Читать книгу Lausige Zeiten - Elke Bulenda - Страница 12
Was ist Reue? Eine große Trauer darüber, dass wir sind, wie wir sind.
Оглавление(Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach)
Molly, wusste nicht, was sie nun wieder erwartete, als die Tür des Verschlages erneut geöffnet wurde und Gyttha abermals den kleinen Raum betrat. Doch diesmal kam sie nicht allein. Dieser blonde Entführer, Hjálmarr, oder wie der hieß, befand sich im Schlepptau dieser ansonsten sympathischen Frau. Zusammen trugen sie einen großen Holzbottich in die Hütte. Und wie froh Molly war, nicht allein mir ihm in diesem Raum gefangen zu sein. Sie sah es allzu deutlich, wie übel er es ihr noch immer nahm, weil sie ihn so heftig getreten hatte. Obwohl sein Kumpel wesentlich schlimmer von Molly zugerichtet worden war, und er wahrscheinlich sogar mit ein paar Stichen genäht werden musste.
»Mädchen! Du solltest mal die vielen feschen Krieger sehen, die angekommen sind!«, meinte Gyttha freudig und zwinkerte ihr dabei verschwörerisch zu.
»War auch ein Großer, mit dunkelroten Haaren dabei?«, fragte Molly hoffnungsvoll.
»Nein, wieso? Der wäre mir sicherlich aufgefallen... Was ist los?«
Gyttha entging nicht, die im Raum vorherrschende, angespannte Lage.
»Oh, ihr beiden habt euch wohl noch immer nicht verziehen, wie?«, fragte sie amüsiert.
»Wieso sollte ich? Dieses Biest hat mich heftig in die Kronjuwelen getreten!«, bekundete Hjálmarr sichtlich angesäuert.
»Aber das tat ich doch nicht von ungefähr! Du und dein Kumpel, dieser Stiggi, ihr wolltet mich vergewaltigen!«, motzte Molly zurück.
»Schluss jetzt, bevor ihr noch aufeinander losgeht!«, unterbrach Gyttha diesen, sich heftig zuspitzenden Disput. »Hjálmarr? Das war weder von dir, noch von deinem Begleiter ein feiner Zug! Euch darf man wirklich nicht zusammen losschicken! Ihr könnt froh sein, dass dieses Mädchen euch keine wertvollen Teile abtrennte. Schäme dich!«, maßregelte sie ihn mütterlich, obwohl er Gyttha gut um einen Kopf an Körpergröße überragte. Darauf errötete er so heftig, dass der rote Bart in seinem Gesicht für kurze Zeit unsichtbar wurde.
»Ja, Gyttha... Es tut mir leid«, entschuldigte er sich reumütig.
»Das musst du nicht mir sagen, sondern dem Sternenmädchen!«, erklärte sie und drehte ihn um. »Wenn du nicht der kleine Bruder von Miðill wärst, würde ich den anderen Frauen Bescheid sagen, damit sie dir und Stiggi mit den Wäscheknüppeln nachsetzen!«, drohte sie.
Hjálmarr guckte daraufhin ziemlich verwirrt und richtete sein Wort an Molly: »Okay, Sternenmädchen. Es tut mir leid, was ich dir antun wollte. Aber Stiggi muss sich schon selbst bei dir entschuldigen. Und wenn es geht, tritt nicht mehr nach mir, ja? Ich möchte nämlich irgendwann einmal mit einer Frau ein paar Kinder zeugen, klar?«
»Wenn du mir nichts tust, trete ich auch nicht nach dir. Es tut mir leid, wenn ich etwas zu heftig zutrat, aber eine Dame muss selbstredend ihre Ehre verteidigen können«, meinte Molly schon etwas versöhnlicher.
»Gut, dann wäre das ja beigelegt!«, lächelte Gyttha zufrieden. Der Blonde zog sich einen Stuhl heran, öffnete Mollys Beutel und schüttete den Inhalt auf die Fläche des kleinen Tisches.
