Читать книгу Fehlinvestitionen - Elisa Scheer - Страница 3
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ОглавлениеJanne war schlecht gelaunt, kein Wunder, fand Josie. Wenn man seine Hochzeit so legte, dass man – da mitten im Semester – nicht einfach verreisen konnte, war das natürlich ärgerlich.
„Heute ist der neunte“, versuchte sie zu begütigen, „schau mal, es sind doch nur noch zwei Monate und ein paar Zerquetschte, dann könnt ihr euch in die Südsee davonmachen oder wohin auch immer.“
„DomRep“, murrte Janne. „Noch fast zehn Wochen!“
Josie gackerte. „Sozusagen Neuneinhalb Wochen? Schaut euch den Film an, er ist zwar doof, aber vielleicht kriegt ihr ein paar Anregungen für euer Liebesleben.“
„Brauchen wir nicht. Machst du was für diesen Kongress im Juli?“
„Den hier an der Uni oder den in Augsburg?“
„Den hier. Ich hab gehört, es gibt noch gar keinen Vortrag aus unserem Institut.“
„Oh, peinlich. Dann muss ich wohl dran glauben - na, ich glaube, ich habe noch etwas. Fast neuwertig.“
Janne musste doch grinsen. „Erst auf ungefähr zehn Lehrerfortbildungen verbraten?“
„Nicht annähernd! Ich sage ja, fast neuwertig. Einmal bis jetzt vorgestellt, ein Projekt zur Kirchenkritik im Mittelalter.“
„Für Schüler?“, fragte Janne ungläubig. „Das ist denen doch sowas von egal!“
„Nein, das ist schon Mainstream – Investiturstreit, neue Orden, Reformation – wie kommt es dazu, dass sich interne Kritiker abseilen, wie kann man die Einheit wieder herstellen, Krieg im Namen der Religion oder Religion als Kriegsvorwand. Durchaus aktuell! Ich hab ganz gute Texte und Aufgaben dazu, mit Plakatgestaltung, Gruppenreferaten und so weiter. Mache ich gerne, sag das dem Vorstand. Boah, hätte ich heute Abend Lust, an so etwas herumzubasteln…!“
„Mach´s doch!“
„Können vor Lachen!“ Josie angelte nach ihrer Wasserflasche und nahm einen tiefen Schluck. „Ich muss auf einen saudummen Wohltätigkeitsball gehen.“
Janne staunte. „Etwa auf diesen Megaevent? Im Russischen Hof? Der Humanitas-Ball?“
„Heißt er so? Ja, im Russischen Hof. Ein Riesenumstand, wahrscheinlich hauptsächlich blöde Leute, die nur etwas spenden, wenn sie sich vorher den Wanst vollschlagen können. Aber meine Eltern freuen sich eben, wenn wir alle mitgehen. Na, egal. Morgen um die Zeit hab ich´s schon lang überstanden.“
„Mein Gott, andere würden sich nach einer solchen Gelegenheit alle zehn Finger abschlecken – und du hast keine Lust! Du bist ganz schön verwöhnt, weißt du das?“
„Wahrscheinlich.“ Josie holte sich einen Band des großen Kirchengeschichts-Lexikons und begann etwas nachzuschlagen, dann vertiefte sie sich in ihre Arbeit.
Janne seufzte, öffnete den Mund, seufzte erneut und begann, in den Papieren auf ihrem Schreibtisch herumzusuchen.
Josie grinste innerlich. Janne war bildhübsch und wäre rasend gerne auf so einen blöden Ball gegangen; dass stattdessen Josie dort betont lustlos auftauchte, empfand sie bestimmt als Verschwendung von guten Gelegenheiten. Andererseits war Janne doch schon so gut wie verheiratet, also brauchte sie doch keine weiteren Gelegenheiten?
Janne verabschiedete sich bald ins Wochenende, Josie hatte noch Sprechstunde, beriet einige Student/innen bei Problemen mit ihren Hausarbeiten, räumte ihren Schreibtisch auf, schrieb einen Abschnitt ihres neuesten Werks fertig, beantwortete einige Mails, hängte eine neue Terminliste nach draußen und packte dann auch zusammen. Freitagnachmittags war im Historikerbau auch nicht gerade viel los.
