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Rose ließ die Hunde los, sobald sie das Gehölz erreicht hatten. Sie folgte ihnen mit dem Blick, als sie in den Furchen des Traktors davonstoben. Svendsen wie ein Rennhund mit den langen Vorderbeinen und den unter dem schwarzen Fell glänzenden Muskeln der Hinterbeine. Timbo wie eine Wollflocke im Wind; ungeduldig bellend, weil der Kamerad abgehauen war.

Roses Füße, die in Gummistiefeln steckten, suchten Halt im Gras, das rutschig war durch den Frost und die dünne Schneedecke, die noch immer stellenweise den Boden bedeckte. Der Grund war uneben, und sie musste die ganze Zeit aufpassen, nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Genau wie zu Hause, dachte sie plötzlich. Immer auf der Suche nach dem Gleichgewicht.

Natürlich hatte sie den Blick ihrer Mutter bemerkt, bevor die Vernunft die Oberhand gewonnen hatte. Den verletzten Blick. Man könnte es kindisch nennen, aber das würde ihre Mutter bestimmt nicht verstehen. Vielleicht war »kindisch« auch nicht das richtige Wort. »Enttäuscht« traf es besser. Scheiße. Sie hatte ihre Mutter enttäuscht, und das hasste sie. Sie wollte es doch immer allen recht machen und hatte viele Jahre genau darauf verwendet.

Rose zog den Schal höher, sodass er auch den Mund bedeckte. Es wehte ein eisiger Wind. Der Mantel war für die Spaziergänge mit dem Hund nicht geeignet, aber ansonsten cool – retro und so. Vielleicht hätte sie doch den praktischen Daunenmantel, den ihre Mutter ihr angeboten hatte, nicht ablehnen sollen.

Aber der Wind war auch ihr Freund. Er blies alles rein. Blies das Bild von dem heruntergebrannten Stall und den toten Pferden fort. Der Gestank, der in ihre Nase stach, löste sich auf. Selbst die Enttäuschung ihrer Mutter über das Reihenhaus wog im Wind nicht mehr so schwer und war plötzlich nicht mehr so bedrückend.

So schlimm war es nun auch wieder nicht. Als wäre ein Reihenhaus schlechter als ein gewöhnliches Haus. War nicht die Hauptsache, dass man schön darin wohnte?

Die Hunde bellten. Sie waren auf das Feld gelaufen, wo die Wintersaat halbgrün und schneebedeckt in den Ackerfurchen stand. Jetzt schlitterten sie beide auf das Eis des kleinen Damms, der von Schilf umgeben war. Ein Hase schoss aus seinem Versteck und sprintete davon, beide Hunde jagten hinter ihm her. Über die Ebene, hinunter ins Moor.

»Svendsen! Hierher!«

Aber ihr Rufen hatte mehr eine symbolische Bedeutung. Erfolgte eher der Ordnung halber. Wenn das Jagdfieber Svendsen erst gepackt hatte, war er nicht mehr zu halten. Timbo lief ihm einfach hinterher. Rose ging in der Traktorspur weiter.

Sie hatte lange überlegt, wie sie es sagen sollte. Hatte auch darüber nachgedacht, ob der Entschluss richtig war. Sie war erst siebzehn, wie ihre Mutter gesagt hatte. Aber die Kindheit schien so weit weg. Sie konnte sie bereits nicht mehr sehen. Wann war sie entschwunden?

Sie kam mit sich überein, dass es mit der Scheidung zu tun haben musste. Es war gut ein Jahr her, dass ihre Eltern sich getrennt hatten und sie und ihre Mutter von Kopenhagen nach Århus gezogen waren. Und dennoch. Vielleicht reichte es noch weiter zurück.

Der Hase hatte die Hunde weit weggelockt. Sie sah sie als kleine Punkte unten bei der Einzäunung des Moors. Wenn sie nur nicht das Loch fanden, das der Fuchs gegraben hatte.

