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6. Januar, Donnerstag
ОглавлениеFrüh zwischen sieben und acht sehe ich jetzt jeden Tag den Morgenstern durch die Zweige der Birke blitzen. So hell blinzelt er mir zu. Wie wenig beachtet man die natürlichen Lichter, zumal um Weihnachten herum, wenn alles, drinnen wie draußen, so kunstvoll künstlich beleuchtet ist. Wenn der Himmel auch in der Nacht nur selten seine Tuschwasserfarbe verliert. Lichtverschmutzung, sagen manche. Wie schön leuchtet der Morgenstern, singen die, die nach oben schauen. Oder: Der Morgenstern ist aufgedrungen. »Singet, springet, jubilieret, triumphieret …«, beide Lieder aus dem sechzehnten Jahrhundert. Wenn wir mit dem Frühstück fertig sind, ist der Funkelstern längst hinter dem dicken Stamm der Lärche verschwunden. Es wird nun doch schon jeden Tag ein wenig früher hell.
Heute also ist Epiphanias, »Heilige Drei Könige« steht im Kalender. Schneeregen und Blitzeis gab es am Morgen, so dass der Weg zur Bushaltestelle eine schweißtreibende Rutschpartie war. Immerhin halfen die über die Winterschuhe gezogenen Wollsocken ein wenig zu bremsen. Zügig voran ging es nur da, wo der Schnee noch knöcheltief liegt. Man sinkt ein und rutscht nicht weg. Heute also Dreikönigstag, kein himmlisches Wunder, keine Epiphanie machte den Weg zur Haltestelle erträglicher.
Epiphanie bedeutet das Sichtbarwerden einer göttlichen Erscheinung. In der Antike war es das Erscheinen eines Gottes, der unerwartet und zumeist in irgendeiner Weise »verkleidet« auftrat – Zeus als Schwan, als Stier, als Nebelwolke oder Gold-Regen. Eher eine himmlische Offenbarung, ein Glücksmoment für den Menschen, eher Sinnenfreude und Versprechen denn ein Deus ex machina, der auftaucht, um ein Problem zu lösen. Leda, Europa, Io, Danae – die Auserwählten, die schönen, begehrten Frauen.
Als Erscheinung der Zuversicht und der Freude kam die Epiphanie ins Christentum. Das ärmliche, unscheinbare Kind in der Krippe, Jesus, ist dennoch das göttlich strahlende Kind, dem die Könige – so berichtet die Legende – exquisite Gaben bringen. Sie beschenken es mit Dingen, die im Stall von Bethlehem gewiss nicht von großem Nutzen sind, Geschenke von hoher Symbolkraft: Gold, Weihrauch und Myrrhe. Was uns an dieser Geschichte und ihren zahllosen Darstellungen in der Kunst betört, vielleicht auch verstört, ist der kaum zu steigernde Kontrast zwischen tiefster Armut und üppigstem Gepränge. Doch letztendlich kommt der Glanz nicht von der Pracht der Königsmäntel und der luxuriösen Geschenke, den Glanz macht vielmehr das Licht. Es sind die Maler – man denke an Caravaggio und an Rembrandt und seine Schule –, die es auf die Leinwand zaubern. Aber auch die Dichter bringen das Leuchten in die Literatur.
Durch die künstlerische Gestaltung auch im nichtreligiösen Kontext erlangt eine im Grunde alltägliche Szene eine über sie hinaus weisende Bedeutung, eine »Aura«. Alltägliches verliert seine Banalität, Gewöhnlichkeit wird zur Besonderheit. In der Literatur genügt oft ein winziges Detail, um beim Leser etwas aufscheinen zu lassen, was Erklärungen überflüssig macht und dennoch ein tieferes Verstehen bewirkt, eine dem Alltag zuzuordnende Offenbarung. So erzeugt das Wortgewebe auf dem Papier Freude, manchmal sogar einen Hauch von Feierlichkeit.
James Joyce gilt als Entdecker der Epiphanie in der Literatur. In Kleine Schriften, Epiphanien schafft er Szenen, deren gewöhnliche, doch mit der Sicherheit des aufmerksamen Dichterblickes genauestens wahrgenommene Details ganze Lebenswelten heraufbeschwören.
Ist das Aufspüren des Details vielleicht eine eher weibliche Wahrnehmungsweise? Auch Virginia Woolf entwickelt sich zur Meisterin der Epiphanien, die sie illuminations oder daily miracles nennt. Im Erzähl- und Erinnerungsstrom hält sie das Leben für einen Augenblick an: »Life stand still here.« In Alltagsgeschichten wie der Vorbereitung einer Bootsfahrt zum Leuchtturm oder dem Blumenkauf für eine Party gibt es Schlüsselmomente von großer Symbolkraft, die in einem durchaus realistischen Zusammenhang erscheinen und auf den ersten Blick nichts als normale Fakten und gewöhnliche Sätze sind. Es seien »Augenblicke von äußerster Flüchtigkeit, die dadurch, dass der Erzähler sie hervorhebt, zur Metapher werden«, schreibt Umberto Eco in Das offene Kunstwerk.
So schön, so gut. Innehalten, wahrnehmen und aufschreiben – man muss es können. An manchem Tag gelingt mir weder das Aufschreiben, noch will sich der leiseste Schimmer einer Epiphanie heraufbeschwören lassen. Der kreative Funke entzündet sich nicht. Immer gewinnen die banalen Erledigungen die Oberhand, bleiben banal und lassen nicht das Geringste durchscheinen, sie erzeugen nichts als Müdigkeit, bestenfalls eine nüchterne Zufriedenheit, die dem Erledigen notwendiger Dinge innewohnt.