Zwei Mädels saßen auf einer der steinernen Bänke in der Halle, als sie vorbeieilte und den Ausgang ansteuerte, ansonsten war niemand zu sehen.
Das Dunkelblaue tat es vollkommen, überlegte sie auf dem kurzen Heimweg. Dazu das silberne Halsband mit den kleinen Türkisen. Ziemlich dekorativ, aber nicht teuer. Ein Urlaubssouvenir.
Andererseits war das Dunkelblaue aus Samt – schwitzte sie da nicht tierisch?
Ach was!
Ansonsten besaß sie nur noch schwarzen Chiffon, und das blöde Ding war ein Fehlkauf gewesen, das konnte sie nicht ausstehen und behielt es nur für den absoluten Katastrophenfall (Ball beim Bundespräsidenten und ein Einbrecher hatte kurz zuvor das Blausamtene gestohlen – oder so ähnlich).
Nein, dann schwitzte sie eben. Außerdem hatte der Russische Hof auch eine Terrasse.
Blauer Samt und die Türkise. Dunkelblaue Pumps, normale Strümpfe… die Fingernägel sollte sie sich noch lackieren. Blassrosa natürlich, so diskret wie möglich – auch wenn Horri wahrscheinlich irgendwas mit buntem Glitzer oder winzigen Tattoos auf den Nägeln hatte und Mama zu Feuerrot oder Magenta gegriffen hatte. Josie gab gerne die langweilige Tochter.
Sie hatte gerade geduscht, ihre Haare auf Vordermann gebracht und sich bis auf Schuhe und Schmuck angezogen, als das Telefon klingelte – Horri war dran.
„Horri, bitte, bitte sag, der Ball ist abgesagt! Ich hab sowas von keine Lust, du glaubst es nicht.“
„Keine Chance! Außerdem will ich auch heute fünf Euro verdienen. Pass auf, wir holen dich um Viertel vor acht mit dem Taxi ab, ja? Komm dann runter.“
„Wieso denn so umständlich? Ich kann doch die paar Minuten zum Hotel laufen!“
Horri schnalzte tadelnd mit der Zunge. Durchs Telefon klang das wie ein Pistolenschuss. „Aber Josie – mal wieder so gar kein Gespür? Papa möchte den großen Familienauftritt; wenn schon Letti und Michael streiken und erst später kommen, müssen wir wenigstens als Viererbande antreten. Und du weißt doch, dass Mama nicht raufkommt, weil sie nicht sehen will, wie beengt du da hausen musst.“
„Mein Gott, ist das albern! Die Wohnung hat fast sechzig Quadratmeter, das ist für eine einzelne Person ja wohl mehr als genug! Hat Mama noch nie etwas von Ressourcenschonung gehört?“
„Sag das doch nicht mir, sag´s Mama. Aber du weißt doch selbst, dass das zwecklos ist.“
„Ja doch. Für meine Töchter ist ein Palast gerade mal gut genug, weiß ich selbst. Gut, um Viertel vor acht stehe ich auf der Straße.“
Noch zwanzig Minuten: Das war dieser Bande mal wieder auf den letzten Drücker eingefallen!
Josie kehrte ins Bad zurück, tuschte sich die Wimpern, puderte ihr Gesicht etwas weniger flüchtig als sonst, kämmte sich noch einmal, putzte ihre Brille, füllte etwas Geld, ein Päckchen Taschentücher und eine halbe Rolle Pfefferminz in ihr silbernes Abendtäschchen, außerdem zweihundert Euro für eine eventuell geforderte Spende (die Karten sollte Papa gefälligst selbst bezahlen, sie hatte um diesen dämlichen Ball ja nicht gebeten) und schlüpfte in die dunkelblauen Pumps.
Etwas zu lesen einzupacken, wäre wohl grob unhöflich? Mit Bedauern kam sie von diesem Plan wieder ab – obwohl sie Horri damit um Längen schlagen konnte. Sie hörte im Geiste „Jo-se-phi-ne!“ in Endlosschleife und grinste vor sich hin. Was hatte Mama nur an sich, dass man in ihrer Gegenwart sofort wieder in die Pubertät zurückkehrte und dringend etwas anstellen musste?
