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ОглавлениеAm nächsten Freitag hatte Josie sich schon famlienessenstauglich hergerichtet und war im Begriff, nach Waldstetten zu fahren, als ihr Vater anrief.
„Huch? Ist irgendwas passiert?“ Josie war richtig erschrocken.
Ihr Vater lachte – auf eine ganz ungewohnt weiche Art. Was hatte der denn?
„Aber nein – im Gegenteil. Pass auf, wir wollen uns heute mal was gönnen, wir gehen ins Médoc. Um halb acht dort, einverstanden? Letti und Michael kommen auch, mittlerweile ist Letti ja nicht mehr so übel.“
Josie stimmte mit schwächlicher Stimme zu und legte auf. Was war in Papa gefahren? Geradezu schleimig hatte er geklungen – und dazu diese Anspielung auf Lettis Schwangerschaft, wo er doch sonst gynäkologische Themen strikt ablehnte?
Sehr merkwürdig, das alles.
Okay, Médoc… da musste sie in puncto Outfit wohl noch ein bisschen nachlegen. Die graue Hose ging, das war dünner Wollflanell – aber das T-Shirt war für das Médoc etwas zu schlicht. Sie kramte ein anthrazitfarbenes Shirt aus Baumwollsatin mit kleinen Swarowski-Kristallen rund um die breite Ausschnittblende aus dem Schrank, schlüpfte hinein, nebelte sich mit etwas schwererem Parfum ein, zog den blassgrauen Seidenblazer vom Bügel und warf ihn aufs Bett.
Noch einen Hauch mehr Make-up – Papa mochte es, wenn Frauen sich mit ihrem Aussehen Mühe gaben. „Ich kämme mich ja auch und rasiere mich abends nochmal“, argumentierte er stets.
Also kramte sie den schwarzen Kajal heraus und malte ihre unteren Innenlider nach. Sah schön dramatisch aus. Einen Hauch Wimperntusche – aber nicht so ein Super-Maxi-Riesenwimpern-Zeug, ganz normale schwarze Tusche. Und blassrosa Lippenstift.
Nicht übel, fand sie. Noch einmal durch die Haare gebürstet und gut. Papa konnte keinesfalls meckern.
Was zum Henker gab es denn zu feiern?
Einerseits konnte es ihr völlig egal sein – ein Essen im Médoc war immer gut –, aber andererseits war sie neugierig. Was hatte Papa gemacht? Ein lukratives Geschäft? Den halbbankrotten Collnhausens ihre edle Hütte abgekauft?
Quatsch, wozu denn! Das Trunz-Anwesen war genauso schön, auch ohne säulengeschmückte Auffahrt von 1910.
Vielleicht war Mama endlich in dem einen oder anderen noblen Wohltätigkeitsverein aufgenommen worden? War in der feinen Waldstettener Gesellschaft angekommen?
Mama hatte einfach die falsche Prämisse, murrte Josie innerlich, während sie ihren Kram in die kleine schwarze Lacktasche sortierte. Die würde Mama gefallen, sie war von einer sehr bekannten Londoner Nobelmarke und würde sogar den arroganten Kellern im Médoc ein anerkennendes Nicken entlocken.
Die gute Waldstettener Gesellschaft bestand nämlich nicht nur aus Regine von Collnhausen und ihren zickigen Freundinnen, es gab auch Frauen, die richtig arbeiteten (zum Beispiel Lea Christen, deren Bücher Josie sehr hilfreich fand, oder die Handelsrechtsspezialistin Yvonne von Carlswald) und nicht nur auf Vernissagen herumstanden oder teure Bälle veranstalteten, von deren Erlös dann ein Bruchteil irgendeinem gesellschaftlich akzeptablen sozialen Zweck zufloss.
Es klingelte; sie schloss ihre Tür sorgfältig ab und eilte die Treppen hinunter.
Vor dem Haus stand Papas dicker Phaeton, und Horri stieß die hintere Tür auf.
Josie schlüpfte neben sie auf die Rückbank, zog die Tür zu, begrüßte ihre Eltern und schnallte sich an – in einer einzigen fließenden Bewegung.
