehe gewesen war, wusste sie allerdings auch nicht – nur, dass sie die Tochter eines schottischen Grafen (oder so ähnlich) gewesen war.

Mamas Gedanken kreisten schon arg um das Gesellschaftliche. Die Krönung für sie wäre wahrscheinlich, in Ascot in die königliche Loge gebeten zu werden… Josie hätte sich bedankt, sie wusste nicht einmal, wie man die Queen korrekt anredete. Oder musste sie die gewöhnlichen Leute anreden? Und worüber sollte man reden? Und was interessierten sie Pferderennen?

Josie war schon ein unnatürlicher Teenager gewesen, der sich nur mäßig für Pferde interessierte und nicht besonders gut reiten konnte. Letti hatte sich früher sogar auf Turnieren herumgetrieben und Horri ritt ebenfalls ausgezeichnet und liebte ihre Lady in Black, die auch wirklich ein reizendes Tier war. Irgendwo gab es ein Foto – Letti auf ihrem Feuervogel, daneben Horri, ganz klein, strahlend auf einem dicken kurzbeinigen Pony – und sie selbst, in Reitklamotten auf dem Koppelzaun sitzend und ein Buch lesend. Total typisch!

Ihr Vater unterhielt sich leise mit Horri, aber Josie konnte nicht viel verstehen, außer dass es immer noch um die Reitbeteiligung für Tessa Collnhausen ging.

Josie fand, man müsste die Eltern fragen, vielleicht war das Reitverbot ja eine pädagogische Aktion (Tu du erst mal mehr für die Schule!)?

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