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Weltschmerz

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Das Leben hier auf der Erde ist trotz allen Leides und aller Unvollkommenheit durchdrungen von Schönheit. Wenn man nur die wunderbare Natur betrachtet! Der Apostel Paulus schreibt im Brief an die Römer, dass schon allein durch die Herrlichkeit der Schöpfung jeder Mensch eigentlich sehen kann, dass es Gott gibt, und auch, wie dieser Gott ist: »Denn sein unsichtbares Wesen, sowohl seine ewige Kraft als auch seine Göttlichkeit, wird seit Erschaffung der Welt in dem Gemachten wahrgenommen und geschaut« (Römer 1,20–21).

Er hätte ja auch alles in Grautönen und aus Beton erschaffen können, das hätte auch etwas über Gott ausgesagt. Aber er hat alles bunt und wunderschön gemacht, so wie er selbst ist. Er hat sein Wesen und seine Schönheit in seine Werke miteinfließen lassen. Unzählige verschiedene Pflanzen und Tiere spiegeln die Schönheit und auch die Heiterkeit des Schöpfers wider. Dass Gott einen genialen Sinn für Humor hat, sieht man sehr deutlich an den Tieren. Katzenvideos sind auf YouTube der ungeschlagene Renner, dagegen kommt kein Influencer an.

Einen Sommer lang hatte ich einmal drei Hühner bei mir im Garten wohnen. Das war unterhaltsamer und spannender als jedes Fernsehprogramm. Jeden Abend und jede freie Minute saßen wir im Garten bei den Hühnern und amüsierten uns köstlich über diese herrlichen Vögel. Gottes Kreativität und Genialität ist sogar bis in Details, die für das menschliche Auge gar nicht mehr sichtbar sind, in der Schöpfung erkennbar. Man denke nur an Schneeflocken: Es gibt nicht einmal zwei, die gleich sind. Jede ist einzigartig herrlich und nur unter dem Mikroskop in ihrer vollen Schönheit wahrzunehmen.

Als Gott den Menschen nach seinem Bild als Mann und Frau schuf, gab er dem ersten Menschenpaar einen wunderschönen Garten als Lebensraum, ein Paradies. Das Beste an diesem Paradies war die tägliche Begegnung mit dem wunderschönen, herrlichen und liebenden Schöpfer selbst, von Angesicht zu Angesicht, in ungebrochener Nähe und Gemeinschaft. Dafür sind wir geschaffen, für ein Leben in der Gegenwart Gottes, für Lebendigkeit, Leidenschaft, Glückseligkeit, Kreativität, Schönheit, Liebe. Wir sind für ein Paradies gemacht! Aber wir haben es verloren. Ganz tief in uns ist jedoch immer noch das Wissen um das Paradies, und in bestimmten Situationen ist dies deutlich spürbar. Unser Weltschmerz rührt daher, dass wir intuitiv wissen, dass die Welt, so wie sie ist, nicht so ist, wie sie eigentlich sein sollte. Es ist die Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies in uns Menschen, die uns danach streben lässt, glücklich zu sein. In uns gibt es etwas, das uns sagt: Wir sollten eigentlich glücklich sein, dafür sind wir gemacht. Ich bin zutiefst der Überzeugung, dass dieses Sehnen gottgegeben und gottgewollt ist.

Die Frage ist nur, welche Idee der Schöpfer hatte, wie unsere Sehnsucht nach Glück und nach dem Paradies gestillt werden soll. Wir Menschen haben ja so unsere eigenen Ideen, wie wir glücklich werden könnten. Aber offensichtlich geht unsere Vorstellung nicht auf, dass wir durch irgendetwas aus der geschaffenen Welt dauerhaft glücklich werden könnten. Denn sonst würden überall strahlende Menschen herumlaufen, die vor lauter Glücksgefühlen Purzelbäume schlagen. Jeder von uns erlebt immer wieder, dass weder Menschen noch Dinge uns anhaltend sättigen können. Nichts Materielles, nichts Menschengemachtes, kann uns das verlorene Paradies zurückgeben. Und trotzdem versuchen wir andauernd, durch Geschaffenes Erfüllung zu finden, Leben zu haben und glücklich zu werden – und scheitern daran.

Der Neurologe und Psychiater Konrad Stauss formuliert das sehr schön im Blick auf Beziehungen zwischen Menschen: »In sozialen Beziehungen bleibt ein nicht auflösbarer Rest, ein nicht sozialisierbarer Kern, eine Einsamkeit, die keine menschliche Nähe ausfüllen kann, die in der unmittelbaren Beziehung zu Gott begründet ist.«1 Aber nicht nur in menschlichen Beziehungen merken wir, dass uns etwas fehlt, sondern auch in allen anderen Dingen des Lebens. Denn in uns, in unserem tiefsten Inneren, sehnt sich unser Herz nach Leben, Vollständigkeit und einem Happy End. Die Leidenschaft und die Träume, die Ängste und die Wunden, die wir in den Tiefen unseres Herzens finden, geben Zeugnis davon, dass irgendwo noch mehr sein muss.

