Читать книгу Lausige Zeiten - Elke Bulenda - Страница 6
Wenn ein Seemann nicht weiß, welches Ufer er ansteuern muss, dann ist kein Wind der richtige.
Оглавление(Lucius Annaeus Seneca)
Wie heißt es doch immer so schön? Das Leben steckt voller Überraschungen. Doch nicht nur die Lebenden stolpern über die tückisch ausgelegten Stricke des Schicksals, Untote fallen ihnen ebenso zum Opfer. Diese bittere Erfahrung musste zumindest Esther erstaunt registrieren. Nicht etwa Høy Øya wurde zum Ziel ihrer Reise, sondern urplötzlich fand sie sich ganz woanders wieder. Sie war zwar noch niemals auf Høy Øya, doch die zierliche Vampirin war sich ziemlich sicher, ihren jetzigen Standort sehr gut zu kennen. Dies hier war nicht die von ihr angepeilte nordische Insel. Sie erinnerte sich an eine seltsame Begebenheit, was vielleicht einiges erklärte. Kurz vor dem Augenblick, als sie aus dem Zeitportal schritt, war ihr, als ereigne sich um sie herum eine Art kosmische Erschütterung. Dieses Phänomen konnte die kleine Vampirin beim besten Willen nicht beschreiben. Dabei beschlich sie das Gefühl, etwas, das aus den Fugen zu geraten schien, strebte wieder in die vorherbestimmte Bahn. Ein unsagbar mächtiges Erlebnis, das durch und durch ging. Und noch eine Emotion machte sich in ihr breit, als sie gewahr wurde, wo genau sie sich befand. Nämlich diese, dass sie ihre angestrebte Position um ungefähr 2000 Kilometer verfehlt hatte. So schön die Grüne Insel auch sein mochte, sie befand sich zweifellos am falschen Ort. Obwohl dieser bekannte Flecken viele Erinnerungen aus längst vergangener Zeit enthielt, erschien es ihr völlig absurd. Irland war nicht ihr programmiertes Ziel, sondern eben Høy Øya, Norwegen.
Sie überlegte laut: »Hm, hier war ich schon einmal. Genau! Galway... Gaillimh am Corrib! Wie war das Stadtmotto doch gleich? Laudatio Ejus Manet In Saecula Saeculorum … Ihr Lob besteht für immer. Ja, ich erinnere mich! Galway, so wie es noch vor dem großen Brand aussieht. Damals wehrten sich die Bürger gegen diese Rüpel vom O´Flaherty-Clan. Ist verdammt lange her.«
Vor langer Zeit, als Ragnor Lord Seraphim das Lebenslicht ausblies und das Volk daraufhin in Aufruhr geriet, wusste Esther, dass die kaiserlichen Truppen dem Treiben sehr bald auf´s Härteste Einhalt gebieten würden. Sobald es zu Ausschreitungen kam, entzog sie sich durch eine Flucht über den Ärmelkanal dem Einflussgebiet des Kaisers. Die anderen Vampire, die auf Zeit spielten, kamen dabei um. Beinahe wäre die vampirische Rasse gänzlich ausgerottet worden. Damals schlug sie sich von Süden in Richtung Norden durch. Blieb mal hier, mal dort, zog dann wieder weiter. Als Vampir ist es nicht gut, zu lange an einem Ort zu verweilen.
»Wann war ich hier in Galway? ... Ah, es war im Jahre Vierzehnhundert und...«, die kleine Vampirin stutzte. »Oh, Scheiße! Haargenau zu der Zeit, wo ich eigentlich nach Høy Øya müsste!«, eruierte sie verwirrt. »Hm, das ist jetzt ziemlich kompliziert. Die Erschütterung war bestimmt so eine Art Paradoxon. Und es ist noch etwas! Nämlich verflixt ärgerlich, denn Molly braucht mich! Und ich treibe mich an einem völlig verkehrten Ort herum! Dem armen Mädchen könnte alles Mögliche zustoßen. Warum hat mich Simon nicht vor so einer Eventualität gewarnt?«
Dazu fiel es ihr wie Schuppen von den Augen.