Immerhin hatte sie noch ihr Kunstfellcape, wenn es auch schon etwas räudig aussah. Mama würde natürlich die Nase rümpfen und beziehungsreich über ihren Zobel streichen, und sie selbst würde einen Vortrag über Pelze und Tierquälerei halten. Hatte sie vielleicht irgendwo noch PETA-Flyer?
Nein, besser nicht.
Zwanzig vor acht, ein letzter Blick in den Spiegel. Josie lief die Treppen hinunter und stellte sich auf die Straße. Frische Frühlingsluft, Abenddämmerung… jetzt schön spazieren gehen und tief durchatmen. In Ballsälen roch es immer nach Kerzenwachs, Haarspray, tausend verschiedenen Parfüms und in der Nähe des Raucherraums auch nach Tabaksqualm.
Ein Taxi hielt in zweiter Reihe und Horri gestikulierte aus dem Fenster. Josie beeilte sich, einzusteigen, Mama drehte sich auf dem Beifahrersitz nach hinten um und musterte ihre Tochter kritisch. „Na, immerhin“, sagte sie dann. „Nicht weltbewegend, aber sehr angemessen.“
„Welche Welt soll ich denn auch bewegen? Das Volk im Russischen Hof ist nun wirklich nicht die wahre Welt. Aber danke für das bescheidene Lob.“
Mama nickte gnädig, und Josie war direkt froh, dass sie nur „Volk“ gesagt hatte und nicht, wie ihr schon auf der Zunge gelegen hatte, „Pack“.
Im Handumdrehen war man da – man hätte wirklich zu Fuß gehen können. Der Russische Hof war ungewöhnlich voll, anscheinend war der Ball doch ein begehrteres Event, als Josie sich das vorstellen konnte.
Sie betraten das Foyer, wurden von dienernden Pagen in Richtung Ballsaal gewiesen und legten an der Garderobe ihre Capes und Mäntel ab – Mama mit einer Gestik wie aus einem alten Zarah-Leander-Film, fand Josie. Sie selbst reichte ihr flokatiartiges Ding mit erheblich schlichterer Geste über den Tresen.
Den Ballsaal hatte man üppig in Blau und Gold dekoriert, ausgesprochen abendländisch, dachte sich Josie, als sie sich umsah.
„Da ist Tessa“, quiekte Horri neben ihr und wollte schon davonstürzen, aber ihr Vater hielt sie hastig fest. „Erst wollen wir sicher sein, dass man uns auch bemerkt hat. Und wir begrüßen die Gastgeber, wie es sich gehört. Hortense, du bist kein Kleinkind mehr, benimm dich entsprechend.“
Eine fast lautloses „Männo!“, war Horris einzige Reaktion. Josie grinste ihr zu und murmelte: „Gutes Kleid. Woher?“
„Danke. Glamour&Glitter, an der Uni. Scharf, gell?“ Horri sprach aus dem Mundwinkel und sah sich gleichzeitig mit künstlichem Lächeln um.
Da konnte Josie nur zustimmen – blasses Mintgrün mit silbernen Pailletteneinfassungen, schleierartig geschnitten – und perfekt zu Horris kastanienbrauner Hochsteckfrisur. „Da hast du gleich was für den Abiball nächstes Jahr“, tuschelte sie ihrer Schwester zu.
„Nö, da will ich was Neues! Aber dieses Jahr nehme ich das hier für den Getränkeverkauf. Du kennst das ja, Q11 bedient Q12.“
Die Eltern begrüßten Scheuerleins und waren damit offiziell anwesend, Horri eilte zu Tessa und die Eltern folgten gemächlicher. Wahrscheinlich hoffte Mama, endlich einmal von der ollen Collnhausen zur Kenntnis genommen zu werden!
Josie sah sich mit mäßigem Interesse um und hatte eigentlich keine Lust, bei Collnhausens herumzustehen und auf Gnadenerweise zu warten, aber Papa sah sich leider auffordernd nach ihr um, also setzte sie sich mürrisch in Bewegung.
