Читать книгу Existenzfrage - Elisa Scheer - Страница 17
4
ОглавлениеEr hätte sich nicht darauf einlassen sollen, aber sie hatte im ersten Moment so nett und vernünftig gewirkt. Jetzt saß er da, trank Diet Coke mit viel Eis (No ice nahm hier anscheinend niemand zur Kenntnis) und lauschte notgedrungen.
Shelley hieß sie, war sechsundzwanzig (sowieso viel zu jung für ihn), blond, dunkel braun gebrannt, sportlich und sehr entschieden in ihren Ansichten.
Bei der Vorspeise – Blattsalate ohne Dressing, denn Salate waren gesund und das Dressing leider nicht fettfrei – hatte er alles über ihre Ernährungsgewohnheiten erfahren. Seine vorsichtige Anmerkung, ob Geschmack und persönliche Vorlieben denn für sie gar keine Rolle spielten, stieß nicht auf Verständnis – man aß, um den Körper zu pflegen. Der Körper war schließlich ein Tempel!
Nur schien keine sehr eindrucksvolle Gottheit drin zu wohnen, dachte Valentin schlecht gelaunt und stocherte in seiner Pasta herum. Shelley hatte Pasta verschmäht – Kohlenhydrate waren Gift, und das Öl in der Spaghettisauce natürlich sowieso. Dafür schmeckte die Sauce aber himmlisch, nur waren die Spaghetti a) etwas zu weich und b) viel zu kurz, so dass man sie nicht wickeln konnte. Aber das schien hier ohnehin nicht üblich zu sein.
Shelley aß stattdessen eine gebackene Ofenkartoffel (waren das keine Kohlenhydrate?) mit fettfreiem, glutenfreiem, ungesalzenem Quark. Sah auch absolut geschmacksfrei aus. Frauen, die keinen Spaß am Essen haben, haben auch keinen Spaß an der Liebe. Wer hatte das gesagt? Tucholsky? Keine Ahnung. Heute müsste man das wahrscheinlich sowieso geschlechtsneutral formulieren. Oder war das auf Männer gar nicht anwendbar?
Er fuhr zusammen, aber Shelley hatte gar nicht gemerkt, dass er nicht zugehört hatte. Für sie war das Leben ohnehin kein Spaß, sondern eine ernste Aufgabe, aus der man einen Erfolg machen musste. Erfolg war Glück.
Er unterbrach sie, um sich zu erkundigen, was sie eigentlich unter einem Erfolg verstand. Sie sah ihn perplex an und setzte dann zu einer zunächst stockenden, dann zunehmend flüssigeren Stellungnahme an. Valentin lauschte und kämpfte zerstreut mit seinen Spaghetti. Also, Erfolg bedeutete, einen tollen Beruf zu haben, zu heiraten, Kinder zu bekommen, ein schönes Haus zu haben, die Kinder zu erfolgreichen Menschen heranzuziehen und später mit genügend Geld in Rente zu gehen. Eigentlich klang das ganz vernünftig. Beruf, Privatleben – wünschte er sich denn etwas anderes?
Doch, als Shelley weiter ausholte, merkte er, dass es doch etwas anderes war. Das begann schon beim Beruf: Ein toller Beruf war für sie einer, bei dem sie einen künftigen Ehemann treffen konnte. Valentin erkundigte sich, was sie denn beruflich machte, und es stellte sich heraus, dass sie Empfangsdame bei einem sehr teuren Zahnarzt war. „Ist das interessant?“, fragte er naiv.