»Ja, hier haben wir also deinen Beutel, den du sicherlich wieder zurückhaben willst. Schauen wir mal, was du so bei dir hast!«, untersuchte Hjálmarr den Inhalt.
Es bereitete ihr Unbehagen und Ekel, zu sehen, wie der Kerl mit seinen ungewaschenen, schmutzigen Pfoten in ihrem Zeug herum wühlte; alles in die Hand nahm, und manchmal sogar daran schnupperte. Was für ihn nicht von Interesse war, legte er beiseite. Als das Hartlederetui an die Reihe kam, wusste Molly sofort, dass damit der Ärger vorprogrammiert sein würde. Wie sollte sie ihm erklären, dass dies der Proviant in Trockenform, für einen Vampir sein sollte? Welche Auskunft sollte sie ihm über Ragnors Trockenbluttabletten geben? Und angenommen, was passierte, wenn der Kerl sie ihr wegnahm? Ragnor war es gewohnt, jederzeit auf seinen Vorrat an Trockenbluttabletten zurückgreifen zu können. Molly hatte den Vampir niemals erlebt, wie er vom Blutdurst überwältigt wurde, denn Ragnor hatte sich stets sehr gut im Griff. Doch was passierte, wenn er auf natürliche Nahrung angewiesen war? Wären alle Bewohner dieser Insel in Gefahr? Wussten diese Menschen überhaupt, was ein Vampir war?
»Was sind das für seltsame Pillen, die du in deinem Beutel herum trägst?«, begehrte Hjálmarr zu wissen und sah dabei Molly ein wenig kurzsichtig an.
»Oh, das ist meine Medizin, wiegelte sie ab. »Nichts Besonderes!«
»Wenn es nichts Besonderes ist, warum trägst du diese Pillen dann mit dir herum? Also, was ist das hier genau?«, zeigte Hjálmarr eine Pille zwischen Daumen und Zeigefinger. »Bist du so krank, dass du sie brauchst? Wenn ja, was fehlt dir denn? Wir haben hier eine sehr gute Heilerin, besteht da eventuell Bedarf?«, fragte er, die Pillen noch immer misstrauisch betrachtend.
»Das ist nur Nahrungsergänzung, gegen Blutarmut. Das ist Astronautennahrung.«
»Astronautennahrung? Was ist das?«, fragte er erstaunt.
»Das war nur ein Witz!«, wiegelte Molly ab. »Mir fehlt nichts, ich bin kerngesund! Die Pillen sind harmlos, selbst du könntest sie schlucken«, versuchte sie ihn zu beruhigen.
»Nein, das glaubst doch du und sieben andere nicht! Und wenn sie nun vergiftet sind?«, blockte Hjálmarr ab.
»Ich sagte doch, sie sind harmlos. Wenn du mir nicht glauben willst, dann gib mir eine und ich schlucke sie!«, sagte Molly.
»Nein, und ich bekomme dann Ärger, wenn es doch Gift war und du dann hin bist, oder was? Tut mir leid, aber diese Pillen wirst du nicht zurückbekommen. Und von der Menge her, könnte es gut und gerne reichen, unseren Brunnen zu vergiften!«, mäkelte Hjálmarr und verschloss wieder das Etui.
»Wieso sollte ich euren Brunnen vergiften wollen?«, fragte Molly erbost.
»Weil du vielleicht doch für den Jarl arbeitest und nur nicht mit der Sprache herausrückst.«
»Das ist doch ausgemachter Blödsinn! Wieso sollte ich den Brunnen vergiften, wenn ihr ohnehin jede Menge Wasser vor eurer Tür habt?«, fragte Molly trotzig.
»Jaahaaa, es wüsste ja niemand, wenn du stiekum die Giftpillen dort in den Brunnen hinein wirfst!«, beharrte Hjálmarr.
»Ich will niemanden vergiften!«, bekundete Molly, doch bemerkte sie, dass sie so nicht weiter kam.