Horri schnatterte bereits mit Tessa, die ganz in Silber auch sehr eindrucksvoll aussah. Josie beobachtete ärgerlich, wie demütig ihre Eltern darauf warteten, sich den Collnhausens nähern zu dürfen – aber, oh Wunder, Tessas Mutter zwang sich ein etwas mechanisches Lächeln ab und reichte Mama etwas herablassend die Hand. Mamas glückseliges Strahlen tat Josie direkt weh. Papa und Wilhelm von Collnhausen unterhielten sich ebenfalls etwas stockend – aber hier wirkte eher Collnhausen eifrig. Sehr merkwürdig!
Aber gut, sie war nicht hier, um ihre Eltern zu beobachten, sondern um in deren Sinne aufzutreten. Innerlich seufzend wandte sie sich Christopher Collnhausen zu, der ebenfalls unbeschäftigt herumstand.
„Hi, Chris – wie geht´s?“
Christopher reichte ihr die Hand. „Geht schon – und dir, Josie? Wir haben uns lange nicht mehr gesehen.“
„Mir geht´s prima – naja, wir sind wohl auch nicht in den gleichen Cliquen unterwegs, oder? Genaugenommen bin ich meist gar nicht unterwegs, außer, meine Eltern kaufen doofe Ballkarten, so wie heute.“
Er grinste, und seine Mundwinkel kerbten sich dabei auf eine Weise ein, die Josie bei einem anderen, noch unbekannten Mann bestimmt ziemlich sexy gefunden hatte. Chris kannte sie nur leider schon, und seit der Schulzeit fand sie ihn nett, harmlos und verflixt oberflächlich. Ein Bürschlein von fertigem Gelde eben. Eine leises Gefühl der Verachtung konnte sie nie unterdrücken, wenn sie (selten genug) an ihn dachte.
„Ich könnte mir auch etwas Schöneres vorstellen – aber was tut man nicht alles für die lieben Erzeuger…“
Josie sah sich um. „Na, wenn ich mich so umschaue, alle deine alten Kumpels aus der Schulzeit sind ja auch hier – Flo, Torben, Max: Wärst du ohne diesen Ball nicht sowieso mit denen unterwegs?“
Chris verdrehte die Augen. „Nicht unbedingt. Bist du immer noch an der Uni?“
„Ja, klar. Vielleicht bringe ich es ja wirklich noch mal zur Professorin, aber wenn nicht, bin ich auch so ganz zufrieden. Am liebsten schreibe ich.“
„Was denn?“
„Alles Mögliche. Wissenschaftliche Artikel, Lehrbuchbeiträge, Einführungen für Studenten, manchmal lektoriere ich auch Fachbücher anderer Forscher.“
„Klingt ganz spannend.“
Das mit dem Interesseheucheln sollte er aber noch etwas üben…
„Und du?“
Chris zuckte die Achseln. „Mei… ich hab ja BWL gemacht, Schwerpunkt Marketing, aber im Moment habe ich nichts Gescheites.“
„Komisch“, meinte Josie, „dein Vater hat doch nun wirklich die besten Beziehungen, er sitzt doch praktisch in jedem Aufsichtsrat. Kann er dich nicht irgendwo reinbringen?“
„Das wäre ja Protektion, das hat irgendwie -“
„- ein Geschmäckle? Wenn schon! Wenn du dich als gut entpuppst, ist es doch wurscht, und wenn du nichts kannst, schmeißen sie dich schon wieder raus. Dein Vater muss natürlich sagen, dass du dich bewähren musst. Aber wir sind doch ziemlich gleich alt, oder täusche ich mich da? Da wären Amt und Würden langsam schon ganz schön, findest du nicht?“
Chris zog ein mürrisches Gesicht. „Du redest wie mein Vater! Okay, ja, du hast schon Recht. Eigentlich wollte ich mich mit einem Kumpel selbständig machen, der ist Game Designer. Darin liegt das wirklich große Geld.“
„Auch nicht schlecht. Warum eigentlich – hat das nicht geklappt?“
