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„- kann gar nicht früh genug beginnen“, sprach Stadträtin Breitl in das mit Luftballons verzierte Mikrofon. Peter langweilte sich. Ab und zu schrieb er eine der Plattitüden mit, die Schmieders ehrgeizige Tochter da vorne absonderte, ansonsten beobachtete er das Publikum – Presse, so wie er, junge Eltern, die künftigen Besucher fest an der Hand, die Erzieherinnen, von denen eine zu jedem Satz der Breitl die Augen zum Himmel verdrehte.

„Kinder sind unser kostbarster Rohstoff -“

Welch origineller Gedanke! Wie war sie darauf bloß gekommen?

„- und ihre Bildung und Erziehung muss unser Hauptanliegen sein -“

„Ja, so lange es kostenneutral läuft. Verdammte Sonntagsreden“, murmelte die Frau neben ihm und hielt ihr kleines Mädchen energisch fest, das natürlich zu den vielen Luftballons wollte. Peter grinste ihr zu. „Das nennt man Politik.“

Ich nenne es hohles Geschwätz. Ich kenne so viele Lehrer, und glauben Sie, diese Sonntagsredner machen nur einmal extra Geld locker? Nein, nur mit solchem Gequatsche sind sie großzügig!“

„Immerhin gibt es diesen neuen Kindergarten“, wandte Peter leise ein.

„Ja, aber trotz aller stolzen Reden – den hat die Stadt nicht bezahlt, sie hat ihn bloß genehmigt. Das ist eine Selbsthilfeaktion der Eltern im Viertel gewesen.“

„Lobenswert.“

Ursula Breitl sprach von der Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt – mit kleinen Seitenhieben auf die Bundesregierung.

„Sicher lobenswert, aber nicht, wenn sich die falschen Leute dafür loben lassen. Wetten, sie wird mit keinem Wort erwähnen, wer das Ganze organisiert hat?“

„Angenommen. Ein Essen, hinterher? Sie lassen Ihre Kleine doch hier, oder?“

„Ja. Aber ich muss zur Arbeit. Na gut, einen Döner vorne an der Ecke. Topp!“

Peter schlug ein, die Umstehenden beobachteten das mit freundlichem Interesse. Der Rede lauschte ohnehin niemand.

Ursula Breitl verbreitete sich über Medienerziehung. Sogar Peter, der technische Neuerscheinungen sehr schätzte, fand es albern, Kindern, die noch gar nicht lesen und schreiben konnten, den Umgang mit Computern beizubringen.

Er tauschte sich mit seiner Nachbarin halblaut darüber aus und notierte ab und an ein Stichwort. Diese Worthülsen konnte er aus dem Gedächtnis rekonstruieren, außerdem würde morgen das große Interview mit Richter erscheinen, da blieb für die Sache hier höchstens eine halbe Spalte, und dafür hatte er schon genug. Vor allem, wenn noch ein Foto reinkam. Breitl mit ausgewählten Kleinkindern und ein, zwei Luftballons – oder so. Die Fotos waren immer gleich. Sollte Sonjas Akku schwächeln, konnte man etwas Passendes im Archiv ausgraben. Merkte kein Schwein.

Ursula Breitl streifte die Gefahren des Internets und wandte sich der dringend erforderlichen Rückkehr zu den Werten des christlichen Abendlands zu.

„Jetzt hat sie´s gleich“, murmelte Peter und notierte Werte/Abendland (da wusste er dann schon).

„Glauben Sie?“

„Klar, das ist immer der letzte Punkt. Etwas Erhebendes und Pathetisches gehört ans Ende. Mit Ausblick auf die Zukunft. Haben Sie nie Erörterungen geschrieben?“

„Doch, klar. Die erzählt wohl auch immer dasselbe?“

„Immer“, seufzte Peter. „Statt Stichworten hätte ich wirklich nur Standard notieren müssen und einen alten Artikel rausziehen. Kurz die Suchfunktion – Hort oder Spielplatz durch Kindergarten ersetzen -, Datum ändern, fertig.“

„Jaja, die Presse hat´s schon schwer, was?“ Seine Nachbarin feixte ihn an.

