Читать книгу Shimasaní - Elisabeth Schmitz - Страница 10
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Langsam ging Gad mit der alten Frau durch die rote Wüste. Sie kamen zu einer Felsenformation, bei der vier Felsen höher waren als die anderen. Dorthin zeigte Shimasaní. Es dauerte eine Weile, bis sie dort ankamen. Gad nahm er seine Wasserflasche und wollte auch seiner Großmutter etwas Wasser geben. Sie lehnte ab. Stattdessen sammelte sie Steine und fing an, diese zu einem großen Kreis zu formen.
Gad fragte sie, was das zu bedeuten habe und sie meinte: »Du wirst es bald verstehen. Sei geduldig. Stelle dich auf dein Herz ein und sei nicht ängstlich. Alles wird kommen, wie es kommen soll.«
Er half ihr, die roten, großen Klumpen zu verteilen, aber anscheinend legte er sie nicht richtig. Sie nahm sie und drehte sie um. Danach griff sie einen Sack, den sie bei sich hatte und entnahm ihm übelriechende Kräuter. Sie legte diese zwischen die Steine und Gad dachte, dass sie nun in diesem Kreis sterben wollte. Aber er hatte sich geirrt. Er stand neben dem Steinkreis und sie umarmte ihn lange und innig.
Ihm fiel es schwer, mit dieser Situation umzugehen. Sie bat ihn, in den Steinkreis zu treten.
Er fragte sie, was das zu bedeuten habe und sie meinte nur: »Du wirst bald verstehen.«
Immer dieser Satz! Nein, er wollte gar nicht verstehen, sondern nur weg von hier!
Er sah ihr in die Augen und bemerkte, dass sie grün blitzten. Schnell schaute er zur Seite. Sie nahm seine Hand und führte ihn in die Mitte des Steinkreises. Gad setzte sich im Schneidersitz dorthin und Shimasaní zündete die Kräuter an. Langsam schmorte das trockene Kraut vor sich hin und Gad konnte den Gestank fast nicht ertragen. Er wollte aufstehen, es gelang ihm aber nicht. Seine Großmutter zündete in alle vier Himmelsrichtungen neue Kräuter an und er hörte Trommeln. Wer war gekommen? Durch den schwarzen Rauch konnte er nichts erkennen. Der beißende Qualm verdeckte die Sonne und er rief nach seiner Großmutter, aber sie antwortete nicht. Stattdessen hörte er ein Grollen, so, als ob ein Gewitter aufziehen wollte. So langsam beschlich ihn ein ängstliches Gefühl.
»Was geht hier vor sich?«, fragte er sich laut. »Hier muss ich weg, und zwar schnell!« Er erhob sich und sah zwei goldene Punkte außerhalb des Steinkreises in dem Dunkel leuchten. War das ein Tier? Angst beschlich ihn.
Wegen des starken Qualms ging er einige Schritte zurück und wurde plötzlich mit einer Wucht von hinten gepackt. Er konnte nicht erkennen, wer ihn angriff und drehte sich blitzschnell um, sodass er sehen konnte, wer sein Angreifer war. Es war ein großer Bär, der die Hilflosigkeit von Gad ausnutzte, ihn packte und auf den Boden warf. Das also waren die beiden goldenen Punkte gewesen, die Augen dieses Monsters.
Er hörte etwas knacken und ihm war bewusst, dass es seine Rippe gewesen sein musste. Er ging auf die Knie, um aufzustehen, aber das Ungeheuer griff nach ihm. Gad spürte, dass sich eine riesige Pranke in seine Schulter bohrte. Er schrie vor Schmerz und spürte das warme Blut über seinen Körper rinnen.
Der Bär riss mit seinen scharfen Krallen eine lange Wunde über Gads Rücken, packte ihn und warf ihn mit aller Wucht auf die Felsbrocken des Kreises. Das grausame Tier traute sich zum Glück nicht über die glimmenden Kräuter in dem Steinkreis.
Gad spürte die bebenden Schritte und wusste, dass der Bär außen herum auf ihn zukam. Der geschwächte Mann versuchte, sich zur Seite zu rollen, doch bei der kleinsten Bewegung glaubte er zu sterben. Wenn er in die Mitte des Steinkreises kommen könnte, dann wäre er sicher. Es war ihm jetzt unmöglich, sich zu bewegen. Wie ein Schwert durchzuckte der Schmerz seinen Körper. Er roch den stinkenden Atem seines Angreifers, der mit dem massigen Kopf bereits wieder über ihm war. Mit schwindender Kraft rief er verzweifelt nach seiner Großmutter und wusste, dass diese schwache Frau ihm auch nicht hätte helfen können. Mit einer enormen Mühe richtete er sich ein wenig auf.