„Schwer zu sagen. Er hatte die Ideen, ich hatte das Kapital – aber jetzt habe ich seit zwei Wochen nichts von ihm gehört, allmählich mache ich mir Sorgen.“
„Seltsam“, fand Josie. „Hast du ihn auch selbst nicht erreichen können?“
„Nein. Es geht immer nur die Mailbox dran. Langsam wird mir das unheimlich. Wenn ihm was passiert ist… er hat das ganze Geld mitgenommen, und er wollte sich mit einem weiteren Geschäftspartner treffen… er ist da ein bisschen vage geblieben.“
Josie legte den Kopf schräg. „Das klingt aber schon ein bisschen obskur, findest du nicht? Wer transportiert das Firmenkapital denn in bar durch die Gegend? Und was sagt dieser andere Geschäftspartner?“
Christoph zuckte die Achseln. „Den Namen kenne ich nicht, den kennt nur Kai. Das war ein Geheimtipp.“
„Großer Gott!“ Josie verzichtete darauf, hinzuzufügen Du Vollpfosten. „Du gibst deinem Kumpel ein Vermögen von – wie viel war es gleich? – damit er mit einem anderen Kumpel, den du gar nicht kennst, mauscheln kann, weil er eine Game-Idee hat? Was war das überhaupt für ein Spiel?“
„Du hörst dich an wie mein Vater. Ich weiß auch, dass das suboptimal gelaufen ist – und die Spieleidee war noch ganz geheim.“
„Aber dieser Kai hatte schon wirklich eine Idee?“
„Na hör mal!“
„Komm, wer sagt dir denn, dass Kai und dieser andere nicht mit deinem Geldköfferchen nach Brasilien geflogen sind und sich dort eine schöne Zeit machen?“
Chris zog ein frustriertes Gesicht. Leider konnte das seine hübschen Züge auch nicht entstellen. Josie fragte sich unwillkürlich, warum ein gutes Gesicht so oft mit einem hohlen Schädel einherging.
„Ich glaube es jedenfalls nicht. Kai ist okay, bestimmt. Den kenne ich schon länger, noch von der Uni. Aber Papa ist natürlich stinksauer, wegen des Geldes. Dabei steckte ein Vermögen in der Idee. Was glaubst du, was die Leute, die I AM KING erfunden haben, abgesahnt haben? Die konnten sich danach zur Ruhe setzen!“
„I am King? Worum geht´s da?“
„Na, um so ein Mittelalterspiel. Du bist der König, sammelst Truppen, eroberst Land, baust Städte, all so was. Wird sehr gerne gespielt. Man kann auch haufenweise Zusatzfeatures kaufen, das bringt dann nochmal Geld, aber ordentlich. Sag mal, hast du nicht so was in der Art studiert?“
Josie lachte. „Ja, mittelalterliche Geschichte ist mein Spezialgebiet. Vor allem Leisenberg, die Situation der Kirche im Mittelalter und die Anfänge der Habsburger. Ich fürchte, das ist alles viel zu unspektakulär für irgendein Spiel. Sollte euer Spiel auch so ein Pseudo-Geschichts-Kram sein?“
„Nein. Naja, nicht direkt. Ach, egal – hast du Lust zu tanzen?“
Josie hatte eigentlich keine Lust, aber ihre Eltern wären glücklich und später, wenn es wieder mal Ärger wegen ihrer uncharmanten Art gab, konnte sie immerhin sagen: „Was wollt ihr eigentlich, ich hab sogar getanzt!“
Also nickte sie und ließ sich auf die Tanzfläche führen. Einen Walzer, einen Foxtrott und eine Rumba schafften sie zusammen, dann schleppte Chris sie an die Bar. Josie folgte ihm leicht verwundert: Jetzt hatte er doch wohl lange genug den Kavalier gegeben, warum seilte er sich nicht ab?
„Champagner?“
„Gerne. Ich bin ja nicht mit dem Auto da.“
Gott, das klang sogar in ihren eigenen Ohren spießig!
Chris grinste und schwang sich auf einen Barhocker. Sie setzte sich daneben, nahm das Glas Champagner entgegen und nippte anerkennend.
