Читать книгу Existenzfrage - Elisa Scheer - Страница 15

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Als sie sich gerade mit dem klemmenden Türschloss abmühte (wieso klemmte das eigentlich seit Neuestem dauernd?), hörte sie, wie drinnen das Telefon klingelte. Eigenartig – wer hatte denn die Nummer? Vera, Nadine und dieser komische Seidenaber wussten nur ihre Handynummer; der Festnetzanschluss lief ja auch gar nicht auf ihren Namen. Eigentlich hatte sie geglaubt, das Telefon sei gar nicht angeschlossen. Nun, ganz offensichtlich doch, so penetrant wie es klingelte! Endlich hatte sie die Tür auf, ließ all ihren Kram fallen, warf die Tür zu und stürzte an den Apparat. „Hassfurter?“

Schweigen am anderen Ende, dann ein leises Klicken. „Arschloch“, schimpfte Sissi in den toten Hörer, „wenn du dich verwählst, könntest du dich ja wenigstens entschuldigen!“ Sie knallte den Hörer auf die Gabel.

Naja, vielleicht hatte er damit gerechnet, Dalberg oder Freudenreich zu hören, entschuldigte sie ihn (oder sie?) später, als sie ihre Einkäufe in die Küche schleifte und verräumte. Aber dann hätte er ja wohl nachfragen können!

In den letzten beiden Wochen hatte sie sich eigentlich ganz nett eingewöhnt, aber zeigen mochte sie diese Behausung doch lieber niemandem. Vera platzte vor Neugierde, aber Sissi war entschlossen, sich mit ihr lieber in der Stadt zu treffen und ihr, wenn überhaupt, das Haus erst zu zeigen, wenn der Alkohol einen freundlichen Schleier über die Hirschgeweihe und die düstere Täfelung gelegt hatte.

Nadine hatte bisher nur ins Handy gejammert, sie hatte da nämlich so einen undefinierbaren Rückenschmerz, vielleicht Ischias oder ein Bandscheibenvorfall. Jedenfalls würde sie über kurz oder lang im Rollstuhl sitzen und Holger würde sie verlassen, das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Holger ja überhaupt, er hatte so gar kein Verständnis für sie und ihre zarte Natur, wie ja alle Männer, wenn man es genau nahm. Rücksichtslos bis dorthinaus, man musste sich ja nur anschauen, wie Hubert mit Sissi umgesprungen war, einfach em-pö-rend! Sissi grinste, während sie die Gurke schälte und nach einem Hobel suchte. Keiner da, wie zu erwarten.

Nadine fand alle Männer immerzu empörend, vor allem Hubert – das freilich zu Recht – und ihren eigenen Holger, der eigentlich eine Engelsgeduld mit ihr hatte und sie auf das Netteste umsorgte. Bis Nadine bei einem Treffen im bequemsten Sessel installiert war, ein Kissen ihren Rücken stützte und sie auch garantiert keinen Zug verspürte, das konnte dauern. Und bis sie das richtige, stille, aber nicht zu stille Mineralwasser hatte, dauerte es noch länger.

Nadine war schon eine Nummer! Aber sie tat das alles nicht, um Holger herumzuscheuchen, sie glaubte wirklich, eine zarte Konstitution zu besitzen, und nur Sissi durfte ihr ab und zu sagen, ihr fehle gar nichts außer einem Tritt in den Hintern. Dann pflegte Nadine zart zu kichern und noch etwas pflegebedürftiger dreinzuschauen.

Sissi hackte die Gurke mit dem Messer in Scheiben und kippte einen Beutel Dressing darüber, ließ alles etwas ziehen und brach eine Baguettesemmel auseinander. Ein reichlich frugales Abendessen, aber Vera hatte heute Walnusslebkuchen ins Büro mitgebracht, und die wollten abgebüßt sein.

Sobald sie alles auf dem Couchtisch arrangiert und den MorgenExpress aus der Tasche gezogen hatte, klingelte ihr Handy. Typisch! Mürrisch ging sie dran, denn jetzt wollte sie wirklich essen und Zeitung lesen.

„Elisabeth?“

Nur einer nannte sie Elisabeth!

