Читать книгу Kullmann ermittelt in Schriftstellerkreisen - Elke Schwab - Страница 6

Kapitel 3

Оглавление

Weiträumig war alles mit grünweißem Polizeiband abgesperrt, eine Vorsichtsmaßnahme, die Anke an dieser gottverlassenen Stelle für überflüssig hielt. Wer ging schon freiwillig solche steinigen Wege? Die Bäume standen so dicht, dass wenig Tageslicht durchdringen konnte. Obwohl es noch hell war, mussten starke Lampen aufgestellt werden.

Sie selbst hätte sich diese Route niemals ausgesucht – Rondo hatte sie in einem halsbrecherischen Galopp dorthin geführt.

Je mehr sie sich der Fundstelle näherte, umso holpriger wurde der Boden. Dicke Steine, querliegende Äste, sogar umgefallene Baumstämme lagen dort. Anke staunte darüber, wie ihr Pferd so lange darüber galoppieren konnte, ohne zu stolpern. Sie hatte schon Mühe, im langsamen Tempo nicht ins Straucheln zu geraten.

Als sie näher kam, sah sie Jürgen Schnur, den Kommissariatsleiter, Erik Tenes, ihren Kollegen und einige Mitarbeiter der Spurensicherung. Ein älterer, stämmiger Mann saß gebückt vor dem Fund und machte vorsichtige Bewegungen mit einem Pinsel, während er von einem gro­ßen, schlanken Mann mit Argusaugen beobachtet wurde.

Was hatte das zu bedeuten?

»Gut gemacht, Anke.« Erik grinste. »Du findest die Leichen erst, wenn du schon darauf liegst.«

»Immerhin finde ich Leichen«, konterte Anke. »Ohne mich wärt ihr arbeitslos.«

»Ich muss euch enttäuschen«, mischte sich Jürgen Schnur in das Geplänkel ein. »Die ›Helden der Arbeit‹ gibt es seit der Auflösung der DDR nicht mehr.«

Anke und Erik verstummten.

Die Arbeiten an dem Skelett gingen emsig weiter.

»Was tun die Männer da?«, fragte Anke.

»Sie untersuchen, wie alt das Skelett ist. Wir dürfen nicht ausschließen, dass wir hier einen alten Fund aus der Keltenzeit vor uns haben, da der Fundort nahe an den Ausgrabungen in Reinheim liegt«, erklärte Schnur.

»Wie kommst du darauf, dass das Skelett schon zweitausend Jahre dort liegt? Hier gehen regelmäßig Menschen vorbei, die es längst entdeckt hätten.«

»Hierher verirrt sich niemand«, widersprach der Archäologe. Seine Stimme klang undeutlich. Er machte sich noch nicht einmal die Mühe, Anke anzuschauen. Er warf ihr die Worte über seine Schulter entgegen.

Ganz anders verhielt sich der ältere Mann, der die Knochen mit einem Pinsel bearbeitete. Er ließ von seiner mühsamen Arbeit ab, erhob sich schwerfällig, wobei er sich seine beiden Knie festhielt. Neugierig schaute er Anke über den Rand seiner Hornbrille an.

»Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen! Mein Name ist Kehl – Ernst Kehl – mit einem Doktor der forensischen Anthropologie vorne dran.« Er grinste, wobei er seinen Blick von Ankes Gesicht bis zu ihren Füßen wandern ließ. »Hier haben Sie ja ganze Arbeit geleistet.«

Sofort fühlte sich Anke unwohl. Der Mann hatte winzige Augen, die unangenehm glitzerten. Seine Gesichtsfarbe war so grau, wie die wenigen Haare auf seinem Kopf. Er reichte ihr gerade bis zum Hals. Es fiel ihm leichter, auf ihre Brust anstatt in ihr Gesicht zu schauen, während er mit ihr redete.

»Ich werde Tage brauchen, um die zertrümmerten Knochen zu einem Ganzen zu fügen«, sinnierte er weiter.

»Dann hoffe ich, dass Sie das richtig machen«, entgegnete Anke unfreundlich. »Der Teil gehört nämlich zu Ihrer Arbeit, während ich meinen Teil der Arbeit schon gemacht habe.«

»Worin bestand Ihr Teil der Aufgabe?«, fragte der Alte amüsiert, womit er Anke noch mehr auf die Palme brachte.