„Automatisierte Bewegungsabläufe“, feixte Horri. „Aber ich muss schon sagen, schick, schick! Hey, die Tasche – ist die von Aspinal?“
„Klar. Angeblich hat Kate die gleiche. Ich finde, die ist so schön, da braucht man keine weitere mehr. Die passt auch zu allem.“
Mama drehte sich um. „Ja, sehr hübsch, Josie. Aber sag mal, musst du denn unbedingt in dieser Gegend wohnen? Das ist alles so – so –so – ich weiß nicht?“
„So was? Mama, das ist das Univiertel, ich arbeite an der Uni. Es gibt Buchhandlungen, Copyshops, schicken Bürobedarf, gute Cafés und sogar ein paar anständige Klamottenläden. Und eine Menge hübscher Altbauten. Was passt dir daran nicht?“
„Streitet euch nicht, Mädels“, bat Papa mit besonders freundlicher Stimme und bog auf den Parkplatz hinter dem Médoc ab.
Verdächtig, fand Josie. Papa auf der Schleimspur, ein Lob von Mama (auch wenn es gleich wieder durch Genörgel getarnt worden war). Was war los – hatten sie im Lotto gewonnen?
Blödsinn. Ein durchschnittlicher Lottogewinn war im Vergleich zum Vermögen ihrer Eltern nichts Weltbewegendes. Und sie selbst hätte ein Milliönchen zwar bestimmt gut gebrauchen können, aber sie spielte ja nicht einmal.
Papa führte seine Damen ins Restaurant, an einen der schönen Tische am Fenster – mit Blick auf den dämmerigen Marktplatz. Josie und Horri rempelten sich kurz diskret, dann hatte Horri gewonnen und sich den Fensterplatz gesichert. Josie zuckte die Achseln und setzte sich neben sie. Eigentlich war der Fensterplatz ja auch etwas für Kinder…
Papa saß ihr gegenüber, Mama auf dem anderen Fensterplatz. Beide strahlten eitel Wohlwollen aus.
„Ein sehr hübsches T-Shirt“, lobte Mama.
„Und endlich einmal hast du etwas aus dir gemacht“, steuerte Papa bei.
„Was habt ihr heute bloß?“, fragte Josie leicht entnervt. „Ihr wollt doch was, wenn ihr so superfreundlich seid?“
„Aber wie kommst du denn darauf!“, widersprach Papa und nahm seine Karte entgegen. „Ich denke, als Aperitif einen Hugo? Sind alle einverstanden?“
Alle nickten, sogar Horri verzichtete darauf, nach einem Wodka Red Bull zu fragen, was nur wieder Mama in Aufregung versetzt hätte.
Auch sehr merkwürdig: Horri hatte noch keine Granate gezündet: Wusste sie etwas? Josie warf einen Blick zur Seite, aber Horri schaute gebannt aus dem Fenster. Was konnte denn jetzt auf dem Marktplatz so Spannendes passieren?
Verflixt, was hatten sie alle denn heute bloß?
Die Hugos kamen, alle stießen an, alle tranken, alle lächelten. Josie hatte allerdings das Gefühl, dass ihr das falsche Lächeln die Gesichtszüge verkrampfte.
Man vertiefte sich in die Karte. Papa und Mama diskutierten mit wahrer Leidenschaft, ob sie sich zusammen das Chateaubriand für zwei Personen leisten sollten. Anscheinend gab es nichts, was ihnen mehr am Herzen lag. Horri dachte halblaut über das Entencarpacchio nach („natürlich nur als Vorspeise“), Josie seufzte innerlich.
Die merkwürdige Atmosphäre schlug ihr auf den Magen – aber als Spielverderberin wollte sie nun auch nicht darstellen. Die anderen hielten sie ohnehin schon für die geborene Spaßbremse. Also vertiefte sie sich ebenfalls in die Speisekarte und beschloss, sich etwas Ungesundes zu gönnen – genau! Den Grillteller mit Pommes und Sauce Béarnaise würde sie nehmen, der war auch ganz schön teuer, das würde Papa freuen. Natürlich, wenn sie betont das Billigste nähme… nein, der Gag war den Stress nicht wert, und das Billigste waren sautierte Champignons mit Reis, das mochte sie nicht so besonders.
