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Die ganze Runde wirkte etwas misslaunig, aber das konnte auch an der frühen Stunde liegen – draußen wurde es gerade erst hell, und alle hatten auf den Zettel auf ihrem Schreibtisch mit Stöhnen reagiert.

„Katzeder liegt im Krankenhaus“, verkündete Irrgang mit Grabesstimme.

„Wissen wir schon“, antwortete Ingrid Eichinger, die Lokalredakteurin, kess.

„Und? Vorschläge?“, schnappte der Chef sofort.

Sie zuckte die Achseln. „Weiß man denn schon Genaueres?“

„Nein. Knott und Lauer sind vor Ort, aber es gibt noch keine Stellungnahme.“

„Was sollen wir also tun? Prophylaktisch einen Nachruf schreiben? Ist das nicht doch ein bisschen kaltschnäuzig, sogar für uns?“

Irrgang verdrehte die Augen zum Himmel. „Nachruf! Müssen Sie denn immer so derb drauf sein? Sagen wir besser, eine Würdigung. Seine Verdienste, garniert mit Genesungswünschen.“

Innigsten Genesungswünschen“, verbesserte Ingrid und grinste höhnisch. Sie hielt nicht viel von Katzeders Verdiensten, sie hatte immer schon die anderen gewählt. „Riskieren Sie nicht so eine dicken Lippe“, brummte Irrgang. „Los jetzt, an die Arbeit. Ihre Hilfsmaus soll ein bisschen im Archiv stöbern, Fotos, Preise, besondere Aktionen. Unruh und Ehrlich lösen nachher das Krankenhausteam ab, Sie, Frau Zeller, besuchen mal die Familie.“

Connie Zeller stöhnte. „Verwandte belästigen! Muss das denn sein, Chef? Wir sind doch ein solides Blatt und kein Krawallsender! Soll ich der Frau das Mikro unter die Nase halten und sie fragen, was sie jetzt fühlt?“

„Bin ich denn hier von Idioten umzingelt?“, donnerte Irrgang los. „Sie alle wissen verdammt genau, was ich von Ihnen erwarte! Verantwortungsvollen Journalismus, aber die Öffentlichkeit - “

„- hat ein Recht auf Information“, leierte die Runde. „Wissen wir, aber das Ganze hat doch einen Ruch von Leichenfledderei.“

„Unsinn! Was würde Katzeders Familie denn denken, wenn wir sie in dieser Krise alleine lassen würden?“

„Drei Kreuze würden sie machen“, murmelte Peter Lachner und zog den Kopf ein, als er Irrgangs Zornesblick auf sich ruhen fühlte. „Los jetzt! Lachner, Sie bleiben noch da.“ Abmahnung oder fieser Spezialauftrag, überlegte Peter und sah neidisch zu, wie die anderen sich leise murrend aus dem Sitzungszimmer schoben. „So, Lachner, für Sie habe ich einen besonderen Leckerbissen!“

„Tatsächlich?“

„Na, Sie träumen doch immer noch davon, eines Tages bei Focus zu landen, oder?“

Peter schnitt eine angeekelte Grimasse. „Beim Spiegel, wenn schon.“

Irrgang wischte den Einwand beiseite. „Ist doch dasselbe. Was ich aber sagen wollte -“

Ist nicht dasselbe, maulte Peter in sich hinein, aber das wirst du alter Trottel nie mehr kapieren.

„Sie kriegen ein echtes Sahnestückchen. Sie gehen zu Schmieder!“

„Zum Vize? Glauben Sie, der sagt mehr als Kein Kommentar und Ich wünsche meinem verehrten Amtskollegen gute Besserung?“

„Sie sind ein verdammter Defätist! Natürlich sagt der mehr, Sie müssen es nur richtig anpacken! Muss ich Ihnen denn alles vorkauen?“

„Nein“, seufzte Peter, „sagen Sie mir bloß noch, wie kriecherisch ich sein soll. Dass ich mal ein bisschen direkter fragen darf, wage ich schließlich schon gar nicht mehr zu hoffen.“

„Tun Sie bloß nicht so, als würde der MorgenExpress allen Politikern in den Arsch kriechen“, knurrte Irrgang, aber ein leichtes Grinsen umspielte seine Mundwinkel.

„Nein, nein, nicht allen“, beeilte Peter sich beizupflichten, „nur denen von der richtigen Partei. Den anderen natürlich nicht.“

„Man muss mit den Wölfen heulen“, gab Irrgang zu. „Trotzdem, wenn der Schmieder jetzt keine Pläne schmiedet – gutes Wortspiel, was? Haha – dann ist er noch schlapper als ich gedacht hätte. Mensch, Lachner, Sie wissen doch, wie man jemanden aus der Reserve lockt! Ich fress ´nen Besen, wenn der nicht Katzeders Nachfolge antreten will. Und Sie wissen ja, das entscheidet hier nicht die Stadtratsmehrheit, sondern da gibt´s richtige Wahlen. Außerdem ist da noch die Tochter.“

„Was ist mit der?“

„Lachner, bitte! Die ist doch vom Ehrgeiz zerfressen! Wetten, dass die jetzt im Windschatten vom Papi ganz nach oben will? Vielleicht kriegen Sie die ja auch vor die Flinte."

Schönes Bild, fand Peter – und dann abdrücken. Ursula Breitl fand er ungefähr so sympathisch wie Margaret Thatcher, vor allem, was die Ansichten betraf. Gegen die Breitl wirkten der Papst liberal und die stursten Arbeitgeberverbände geradezu sozialistisch. Schaffte auch nicht jeder, dachte er voller widerwilliger Bewunderung. Gnade uns Gott, wenn die hier jemals mehr wird als eine Nullachtfuffzehn-Stadträtin.

„Na gut, ich werd´s versuchen. Aber wenn ich wirklich was rauskriege – drucken Sie´s dann auch oder fallen Sie wieder um, wenn sich der Schmieder oder die Breitl beschweren?“

„Wofür halten Sie mich?“ Irrgangs Empörung wirkte nicht ganz überzeugend, denn ein Rest Selbstironie war ihm noch geblieben. „Naja... soll alles schon vorgekommen sein. Mit Fotos? Dann würde ich die Sonja mitnehmen.“

„Klar mit Fotos. Infotainment, Sie wissen doch. Heute geht Text ohne Fotos doch gar nicht mehr, die Leute können sich nicht mehr so lange konzentrieren.“ Kommt alles vom Fernsehen, leierte Peter im Stillen.

„Kommt alles vom Fernsehen. Visuell orientierte Gesellschaft“, dozierte Irrgang, und Peter staunte. Der Nachsatz war neu – der Chef hatte doch nicht etwa ein Buch gelesen? „Stand letzte Woche in unserem Feuilleton“, outete Irrgang sich sofort und feixte kurz. „Also, worauf warten Sie noch? Auf, auf!“

Peter machte befehlsgemäß auf dem Absatz kehrt.

Existenzfrage

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