Gyttha wirkte ein wenig amüsiert, wie Hjálmarr und Molly argumentierten. Für ihre Anwesenheit sah sie keinen Bedarf mehr. »Tja, ich sehe schon, die Fronten haben sich verhärtet, macht das untereinander aus. Sternenmädchen, ich hole für dich jetzt das warme Wasser für die Wanne. Dann bade ich dich. Sei schön brav und mache keine Dummheiten, hörst du?«
»Wenn er keine macht, wieso sollte ich?«, konterte Molly.
Gyttha lachte nur und ging von dannen.
»Kann ich denn jetzt meine Pillen behalten?«
»Nein, ich sagte dir doch schon, dass wir nicht wissen, was sie enthalten«, gab Hjálmarr genervt zurück.
Jetzt, wo Gyttha nicht mehr da war, wollte Molly eigentlich nur noch weg. Aber nicht ohne die Bluttabletten. Sie versuchte, mit dem Kerl ein vernünftiges Gespräch zu führen, vielleicht fasste er Vertrauen und überließ ihr die Tabletten.
»Sag mal, wieso machst du nicht bei diesem Krieger-Wettbewerb mit?«
»Weil hier im Dorf nicht jeder ein Krieger ist. Ich kann mich ja noch nicht mal gegen meine kleine Schwägerin durchsetzen. Krieger sind Handwerker des Todes, ich dagegen habe einen ehrenwerten Beruf. Ich bin Zimmermanns-Geselle, genauso wie mein Bruder.«
»Aha, dann seid ihr für den Schiffsbau und die Häuser verantwortlich, wie?«, fragte Molly interessiert.
»Ja, in der Tat. Dass ich dich da draußen fand, lag daran, weil ich mit Stiggi zusammen das Osttor während der Nachtschicht bewachte. Aber deshalb bin ich längst noch kein Krieger. Wenn ich mit dem Bogen schießen müsste, würde ich nicht einmal sehen, wohin der Pfeil geht. Ich sehe nicht mehr sehr gut, das kommt von der Prügel, die ich einst bezog«, berichtete er, zog sein langes Haar zurück und zeigte ihr eine Delle an der Schläfe.
»Prügel? Du lässt dich wohl gerne von anderen verhauen, wie?«
Daraufhin guckte er ziemlich böse und schäumte fast vor Wut: »Das ist überhaupt nicht witzig! Wenn mein Bruder mich nicht gefunden hätte, wäre ich jetzt längst tot!«
»Oh, entschuldige. So habe ich das nicht gemeint. Willst du mir nicht deine Geschichte erzählen? Warum haben sie dich so verprügelt?«, meinte Molly beschwichtigend.
»Eigentlich rede ich nicht gerne darüber. Aber gut, damit du weißt, mit wem du es eventuell zu tun bekommen könntest«, rieb sich Hjálmarr nachdenklich die Schläfe. »Mein Bruder und ich waren auf der Walz. Wir kamen zum Slott Mørkhuset, dem Sitz des Jarl. In Niðaróss, das neuerdings seit die Dänen regieren, Trondhjem (Trondheim) heißt, hatten wir schon gutes Geld verdient, zogen dann in den Norden und wollten anschließend zu den Lofoten, weil dort das Klima besonders schön ist. Der Jarl, dem das Schloss gehörte, meinte, wir könnten ihm seine abgebrannte Burgscheune wieder aufbauen, er bezahle gutes Geld. Wir erklärten uns bereit und bauten seine Scheune wieder auf.«
»Ja, das klingt bisher ganz gut, aber was passierte dann?«, fragte Molly neugierig.