»Molly und ich werden uns nicht rechtzeitig treffen, um wieder gemeinsam durch das neu errechnete Zeitportal zurückzukehren! Selbst wenn ich mich beeile, werde ich nicht pünktlich eintreffen. Hoffentlich hat sie derweil Ragnor gefunden, so dass immerhin die beiden wieder heil zurückkommen! Zum Glück sind die Nordmänner in dieser Epoche längst christianisiert und keine Barbaren mehr, so muss Molly nicht um ihr Leben fürchten.«
Und noch etwas musste Esther beachten. Jetzt, wo sie sich aus dem Einflussbereich des Wapplers bewegte, sollte sie mit äußerster Vorsicht agieren. Sehr diffizil. Eine falsche Handlung konnte die Zukunft derartig beeinflussen, dass sie sich unabdingbar für nachfolgende Generationen schwerwiegend verändern konnte. Das erforderte ein sachtes und sehr behutsames Vorgehen ihrerseits.
All diese Gedankengänge nützten der Vampirette überhaupt nichts, sie brachten sie nicht weiter, - und erst recht nicht nach Norwegen. Und noch etwas ging Esther quer: Die Windrichtung.
»Na toll, es herrscht Ostwind! Und das nicht zu knapp! Könnte sogar ein ausgewachsener Sturm werden.«
Wie auf ein stilles Kommando begann es heftig zu regnen. Nachdenklich beabsichtigte sie auf der Kaimauer Platz zu nehmen, verfehlte jedoch das Ding und landete auf dem Boden. Stöhnend rappelte sie sich wieder auf. Esther konnte einstecken. Den Großteil ihrer Existenz schlug sie sich schon alleine herum. Und meistens sich selbst. Für Selbstmitleid fehlte ihr die Zeit. Stattdessen konzentrierte sie sich auf das Wichtigste.
So ein Ärger! 2000 km Luftlinie, nordöstlich, direkt über den offenen Nordatlantik. Und das zusätzlich bei extrem stürmischen Winden. Den Luftweg konnte sie auf Dauer gesehen ausschließen, der war viel zu mühsam und gefährlich. Ihr Blick schweifte zum Meer.
»Okay, daran geht kein Weg vorbei. Es gibt eine Lösung und sie liegt direkt vor mir! Molly harre aus, ich komme!«
*
Und Molly verharrte. Ihr blieb auch nichts anderes übrig. Die beiden Lustmolche brachten sie in deren heimatliche Siedlung.
»Macht das Tor auf! Wir sind´s, Hjálmarr und Stìgandr!«
Das mächtige Tor öffnete sich und die Frau der Neuzeit sah sich neugierigen Blicken ausgeliefert. Sie ignorierte sie geflissentlich. Dagegen war sie von dem festungsartigen Bollwerk, aus angespitzten Baumstämmen, schwer beeindruckt. Dieser meterhohe Zaun umrundete die gesamte Siedlung.
Hm, allem Anschein nach, wollen sie sich vor Angriffen von außerhalb schützen!, mutmaßte sie.
Vier, von jeweils zwei Leuten bewachte Eingangstore, die somit die vier Himmelrichtungen abdeckten. Das Nordtor, (Molly ging davon aus, dass es das Nordtor war) führte direkt an einen Steg, wo die Nordmänner ihre Boote anlegten.
Summa summarum, erschien ihr das Dorf weniger friedlich, eher wie ein Kriegshafen mit Kasernen. Ihre Geschichtskenntnisse waren keineswegs fundamental, doch ging sie eigentlich davon aus, die Nordmänner wären in dieser Epoche längst durch die Christianisierung ein wenig sesshafter und friedlicher geworden. Nur wirkte dieser Standort gleich dem frühen Mittelalter, als die nordischen Krieger den alten Göttern huldigten. Molly versuchte eine der typisch nordischen Stabkirchen zu finden, doch ihr Augenmerk blieb lediglich an einem großen Runenstein hängen, - dem einzigen Artefakt religiöser Neigung.