Gott hat uns bewusst so geschaffen, mit einem Sehnen in uns, einem Loch, das nur er selbst füllen kann, einem »gottförmigen Loch«, wie es der französische Philosoph Blaise Pascal 1670 beschrieb.2 Im Paradies wurde dieses direkt von Gott gefüllt, dort konnten Adam und Eva unmittelbare Nähe zu Gott erleben und genießen, ohne Angst, ohne Scham sich zeigen, einfach in der Herrlichkeit sein. So war es von Anfang an gedacht. Und danach sehnen wir uns immer noch.

Das Sehnen in unserem Herzen kann auf Dauer nicht durch Prinzipien oder Programme, durch Aktionismus oder Rationalismus befriedet werden. Wenn wir das versuchen, wird früher oder später etwas in uns sterben. Oder wir werden irgendwann ausbrechen und uns verzweifelt Wege suchen, wie wir uns wieder lebendig fühlen können, ohne Rücksicht auf Verluste. Meistens hinterlassen wir dann einen riesigen Scherbenhaufen. Aber es ist einfach eine Tatsache: Unser Herz will leben. Da ist etwas Wildes, Unzähmbares in uns, das leben will.

Weißt du, was dein Herz lebendig macht? Was dich dazu bringt, tief aufzuatmen und das, was in dir ist, zu entfalten? Mein Herz wird lebendig durch Leidenschaft, Schönheit, Geheimnisse, Poesie, Kunst und gute Geschichten. Viele von uns haben Geschichten, die sie im Tiefsten berühren. Bei mir ist es zum Beispiel das Aschenputtel-Motiv. Wo immer es vorkommt, in einem Buch oder einem Film, da reagiert mein Herz sehr tief darauf, und oft berührt es mich dann so sehr, dass ich weine. Es lässt in mir eine Ahnung davon anklingen, dass diese Geschichte eine Wahrheit in sich birgt, die für alle Menschen und somit auch für mich gilt.

Es ist wichtig, dass wir mitbekommen, worauf unser Herz positiv reagiert und wo es sich lebendig fühlt, denn das hat sehr viel mit unserer eigentlichen Bestimmung zu tun. Es lohnt sich, dass wir hier ein Gespür entwickeln, uns Zeit nehmen, uns selbst kennenlernen. Unser Herz ist ein großer Schatz. Ein Geheimnis. Eine Tür, Gott und seine Sicht der Welt kennenzulernen.

Jesus war ein Meister im Erzählen von Geschichten, als er als Mensch auf der Erde lebte. Interessanterweise hielt er aber keine Vorträge, um den Menschen Informationen zu geben und den Verstand anzusprechen, sondern er sprach mit bildhaften Geschichten das Herz an. Mit den Fragen, die er einzelnen Menschen stellte, kam er immer direkt auf den Punkt, um den es bei dem angesprochenen Menschen im Innersten ging. Er zielte auf das Herz der Person, das wollte er ansprechen und gewinnen.

Die Ahnung vom Paradies und die Sehnsucht danach werden für uns in bestimmten Momenten unseres Lebens ganz besonders spürbar. Bei einem Spaziergang durch die Natur, beim gemeinsamen Lachen mit Freunden oder mit der Familie, beim Hören unserer Lieblingsmusik, beim Staunen über einen Sonnenuntergang oder über die Meereswellen, häufig auch bei der Geburt eines Kindes. In Zeiten größten Leides wird uns vielleicht noch mehr bewusst, was wir mit dem Paradies verloren haben: wenn ein geliebter Mensch krank wird oder stirbt, wenn eine Ehe zerbricht, wenn eine Tragödie passiert. Dann kommt die Frage nach der Ewigkeit auf, und wir trauern dem Verlorenen nach, fühlen, dass unser Durst nach Leben jenseits unseres irdischen Lebens gestillt werden muss. Die Sehnsucht ist eigentlich die stärkste Kraft in uns, die uns mit Macht dazu drängt, einen Sinn in unserem Leben zu finden, glücklich zu werden, ganz und heil zu werden, richtig lebendig zu sein. Ich bin überzeugt, die Stimme, die uns erinnert, die uns zurückruft, die uns all diese Wünsche und Bedürfnisse gibt, ist die Stimme Gottes.

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