Sie klappte die Karte zu. „Ich glaube, ich nehme den Grillteller.“
Papa strahlte, wie zu erwarten war. „Schön, mein Kind, dass du dich auch mal verwöhnen lässt! Und Horri, was möchtest du nach dem Entencarpacchio?“
Horri schaute wie eine Dreijährige drein. „Ganz ehrlich? Das Kinderschnitzel.“
„Am besten auf dem Pumuckl-Teller“, spottete Josie.
„So what? Ich will jetzt Kinderschnitzel. Mit viel Pommes!“
„Aber Kinder, wollt ihr wirklich Pommes frites dazu? Nicht lieber einen schönen gesunden Salat? Schaut mal, da gibt es Salatherzen in Vinaigrette, wäre das nichts?“
„Nö, Mama“, antwortete Horri sofort, „wir wollen Pommes. Du auch, Josie, oder?“
„Genau. Pech gehabt, Mama. Erstens sind wir dünn genug und zweitens gehen wir doch nicht ins Médoc, um Salat zu mümmeln. Salat kann ich mir jeden Tag im Supermarkt kaufen.“
Ihre Mutter schauderte, Horri und Josie machten unter dem Tisch High Five.
„Kinder!“, mahnte der Vater und grinste. Dann lehnte er sich gemütlich zurück, warf einen kurzen Blick zum Eingang und meinte jovial: „Na, Josie, woran arbeitest du denn gerade?“
Josie blinzelte. „Interessiert dich das wirklich?“
„Aber sonst würde ich doch wohl nicht fragen!“ Er lächelte väterlich.
Nachtigall, ick hör dir trapsen…
Aber bitte, das konnte er haben! Sie stürzte sich in eine lange Beschreibung all ihrer Projekte – von Graf Roderich und der Schlacht bei Mühldorf über den Ersten Kreuzzug und die Forschungsdebatten darüber bis zur Gründung Leisenbergs. Befriedigt registrierte sie, wie das Lächeln ihres Vaters allmählich einfror und seine Augen glasig wurden, aber bevor er sie unter einem Vorwand stoppen konnte, sagte eine Stimme hinter ihr: „Ja, Herr Trunz! Das ist aber nett, dass wir uns hier treffen!“
Sie fuhr herum und sah Günther von Collnhausen – mit einem ebenfalls sehr falschen Lächeln -, seine Frau, die erfreut quiekende Tessa und dahinter Chris, der leicht derangiert wirkte und immer noch Schatten um ein Auge aufwies.
Josie suchte Chris´ Blick und sagte: „Ja, so ein Zufall aber auch!“
Er grinste schwach und resigniert, wie ihr schien; die beiden Väter legten rundäugiges Erstaunen an den Tag, fragten aber nicht nach, was Josie denn damit wohl meinte.
Mama strahlte, die olle Collnhausen (welch schöner Binnenreim!) schaute wie eine Gräfin, die sich unter das gemeine Volk begeben musste, und Tessa stand schon hinter Horri und flüsterte auf sie ein.
Josies Vater winkte dem Oberkellner und bat darum, einen zweiten Tisch heranzuschaffen, der Ober schlug statt dessen vor, die ganze Gesellschaft möge doch an den runden Tisch in der übernächsten Fensternische umziehen – dort hätten acht Personen bequem Platz.
Das hielt Collnhausen für eine ausgezeichnete Idee; die beiden Teenies waren ebenfalls sehr angetan, Frau von Collnhausen seufzte hörbar und nickte dann gnädig, und Josie sah, wie sich ihr eigenes Misstrauen in Chris´ Gesicht spiegelte.
Also packte die Familie Trunz zusammen, alle nahmen auch ihre halbleeren Hugos und zogen in die neue Nische um. Dort gab es einiges hin und her, und schließlich hatten Horri und Teresa sich wieder die Fensterplätze gesichert und Josie fand sich neben Chris wieder.
„Was ist heute eigentlich los?“, fragte Chris leise.