„Ey, Chris, wie geht´s?“ Jemand schlug ihm so heftig auf die Schulter, dass er sich an seinem Champagner verschluckte.
Josie erkannte den Übeltäter und verdrehte im Stillen die Augen: Florian Brandeis. Flo, die Nervensäge. Den kannte sie noch aus dem Deutsch-Grundkurs: reich, dämlich, immer zu peinlichen bis verletzenden Scherzen aufgelegt.
„Was machst‘n hier so ganz alleine? Los, komm mit – Torben und ich wollen wohin, wo deutlich mehr los ist.“
„Ich bin nicht alleine hier, du Stoffel“, antwortete Chris und wischte sich die Champagnertropfen vom Smoking.
„Was – wieso? Ach nee, sag bloß? Du bist doch die – wie war doch gleich dein Name – warst du nicht auch auf dem Leo? So´ne Streberin?“
„Ganz recht“, lächelte Josie ihn – wie sie hoffte – tödlich an.
„Und, was machst du hier ausgerechnet mit Chris? Hast du keinen eigenen Alten?“
„Das klingt ja, als sei Chris dein Alter“, konnte Josie sich nicht mehr bezähmen, und Chris prustete vor Entsetzen noch mehr in sein Glas. „Da sei Gott vor!“, keuchte er schließlich. „Flo, lass mich in Frieden, ich will nicht mit dir und Torben saufen gehen. Hinterher ist einem immer drei Tage schlecht. Dazu ist mir meine Zeit zu schade.“
„Als ob du mit deiner Zeit etwas Besseres anfangen könntest – was gibt es denn Wichtigeres als Spaß? Los jetzt!“
„Hau ab, du Depp“, fauchte Chris und schob Flo weg. Der trollte sich murrend: „Langweilige Spaßbremse!“
„Als ob es aufregende Spaßbremsen gäbe“, konnte Josie sich nicht verkneifen, noch bevor Flo außer Hörweite war.
Chris kicherte.
Hatte er sich so sehr verändert? Josie staunte im Stillen. Chris, Flo, Max und Torben – da war doch früher einer so blöd gewesen wie der andere. Diese Nasen mit achtzehn: Golfcabrio, Markenklamotten, Haargel, Fitness, Golfspiel – und hirnlose Blondinen als Groupies.
„Dann seid ihr gar nicht mehr befreundet?“, fragte sie betont beiläufig nach.
„Ach, das schläft so langsam ein. Flo ist immer noch so wie kurz vor dem Abi, und man wächst da doch langsam raus.“ Er grinste schief. „Aber Max ist ganz okay, und auch Torben ist weniger infantil. Der ist sogar verteufelt schlau. Aber das kann eine angehende Professorin natürlich nicht beeindrucken.“
„Och, wenn jemand wirklich gescheit ist… oder meinst du mit schlau, dass er windige Geschäfte macht? Das fände ich dann weniger toll.“
„Weiß ich nicht so genau. Mit dem Spiel hat er jedenfalls nichts zu tun… das heißt – nein, ich bin mir sicher, dass Kai ihn gar nicht kennt. Und Torben ist eher in der Finanzbranche zugange.“ Er seufzte. „Verdammt, wo könnte Kai nur stecken…?“
„Hat er keine Verwandten – Eltern, Freundin, Ehefrau? Irgendwer muss doch wissen, wo er sich rumtreibt? Was ist mit seiner Wohnung?“
Chris sah sie nicht ohne Anerkennung an. „Gute Idee. Morgen versuche ich da was rauszukriegen… immerhin, ich hab über zweihunderttausend da reingesteckt, und so dicke hat mein Vater es im Moment auch nicht, deshalb ist er auch ganz schön sauer auf mich.“ Er wies mit dem Kinn in die Ecke, in der sich die beiden Väter angeregt und die Mütter etwas gezwungen unterhielten.
