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ОглавлениеAnne und Patrick hatten die Wohnung in der Fuggergasse mit raschen Blicken gescannt (nicht übel, aber auch nicht protzig) und ebenso schnell den Bewohner gemustert – gutaussehend, sympathisch, auf den ersten Blick eher harmlos, aber das konnte bekanntlich täuschen. Er bat sie, sich zu setzen, und nahm ihnen gegenüber Platz, mit freundlicher Miene auf die Fragen wartend.
Anne fischte zunächst ein möglichst wenig abstoßendes Foto der Leiche aus der Tasche und reichte es über den Tisch. „Erkennen Sie diesen Mann?“
Collnhausen studierte das Bild und erblasste sichtlich. „Ja“, sagte er dann langsam, „das ist Kai. Eindeutig. Schrecklich. Wie ist das bloß passiert?“
„So weit sind wir noch nicht“, bedauerte Patrick. „Können Sie uns noch einmal sagen, warum Sie Ihren Freund als vermisst gemeldet haben? Er hätte doch auch einfach verreist sein können?“
Collnhausen wiederholte die Geschichte von der Kapitalspritze für das Game-Design-Projekt. „Wenn einer mit zweihunderttausend verschwindet, wird man schon etwas nervös…“
„Gut“, meinte Anne, „aber nach anderen Aussagen ist Herr Kießling schon ein paar Tage länger abgängig - da kann man sich nun wieder fragen, warum Sie nicht früher reagiert haben.“
Collnhausen zuckte die Schultern. „Erst ging ja sein Handy noch, er hat bloß nicht reagiert. Ich dachte, er braucht vielleicht noch ein bisschen länger oder die Verhandlungen laufen nicht optimal – ja, gut, Josie hat auch schon geschimpft, dass ich ein Depp bin. Sie hat mir gesagt, ich soll Kai endlich vermisst melden.“
„Aha. Und wer ist diese Josie?“
„Josephine Trunz. Ihr Vater und mein Vater sind sozusagen Geschäftsfreunde, und wir telefonieren ab und zu und beraten uns.“ Er grinste flüchtig. „Unsere Eltern sind zurzeit ein bisschen lästig, sie haben sozusagen den Kuppelvirus.“
Patrick grinste mitfühlend. „Kenne ich. Nachbarstöchter, jüngere Schwestern von Bekannten…“
„Patrick!“, mahnte Anne, aber Collnhausen hatte sich bei diesem Zuspruch sichtlich entspannt: „Es ist so, dass Josies Vater sehr viel mehr Kapital hat als im Moment mein Vater. Und nachdem ich ja nun mit dieser Zusammenarbeit mit Kai eine hübsche Summe in den Sand gesetzt habe -“
„Zweihunderttausend sind schon ganz ordentlich“, nickte Patrick und notierte fleißig mit.
Collnhausen seufzte. „Schön wär´s. Insgesamt sind es fast fünfhundert. Ich habe ja noch für Kais Kredit gebürgt, und das war eine runde Viertelmillion.“
Anne pfiff anerkennend durch die Zähne. „Sauber, sauber. Wissen Sie, was Kießling mit dieser Kreditsumme angestellt hat?“
„Keine Ahnung. Vielleicht liegt es noch auf seinem Konto. Ach, meinen Sie, die Bank kann das vielleicht zurückbuchen und ich wäre die Bürgschaft wieder los?“
„Denkbar. Aber das müssen Sie wohl abwarten. Ein Motiv, Kai Kießling zu ermorden, hätten Sie also durchaus.“
„Finden Sie? Jetzt, wo er tot ist, sehe ich die zweihunderttausend garantiert nie mehr wieder. Und wie er mit dem Programmierer verblieben ist, erfahre ich auch nicht mehr!“
„Vielleicht haben Sie aber die zweihunderttausend schon wiedergesehen? Direkt beim Treffen mit Kießling?“
„Was?“ Collnhausen staunte. „Meinen Sie, ich habe ihn gefunden und ihm das Geld abgenommen – oder ihn gleich erschlagen oder wie auch immer und ihm dann das Geld abgenommen? Das ist doch absurd!“
„Mag sein. Sie haben doch sicher ein Alibi und außerdem nichts dagegen, wenn wir uns hier einmal umschauen?“
Collnhausen zuckte die Achseln. „Umschauen können Sie sich gerne. Vielleicht finden Sie dabei ja meinen Reserveautoschlüssel und meinen Reisepass. Ich bin gar nicht so unordentlich, aber irgendwie verschwindet hier immer was. Und ein Alibi – für wann denn?“
Anne und Patrick wechselten einen Blick. „Sagen wir mal, heute Nachmittag, so zwischen vier und sieben?“
Collnhausen überlegte. „Da war ich einfach hier. Zwischendurch habe ich mir mit Josie gemailt, eben wegen unserer anstrengenden Eltern. Aber das ist wohl kein Beweis… das hätte ich wohl auch von unterwegs machen können, oder?“
„Mit einem Handy oder Tablet auf jeden Fall“, stimmte Patrick freundlich zu. Collnhausen seufzte. „Hab ich alles. Und alles mit demselben Mailprogramm, was ich auf einem mache, erscheint auch auf allen anderen.“
„Tja“ – Anne erhob sich und warf Patrick einen Blick zu. „Ich glaube, vorläufig wäre es das. Patrick, ruf bitte mal ein Team her, dann schauen wir, ob wir Ihren Pass und vielleicht auch die zweihunderttausend finden.“
Collnhausen lachte freudlos auf. „Schön wäre es ja… wenn ich das Geld hätte und Kai noch den Kreditbetrag auf dem Konto gelassen hätte, hätte ich keine Schulden – na, wie sagt man so schön? Hätte, hätte, Fahrradkette. Jedenfalls würden meine Eltern mir dann nicht im Genick sitzen, ich soll Josie heiraten.“
„Und das wollen Sie nicht?“, fragte Patrick teilnahmsvoll. Anne fand, er hatte großes Talent dafür, Verbrüderung vorzutäuschen.