Hier stimmte etwas nicht. Noch konnte sie sich kein Gesamtbild machen, dennoch beschlich sie der Verdacht, dass diese Menschen alles andere als friedfertig waren. Und von Christentum nicht die geringste Spur. Zwar hielten sich nicht allzu viele Krieger um diese Zeit im Inneren auf, doch diejenigen, die zugegen waren, betrachteten Molly als wäre sie das achte Weltwunder. Ein wenig amüsierte es Molly, weil sie glaubten, sie wäre wirklich von Himmel gefallen. Viele begehrliche Blicke trafen sie. Die Sprache war ihr noch immer unverständlich. Sie verstand nicht sehr viel von dem was die Männer sagten, doch sie machte sich ihren Reim daraus. »Godt!«, gut, so viel konnte sie verstehen. »Pen Jente!«, Jente bedeutete Mädchen, das fand sie schon anfangs heraus, als sie von dem blonden Kerl angesprochen wurde. Ohnehin musste sie nicht viel verstehen. Sie interpretierte die anerkennenden Blicke. Eins hatte Molly ihnen voraus. Sie war sauber, gut frisiert und gänzlich ohne Läuse.
»Buh!«, sagte Molly zum Spaß. Nur zuckte niemand mit der Wimper, sondern bot den ungewaschenen Kerlen die Gelegenheit, um über ihr seltsames Verhalten herzhaft zu lachen und aufgeregt zu schwatzen. Leider waren sie nicht schwer beeindruckt und glaubten nicht daran, Molly könnte so etwas wie Zauberkräfte besitzen. Sehr zu ihrem Leidwesen. Somit standen die Chancen nicht gut, die Kerle einzuschüchtern. Immerhin wollte keiner der Anwesenden einen weiteren Vergewaltigungsversuch starten. Jedenfalls nicht, nachdem sie das schlimm zugerichtete Bein von diesem Stiggi entdeckten. Hjálmarrs breitbeiniger Gang sprach ebenfalls Bände. Hämisches Gekicher begleitete sie. Schon unterwegs, auf dem Weg zur Siedlung, konnte Molly die beiden Barbaren überreden, sie wieder herunterzulassen. Anscheinend kam es diesem Stígandr gerade recht, denn trotz seines harten Getue, litt er offensichtlich doch ein wenig unter der Stichwunde. Wenn Molly ehrlich zu sich war, musste sie sich eingestehen, sogar froh über die Gesellschaft der beiden zu sein. Gänzlich allein, in der fremden Umgebung, dazu in einer Ära ohne Technik, erschien es ihr recht, nicht mutterseelenallein in der Wildnis herumzustehen, wo sie leicht ein Opfer von Raubtieren werden konnte. Ihren Beutel hatten die Kerle an sich genommen. Wahrscheinlich vermuteten sie darin weitere Waffen. Trotz der Bitte, ihr wenigstens den Trinkbeutel zu geben, wurde sie von ihnen weiterhin ignoriert. Jetzt, in der Siedlung, bemerkte Molly, wie müde sie nach dieser Wanderung war, und vom schlimmen Durst geplagt wurde. Und die Sorge, um den Verbleib von Ragnor und Esther, nagte an ihr. Beinahe schlimmer als Müdigkeit und Durst zusammen.
»Lass dein Bein verarzten!«, riet Hjálmarr seinem Kumpel.
»Nein, ich bringe sie mit zur Unterkunft! Nicht dass du auf dumme Gedanken kommst und schon mal etwas nascht!«, erwiderte der daraufhin.
»So ein Quatsch! Sie trat mir dermaßen in die Klöten, die werden bald so dick wie die eines Stiers sein! Los, geh schon, bevor du völlig leer geblutet bist!«
Widerwillig trennte sich das Narbengesicht von den beiden.