„Aber ja. Wissen Sie, mein Chef macht vor allem Überkronungen und Kieferkorrekturen, und da kommen viele erfolgreiche junge Männer hin. Mit schiefen Zähnen kann man doch nichts werden im Leben!“
Das war Valentin neu, aber zeigte ihr gehorsam seine Zähne, hoffend, dass keine Kräuter aus der Sauce dazwischen hingen. Sie nickte billigend. „Ganz anständig. Ein bisschen weißer könnten sie vielleicht sein, da gäbe Ihrem Lächeln etwas Strahlendes, wissen Sie. Wie bei einem Hollywoodstar. Und der Eckzahn da steht ein kleines bisschen schief – mit einer Spange könnte man das-“
„Shelley, ich bin fünfunddreißig und leite eine Firma. Ich laufe bestimmt nicht mit einer Zahnspange herum wie ein pickliger Teenager, da mache ich mich doch lächerlich. Außerdem hat mein Zahnarzt nichts an meinem Gebiss auszusetzen.“
„Ja, sicher – aber das war ja auch in Europa, nicht? Wenn Sie hier Erfolg haben wollen, müssen Sie wirklich perfekt aussehen. Wie das gesunde Leben persönlich. Sie sollten auch öfter lächeln.“
„Warum?“
„Weil das eine positive Ausstrahlung vermittelt, und das ist wichtig. Und Gemeinschaftsgefühl, alle müssen sich einbezogen fühlen.“ Dumm war Shelley nicht, sie schien nur nicht zu merken, wie hohl das alles war.
„Ich kann nicht lächeln, wenn mir nicht danach zumute ist“, wandte Valentin also ein, aber das wurde abgetan.
„Das ist egoistisch. Sie lächeln, um anderen ein gutes Gefühl zu geben.“
„Und was ist mit mir? Ich meine, ich fühle mich doch auch nicht besser, wenn mich die anderen permanent angrinsen.“
„Nein?“
„Nein. Ich fühle mich gut, wenn mein Leben in Ordnung ist, und das ist es nicht.“
„Dann bringen Sie es in Ordnung, sonst werden Sie nie Erfolg haben.“
„Erfolg in welcher Hinsicht?“
„Das hatten wir doch schon! Gute Geschäfte, eine nette Ehefrau, Kinder...“
Valentin seufzte. „So einfach ist das nicht.“
„Ja, weil Sie nicht die richtige Ausstrahlung haben! Positiv ist das Zauberwort! Sie müssen sich mehr bemühen. Und Sie ernähren sich falsch – sagen Sie bloß, Sie wollen auch noch ein Dessert essen?“
„Oh ja“, antwortete Valentin, „das brauche ich jetzt. Ein Stück Apfelkuchen.“
Shelley schüttelte sich. „Apfelkuchen? Mit Sahne womöglich?“
„Nein. Ich mag keine Sahne.“
„Wenigstens etwas. Haben Sie keine Angst um Ihren Cholesterinspiegel?“
„Nein, der ist in Ordnung. Shelley, es gibt auch in Europa Ärzte und Gesundheitschecks, und einmal im Jahr reicht ja wohl, oder? Solange alles im grünen Bereich ist, kann ich doch leben, wie es mir Spaß macht!“
„Spaß!“ Sie winkte wieder ab. „Ein bisschen fun zwischendurch mag ja mal ganz nett sein, aber Sie dürfen doch das große Ziel nicht aus den Augen verlieren – dass Sie aus Ihrem Leben einen Erfolg machen!“
„Ich möchte lieber Freude an meinem Leben haben. Ob später Erfolg auf meinem Grabstein steht, kann mir doch egal sein.“
„Das ist ja morbide!“ Sie beäugte den Apfelkuchen missbilligend, der gerade vor ihn hingestellt wurde. Valentin beschloss, das Thema zu wechseln, weg von seinen Verfehlungen. „Und wie soll Ihr künftiger Ehemann sein? Oder haben Sie ihn schon gefunden?“
Sie lächelte kokett. „Noch nicht.“ Na, hoffentlich legte sie diese Frage jetzt nicht falsch aus! „Und wie soll er sein?“
„Nun... in gesicherten Verhältnissen, sportlich, gesund, sexy, ein guter Vater...“
„Und welche Interessen sollte er haben?“
„Interessen?“
„Ja, was soll er in seiner Freizeit gerne tun? Wofür soll er sich eben interessieren?“ Shelley zuckte die Achseln. „Naja, Sport eben, die Kinder – das weiß ich doch jetzt noch nicht. Wissen Sie denn, wie die Frau sein soll, die Sie mal heiraten werden? Oder sind Sie schon verheiratet?“