„Nein, natürlich nicht. Josie doch auch nicht! Wir finden uns ganz nett, aber das reicht doch nicht. Und Josie will bestimmt auch nicht die lästige Beigabe zu einer Geldsumme sein. Ich weiß auch nicht, was unsere Eltern sich dabei denken. Das ist ein ganz neuer Spleen.“
Anne nickte. „Mit dieser Josie würden wir uns auch noch gerne unterhalten. Sagen Sie mir bitte die Adresse?“
„Hui“, machte Collnhausen. „Die weiß ich jetzt gar nicht so genau. In der Erasmusstraße, glaube ich. Aber ich habe die Telefonnummer und die Mailadresse. Besucht habe ich sie noch nie, so gut kennen wir uns jetzt auch wieder nicht.“ Er schrieb Anne alles Nötige auf einen Zettel, murmelte: „Sorry wegen der Sauklaue“ und schaute dann gespannt zur Tür, wo Patrick Weber gerade drei weißgekleidete Herren hereinließ.
„Darf ich zugucken?“, fragte er dann, aufgeregt wie ein kleiner Junge.
„Aber bitte – es gibt sicher die eine oder andere Frage. Kommen Sie nur mit!“
Patrick und sein Team gingen schnell und routiniert durch alle Schränke und Behältnisse und fanden nach einigen Minuten tatsächlich einen Autoschlüssel mit einer nackten Schönheit aus Plastik als Anhänger.
„Da war der!“, staunte Collnhausen. „Da bin ich ja froh – und den scheußlichen Anhänger schmeiße ich jetzt wirklich mal weg.“
„Also, wenn Sie ihn nicht mehr brauchen – ich wüsste jemanden, den man damit wunderbar ärgern könnte“, meinte einer vom Durchsuchungsteam.
Anne prustete kurz und wedelte zustimmend mit der Hand, also nestelte Collnhausen die Plastiktussi vom Schlüssel ab und reichte sie weiter. „Ich kenne Leute, die hätten ernsthaft an mir gezweifelt – gut, dass die Süße aus dem Haus kommt. Jetzt bitte noch den Pass!“, wünschte er sich dann.
Patrick lachte und durchsuchte mit flinken Bewegungen das nächste Fach in der großen, nicht wirklich ordentlichen Regalwand. Ein Kollege half ihm, die anderen beiden hatten sich ins Schlafzimmer zurückgezogen. Anne schaute zu, Collnhausen ebenfalls, aber wirklich wie ein kleines Kind, das gleich die nächste Überraschung erwartete.
Nach einigen Minuten kamen die anderen beiden aus dem Schlafzimmer, schüttelten den Kopf und verschwanden im Badezimmer und der Gästetoilette. Patrick nahm sich die offene Küche vor.
„Gut geschnittene Wohnung“, meinte Anne.
„Ja, nicht? Ich finde sie auch ganz schön. Da hab ich Glück gehabt. Kostet aber auch ordentlich Miete…“ Er stöhnte gespielt auf. „Josie wird sicher sagen, ich soll zu den Alten zurückziehen und das Geld sparen, wenn ich schon so einen Schuldenberg an der Backe habe. Die ist schon so eine kleine Streberin… aber wirklich nett!“, beeilte er sich hinzuzufügen.
Anne wurde auf diese Josie langsam wirklich neugierig. Als Patrick und die drei anderen mit frustrierter Miene aus den verschiedenen Räumen zurückkamen, verabschiedete sie sich.
„Sie sollten aber mal diese Tees im linken Schrank wegwerfen. Angebrochener Tee hält sich höchstens ein halbes Jahr und Ihre Packerl sind von 2011. Der Tee schmeckt nach gar nichts mehr. Sorry, Ihr Pass war nirgendwo – und außer einem losen Zehncentstück haben wir leider auch kein Geld gefunden.“
„Macht ja nichts“, meinte Collnhausen großzügig. „Trotzdem vielen Dank.“