Hjálmarr war der Sympathischere der beiden Entführer. Molly schätzte ihn eher gutmütig ein. Von allein wäre er sicherlich nicht auf die Idee gekommen, ihr etwas anzutun. Sein Gesicht wirkte offen, sogar freundlich, weniger verschlagen. Eine anständige Frisur, dazu ein rasiertes Gesicht und man könnte ihn nicht mehr von jedem x-beliebigen Bewohner der Neuzeit unterscheiden. Schweigsam führte er sie zu einer Hütte.
»Bitte, mein Fräulein. Tritt ein. Dies ist deine Unterkunft. Vorläufig jedenfalls«, ließ er mit freundlicher Geste Molly den Vortritt.
»Gib es doch zu. Du bist kein übler Kerl!«, zögerte sie misstrauisch.
»Du kannst von Glück sagen, so gut zu treten, ansonsten würde ich dich da drinnen sofort schänden. Nur hängen meine Glocken im Moment tiefer als das Seil. Geh jetzt, oder ich binde dir die Hände und werfe dich hinein!«
»Aber eins sage ich dir: Instrumentalisierte Gewalt gegen Frauen ist da, wo ich herkomme, strafbar. Ist ja gut, ich glaube dir, dass du ein ganz harter Bursche bist!«, verdrehte Molly die Augen und trat in die Hütte. »Bekomme ich wenigstens meinen Beutel zurück? Ich habe Hunger und Durst!«, nervte sie weiter.
»Später! Wir untersuchen erst einmal, was da drin ist! Dann bekommst du deinen Beutel zurück!«, schloss er die Tür hinter ihr ab.
»Idiot!«, knurrte Molly und untersuchte skeptisch die Hütte. Groß war sie nicht gerade. Sie bestand lediglich aus einem einzigen Raum. Ein Tisch mit zwei Stühlen, dazu ein Bett. Nicht gerade das Ritz. Die kleine Kerze aus Talg spendete trübe Licht. Molly zog ihren Umhang von den Schultern, warf ihn achtlos auf den Stuhl, lief unschlüssig herum und kontrollierte anschließend die Tür, die leider Gottes abgeschlossen war. Ihre Aufmerksamkeit fiel auf einen Eimer mit Deckel. Sie hob den Deckel an und fand den Eimer mit Wasser gefüllt. Gierig trank sie daraus, schüttete sich dabei einen Teil, weil sie so hastig trank, in den Ausschnitt und erschauerte. Das Wasser war schrecklich kalt! Sichtlich müde und frierend, schlüpfte sie ins Bett und machte es sich unter den flauschigen Felldecken bequem. Obwohl sich alles in ihr sträubte, auch nur ein Auge zuzumachen, weil ihr die Situation zu riskant erschien, glitt sie in einen tiefen Schlummer.
Erschrocken fuhr sie hoch, als die Fensterläden rappelten und jemand die Tür aufschloss. Inzwischen war die Talgkerze längst erloschen und Tageslicht strömte durch die Öffnungen. Nicht nur Licht bahnte sich einen Weg, zusätzlich eine blond bezopfte Frau, mit einem Tablett in den Händen. Noch vom Schlaf ganz wirr, kroch Molly weiter in die Ecke und lauerte abwehrend.
»Mein Name ist Gyttha und ich bringe dir etwas zu essen und trinken. Außerdem soll ich deinen Eimer leeren.«
Gyttha stellte das Tablett auf den Tisch und widmete sich dem Eimer. Als sie ihn anhob, erschien er ihr zu leicht, sie wirkte sogar ein wenig verdutzt.
»Du hast doch nicht etwa aus diesem Eimer getrunken, oder? Der ist nämlich für deine Ausscheidungen!«, grinste sie.
»Natürlich nicht! Das ist doch absurd!«, motzte Molly zurück und errötete dabei. Sie wusste nicht, ob sie lachen, oder kotzen sollte. Oh, mein Gott! Ich habe wie ein dummer Köter aus der Toilette gesoffen! Igitt! Zumindest weiß ich jetzt, wo ich meine Blase entleeren kann...