„Keine Ahnung“, tuschelte Josie zurück, „aber alle sind heute so komisch. So unecht gut gelaunt.“
„Verlogene Bande“, murmelte Chris und musterte die aufgeräumte Runde streng.
„Ich glaube, wir nehmen auch alle einen Hugo“, verkündete Collnhausen.
„Sehr gute Idee! Wollen wir uns noch einmal anschließen?“, fragte Josies Vater.
Horri kicherte zustimmend, anscheinend war schon der eine zuviel gewesen. Mama lobte den Vorschlag, Josie sagte: „Ich hab noch, danke.“
„Ach Josie, sei kein Spielverderber!“
Sie sah ihren Vater fest an. „Danke. Vielleicht später noch.“ Ihr schien es, als musterte Collnhausen sie prüfend; seine Frau starrte vor sich hin. Allmählich kam es ihr vor, als wollten die Collnhausens ihr einen Job anbieten, aber nicht so recht mit der Sprache herausrücken. Die Situation wurde immer bizarrer.
Die neuen Hugos kamen, man stieß allenthalben an (die alte Collnhausen wirkte dabei leicht gequält, fand Josie), und schließlich vertieften sich die neu hinzugekommenen in die Karte.
„Die haben was vor“, murmelte Chris neben ihr. „Aber was bloß?“
„Vielleicht wollen sie uns betrunken machen“, schlug Josie leise vor. „Aber ich weiß es auch nicht. Haben deine Eltern nichts gesagt?“
„Nein. Sie haben nicht einmal gesagt, dass wir euch hier treffen – aber glaubst du, dass das ein Zufall ist?“
„Keinesfalls. Papa hat vorhin dauernd zur Tür geschaut, als wartete er auf jemanden. Aber dann großes Hallo, von wegen So ein Zufall! Du hast Recht – verlogene Bande.“
„Josie hat uns vorhin erzählt, worüber sie gerade arbeitet“, verkündete ihr Vater. „Über die Rolle des Grafen Roderich bei der Schlacht von Mühlhausen.“
„Mühldorf“, verbesserte Josie automatisch. „1322.“
„Oh“, machte Regine von Collnhausen, die offenbar nichts mit diesen Informationen anfangen konnte.
„Interessant“, fand ihr Mann. „Christopher interessiert sich ja auch sehr für Geschichte.“
Chris sah drein wie vom Donner gerührt. „Ja, klar“, sagte er dann. „Deshalb habe ich in Geschichte auch viermal unterpunktet.“
Josie entfuhr ein Prusten.
Frau von Collnhausen sah geschmerzt drein, dann straffte sie ihre Schultern. „Christopher ist sehr musikalisch.“
„Auch Josie liebt Musik“, antwortete ihre Mutter wie aus der Pistole geschossen.
„Stimmt“, antwortete Josie, „ich habe mindestens zwanzig Popsongs auf meinem Smartphone.“
„Zehn nackte Frisösen?“, murmelte Chris. Josie kicherte. „Nicht ganz – aber fast. In ein klassisches Konzert gehe ich jedenfalls nicht freiwillig.“
Böse Blicke trafen sie. „Help for Children veranstaltet Ende des Monats ein Freiluft-Konzert in Ludwigskron. Ich erwarte, dass alle hier Anwesenden daran teilnehmen“, verkündete Chris´ Mutter mit strenger Miene.
Chris gluckste. „Nur zuhören oder selbst was vortragen? Dann kriegst du aber keine Spenden für deine Hilfsaktionen! Was macht ihr mit dem Geld eigentlich genau?“
„Sei nicht so vorlaut! Nach Abzug der Unkosten geht der Erlös an das Kinderdorf in der Nähe von Eulenburg. Dort müsste mal renoviert werden. Und Häuser für zwei neue Wohngruppen sollen auch gebaut werden.“
„Sehr ehrenwert“, lobte Josie.
„Danke. Claudia, ich erwarte, dass Sie mir dabei etwas zur Hand gehen!“
Josie befürchtete, ihre Mutter würde gleich auf die Knie fallen und der alten Collnhausen die Hand küssen, so strahlte sie.