»Svendsen!«

Aber das Gehör des Hundes war heute schlecht. Ein selektives Gehör, nannte ihre Mutter das. Das Geld für den Hundelehrgang war bestimmt hinausgeworfen.

Sie konnte sich nicht erinnern, wann ihre Eltern es gut miteinander gehabt hatten. Konnte sich nicht erinnern, dass die Stimmung einmal anders als gedrückt gewesen wäre. Die unzähligen Affären ihres Vaters, von denen nie richtig gesprochen worden war. Das Schweigen ihrer Mutter. Natürlich nicht zu allem, aber zu dem, was sie mit sich herumtrug und was so viel zu bedeuten hatte, woran sie jedoch nicht zu rühren wagte.

Und dann war doch eines Tages alles auf sie eingestürmt. Hier, nach der Scheidung und nachdem das Kind auf dem Fluss gefunden worden war. All das, was sie gespürt hatte, was aber nie richtig zur Sprache gekommen war.

Die harte Erde knirschte unter ihren Stiefeln. Sie trat leicht nach einem Maulwurfshügel und tat sich weh.

Manchmal konnte einem bei dem Gedanken an die Vergangenheit ganz schwindelig werden. An die Familie, die sie hätte haben können und die jetzt nur irgendwo existierte, als gäbe es sie nicht. An den Halbbruder, den sie nicht kannte. An Großvater und Großmutter, die sie nie kennen gelernt hatte. So war es immer gewesen, so leer, und das war es wohl, was zu sagen ihr so schwer fiel. Dass sie etwas anderes brauchte als diese Leere. Und dass Jan und seine Familie das waren, wonach sie suchte. Ihre Eltern konnten das Sicherheitsdenken nennen, soviel sie wollten. Und was war eigentlich falsch daran? Jeder hatte schließlich das Recht, nach dem zu suchen, was für ihn wichtig war.

Sie sah das Reihenhaus in Lystrup vor sich. Familien mit kleinen Kindern. Gelber Backstein. Zwei Etagen und ganz viel Platz für ein kleines Privatleben und um Menschen im Wintergarten zu versammeln, wenn man das wollte. Sie verstand nicht, dass sie sich für diesen Traum schämen sollte und dass sie als junger Mensch nicht wählen durfte, um all das zu erreichen, was es zu erreichen galt. Dass sie sich durch eine Unmenge unbrauchbarer Freunde kämpfen und Sex mit Männern haben sollte, die sie gar nicht interessierten. Um erwachsen zu werden, wie es so schön hieß. Um richtig erwachsen zu werden, musste man sich offenbar erst einmal völlig bescheuert verhalten und eine Menge Dinge tun, zu denen man keine Lust hatte.

Sie musste lächeln. Sie hatte ihrer Mutter gegenüber noch nicht erwähnt, dass sie sich mit dem Gedanken trug, eine Ausbildung zur Wirtschaftsprüferin zu machen und in die Firma von Jans Vater einzusteigen, um ein richtiges Familienunternehmen daraus zu machen. Und dann das andere. Das, woran ihr am meisten lag. Das, woran sie kaum zu denken wagte, weil ihre Mutter einen sechsten Sinn hatte und es ahnen könnte. Nur hier, in Wind und Eiseskälte, konnte sie es laut aussprechen, falls es das war, was sie wollte. Dass sie Lust hatte, ein Kind zu bekommen. Ein Reihenhaus und ein Kind, um einmal die große Familie zu haben, die sie plante. Sie wusste, dass sie beide weinen und lachen würden. Rose seufzte, während sie nach den Hunden Ausschau hielt. Es war nicht leicht, erwachsen zu werden, wenn alle anderen es am liebsten sähen, dass man weiter ein Kind blieb wie sie selbst.

»Svendsen!«

Plötzlich wurde ihr klar, dass sie die Hunde nicht mehr sah. Dann hatten sie also doch das Loch gefunden. Hatten sich hindurchgezwängt und waren ins Moor gelaufen, wo Hunde natürlich angeleint sein mussten. Das Moor war ein Naturreservat, das wusste sie. Hin und wieder traf man auf Vogelbeobachter mit einem Fernglas um den Hals oder auf die orangen Lieferwagen des Wasserwerks. Ansonsten kamen nur Menschen hierher, die mit oder ohne Hund einen Spaziergang machten.