»Na, dann ist ja gut!«, lächelte Gyttha freundlich.
»Wieso sprichst du meine Sprache?«, fragte Molly neugierig. »Bist du auch eine Sklavin?«
»Selbstverständlich komme ich nicht von hier, die wenigsten von uns tun das. Meine Heimat war die Grafschaft York, man verschleppte mich hierher. Eine Sklavin bin ich aber nicht. Ganz unter uns: Hier geht es mir besser, als bei meinem vorherigen Herrn. Hier bin ich frei - vorher war ich nur eine rechtlose Leibeigene«, strich sie sich die Schürze glatt. »Wer sich hier zu wehren weiß, bekommt schnell den Respekt der anderen. Na ja, im Grunde genommen, wollen wir alle nur das Gleiche. Nämlich frei sein und ein selbstbestimmtes Leben führen. Außerdem machen die Jungs nur einen auf dicke Hose. Unser vorheriger Häuptling sprach sich grundsätzlich gegen Vergewaltigungen aus. Ich muss jetzt gehen!«, sagte Gyttha. »Den Eimer wieder auffüllen... Zudem habe ich den ganzen Tag noch unheimlich viel zu tun. Heute kommen eine Menge Gäste und eine Vermählung gibt es am Abend auch noch. Schluss jetzt! Eigentlich dürfte ich gar nicht mit dir reden!«
Schleunigst verließ die blonde Frau die Hütte.
»Warte!«, rief Molly, doch Gyttha war schon weg. »Na, du kommst wieder, schließlich brauche ich meinen Eimer, und dann musst du mir die Wahrheit erzählen!«, knurrte sie angefressen zur Tür.
Misstrauisch beäugte Molly die Speisen. Frisches Brot, etwas Butter und eine Schüssel gefüllt mit Brei. Nach einer Löffelkontrolle (er war sauber!), tunkte Molly den Holzlöffel ein und probierte. »Hmm, Haferschleim mit Honig. Schmeckt wesentlich besser als es klingt!« Sie frühstückte und trank dazu die Milch.
Gyttha kam mit dem Eimer zurück.
»Na, schmeckt´s dir?«, fragte sie freundlich.
»Ja, sehr gut, danke!«, schmatzte Molly. »Gyttha? Darf ich dich etwas fragen?«
»Aber nur kurz, wie gesagt, ich habe viel zu tun und mir fehlt die Zeit zum Schwatzen.«
»Habt ihr noch eine andere Frau gefunden? Sie ist kleiner und zierlicher als ich, mit braunem, lockigem Haar?«
»Gibt es ein zweites Sternenmädchen?«, fragte Gyttha erstaunt.
»Nein, nein... Das war nur so eine Frage. Sprich mit niemandem darüber, was ich mit dir berede. Bitte! Wo bin ich hier eigentlich?« Die Sorge um Esther trieb sie beinahe in den Wahnsinn.
»So so, das war lediglich eine unverbindliche Frage?«, schmunzelte sie amüsiert. »In Ordnung, versprochen. Du bist bei den Vogelfreien. Wir sind frei wie die Vöglein. Das sollte dir Antwort genug sein.«
»Aha, Gesetzlose seid ihr also. Sag mal, wer oder was ist ein Jarl?«
»Sprich mir nicht von ihm! Er ist ein herzloses Monster! Leider auch der Königliche Bezirksverwalter. Still jetzt, wir wollen doch nicht den Teufel an die Wand malen«, beendete Gyttha das Thema.