Glücklicherweise kamen in diesem Moment die Vorspeisen.
„Ihr habt ja beide keine Vorspeise“, stellte Papa fest und musterte Josie und Chris zufrieden.
„Wahnsinn!“, murrte Josie. „Warum erfindet ihr heute lauter so alberne Gemeinsamkeiten? Kommt als nächstes Josie, du hast ja Schuhe an! Oh, Chris hat auch Schuhe an! Ihr müsst Seelenverwandte sein! Was zum Henker soll das alles?“
„Jo-se-phi-ne! Du bist unhöflich!“ Mama schaute regelrecht panisch drein.
Horri gackerte, Chris verschluckte sich an seinem Wein und lachte dann hilflos, bis Josie ihm einmal hart auf den Rücken schlug. „Wieder okay?“
„J-ja, danke. Josie hat Recht: Was heckt ihr eigentlich aus?“
„Wie kommt ihr beiden denn auf diese unsinnige Idee!“, wehrte sein Vater ab.
„Ja, wirklich, Josie – was soll dieser alberne Verdacht?“, assistierte Josies Vater.
Josie seufzte und gab auf. „Schon gut, ihr zwei – aber ich kaufe euch die ganze Show auf jeden Fall nicht ab.“
„Ich auch nicht“, sagte Chris. „Und daraus macht ihr jetzt keine Seelenverwandtschaft!“
Als der Hauptgang kam, stellte sich heraus, dass auch Chris den Grillteller gewählt hatte, aber Josie schaute sich so streng um, dass niemand es wagte, diese schicksalhafte Übereinstimmung hervorzuheben.
Chris murmelte: „Gib mir deine Karte, ich glaube, wir sollten Kontakt halten, falls unsere Alten komplett austicken. So seltsam waren sie wirklich noch nie. Wenigstens mailen sollten wir uns.“
Josie angelte eine Visitenkarte aus ihrer Handtasche und reichte sie Chris unter dem Tisch. Einen Moment später kam seine Karte zurück. Sie steckte sie ein und warf einen raschen Blick in die Runde. Keiner achtete auf sie beide, weil Horri und Tessa einen kindischen Gackeranfall hatten und man offenbar überlegen musste, ob man die beiden in einem feinen Laden wie dem Médoc vor die Tür schicken konnte.
Konnte man leider nicht, war das Ergebnis der elterlichen Überlegungen.
„Habt ihr eigentlich schon Chemie geschrieben?“, fragte Josie also mitten in das Gekicher und Gepruste hinein, und prompt herrschte Ruhe. „Du hast es echt drauf“, murrte Horri und versank in Trauer. Auch Tessa sah drein, als wollte sie gleich in Tränen ausbrechen.
„Verkackt?“, fragte Josie freundlich nach. Fast gar nicht hämisch.
„Jo-se-phi-ne!“
Josie zeigte Horri diskret zwei Finger, Horri schnaufte entrüstet und sah weg.
„Was macht ihr da eigentlich?“, wollte Papa wissen.
„Ach, nichts“, war Josies unschuldsvolle Antwort. Während die Eltern nun die beiden Mädchen ins Gebet nahmen, ob die Schulaufgabe denn schon korrigiert sei und ob es wenigstens für einen Punkt gereicht habe, flüsterte sie Chris zu: „Hat sich mit dem Geld was ergeben?“
Chris nickte, sah aber nicht gerade glücklich drein.
