Читать книгу Existenzfrage - Elisa Scheer - Страница 6
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ОглавлениеDie Sonne versank ausgesprochen dekorativ im Pazifik und malte einen glühenden Streifen auf die ölig wirkende Wasseroberfläche. Für den Spätherbst war es hier in Kalifornien wirklich noch erstaunlich warm.
Zuhause in Bayern schneite es wahrscheinlich schon und die Menschen hasteten nach Weihnachtsgeschenken herum. Das taten sie hier auch, aber hier wirkte der Weihnachtsrummel so kitschig und übertrieben, dass er Valentin kein bisschen an zu Hause erinnerte. Gott sei Dank.
Vor solchen Erinnerungen war er schließlich geflohen - und er war regelrecht dankbar dafür, dass hier alles anders war. Statt Schneematsch warmer Sand in den Schuhen, statt ernster Gesichter vergnügte, oberflächliche Kameradschaftlichkeit. Hier nannten sie ihn Val und interessierten sich nur für seine Softwareentwicklungen, niemand sah ihn betroffen an und fragte mit umflorter Stimme, ob er sich schon von seinem Verlust erholt habe.
Verlust – das hatte sich immer angehört, als hätte er sein Handy im Bus liegen gelassen, nicht, als sei ein geliebter Mensch plötzlich nicht mehr da. Er wollte doch nicht mehr daran denken!
Vorwärts blicken! Heute Abend hatte er eine Verabredung mit Liz und Tony in einem Szenelokal in Santa Monica. Glücklicherweise würden sie ihn abholen, er neigte immer noch dazu, schneller zu fahren als es hier erlaubt war. Außerdem machten diese Automatikgetriebe auch nicht den geringsten Spaß.
Jutta war so gerne Auto gefahren – nein. Weg mit diesen Gedanken, sonst kam er doch nie davon los. Vielleicht lenkte es ihn ab, wenn er an Irene dachte, ihre Würde, ihre geistreichen Äußerungen, ihre beeindruckende Ruhe – und ihren elenden Tod. Nein, auch das nicht.
Was war an ihm, dass alle Frauen starben? Jutta, Irene, Verena... brachte er Unglück? Andere hatten ihn unbeschadet überstanden, aber die hatte er auch nicht so geliebt. Oder redete er sich das im Nachhinein ein? Allmählich wurde es dämmerig. Das passte ausgezeichnet zu seiner Stimmung – dunkel und tot. War er dazu verurteilt, alleine zu bleiben, weil seine Frauen starben?
Nach Juttas Tod hatte die Polizei ihn schon sehr seltsam angeschaut – so, als verdächtigten sie ihn, etwas damit zu tun zu haben. Natürlich war das Blödsinn, niemand konnte es schließlich besser wissen als er selbst. Aber warum es passiert war... hatte es doch an ihm gelegen? Indirekt, sozusagen?
Vielleicht stellte er zu hohe Ansprüche an seine Freundinnen, und das schwächte dann ihr Immunsystem oder ihr Nervenkostüm... Blödsinn, das alles war nur eine Kette tragischer Zufälle gewesen.
Er seufzte und erhob sich, klopfte sich den Sand aus den Chinos und schlenderte zurück zu seinem Haus. Gemietet natürlich. Kurz dachte er an das Haus, das er in Leisenberg gekauft hatte. Hässlich wie die Nacht finster, aber eine echte Herausforderung. Das würde ihn ablenken, und zwar monatelang, wenn er erst wieder zurück war. Bis jetzt hatte er ja nicht mehr geschafft, als all seinen Kram – sehr viel war es nicht – und das bisschen, was ihm von Jutta geblieben war, sozusagen in einer Ecke aufzustapeln.
Bevor er auch nur einen Besuch im Baumarkt oder einen Anruf bei geeigneten Handwerkern ins Auge fassen konnte, war der Anruf aus Santa Monica gekommen, und er hatte es gerade noch geschafft, das Maklerbüro, das den Kauf vermittelt hatte, zu beauftragen, das Scheusal für ein halbes Jahr zu vermieten, billig, aber das Geld konnte bei den zu erwartenden Sanierungskosten nicht schaden. Und außerdem wurde das Haus so wenigstens beheizt und bewacht.
Er hatte gehandelt wie ein Zombie, telefoniert, gebucht, gepackt, angeordnet, delegiert – schließlich musste der Betrieb ja weiter laufen – aber sich kaum einen nichttechnischen Gedanken und schon gar kein Gefühl gestattet. War das eigentlich normal? Jutta war schon fast zwei Jahre tot, und er hatte den Geschmack am Leben immer noch nicht wieder gefunden.
Ach, kein Wunder, dachte er, während er mehr oder weniger lustlos duschte und sich in Hemd und Anzug quälte. Nach dem dritten Mal konnte man schon nachdenklich werden. Und nie war er dabei gewesen – vielleicht hätte er etwas tun können, etwas verhindern...? Bei Krebs ja wohl nicht, aber Tabletten... und wenn er an diesem Nachmittag am Strand geblieben wäre, anstatt sich mit dem Autoverleiher herumzuzanken... wenn er Verena diese dämliche Luftmatratze weggenommen hätte... wenn er energischer darauf bestanden hätte, dass Jutta ihm sagte, was sie bedrückte... wenn – ja, wenn er alles anders gemacht hätte…
Er war eigentlich hergekommen, um zu vergessen – gut, und um wegen der Softwarelizenzen zu verhandeln und damit Kapital satt zu beschaffen – aber das schien nicht zu klappen. Er musste sich eben daran gewöhnen, alleine zu leben. Oder nur ganz unverbindliche Beziehungen zu haben. Den flüchtigen Bekanntschaften ging es heute immer noch glänzend.
Flüchtige Beziehungen lagen ihm nur leider nicht, er wollte die große Liebe. Scheiß-Romantik. Er hatte die große Liebe dreimal gehabt, und dreimal hatte es in einer Katastrophe geendet – wenn das kein Zeichen war!
Vielleicht würden Liz und Tony ihn ablenken. Aber hoffentlich brachten sie nicht wieder eine gute Freundin mit! Das ist Brenda, sie ist frisch geschieden und hat einen kleinen Sohn, der sich brennend für Computer interessiert... Und dann gequälter Smalltalk...