Sie beeilte sich, lief so schnell sie konnte, ohne auszurutschen und zu fallen. Die Wärme stieg ihr in Wangen und Hals. Im Moor trieb sich der Fuchs herum, und er hatte die Staupe. Mehrere Dorfhunde hatten sich bereits angesteckt.

»Svendsen! Timbo!«

Sie musste außen herum gehen. Den ganzen langen Weg hinten herum. Seitenstechen machte sich bemerkbar. Der Atem im Schal wurde nass und unangenehm, und sie spürte plötzlich, dass sie zitterte. Nicht äußerlich, aber innerlich. Ganz tief in der Nähe des Herzens, dachte sie verwundert.

Der Weg wand sich durch den Wald, wo Bäume im gefrorenen Moorwasser standen und mit ihren nackten, dunklen Ästen bedrohlich wirkten. Der Schlamm roch faulig, trotz des Frostes. Kleine Vögel wurden durch das Geräusch ihrer Schritte erschreckt, und ein Reiher flog unbeholfen auf und kämpfte sich durch das Gewirr der Äste.

Jetzt hörte sie das Geräusch. Ein Knurren tief in der Kehle. Svendsen. Bestimmt stand er aufrecht da, Schwanz und Nase in einer Linie. Aber noch konnte sie nichts sehen.

Sie ging weiter. Rief. Aber sie wusste, dass es sinnlos war, wenn die Hunde etwas gefunden hatten. Und dann hörte sie ein anderes Geräusch. Ein schwaches Winseln. Hohe Töne. Dann ein Heulen.

»Timbo! Timbooo!«

Jetzt konnte sie den kleinen weißen Hund sehen, wie er in dem tiefen Moor unter den großen Bäumen auf der anderen Seite des Wasserlaufs, wo sie so oft Rehe gesehen hatte, aufgeregt hin und her lief.

Sie konnte nicht erkennen, was da war, aber bestimmt hatten sie etwas gefunden. Wenn es nur keine Ziegenleiche war. Im Sommer weideten auf dem Feld neben dem Moor ökologisch gehaltene Ziegen, und hin und wieder hauten sie ab oder spießten sich gegenseitig mit den Hörnern auf. Jetzt, bei dem Frost, würde der Gestank glücklicherweise nicht so schlimm sein.

Sie fand eine Stelle, wo der Bach schmal war. Sie schob die Äste zur Seite, und einer schlug ihr ins Gesicht, dass es brannte. Dann spürte sie wieder das innere Zittern.

»Und? Was habt ihr da?«

Die Erde zwischen den Bäumen war weich. Schwankender Grund.

Svendsen machte mit den zurückgelegten Ohren und den reuig blickenden Augen einen schuldbewussten Eindruck. Aber der Körper war eifrig und ließ sich nicht bremsen. Er zitterte wie Espenlaub, während Timbo wie ein verlassener Welpe jaulte.

Und dann sah sie das Bündel. Einen Fuß. Eine Hand mit der Handfläche nach oben. Ein weinrotes, dünnes Kleid. Ach, du meine Güte, da lag ein Mensch, und ihr erster Gedanke war, dass es kalt sein musste, eiskalt. Sie blieb ganz still stehen, während auch die Gedanken zu Eis gefroren. Sie wartete, dass ihre Beine sie dorthin führten. Und dann merkte sie, dass kein Leben mehr in dem Bündel war. Dass dort vor ihren Füßen eine Tote lag. Und sie sah, wer sie war und dass die blaue Zunge direkt auf sie zeigte und die Augen weit aufgerissen waren. Und sie sah den Strick, der eng um den Hals der Frau lag. Und sie sah das Blut. Und mitten in all dem sah sie auch die Axt.

Das nächste Opfer: Skandinavien-Krimi

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