„Ist es endgültig weg?“, riet Josie. Er nickte wieder und murmelte: „Noch ärger.“ Laut sagte er: „Ich glaube, ich gehe mal raus, eine rauchen.“
Seine Mutter sah auf. „Mitten im Essen? Aber Junge!“
„Ich hab keinen Hunger mehr.“ Er zog ein erbärmliches Gesicht, und seine Mutter seufzte resigniert. „Dann geh, mein Junge. Aber du solltest es wirklich aufgeben…“
Chris stand auf. „Josie, kommst du mit? Allein ist es draußen langweilig.“
Josie erhob sich. „Das mit der charmanten Einladung übst du besser noch ein bisschen – aber ich nehme mal den guten Willen für die Tat.“
Draußen standen in einer Nische neben der Einfahrt zum Parkplatz einige Stehtischchen unter Schirmen. Keiner war frequentiert. Entweder ließ die Anzahl der Raucher allmählich nach oder den Leuten war das trübe Wetter nicht geheuer. Sie stellten sich an eins der Tischchen und Josie sah Chris erwartungsvoll an. „Wieso noch ärger? Was ist passiert?“
Er seufzte. „Kai, mein sogenannter Geschäftspartner, sollte natürlich auch ein entsprechendes Kapital einbringen, hatte aber nichts. Und um den Kredit zu bekommen, hat er mich -“
„Sag jetzt nicht als Bürgen angegeben! Chris, du Idiot, du hast ernsthaft eine Bürgschaft unterschrieben? Ich fasse es nicht!“
„Du redest wie mein Vater“, murrte Chris, der keine Anstalten machte, sich eine Zigarette anzuzünden. „Aber mit solchen Spielen kann man wirklich ein Vermögen machen, bloß das versteht Papa nicht.“
„Alte Schule, was? Ich glaube dir gerne, dass online-Spiele eine Goldgrube sind, aber kann man da nicht einsteigen, ohne sich um Kopf und Kragen zu verschulden? Und ohne sich mit Leuten zusammenzutun, die man kaum kennt? Ohne sich abzusichern?“
„Du redest dich leicht, du hast ja einen sicheren Job.“
„Quatsch. Akademischer Mittelbau läuft über schlecht bezahlte Zeitverträge. Verdienen tue ich mit Büchern und Lexikonartikeln.“
„Richtig gut?“
Sie sah ihn misstrauisch an. „Für mich reicht es – aber ich lebe bescheiden. Dir aus der Patsche helfen kann ich nicht. Ich habe ein winziges Depot und eine kleine Mietwohnung. Und ich fahre immer noch den Wagen, den Papa mir zum Achtzehnten geschenkt hat.“
„Warum das denn?“
„Weil ich ihn mag und er immer noch fährt. Und da ich nicht weiß, wo ich eines Tages mal lande, hat es doch auch keinen Zweck, eine Wohnung zu kaufen. Immobilien als Geldanlage mag ich nicht besonders. Wolltest du nicht eine rauchen?“
„Das war doch bloß ein Vorwand. Ich rauche nur gelegentlich mal und jetzt habe ich gar keine Lust darauf.“
„Das merken die anderen aber. Ich merke es ja auch, wenn ein Student in die Sprechstunde kommt und vorher geraucht hat. Wie ein voller Aschenbecher.“
Chris grinste und zog ein Tütchen scharfer Pfefferminzbonbons aus der Tasche. „Das übertönt alles. Auch Gerüche, die gar nicht da sind. Sag mal, aber dein Papa würde dir doch sicher Kapital geben, wenn du es bräuchtest?“
Josie zuckte die Achseln. „Mag schon sein. Aber er würde wissen wollen, wofür ich es brauche, und wenn ich ihn um – wie viel? – bitte, sollte ich schon einen plausiblen Verwendungszweck angeben. Einen flüchtigen Bekannten vor seiner eigenen Blödheit retten – das würde er ablehnen. Und anlügen mag ich Papa nicht. Mit wie viel stehst du in der Kreide?“
„Insgesamt vierhundertfünfzig“, gestand Chris. Josie fiel fast um. „Großer Gott. Chris, du Hirni! Wie willst du das Problem lösen? So viel würde Papa mir nie geben. Da müsste ich mir schon eine Villa im Grünen wünschen – aber die müsste ich dann ja auch vorzeigen können. Was sagt dein Vater denn dazu?“
„Er tobt. Kannst du dir doch denken.“
