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Kapitel 6
ОглавлениеJe näher Anke Deister und Norbert Kullmann der Mülldeponie kamen, umso penetranter wurde der Geruch. Schon von weitem sahen sie das Absperrband im Wind flattern. Einige Männer und Frauen arbeiteten mit groben und feinen Sieben.
Dr. Ernst Kehl löste sich aus der Menge und trat auf Anke zu.
»Na, schöne Frau«, begrüßte er sie in einem anzüglichen Tonfall. Anke mahnte sich zur Beherrschung, dass sie ihm nicht etwas Beleidigendes ins Gesicht schleuderte. »Treibt es die Täterin an den Tatort zurück?« Nachdem sein einsames Lachen erstarb, richtete er seinen Blick auf Kullmann.
»Ach! Der Herr Hauptkommissar a.D. kommt höchstpersönlich«, begrüßte er Kullmann. »Dass Sie noch Zeit haben, sich um Ihre ehemalige Arbeit zu kümmern?«
»Was soll die Bemerkung?« Kullmann reagierte gereizt.
»Sie sind Ehemann, Vater und Großvater gleichzeitig geworden.« Dr. Kehl grinste anzüglich. »So etwas entgeht uns nicht.«
»Schön, dass ich noch im Gespräch bin«, konterte Kullmann, »trotzdem möchte ich gern erfahren, ob Sie schon die Identität des Opfers feststellen können.«
»Sie wissen sicherlich, dass ich Ihnen keine Auskunft über einen laufenden Fall geben darf«, erklärte Dr. Kehl gewichtig. »Aber unserer schönen Kollegin kann ich schon mal mitteilen, dass der Archäologe und ich das Skelett in den Abendstunden untersuchen werden. Wir haben bis jetzt den Fundort weiträumig gesiebt. Sämtliche Fundstücke nehmen wir mit ins Labor.«
Anke wich einen Schritt zurück, weil Dr. Kehl immer näher an sie herantrat.
»Kommen Sie mich heute Abend besuchen, wenn ich mit der Arbeit fertig bin.«
Anke traute ihren Ohren nicht.
Einige Mitarbeiter traten in ihren Schutzanzügen auf Dr. Kehl zu. »Wir haben alles gesichert. Können wir die Absperrung aufheben?«
Dr. Kehl nickte, ohne dabei Anke aus den Augen zu lassen.
»Wann können Sie mehr über das Skelett sagen?«, schaltete sich Kullmann ein, um die Anspannung zu entschärfen. Geschickt schob er Anke zur Seite, damit Dr. Kehl ihn anschauen musste.
»Das kommt darauf an, ob Spuren vorhanden sind«, antwortete Dr. Kehl unfreundlich.
»Was haben Sie denn gefunden?«
»Das Skelett war weit verstreut. Zum Glück haben wir alle Teile gefunden, um es komplett zusammenzusetzen. Außerdem lagen Stofffetzen in der Umgebung. Vermutlich gehören sie zu der Kleidung, die er oder sie getragen hatte. Dazu eine Gürtelschnalle und ein Schlüssel. Die Zugehörigkeit müssen die Kollegen der Spurensicherung feststellen.«
Dr. Kehl machte eine schnelle Drehung. Wieder stand er ganz dicht vor Anke. Während er den Blick über Ankes Körper hinunterwandern ließ, sprach er weiter: »Das Interessanteste kommt aber noch!«
»Und das wäre?«, fragte Kullmann.
»Ich frage mich, mit wem ich hier spreche«, wurde Kehl plötzlich unhöflich. »Mit der diensthabenden Beamtin oder einem Rentner, der hier nichts verloren hat?«
Anke verschlug es fast die Sprache. Bei dem Gedanken, in dem Fall eng mit Dr. Kehl zusammenarbeiten zu müssen, wurde ihr übel.
»Nicht in dem Ton«, entgegnete sie bestimmter, als ihr zumute war, »Kullmann ist weiterhin beratend für die Polizei tätig. Also geben Sie uns die nötigen Informationen oder wollen Sie unsere Arbeit behindern?«
Dr. Kehl war verdutzt. Eine Weile schaute er Anke an, wobei er den Kopf senkte, um besser über den Rand seiner Brille sehen zu können.
»An jedem Gerücht ist ein Fünkchen Wahrheit«, bemerkte er zusammenhanglos.
Anke und Kullmann schauten sich staunend an.
»Weiß Ihre erst kürzlich Angetraute, was Sie ihr damit antun?« Dr. Kehl richtete seine Frage an Kullmann.
Anke wurde es ganz heiß vor Zorn. Was ging hier vor? Welche Absicht hegte Dr. Kehl mit seinen boshaften Unterstellungen.
»Sie dürfen nicht von sich auf andere schließen. Warum Ihre Frau Sie verlassen hat, ist schon lange kein Geheimnis mehr«, sprach Kullmann betont gelassen. »Leider bekomme ich den Eindruck, dass Ihre privaten Entgleisungen sich auf Ihr Urteilsvermögen im Gebiet der forensischen Anthropologie auswirken. Das ist schade, denn das müssen wir melden, damit ein fähiger Mann auf den Posten kommt.«
Damit hatte Kullmann Dr. Kehl den Wind aus den Segeln genommen. Eisiges Schweigen herrschte auf dem Waldweg. Die goldenen Laubbäume rauschten im Wind, einzelne Blätter fielen herab, was den Eindruck vermittelte, es regnete Gold. Das alles nahm Anke nur am Rande wahr. Die beiden Alten standen sich mit einer Feindseligkeit gegenüber, die ihre ganze Aufmerksamkeit erforderte. Dabei vertraute sie auf Kullmanns Überlegenheit, die ihm schon aus vielen brisanten Situationen herausgeholfen hatte.
Sie lag mit ihrer Vermutung richtig, denn schon bald lenkte Dr. Kehl ein, indem er die Frage beantwortete, die Kullmann schon vor einiger Zeit gestellt hatte: »Wir haben einen Backenzahn in einem erstaunlich guten Zustand gefunden. Es ist möglich, dass sich daran eine DNA feststellen lässt.«
»Das ist doch ein Anfang.« Kullmann nickte zufrieden. »Ist damit die Vermutung, dass es sich um einen Toten aus der Keltenzeit handelt, entkräftet?«
»Es sieht alles danach aus.«
»Was können Sie aus der DNA entnehmen?«, fragte Kullmann weiter.
»Ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt«, antwortete Dr. Kehl. »Aber die Identität des Toten ist nur dann zweifelsfrei festzustellen, wenn wir eine Gegenprobe zum Vergleich haben.«
»Na, das hört sich für mich so an, als würde die Mordkommission nicht um den Fall herumkommen. Um die Gegenprobe werde ich mich kümmern.«