Er sah in die zornigen Augen des wilden Tieres und griff nach einem glühenden Stock in seiner Reichweite. Voller Panik und mit allerletzter Kraft stach er den Ast in die Augenhöhle des Bärs, der ebenfalls von dem stinkenden Kraut benebelt zu sein schien. Schmerzerfüllt ließ er von Gad ab, richtete sich auf und ging sofort einige Schritte zurück. Der Bär stieß einen dumpfen, ohrenbetäubenden Schrei aus und verschwand.
Höllische Schmerzen durchzuckten Gad. Am schlimmsten waren sie in der Schulter und am Rücken. Er setzte sich benommen auf den Boden und bekam kaum Luft. Die Wunde musste wohl bis in seine Lunge reichen und der beißende Qualm, der noch immer etwas in der Luft hing, tat das Seinige.
Er bemerkte, dass Geier über ihn kreisten. Sie kamen bedrohlich nahe, setzten sich auf die Felsen und sahen gefräßig zu Gad herüber. Wo war Aní? Es dämmerte bereits, also musste er die Besinnung verloren gehabt haben.
Gad war so schwach, dass er sich nicht aufsetzen konnte. Er hatte das Gefühl, durch die Felsen zu schweben, wie durch einen Tunnel. Dahinter war ein Wäldchen mit einem klaren Bach. Wie frisch die Luft hier war und wie gut es tat, die Sonne durch die Bäume blitzen zu sehen. Wieso hatte ihm vorher niemand von diesem Ort erzählt? Wie gerne wäre er hier spazieren gegangen. Seltsam war jedoch, dass es hier noch nicht dunkel wurde. War er wieder ohnmächtig geworden und hatte bewusstlos die Nacht verbracht? Es war ihm egal, denn er sah diesen wundervollen Bachlauf, der ihn wie magisch anzog. Er taumelte zum Wasser und konnte seine Wunden kühlen.
Kaum ging es ihm besser, als eine riesige Spinne sich vor ihm auftürmte und er spürte, wie sie sich in seinem Körper breit machte. Es hätte ihm eigentlich wieder das Gefühl der Panik geben müssen, aber er empfand diese Spinne als angenehm und nicht bedrohlich. Sie bereitete Wärme und Zufriedenheit in ihm. Es fühlte sich gut an und er merkte, dass seine Schmerzen von ihm genommen waren.
Plötzlich hatte er das Gefühl, dass jemand bei ihm war. Als er sich umschaute, sah er seine Großmutter.
»Aní«, sagte er, »wo warst du, als ich dich so brauchte? Ich wäre fast gestorben!«
»Du bist gestorben«, sagte Shimasaní. »Du bist nun nicht mehr auf der Erde, aber du darfst hier nicht bleiben. Nur in dieser anderen Welt kann ich dir meine Kräfte übertragen. Es geht nur hier, darum musstest du sterben. Wende die Kraft immer gut an, denn du bist nun ein Spinnenmann, ein Heiliger, ein Schamane.«
Gad dachte, alles sei ein Traum und er würde gleich wach werden, aber er spürte die kühle Hand seiner Großmutter auf seinen Wunden.
»Geh nun wieder zu unseren Leuten. Sage nicht allen, was geschehen ist, denn sie werden dir nicht glauben. Wer es sieht, der wird es verstehen und dich fragen. Hágoónee‘. Auf Wiedersehen, mein geliebter hatsóí ashkiígíí. Sei niemals von guten Geistern verlassen. Sage Dank für das Morgenlicht, für dein Leben und die Kraft, die du besitzt. Bedanke dich auch für deine Nahrung und die Freude, am Leben zu sein. Wenn du keinen Grund siehst, Dank zu sagen, liegt der Fehler bei dir. Erinnere dich täglich daran.« Sie schien sich auflösen zu wollen, aber Gad hielt sie zurück.
»Ich bin nicht würdig, die Kraft zu haben, Aní. Lasse es einfach so sein, wie es immer war.«
»Ich weiß, dass du der einzige bist, der meine Nachfolge antreten kann. Sei weise, du wirst es nicht immer leicht haben. Aber wenn du durch deinen Geist nur einem Menschen das Leben retten kannst, dann hast du deine Aufgabe erfüllt. Du hast noch viel Zeit dazu, darum nutze sie gut.«
»Aní«, sagte er, »wenn ich diese Kräfte habe, dann brauche ich dich hier noch, damit du mir zeigst, wie ich es richtig mache. Bitte bleib noch eine Weile bei mir. Ich flehe dich an.« Die alte Frau blitzte wieder mit ihren Augen.
»Meine Zeit ist da, Gad, aber ich verspreche dir, wir bleiben in Verbindung. Du wirst verstehen, du wirst sehen.«
Sie hob ihre Hand und löste sich über dem Wasser des Baches auf.