„Hubert? Was willst du denn noch? Ich denke, du bist heilfroh, wenn du von mir nie wieder etwas hörst? Nicht, dass es mir so viel anders ginge, übrigens.“

„Naja... was sagt man nicht alles im ersten Zorn – berechtigten Zorn...“

„Schon darüber ließe sich streiten, aber wozu noch. Was willst du? Ich werde doch nicht Gott behüte irgendeins deiner Geschenke mitgenommen haben? Das täte mir Leid. Sag mir, was es ist, und ich schicke es mit Kurier.“

„Mit Kurier?“

„Wie denn sonst? Bei der Post geht´s verloren, und sehen wollen wir uns ja wohl nicht.“

„Du hast nichts mitgenommen.“

„Also, dann wüsste ich wirklich nicht, was du mit deinem Anruf bezweckst? Willst du dich vergewissern, dass ich in der Gosse gelandet bin, die du mir an den Hals gewünscht hast? Wie soll das über Handy gehen? Ich kann dir ja alles erzählen, und du weißt doch, ich lüge, wenn ich den Mund aufmache. Alle Frauen lügen, wenn sie den Mund aufmachen.“

„Sei nicht albern.“ Sissi setzte sich und schob sich ein Stück Gurke in den Mund. „Albern? Das waren deine Worte!“

„Isst du?“

„Ja.“

„Warum?“

„Weil ich Hunger habe.“ Was für ein bescheuerter Dialog!

„Willst du mich kontrollieren, Hubert? Dann darf ich dich daran erinnern, dass wir geschieden sind und mein Leben dich nichts mehr angeht. Ich kann deinen Namen nicht länger in den Schmutz ziehen, und dein Geld gebe ich auch nicht aus. Habe ich übrigens nie“, fügte sie mit einem neuen Stück Gurke im Mund hinzu.

„Jetzt iss doch nicht dauernd!“

„Wieso nicht? Ich hab Hunger, hab ich doch schon gesagt.“

„Trotzdem. Warte doch ein paar Minuten. Weißt du, ich hab mir was überlegt...“ Sissi lehnte sich resigniert zurück. Was kam denn jetzt wieder? Und was hatte sie mit seinen Ideen noch zu tun?

„Also, ich denke, ich könnte dir vielleicht verzeihen...“

„Ach was!“

„Doch, das könnte ich mir vorstellen.“

„Hubert“, begann Sissi wütend, „du hast mir nichts zu verzeihen, weil ich nämlich nichts angestellt habe. Aber ich verzeihe dir dein Misstrauen nicht. Tröste dich doch mit deinem Kumpel Frajo. Männer lügen nicht, du weißt ja.“

Damit legte sie auf und schaltete das Handy gleich ganz ab.

Hubert war wirklich zu blöde! Frajo behauptete, er habe sie mit einem anderen Mann aus einem Hotel kommen sehen – zu einem Zeitpunkt, zu dem sie nachweislich in einer ungemein langen und ungemein langweiligen Konferenz zum Weihnachtsgeld gesessen hatte – und was tat Hubert? Sagte: „Du hast mich betrogen! Ich hab die Scheidung eingereicht, pack deine Sachen und verschwinde.“

Ihr verblüffter Widerspruch wurde mit dem Hinweis auf Frajo abgetan, also hatte sie die Achseln gezuckt und alles gepackt, was sie vor der Ehe schon besessen hatte und jetzt auch behalten wollte. Viel war es nicht, und bei allem Wertvollen zankte Hubert mit ihr, ob er das nicht ein Geschenk von ihm gewesen sei.

Schon während des Packens hatte ein Gefühl tiefer Erleichterung die erste Wut abgelöst, als sei ein Knoten geplatzt. Hatte sie nicht ohnehin gewusst, dass diese Ehe nicht gut gehen würde? Dass es zu Hubert gar keine Nähe gab? Nun warf er sie raus und sie konnte es sich sparen, taktvoll von Trennung und erloschenen Gefühlen herumzustottern.

Und jetzt wollte er ihr großmütig verzeihen? Was? Dass er jede falsche Anschuldigung gegen sie glaubte, nur weil sie von Frajo kam, Frajo, der ihn in seiner Paranoia noch bestärkte? Frajo, dessen Frau ihn vor zwei Jahren völlig zu Recht verlassen hatte, weil er so eine grauenvolle Nervensäge war?

Wenn, müsste sie ihm verzeihen, aber sie dachte gar nicht daran. Wenn einer seiner Frau nicht einmal Gelegenheit gibt, ihr perfektes Alibi vorzubringen...

Ehrlich gesagt, hätte es spätestens bei der Scheidung dazu Gelegenheit gegeben, aber da hatte sie schon keine Lust mehr gehabt, sich zu rechtfertigen. Mit einer solchen Ehe machte man am besten wirklich Schluss!