»Die Scheune war fertiggestellt, und Miðill ging schon mal voraus, um ein paar Sachen für unsere weitere Wanderung zu besorgen. Also ging ich zum Jarl und forderte unseren Lohn. Der wollte aber ums Verrecken nicht zahlen, bemäkelte dies und das, sagte sogar, wir wären Betrüger und sollten uns zum Teufel scheren, sonst setzt er uns fest. Ich ließ aber nicht von unserer offenen Rechnung ab. Tja, und dann flippte er aus und verprügelte mich ganz fürchterlich, obwohl ich mich nicht einmal wehrte. Er ist doch der Jarl, der ohnehin das Sagen hat. Außerdem ist er derjenige, der über andere zu Gericht sitzt. Was dann passierte, daran kann ich mich nicht mehr genau erinnern. Mein Bruder sagte, er hätte mich halbtot vor den Toren der Burg gefunden. Tja, wie du siehst, ist das überhaupt nicht lustig.«
»Oje! Das tut mir fürchterlich leid. Gyttha sagte schon, dass dieser Kerl ein grausames Monster wäre. Und so jemand ist der oberste Richter. Was passierte dann, als dich dein Bruder fand?«
»Ein Bauer brachte uns mit seinem Karren ins Dorf. Ein Fischer, der dort gerade seine Ware verkaufte, sagte meinem Bruder, es gäbe da eine Insel, wo die Menschen nicht mehr drangsaliert würden. Er brachte uns hier her und die Heilerin pflegte mich wieder gesund. Und während sie das tat, bat sie Odin, mich zu heilen. Tja, seitdem sind wir hier und beten wieder zu den alten Göttern unserer stolzen Ahnen.«
»Ah, ich verstehe. Eigentlich dachte ich, ihr seid so etwas wie Strauchdiebe. Aber langsam sehe ich ein, dass ihr nur hier seid, weil man euch woanders wie Hunde behandelte. Aber nichtsdestotrotz bin ich eure Gefangene.«
»Du wirst sehen, Sternenmädchen...«
»Mein Name ist Molly!«, pampte sie zurück.
»Ist egal, du bekommst sowieso einen einheimischen Namen. Du heißt jetzt Måne Regenbue«
Für alle, die sich fragen, wie dieses A mit dem Kringel drauf ausgesprochen wird: Es spricht sich wie ein O. Also klingt Måne, wie Mone.
»Trotzdem wirst du sehen, dass es hier auf der Insel wesentlich besser ist, als woanders. Hier herrscht Gerechtigkeit und es geht uns allen gut!«
»Das ist ein blöder Name! Was soll der heißen? Ja, euch geht es hier gut, weil ihr andere Menschen beklaut!«
»Gar nicht wahr, wir bestehlen nur die Reichen, die andere ausbeuten. Ansonsten versorgen wir uns selbst. Wir haben Vieh, Fische und Gemüse, das die Frauen anbauen. Wieso ist das ein blöder Name? Måne Regenbue bedeutet Mondregenbogen.«
»Einen Mondregenbogen gibt es doch gar nicht«, behauptete Molly. »Ja, ich lebe ab jetzt in einem echten Paradies! Nur weiß ich noch nichts davon«, grinste sie sarkastisch.
»Jetzt werde mal nicht frech!«, motzte Hjálmarr zurück. »Es gibt sehr wohl einen Mondregenbogen! Und eins will ich dir mal sagen: Woanders weißt du auch nicht genau, was dir der nächste Tag bringt, aber hier werden wir wenigstens nicht von irgendwelchen Möchtegern-Königen regiert und wie Dreck behandelt!«
»Ja, ich habe es kapiert, du musst deshalb nicht extra laut werden. Hjálmarr? Wärst du so nett, mich einen kleinen Moment allein zu lassen?«, fragte Molly liebenswürdig. Sie wusste, wie Hjálmarr darauf reagieren würde.
»Nein, du führst doch wieder irgendetwas im Schilde! Wenn ich die Tür aufmache, rennst du raus, oder so!«, raunzte er zurück.
»Das stimmt nicht, meine Blase drückt.«
»Dann setz dich auf deinen Eimer!«, nörgelte der Blonde.
»Ich finde es äußerst entwürdigend, während deiner Anwesenheit in einen Eimer zu strullen!«
»Na und? Was ist denn schon dabei?«, grinste er.
»Dann dreh dich wenigstens um!«, meinte Molly verärgert.