Schnur bemerkte die Spannungen und lenkte durch seine Frage ab, indem er sich zwischen Dr. Kehl und Anke stellte: »Können Sie uns schon etwas über das Skelett sagen? Ist es ein Mann oder eine Frau? Ist es ein Fall für uns oder für die Archäologen? Wir müssen das wissen, damit wir mit unserer Arbeit beginnen können.«

»Zuerst werden die Einzelteile ins Labor gebracht«, begann Dr. Kehl mit seiner Antwort. »Dort werden wir die Knochen daraufhin untersuchen, wie alt sie sind und wie lange sie an dieser Stelle gelegen haben. Diese Untersuchungen nimmt der Archäologe vor. Sollte sich herausstellen, dass es sich um Knochen aus unserer Zeit handelt, beginne ich mit meinen Messungen, die mir Aufschluss darüber geben können, um welches Geschlecht es sich hier handelt. Bis dahin können wir nichts über das Skelett sagen.«

»Ein einfaches ‚nein‘ hätte es auch getan«, murrte Schnur verstimmt. An Dr. Kehl gewandt fragte er weiter: »Gibt es verwertbares Gewebe, an dem eine DNA festgestellt werden kann?«

»Sollte es schon zweitausend Jahre hier liegen, bestimmt nicht.« Dr. Kehls verschmitztes Grinsen galt Anke. »Ansonsten kann ich versuchen, aus dem Rückenmark oder den Zahnwurzeln DNA-Proben zu entnehmen. Aber so, wie das Skelett aussieht, glaube ich nicht daran. Vom Unterkiefer ist so gut wie nichts mehr vorhanden, der Oberkiefer zertrümmert. Am Zahnschema kann man normalerweise die Identität feststellen, aber Ihre temperamentvolle Kollegin ist gut auf unserem Skelett gelandet. Sie hat alle Möglichkeiten zur Identifizierung zerstört.«

»Nicht so voreilig, Herr Dr. Kehl!«, parierte Schnur. »Unsere Mitarbeiterin hat einen Namen, sie heißt Anke Deister. Sie war ausreiten, was nicht im Geringsten mit ihrer Arbeit zu tun hat. Freizeit steht jedem zu. Der Sturz ist wohl kaum als Vorsatz anzusehen. Deshalb beschränken Sie Ihre Beurteilungen auf das Wesentliche und unterlassen Sie Ihre Anspielungen!«

Der Alte stutzte.

Anke grinste. Sie hatte sich endlich daran gewöhnt, dass Schnur ihr neuer Chef geworden war. Mit seinem persönlichen Einsatz zu ihren Gunsten hatte er sie überrascht.

Erik warf ihr einen Blick zu, der denselben Gedanken verriet. Auch ihm entging Schnurs Geste nicht.

»Sobald ich mit den Untersuchungen an der Reihe bin, werde ich sehen, ob sich in den Zähnen noch verwertbares Material finden lässt«, lenkte der Alte ein. »Aber bei dem Anblick der Knochen bekomme ich meine Zweifel, ob sie wirklich in Ihren Arbeitsbereich gehören. Der Verwesungsprozess ist komplett abgeschlossen, was entweder auf eine lange Liegezeit hindeutet, oder aber, dass die Leiche bereits im Sommer 2003 dort gelegen hat und somit der langen Hitze und Trockenheit ausgesetzt war.«

»Die Leiche lag nicht tief begraben«, meldete sich der Archäologe zu Wort. »Das kann zweierlei bedeuten: Entweder sie wurde hastig entsorgt – liegt also noch nicht lange hier – oder die Erdmassen sind im Laufe der Jahrhunderte immer weiter abgetragen worden, sodass sie von allein auftauchte. Das müssen wir im Labor untersuchen.«

Schnur bedankte sich, bevor er sich zusammen mit Erik Tenes und Anke Deister von der Fundstelle entfernte. Den Dienstwagen hatten sie vor der Einfahrt zur Mülldeponie geparkt.

Dort blieben sie stehen.

Anke hoffte, dass Schnur sie nicht auf die Dienststelle bat, denn es war bereits spät. Sie sehnte sich nach ihrer Tochter Lisa. Außerdem war Freitagabend. Wer würde nun das Wochenende opfern müssen, weil sie durch ihren Sturz auf ein Skelett gestoßen war?

Erwartungsvoll schaute sie Schnur an, bis er endlich sagte: »Unsere Leiche ist schon länger tot. Deshalb brauchen wir nicht in Panik zu geraten.«

Erleichtert atmete Anke durch. Sie wollte sich gerade auf den Weg zu ihrem Auto machen, als Erik ihr nachrief: »Ich bin froh, dass dir nichts passiert ist.«

Überrascht drehte Anke sich um und schaute ihm ins Gesicht. Die Sorge, die er aussprach, stand auch in seinen Augen. Es tat ihr gut, ihn so fürsorglich zu erleben. Bis jetzt war kein einziges Wort darüber gefallen, dass sie sich bei diesem Sturz hätte verletzen können. Umso mehr freute sie sich, dass es gerade von Erik kam.

»Danke!«

»Sei bitte in Zukunft vorsichtiger mit dem Pferd. Die Wege hier sind hart und steinig. Außerdem gibt es überall stark befahrene Straßen, was das Reiten noch gefährlicher macht. Ich möchte nicht bereuen, dir zu dem Kauf von Rondo geraten zu haben.«

»Das wirst du nicht«, versicherte Anke sofort. »Ich werde gut auf mich aufpassen.«

Kullmann ermittelt in Schriftstellerkreisen

Подняться наверх