Er seufzte betont mitleiderregend. „Furchtbar!“

Die Breitl kam tatsächlich zum Ende und erklärte den Kindergarten für eröffnet. Sie hatte kaum feierlich das quietschbunte Band durchgeschnitten, als alle Eltern ihre Kinder losließen und die kreischend nach drinnen stürzten, wo es angeblich Lollis gab. Die verblüffte Breitl konnte sich gerade noch auf die Seite retten. Peter seufzte wieder. „Na, dann werde ich mal. Treffen wir uns in zehn Minuten wieder hier?“

„Gut. Bis dahin hab ich Miriam klar gemacht, dass sie bis heute Mittag hier bleiben darf.“ Peter nickte und bahnte sich einen Weg zum Mikrofon. „Frau Breitl? Lachner, vom MorgenExpress...“

„Ach ja. Ihr Name ist mir ein Begriff.“ Sicher kein guter, überlegte er, aber sie musste zu allen Journalisten freundlich sein. „Schreiben Sie die Gründung dieses Kindergartens den Bemühungen Ihrer Fraktion zu?“

Sie blinzelte misstrauisch. „Indirekt schon. Wie Sie vielleicht wissen, geht die Gründung auf eine Elterninitiative zurück, nicht auf städtische Gelder... Wir schmeicheln uns, die Bürger zu solcher Eigeninitiative zu ermutigen und sie mit Hilfe und Beratung dabei zu unterstützen, außerdem natürlich bürokratische Hemmnisse abzubauen, wo immer es möglich ist. Unser Stadt ist ohnehin dermaßen überreglementiert, denken Sie an den Hickhack um das neue Dosenpfand...“

Dumm war die Frau nicht, musste Peter zugeben, während er den Ausführungen lauschte, die mit dem Kindergarten rein gar nichts mehr zu tun hatten, sie hatte die Falle sofort gewittert. „Würden Sie Ihre eigenen Kinder auch hierher schicken?“, fragte er, als der Exkurs über bürokratische Hemmnisse zum Ende gelangt war. Sie seufzte kummervoll. „Wir haben leider nur ein Kind, unseren Florian – und mein Mann hat darauf bestanden, dass er in den Kindergarten von St. Korbinian geht.“

„Na, was nicht ist, kann ja noch werden“, meinte Peter aufmunternd. Ihr Mann hatte darauf bestanden, das war ja wohl ein Witz! Jeder wusste doch, dass der arme Hund total unter dem Pantoffel stand.

Sie seufzte noch kummervoller, und Peter bedankte sich hastig für das Interview, bevor sie ihm noch erzählen konnte, aufgrund welcher gynäkologischen Probleme der kleine Florian keine Geschwister mehr bekommen würde.

Hätte sie das wirklich getan?, fragte er sich, während er auf seine Verabredung wartete. Wahrscheinlich nur, wenn er von einer Frauenzeitschrift gekommen wäre. Tränendrüse... Da kam sie schon, sichtlich erleichtert. „Miriam spielt mit zwei sehr netten Mädchen und hat mich ganz lässig weggewunken. Tja, ich schulde Ihnen einen Döner, oder?“

„Wie man´s nimmt. Im Interview hat sie´s dann doch zugegeben.“

„Das gilt nicht, wir haben wegen der Rede gewettet.“ Sie warf einen spöttischen Blick auf die Breitl, die gerade von zwei anderen Journalisten befragt wurde und sicher wieder die Dosenpfandgeschichte zum Besten gab, wie Peter den Gesten zu entnehmen glaubte.

„Kommen Sie, ich muss bald zur Arbeit.“

„Wo arbeiten Sie?“

„In der Rathausbuchhandlung, halbtags. Ich heiße übrigens Carola Klein.“ Sie streckte die Hand aus, und er ergriff sie. „Peter Lachner.“

Carola bestand darauf, die Döner zu zahlen, und sie schlenderten, ab und an abbeißend und sich Tzatziki aus dem Mundwinkel wischend, Richtung Markt.

Er fand sie nett. Rein äußerlich nicht sein Typ (zu klein und zu „fraulich“), aber mit gesundem kritischen Urteil über die Lokalpolitik und trockenen Humor gesegnet. Als sie im Gespräch ihren Freund erwähnte, verspürte er so etwas wie Erleichterung und schalt sich im Stillen sofort einen eingebildeten Esel – wer war er, dass alle Frauen sofort hinter ihm her sein sollten?

Sie verabschiedeten sich herzlich voneinander und Carola versprach, nach dem Bericht über die Kindergarteneröffnung Ausschau zu halten.

Peter eilte in die Redaktion zurück, um den Artikel zusammenzuhauen und dann mit frischen Tapes die Damen und Herren – wohl eher nur Herren – der Local Agenda zu interviewen.

Die Local Agenda war eine Art Privatclub von jungen Unternehmern, die sich von der traditionellen Mittelstandsvereinigung nicht so recht vertreten fühlten – hauptsächlich IT-Branche, aber auch Petersen von XP gehörte dazu und einige leitende Angestellte größerer Firmen. Frischer Wind und gesunder Menschenverstand, danach schienen sie zu handeln. Bis jetzt allerdings hatten sie hauptsächlich ihr eigenes Netzwerk aufgebaut, das schon eine beachtliche Konkurrenz zum traditionellen Filz in Leisenberg darstellte. Peter brannte darauf, zu erfahren, was diese Leute von Schmieder, Richter und Breitl hielten.

Existenzfrage

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