»Okay, ich drehe mich um. Soll ich für dich ein kleines Liedchen pfeifen, damit es dir nicht so unangenehm ist?«
»Nein, nicht nötig, dreh dich mit dem Stuhl um! Du sollst mir nicht dabei zusehen, hörst du?!«
»Ihr Weiber seid einfach nur gespielt schamhaft! Wir Kerle pinkeln sogar zusammen und gucken, wer es am weitesten schafft! Nun lass schon laufen und zier dich nicht.«
»Ja, ja. Und dabei gleich noch gucken, wer den Größten hat, wie? Das ist mir völlig egal, denn ich bin kein Kerl!«, entgegnete Molly und griff sich den Eimer, während Hjálmarr brav mit dem Stuhl in die abgewandte Blickrichtung rückte.
Er hörte lediglich das Rascheln ihrer Kleidungsstücke und verließ sich voll und ganz darauf, gleich die obligatorischen Pinkel-Geräusche zu vernehmen. Stattdessen traf ihn der Eimer unverhofft mit voller Wucht am Hinterkopf.
»Autsch!«, brach der Blonde samt Stuhl zusammen, während ihm das Wasser des Eimers, kalt über Kopf und Schultern lief. Wie ein gefällter Baum blieb er liegen.
»Tschuldigung, tut mir echt leid, das hast du nicht verdient, aber ich muss hier weg!«, sagte Molly bedauernd, grabschte die Bluttabletten vom Tisch und stürmte durch die unverschlossene Tür ihres Holzverschlags. Aus dem Augenwinkel registrierte sie, wie ein kräftiger Mann vor der Hütte saß, und sie leicht verdutzt aus schläfrigen Augen musterte. Das Bewachen der Hütte hatte ihn weitestgehend ermüdet. Völlig verdattert, sie so unerwartet zu sehen, konnte er gar nicht schnell genug in einen höheren Gang schalten.
»Hey! Du! Hiergeblieben!«, rief er der Flüchtenden hinterher.
»Hey, selber du! Nix da, ich bin doch nicht blöd!«, fauchte Molly und flitzte behände einer unbekannten Zukunft entgegen. Doch wohin sollte sie fliehen?
Ein Hämmern zog ihr Interesse auf sich. Leute anrempelnd, Hühner tretend und immerzu Zickzack laufend, bahnte sie sich ihren Weg zur Schmiede. Die Hitze der Esse verschlug ihr beinahe die Luft zum Atmen. Am Feuer hämmerte der Schmied konzentriert, mit einem roten, Schweiß überströmten Gesicht, auf einem glühenden Rohling herum. Überrascht von diesem unerwarteten Besuch, hörte der Schmied abrupt mit dem Hämmern auf. Schnell griff Molly nach einem mächtigen Hammer. Leider bekam sie ihn nicht hochgehoben.
Panisch registrierte sie, wie hinter ihr Alarmrufe und darauffolgendes, für sie unverständliches Kauderwelsch, ertönte.
»Na, Jente? Ist der nicht ein bisschen zu groß und schwer für dich?«, fragte der Schmied belustigt, als er von seinem Tagwerk aufsah, das er zuvor mindestens genauso kritisch musterte wie seine Besucherin. »Pass auf, dass dir das Ärmchen nicht abbricht!«, lachte er gutmütig.
»Urgh! Puh, hast du nicht einen leichteren?«, blies Molly die Backen auf.
Der Schmied zeigte mit seinem fleischigen Daumen über die Schulter. »Jo, da hinten. Aber wieder zurückbringen, klar? Mein Name ist Balti.«
Geschwind rannte Molly zu dem Gestell, welches verschiedene Schmiedewerkzeuge enthielt und griff nach einem kleineren Damenhammer.
»Kein Problem, Meister!«, sagte sie - und rannte so frisch gewappnet, mit ihrer Beute davon. Leider waren alle Tore verschlossen und die Anzahl ihrer Verfolger nahm stetig zu. Ohne einen genauen Plan zu haben, wohin es eigentlich ging, flüchtete sie in einen Stall, in dem die Schweine erschrocken quiekten, als sie mit ihrem Hammer hereinstürmte. Ihre Verfolger waren ihr dicht auf den Fersen, stauten sich aber vor der Tür, durch die nicht alle gleichzeitig hindurch kommen konnten und deshalb ineinander aufliefen.