Jetzt war es an Josie, zu seufzen. „Warum macht Mama das bloß?“
„Wieso, was macht sie denn?“ Chris betrachtete die Elterngruppe ohne allzu großes Interesse. „Sie unterhält sich doch bloß mit meiner Mutter?“
„Unterhalten? Sie schleimt sich ein! Offenbar ist es ihr größter Wunsch, von deiner Mutter gesellschaftlich anerkannt zu werden – warum auch immer. Und dafür, glaube ich, würde sie so ungefähr alles tun.“
„Bei Mama? Warum das denn? Ich meine, natürlich habe ich meine Mama lieb, irgendwie – aber sie kann schon ganz schön nerven, und besonders schlau ist sie nicht, dafür ganz hübsch arrogant. Warum will deine Mutter ihre Anerkennung?“
Josie warf ihm einen nachsichtigen Blick zu. „Deine Mutter ist sowas wie die Königin von Waldstetten.“
Chris verschluckte sich wieder an seinem Champagner, und Josie schlug ihm kräftig auf den Rücken. „Wieder okay?“
„Königin von Waldstetten?“, krächzte er, sobald er wieder sprechen konnte. „Josie, also wirklich! Da hat sie ja ein feines Königreich. Fast schon ein Imperium. Wie viele Untertanen sind das gleich wieder? Und wie viele davon haben noch nie etwas von ihr gehört?“
„Weiß ich doch selbst. Aber Leute wie Mama denken eben in diesen Kategorien. Sie liest auch Klatschzeitschriften und überlegt, ob sie für so ein Hütchen, wie es alle bei Kates Hochzeit getragen haben, zu alt ist oder ob ihr das gut stehen würde.“
„Während dir diese Frage voll am Arsch vorbei geht, schon klar. Äh – welche Kate?“
„Mein Gott, Kate Middleton. Beziehungsweise jetzt Cambridge. Prince William, schon mal gehört?“
„Ach so, der. Und die. Ja, klar. Finde ich jetzt nicht so fesselnd.“
Josie lachte. „Sag bloß, in deiner Clique gibt es keine Mädels, die danach gieren, zu einer solchen Hochzeit eingeladen zu werden? Immerhin gäbe es ja noch Prince Harry zu heiraten?“
„Ist das der Suffkopp mit der Nazi-Uniform? Wer will den schon heiraten?“
„Jemand, der gerne Prinzessin werden möchte? Oh Gott, warum reden wir über solchen Quatsch?“
„Frage ich mich auch. Magst du noch mal tanzen?“
„Ja, okay. Jedenfalls, ich glaube, Mama ist total glücklich, dass deine Mutter sich heute herabgelassen hat, mit ihr zu reden.“
„Stimmt.“ Chris rutschte von seinem Barhocker und reichte Josie die Hand, während er die Elterngruppe musterte. „Meine Eltern sind heute ungewöhnlich jovial. Papa auch – aber die beiden haben sicher was zu reden. Investitionen oder so.“
„Und die Damen reden über Charity und Kunst.“
„Weiberkram“, fand Chris und nahm Josie vorschriftsmäßig in die Arme. Nochmal eine Rumba, freute sich Josie. Die hatte sie am liebsten. Und falls Mama herschaute, musste sie doch wirklich zufrieden sein – die dröge Josie tanzte! Und hatte sich bestimmt eine halbe Stunde ernsthaft mit einem richtigen Mann unterhalten! Vielleicht war sie doch noch eines Tages unter die Haube zu bringen?
Natürlich nicht mit so einem wie Chris Collnhausen – der wäre Mama zufolge unerreichbar und Josie fand ihn ganz nett, so als alten Schulkameraden, aber doch wirklich nicht weiter ernstzunehmen. Aber er tanzte wirklich gut, vielleicht kein Wunder für so einen kleinen Playboy.
„Wieso bist du eigentlich alleine hier?“, fragte sie ihn.