»Du erwähntest vorhin eine Vermählung«, tastete Molly sich vorsichtig voran. Sie wollte ihre Gesprächspartnerin nicht verärgern. »Wer heiratet denn? Ich frage nur aus reiner Neugierde, ich kenne ja niemanden von euch.«
Gyttha lachte. »Rein zufällig kennst du die Braut. Die bist nämlich du selbst. Heute Abend wirst du mit dem besten aller Krieger vermählt.«
»Moment mal! Habe ich da nicht ebenfalls ein Wörtchen mitzureden, wenn es schon in meinem Leben zu einem epochalen Einschnitt kommt? Eigentlich suche ich mir meinen Partner lieber selbst aus! Ich heirate doch nicht irgendeinen dahergelaufenen, lausigen Halbaffen! Außerdem liebe ich schon jemand anderen!«
»Kindchen! Heiraten hat doch nichts mit Liebe zu tun! Guck mich an! Ich wurde Miðill zur Frau gegeben. Eigentlich konnte ich ihn überhaupt nicht leiden. Aber uns Frauen geht es hier sehr gut! Und mittlerweile stehen wir uns sehr nahe, Miðill ist nicht nur mein Ehegemahl, sondern zugleich mein bester Freund und Gefährte«, holte Gyttha einen Schlüssel aus der Tasche. »Siehst du diesen Schlüssel? Er gehört zu unserm Haus. Nicht Miðill trägt ihn, sondern ich, Gyttha. Wir Frauen tragen die wichtige Verantwortung, hier alles in Ordnung zu halten, wenn unsere Männer unterwegs sind. Ohne uns wären sie nichts! Wir sind die eigentlichen Herrinnen des Dorfes. Nur haben die Kerle es noch nicht kapiert«, lachte sie. »Wir Frauen können, im Gegensatz zu den meisten Männern, lesen und schreiben und vieles, was sie gar nicht wissen. Und wenn du deinem Mann ein paar Kinder schenkst, beginnt er dich zu achten und zu lieben. Denn Kinder sind unser kostbarstes Gut, sie sind unsere Zukunft.«
»So habe ich mir meine Zukunft aber nicht vorgestellt! Als dumme Hausmagd einem Mann dienen, und wie eine Hündin, ein paar Bälger werfen? Das ist nicht meine Welt!«
»Ich hoffe du blutest nicht gerade. Das wäre nicht schön für die Hochzeitsnacht.«
»Was?«, frage Molly entsetzt. »Nein, vielleicht sollte ich sagen, dass ich menstruiere. Das schreckt ihn hoffentlich ab und er will mich nicht.«
»Ihm wäre es wahrscheinlich egal, ein echter Seemann segelt auch durchs Rote Meer«, lachte Gyttha.
»Das ist krank! Wenn er es versucht, trete ich ihn!«, knurrte Molly.
»Ach, Kindchen. Es mag dir jetzt nicht richtig erscheinen, aber du wirst lernen, deinem Mann eine gute Frau zu sein. Vergiss deinen Liebsten. Schenke deinem Mann ein paar Kinder und es wird dir gut ergehen. Darauf hast du mein Wort. Die Kerle mögen dir rau und ungehobelt erscheinen, doch sind sie nicht herzlos.« Gyttha ergriff tröstend Mollys Hand. »Du hast wirklich zarte Hände, wie eine Edelfrau. Dein Mann wird es lieben, damit gestreichelt zu werden«, lächelte sie.
»Wer ist er? Wen soll ich heiraten?«, fragte Molly bedrückt. »Wenn ich schon jemanden heiraten muss, will ich wenigstens wissen, wer dieser Kerl ist!«
»Diese Frage kann ich dir jetzt noch nicht beantworten. Das wissen wir erst heute Abend. Ich muss jetzt an die Arbeit. Ruh dich aus, damit du schön für deinen Bräutigam bist. Nachher sehe ich nach dir und bade dich. Bis dann!«
Gyttha nahm das Tablett mit dem Geschirr und verließ die Hütte. Krampfhaft überlegte Molly, ob sie beim nächsten Mal durch die Tür stürmen sollte, wenn Gyttha wiederkam. Freilich musste sie darauf acht geben, Gyttha nicht zu verletzen, das wäre unrecht, wo sie so freundlich zu ihr gewesen war.
»Es ist zum Auswachsen!« Trotzig starrte Molly auf die so hochgepriesenen, zarten Hände. Wütend ballte sie diese zu Fäusten. »Soll er nur kommen, der Glückliche! Diese Hände können auch anders!«
*