Molly blickte zornig zum Eingang, wo die grimmigen Kerle lauerten, dazu ein paar schaulustige Damen, die aufgeregt miteinander tuschelten und natürlich Kinder, die nichts verpassen wollten. Zuletzt bahnte sich Gyttha den Weg durch die Menge, in Begleitung von Hjálmarr, der wie ein begossener Pudel aussah.
Diese außergewöhnlichen Umstände drängten Molly zum Äußersten – sie nahm eine Geisel.
»Wenn ihr mich nicht gehen lasst, dann schlage ich diesem süßen Ferkel den Schädel ein! Oh, guckt doch mal, wie niedlich und unschuldig es ist! Ist mir aber egal!«, drohte sie mit dem Hammer. Niemand, außer dem ängstlichen Ferkel schien sonderlich beeindruckt zu sein. Ganz im Gegenteil. Sie erntete stattdessen wildes Gelächter.
»Ganz toll, Måne!«, lächelte Gyttha geduldig, während sie die anderen Gaffer zurückdrängte, weil Molly dadurch noch entschlossener wirkte. »Gut, zuerst erschlägst du die Schweine, und danach uns. Da wirst du mit deinem kleinen Hämmerlein aber ganz schön zu tun haben. Pass auf, dass du dich nicht verausgabst. Wie ich schon sagte, haben wir jede Menge Gäste! Also beginne jetzt damit, oder du wirst sofort vernünftig und kommst mit und nimmst ein Bad!«
Verdammt! Wenn Gyttha so sprach, fühlte sich Molly total albern. Mutlos ließ sie den Hammer sinken.
»Ihr seid ganz schön gemein! Meinst du, ich könnte diesem niedlichen Ferkel den Schädel einschlagen? Okay, ich nehme mein Bad! Aber ich entkleide mich selbst, ist das klar?«, fauchte sie wütend.
»Kein Problem. Jetzt lass das Ferkel runter, sei schön brav und komm mit! Wenn wir noch länger hier im Schweinestall herumstehen, müssen wir bald alle ein Bad nehmen«, schmunzelte sie und reichte Molly die Hand. Resigniert setzte Molly das Schweinchen ab, das sofort Schutz bei seiner Mutter suchte, und ging auf Gyttha zu.
Die Umstehenden johlten, pfiffen und riefen unverständliches Zeug. Der reinste Zirkus; fehlten nur noch die Fahrgeschäfte und Würstchenbuden. Gyttha nahm Molly an die Hand und führte sie beschützend durch die aufgebrachte Menge. Hjálmarr begab sich an die andere Seite und schirmte Molly ab.
Nebenbei fragte er sie schmollend: »Warum hast du mir den Eimer auf den Kopf geschlagen? Ich habe dir doch gar nichts getan!«
Wütend riss er das gemopste Hartlederetui, das die Tabletten enthielt, von ihrem Gürtel: »Sagte ich dir nicht, du darfst diese Pillen nicht behalten?«
Inzwischen, wieder an der Schmiede angekommen, warf er das Etui in die Glut der Esse. Nullkommanix ging alles in Rauch auf.
»So, dieses leidige Thema ist jetzt ein für allemal beendet!«
Dieser Hjálmarr kitzelte immer wieder an Mollys Wut. Nun hatte er Ragnors Bluttabletten vernichtet. Der ganze Stress, den sie deswegen veranstaltet hatte, erwies sich als umsonst.
»Und ich sagte: Ich trete dich nicht mehr, wenn du mir nichts tust. Aber vom Schlagen war nicht die Rede. Außerdem entschuldigte ich mich bei dir, nachdem ich dich niederschlug«, meinte Molly verschnupft und reichte dem herumstehenden Schmied den Hammer zurück.
»Hier, Balti, hast du deinen Hammer wieder, denn ich stehe zu meinem Wort!«
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