Valentin schüttelte den Kopf und überlegte. „Ich möchte mit ihr über alles reden können. Und sie soll leidenschaftlich sein, in jeder Hinsicht.“
„Meinen Sie – Sex?“ Die Pause deutete an, dass er etwas Unziemliches gesagt hatte. „Nein – wenigstens nicht nur. Sie soll genießen können, sie soll wissen, was sie liebt und was sie hasst – nichts Lauwarmes. Und gelassen soll sie zugleich auch sein, das würde sie bei mir auch brauchen.“
„Na, ob´s die gibt? Und wie soll sie aussehen?“
„Ach, das ist mir relativ egal. Nicht zu aufgetakelt. Dass es sie nicht gibt, weiß ich selbst.“
„Sie sollten Ihre Ansprüche etwas herunterschrauben.“
„Das kann ich nicht. Mit einer anderen Frau könnte ich nicht leben.“
Das stimmte, wurde ihm klar, als er es aussprach. Zwar hatten weder Verena noch Irene noch Jutta alle diese Kriterien erfüllt, aber er wollte trotzdem eine solche Frau. Shelley schüttelte resigniert den Kopf. Er erfüllte ihre Kriterien jedenfalls nicht, das sah er ganz deutlich – und mit einer gewissen Erleichterung – und jetzt überlegte sie, wie sie sich am schnellsten abseilen konnte. Sie verbarg nur sehr unvollkommen ein diskretes Gähnen. Gleich würde sie auf die Uhr sehen und dann...
„Was, schon so spät? Ich muss morgen ganz früh in der Praxis sein, gleich der erste Patient ist der Vizepräsident von pic.com – und noch zu haben...“
Valentin bat um die Rechnung; diese Chance wollte er ihr natürlich nicht vermasseln. Als er sie zu Hause abgesetzt hatte – ohne Gutenachtkuss, den wollte sie jetzt sicher auch nicht mehr an ihn verschwenden – fuhr er weiter an den Strand, setzte sich zwischen die Strandhaferbüschel in den Sand und dachte über das Bild nach, das er da von seiner Traumfrau entworfen hatte.
Tatsächlich, so sollte sie sein: Sie sollte das Leben lieben (und ihn natürlich) und sie sollte mit ihm über alles reden wollen. Nicht wie Jutta, die zwar leidenschaftlich gewesen war, aber ihn so oft davon ausgeschlossen hatte. Nicht wie Irene, die sich so wohltemperiert in ihr Schicksal gefügt und überhaupt nicht gekämpft hatte. Wäre er es nicht wert gewesen, dass sie bei ihm hätte bleiben wollen? Und warum sie sich nach der ersten niederschmetternden Diagnose so schnell aufgegeben hatte, hatte sie ihm nicht verraten. Vielleicht hatte sie nicht genug am Leben gehangen... er wusste es nicht.
Verena – das war schon sehr lange her, fast zwölf Jahre. Wie sie gewesen war, konnte er sich gar nicht mehr recht ins Gedächtnis rufen, schließlich war er mit vierundzwanzig auch noch anders gewesen und hatte auf andere Dinge Wert gelegt. Hübsch war sie gewesen, ein bisschen frivol – und leichtsinnig. Mit einer Luftmatratze raus aufs Meer!
Er seufzte. Gab es diese Traumfrau überhaupt, die alles verstand und trotzdem ihr eigenes Leben genoss? Die wusste, was sie wollte, und trotzdem mit seinen Wünschen umgehen konnte? Die ihn lieben konnte?
Das klang schon fast ein bisschen nach Mutterersatz, stellte er fest. Mutierte er jetzt zum wehleidigen kleinen Jungen? Oder verlangte er von einer Frau so viel, weil sie so viele Menschen ersetzen sollte – Eltern, Geschwister, Geliebte, Freunde? Vielleicht war es das – und das musste eine normale Frau doch völlig überfordern. Er würde sie nie finden.
Die Ansprüche herunterschrauben – Shelley war gut, das konnte er nicht. Nur um nicht alleine zu sein, mit einer Frau leben, die es nicht war? Viele andere konnten es, die Leute heirateten aus den abstrusesten Gründen. Entweder traf er diese Frau, oder er traf sie nicht. Schicksal. Wenn nicht, hatte er immer noch die Firma. Und er heiratete nicht irgendwen, bloß um verheiratet zu sein und auf seiner Erfolgsagenda wieder einen Posten abhaken zu können!
