Читать книгу Von Blüten und Blättern - Elisabeth Göbel - Страница 8

4. Januar, Dienstag

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Über Nacht hat es ein wenig nachgeschneit, alle Schandflecke sind frisch überzuckert. Ich denke an die Tulpenzwiebeln in der Erde, hört ihr mich über euch hinweg laufen? Hört ihr, wie der Schnee unter meinen Schritten donnert und quietscht. Die Gewissheit, dass die Tulpenzwiebeln jetzt ruhen und dann auferstehen werden, tut mir gut. Wenn jemand gestorben ist, der mir lieb war, kommt wie von selbst eine Handreichung aus der Natur – eine Ringeltaube fliegt weg, ein Frosch verschwindet im Gras, ein Eichhorn tanzt über den Schnee. Die weißgelbe Dichternarzisse öffnet sich, der blaue Eisenhut strahlt. Mein Vater, der in einer sonnigen Herbstwoche starb, kam als Libelle. Als meine Gedanken noch sehr nahe bei ihm waren, erschien diese besondere, blau schimmernde Libelle, kreiste und brummte übers Gras und flog um Vaters Haus, als wollte sie schauen, wie ich alles bewerkstellige. Ich meinte, ich bewerkstellige es gut, doch mochte ich dem stahlblauen Gebrumm nicht zu nahe kommen; die Libelle zog ihre Kreise und schwirrte davon, um von Zeit zu Zeit erneut zu erscheinen. Bis heute schaut sie immer mal wieder vorbei.

Weil ich mich im letzten Herbst nicht für eine zum bunten Gartendurcheinander passende Farbe entscheiden konnte, habe ich Weiß gewählt, siebzig weiße langstielige Tulpen, schlicht und hoffentlich nicht so überzüchtet, dass sich ihre Pracht in einer einzigen Saison erschöpft. Unterm Schnee warten sie nun auf ihre Wiedergeburt. White triumphator heißt die Sorte, weißer Held.

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