Hubert war ein furchtbarer Idiot, schloss Sissi ihre Überlegungen ab und widmete sich wieder ihrem klobigen Gurkensalat. Schmeckte nicht besonders, aber man konnte es essen. Eigentlich sollte sie Vera anrufen und ihr von Huberts großmütigem Angebot erzählen, aber dazu hatte sie jetzt auch keine Lust. Das Telefon klingelte wieder. Sie riss den Hörer von der Gabel und meldete sich. Einige Atemzüge am anderen Ende, ansonsten Stille, dann Klicken.

„Zu blöd, ein Telefonbuch zu lesen“, schimpfte Sissi ungerecht. Wenn diese Nummer unter Freudenreich oder Dalberg eingetragen war, konnte der arme Hund ja nicht wissen, dass das nicht mehr stimmte! Endlich konnte sie sich der Zeitung widmen. Die üblichen Querelen der Lokalpolitik... Ah, das war interessant! Dieser lac hatte die Local Agenda aufgesucht und sich angehört, was die Herren zu dem Kulissenkrieg im Rathaus zu sagen hatten.

Das Gerücht, Dr. Richter plane geradezu sozialistische Reformen und werde damit die Stadtfinanzen in unverantwortlicher Weise ruinieren, die Katzeder so mühsam saniert habe, war auch bis in diese Kreise gedrungen, aber im Gegensatz zur Mittelstandsvereinigung, in der vor allem die großen Handwerksbetriebe organisiert waren, hatte man hier versucht, den Ursprung des Gerüchts zu eruieren und glaubte, vorsichtig formuliert, auf „interessierte Kreise“ gestoßen zu sein, wie es der Unternehmensberater Restorff formulierte. Petersen verkündete, man werde sich beide Kandidaten persönlich anhören, anstatt nach Gerüchten zu gehen, Christen fügte hinzu, ihm gefalle Schmieders Ansicht nicht, dass jedes Unternehmen die Pflicht habe, an die Börse zu gehen, weil nur so Transparenz gewährleistet sei. Seine Firma jedenfalls werde sich ihre Handlungsfreiheit bewahren und mit Blick auf das Firmenwohl, nicht mit Blick auf shareholder value agieren. Wohin das führe, wenn es übertrieben werde, habe man schließlich erst vor wenigen Jahren gesehen. Hamm, der Lederwarenproduzent, und einige andere stimmten dem zu.

Sissi grinste. Hier hatte der hungrige Wolf schon mal keine ergebene Gefolgschaft! Sie glaubte auch nicht, dass ein Protegé von Katzeder tatsächlich sozialistischen Ideen huldigen würde. Ob Schmieder das höchstpersönlich gestreut hatte? Der musste sich mit Sozialismus ja auskennen, er kam doch aus der ehemaligen DDR – Neufünfland. Sachsen-Anhalt, oder?

Eigentlich war das Ganze ohnehin merkwürdig – zwei Kandidaten, aber von derselben Partei? Und keiner von den anderen? Das Leisenberger Kommunalwahlrecht machte es möglich, aber komisch fand sie es doch.

Dazu hatte diese penetrante Breitl noch einen Kindergarten eröffnet. Die riss sich ja um jeden Auftritt, bei dem sie Lady Di spielen konnte! Der Artikel, kurz und diskret spitzzüngig, stammte ebenfalls von lac. Der Mensch – oder die Menschin, wer wusste es schließlich – konnte schreiben, das musste man ihm/ihr lassen!

Das Telefon klingelte schon wieder. Dieses Mal meldete sie sich mit brummiger Stimme und sagte: „Ja, bitte?“ Wenn sie gehofft hatte, dass jetzt jemand nach Freudenreich oder Dalberg fragte, wurde sie enttäuscht. Wieder Atmen, Stille, Auflegen. Sollte das Psychoterror werden? Sollte sie beim nächsten Mal schrill in den Hörer pfeifen? Für diesen Idioten noch eine Trillerpfeife anschaffen, soweit kam´s noch!

Lieber hängte sie den Hörer aus. So kam sie wenigstens zu einem friedlichen Abend mit einem eher langweiligen Krimi im Ersten; danach kontrollierte sie, ganz Hausbesitzerin, ob alle Türen verschlossen waren, bastelte an der Alarmanlage herum und verzog sich ins Bett.

Existenzfrage

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