Shelley war der Typ, der sich vor Klassentreffen fürchtete, weil die anderen es vielleicht weiter gebracht hatten, schon verheiratet waren, schon Kinder hatten, ein größeres Haus besaßen oder mehr verdienten.
Und er? Er würde hingehen, um sich mit zwei, drei ausgewählten Klassenkameraden zu unterhalten – und dann würde er wieder verschwinden. Das Renommieren gehörte wohl weltweit zu Klassentreffen dazu: mein Haus, mein Auto, mein Boot. Da wollte er nicht mitspielen.
Liebte er selbst das Leben eigentlich? Konnte er einer Frau das überhaupt bieten – oder wollte er sich bloß an ihrer Lebensfreude wärmen, weil er selbst nichts dergleichen zu bieten hatte? So ein toller Fang war er wirklich nicht, das musste er zugeben – in die Arbeit vergraben, melancholisch, schwierig und mit hohen Ansprüchen. Warum sollte eine Frau so dumm sein, sich mit ihm einzulassen? Die Welt war voll netter junger Männer, die angenehmer im Umgang waren. Liebte er das Leben? Würde er es wegwerfen?
Nein. Oder? Würde er sich so fallen lassen wie Irene, einfach aufgeben und sich von der erstbesten Krankheit schlagen lassen? Nein, er würde kämpfen. Aber gegen Irene war das ungerecht, sie war nie eine Kämpferin gewesen.
Er klopfte sich den Sand von den Hosen, leerte seine Schuhe aus und fuhr nach Hause, wo er sich sofort die Kleidung herunterriss, duschte und dann ins Bett fiel. Eine solche Frau gab es gar nicht, er würde sie nie finden. Und anstatt darüber zu lamentieren, sollte er lieber wieder aufstehen und seine E-Mails checken!
Nichts Wesentliches, stellte er fest, eine Einladung von Liz und Tony, zwei Terminänderungen für die Treffen nächste Woche – und eine Nachricht des Maklerbüros in Leisenberg: Was wollten die denn? Er klickte die kryptische Betreffzeile an und las leicht erstaunt:
Sehr geehrter Herr Dalberg,Ihre Mieterin, Frau Hassfurter, hat sich über einen Einbruchsversuch beklagt. Sie hat uns gebeten, ihr Ihre E-Mail-Adresse zukommen zu lassen, damit sie sich, falls noch etwas vorkommt, mit Ihnen beraten kann, was ein Einbrecher gesucht haben könnte. Wären Sie damit einverstanden, wenn wir ihr Ihre Adresse geben?Mit freundlichen Grüßen,Iris Schneider.
Er antwortete sofort – natürlich konnten sie die Adresse weitergeben.
Einbruch? Wer sollte denn in dieses hässliche Haus einbrechen wollen? Wenn diese Frau Hassfurter nicht kiloweise Juwelen mitgebracht hatte – sein Kram war wirklich gar nichts wert, denn seine Wertsachen waren in der Bank hinterlegt. Die paar Kisten, der er oben und im Keller aufgestapelt hatte? Und die zwei, drei eigenen Möbelstücke, die er noch besaß, waren vollkommen leer und standen ebenfalls im hintersten Schlafzimmer an der Wand.
Eigenartig. Vielleicht eine Verwechslung?
Wollte diese Frau Hassfurter ihm vielleicht die Schuld geben? War das Haus so schlecht gesichert? An diese Details konnte er sich so genau gar nicht erinnern, mehr als Bausubstanz, Leitungen, Heizung und Dach hatte er sich damals gar nicht angesehen, bevor er beschlossen hatte, dass hier eine Langzeitaufgabe auf ihn wartete. Vielleicht passierte ja auch gar nichts weiter. Und wenn doch, würde er ja sofort informiert werden, und dann konnte er immer noch den nächsten Flieger nach Hause nehmen – jetzt, wo er fast alle Lizenzverträge unter Dach und Fach hatte und außerdem sicher war, dass er hier über gar nichts hinwegkommen konnte.