Er runzelte die Stirn. „Was? Wie meinst du das?“
„Na, ich hätte mir vorstellen können, dass du mit deiner Freundin hierher kommst. Oder findet die solche Bälle blöd?“
„Weil du auch mit deinem Freund da bist oder was?“
„Wieso, ich hab doch gar keinen?“
„Vielleicht bin ich auch solo?“
„Ernsthaft? Hat Mama nicht mal was gesagt von einem Model oder so? Ich sollte wirklich besser aufpassen, was sie so erzählt… ach, egal.“
Er schwenkte sie herum. „Du meinst Tatiana? Mit der gehe ich bloß ab und an mal aus.“
„Ja, aber sie wäre doch genau die richtige, um diesen Ball zu schmücken. Du weißt schon, für die Lokalpresse – Seine Krönung erfuhr der glanzvolle Scheuerlein-Ball durch die Anwesenheit des international bekannten Models Tatiana – wie noch?“
„Areno.“ Er grinste auf sie herab. „Irgendwas stört bei dieser hymnischen Beschreibung.“
Josie kicherte. „Scheuerlein – das passt gar nicht. Schon bitter…“
„Du bist ein böses Weib, Josie. Aber wenn ich mich recht erinnere, warst du schon in der Schule so eine Hexe.“
Die Rumba verklang, und das Orchester stimmte einen absoluten Oldie an – Nights in White Satin.
„Ein Schieber“, stellte Chris überflüssigerweise fest. „Warum nicht?“
Josie hatte keine rechte Lust, wusste aber nicht, wie sie sich weigern sollte, ohne zickig zu wirken, also ergab sie sich in ihr Schicksal.
Immerhin hatte Chris die richtige Größe, konnte tanzen, duftete angenehm und fühlte sich gut an, fest und kräftig.
Er hatte außer Fitness wohl auch nicht viel zu tun. Da sein Geschäftspartner ihm durchgegangen war, hatte er beruflich im Moment wohl keinen allzu großen Stress. Da blieb Zeit fürs Training, für das Model, fürs Golfspielen und seinen Sportflitzer.
„Tatiana ist außerdem zurzeit zu Hause in Brasilien“, murmelte Chris in ihr Ohr. Der warme Atem an ihrer Wange machte sie direkt nervös. Sie straffte sich innerlich und versuchte, sich auf die Schritte zu konzentrieren – aber da nicht viel zu schreiten war bei diesem Klammerblues, war sie nicht übermäßig abgelenkt. Okay, tanzen konnte man mit ihm – aber geschäftlich war Chris doch ein ziemliches Huhn… zweihunderttausend, und dann kannte er noch nicht einmal den dritten Partner? Was, wenn die anderen beiden wirklich einfach abgehauen waren? Der alte Collnhausen war zu Recht sauer auf seinen Sohn, fand sie. Bestimmt konnte der den Verlust wegstecken, aber so eine Summe tat schon auch weh…
„Eigentlich finde ich den Ball ja jetzt doch ganz okay“, raunte Chris in ihr Ohr. Sie lachte leise. „Ja, immerhin haben wir uns ganz nett unterhalten und müssen nicht ewig verkrampft bei unseren Eltern herumstehen.“
Aus einer Ecke ertönte teeniehaftes Quieken, Josie reckte den Kopf. „Aha, Horri und Tessa sausen dahinten herum. Machen bestimmt Blödsinn.“
„Wenn schon, haben wir mit siebzehn ja auch. Übrigens ist Horri absolut scheußlich – könnt ihr nicht Hortense zu ihr sagen?“
„Das macht Mama ja. Jede Silbe einzeln, wenn Horri sie geärgert hat. Wir wetten immer. Wenn sie beim Freitagabenddinner fünfmal Hor-ten-se zusammenbringt, kriegt sie von mir fünf Euro. Es sei denn, ich schaffe mindestens genauso viele Jo-se-phi-ne. Mama ist leicht zu empören.“
„Man muss nur die gute Gesellschaft für einen Haufen Idioten erklären?“
„Das könnte für einen Doppelausruf reichen.“
Chris kicherte und drehte sie so, dass er seine Eltern im Blick hatte.
„Komisch“, sagte er dann, „was sind die denn jetzt dermaßen gut gelaunt? Sie schauen her – Mama winkt sogar! Das macht mir jetzt direkt Angst.“
Jetzt kicherte Josie. „Unser Kinder-Grundmisstrauen. Was könnten die bloß vorhaben?“
„Keinen Schimmer. Ach komm, tanzen wir einfach und genießen den Abend, egal, was die Alten aushecken.“