„Und warum ist er dann heute so scheißfreundlich?“
„Das verstehe ich auch nicht. Deine Eltern sind übrigens auch eitel Wonne.“
„Die sind doch bloß glücklich, dass sie von den vornehmen Collnhausens endlich mal beachtet werden.“
„Vornehm! Hat sich was mit vornehm – ich glaube, Papa ist gerade selbst nicht so gut bei Kasse.“
Josie wollte jetzt lieber nicht sagen, dass sie seinen Vater gegoogelt hatte und über seine Finanzklemme Bescheid wusste. Also gab sie bloß mitfühlende Geräusche von sich und fragte dann: „Was willst du denn jetzt tun?“
Er zuckte die Achseln. „Ich weiß es nicht. Noch nicht. Ich sollte mir wohl schleunigst wieder einen Job suchen und meine Schulden abzahlen. Oder Privatinsolvenz anmelden – aber das kann ich natürlich Papa nicht antun, wie ließe ihn das schließlich dastehen!“
„Alle Welt würde sich fragen, ob er es sich nicht mehr leisten kann, dir das zu ersparen. Und du bekämst übrigens im Leben keinen Kredit mehr, das ist dir schon klar?“
„Logisch. Aber hast du eine bessere Idee? Josie, schau, ich bin ein Betriebswirt, wie es Millionen gibt: Mit dem, was ich in einem mittelmäßigen Job verdienen könnte, bräuchte ich mehrere Menschenleben, bis ich eine runde halbe Million abgezahlt habe.“
„Ja, danke, rechnen kann ich auch. Warum arbeitest du eigentlich zurzeit gleich wieder nicht?“
„Ich war bei Bergmeister&Kerli, aber die haben ja vor einigen Monaten Insolvenz angemeldet, na, und das war´s dann. Was Neues hab ich noch nicht – auch, weil ich ja dachte, die Selbstständigkeit wäre die bessere Lösung.“
„Kann sie wohl auch sein, wenn man es etwas durchdachter anfängt“, meinte Josie nachdenklich. „Und so ein biederer Bürojob passt wohl auch nicht besonders zu deinem Image, was?“ Sie grinste ihn an.
„Was für ein Image?“, wollte er prompt wissen.
„Na, jeunesse dorée, die Schönen und Reichen, der strahlende Playboy…“
Er verdrehte die Augen. „Woher hast du denn diesen bullshit? Ich bin kein Playboy!“
„Männer, die mit Models ausgehen, gelten gemeinhin als Playboys. Kannst du in jeder Klatschzeitschrift nachlesen.“
„Sowas liest du?“, trug er den Kriegs sofort ins Feindeslager.
Sie feixte ganz offen. „Ich doch nicht – aber Mama. Man könnte ja einen Trend verpassen.“
„Deine Mutter hat in dieser Hinsicht aber schon einen kleinen Sparren, oder? Wie kann man denn meine Mutter so verehren?“
„Deine Mutter steht eben für die vornehme Gesellschaft, und da möchte Mama furchtbar gerne dazu gehören. Und ja, sie hat einen Sparren, einen ziemlich großen sogar, aber sonst ist sie eigentlich ganz nett. Und dass Horri und ich sie immerzu auf den Arm nehmen, duldet sie eigentlich ganz friedlich. Sollten wir nicht langsam wieder reingehen?“
„Ist dir kalt?“
„Nein. Aber meinst du nicht, dass die anderen sich wundern werden?“
„Wahrscheinlich. Ich wüsste ja wirklich gerne, was diese aufgesetzte Fröhlichkeit zu bedeuten hat.“
„Ich könnte mir vorstellen, dass unsere Väter irgendwas Gemeinsames auskochen und gerne möchten, dass sich auch die Familien gut verstehen.“
„Na, das dürfte ja kein Problem sein. Solange Mama nicht rumzickt und einen auf uralten Adel macht. Manchmal hat sie solche Anfälle. Leicht pathologisch. Unsere Küken sind eh miteinander befreundet, und wir vertragen uns doch auch ganz gut, oder?“
„Stimmt. Aber jetzt gehen wir wirklich wieder hinein!“
Die beiden Elternpaare lächelten ihnen strahlend entgegen. „Na, das war ja eine ausgedehnte Rauchpause!“
Josie lächelte nichtssagend und setzte sich wieder. Ihr Vater rieb sich die Hände. „Nun, wie sieht es denn mit einem Dessert aus? Sollten wir die Karten noch einmal kommen lassen?“