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19. Februar, Samstag
ОглавлениеWie ein Gedicht entsteht. Günter Kunert erzählt in seinen Aufzeichnungen Die Botschaft des Hotelzimmers an den Gast, wie ihm bei einem Gang durch den Garten plötzlich ein Satz erscheint, der eine Gedichtzeile werden kann, ein Satz, der nicht »gedacht« wird, sondern irgendwoher aufsteigt: Die Toten hängen in den Bäumen. Eine Blase »aus dem Sumpf des Unbewussten«. Es folgt eine Assoziationskette – und vielleicht wird daraus, in winzigen Schritten, ein Gedicht.
Wenn ich im Garten umherschaue, fällt mein Blick auf die Fruchtmumien an den Zweigen der Apfelbäume, diese kranken, toten, schwarzen Schrumpfköpfe, und ich weiß, wie wichtig es ist, sie rasch zu beseitigen, ehe ihre Sporen Schaden bei der nächsten Ernte anrichten können. An ein neues Gedicht denke ich nicht, Kunerts Gedichtzeile geht mir trotzdem durch den Sinn. Zu dem mir fremden Satz des geschätzten Dichters gesellen sich die Bilder meiner Wahrnehmung: die Schneeglöckchenknospen unter dem noch kahlen Pflaumenbaum, die stahlblaue Kälte, die seit Tagen herrscht, die zarten Blütenfäden der Zaubernuss, die sich strecken und winden vor den jetzt rot gestrichenen Brettern vom alten Hühnerstall, und, wie gesagt, die toten Früchte im Apfelbaum. Meine Bilder – ich suche, was sie verbindet, denn erst, wenn etwas auftaucht, was eine innere Verbindung des scheinbar Unverbundenen schafft, entsteht das Surplus, der »Mehrwert«, den jede Geschichte, jedes Gedicht braucht.
Der Haken, der sich unversehens in mir festmacht und schwer wieder lösen lässt, ist die Farbe Schwarz, es ist die Angst. Die weißen Knospen der Frühlingsblüher kommen aus der schwarzen Erde Angst. Vater in Russland, Vater im Krieg. Das zaghafte Blühen der Hamamelis und die staubtrüben kleinen Fenster in der Hühnerstalltür verbinden sich mit dem Verdunkelungsgebot. Ich wuchs als Kriegskind auf. Ich galt als schwieriges Kind, das man einsperrte ins Dunkle, in eine licht- und fensterlose Kammer.
Morgen schreibe ich ein Erlebnis auf. Was ich erzählen will, wird kein Gedicht. »Gedichteschreiben ist keine Fähigkeit, die man erwirbt und die einem zur Verfügung steht, wenn man will, wenn man seinen Willen dressiert und fleißig ist. Ach nein …«, notiert Eva Strittmatter 1988 in einem Brief.
Eine Geschichte von unserem Hühnerstall. Er ist im Sommer kitschigschön mit Rose und Passiflora berankt, doch was ich erzählen möchte, ist eine Geschichte von Dunkelheit und Angst. Und der Mehrwert im Garten – gewinnt ein Garten durch den Erwerb besonderer, womöglich exotischer Pflanzen, schwarzer Tulpen vielleicht? Gewinnt er durch Zuwendung und Pflege? Ich muss darüber nachdenken. Vielleicht ist es das Arrangement, die Gruppierung von Bäumen, Sträuchern, Blumen, was den Mehrwert erzeugt. In einer Baumschule oder einem Gartencenter gibt es die zweite Ebene der Poesie wohl kaum.