Читать книгу Das nächste Opfer: Skandinavien-Krimi - Elsebeth Egholm - Страница 7
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ОглавлениеAls wäre ihr Bedürfnis an Bränden nicht gedeckt, als gäbe es nicht genug Probleme – und sie musste nun auch noch dorthin fahren.
Während sie von der Frederiksgade zur Møllevang-Schule hochfuhr, dachte Dicte flüchtig an Bo, der kurze Zeit zuvor mit den Fotos von dem Brand in der Redaktion aufgetaucht war. Sie hatte ihn gefragt, ob er mitkommen und die abgebrannte Schule fotografieren wolle, aber er war seltsam fern und abweisend gewesen und hatte ihr erklärt, dass er versprochen habe, seine Tochter in der Schule abzuholen und zum Arzt zu fahren. Als würde seine Ex ihn jemals um so etwas bitten, dachte sie und testete die neuen Winterreifen, als das Auto vor ihr plötzlich bei Gelb bremste. Ihr neu gekaufter Fiat Uno entging nur um wenige Zentimeter einem Zusammenstoß.
Eva wachte über die Kinder wie ein Drache und tat alles, um Bos exakt bemessene Zeit mit ihnen zu sabotieren. Jedes Mal, wenn er die Kinder haben sollte, kam etwas dazwischen, das es unmöglich machte. Und Silvester hatte dem Fass den Boden ausgeschlagen, als Eva Tobias und Ninka mit zu ihrer Mutter genommen hatte, anstatt sie bei Bo abzuliefern. Es war der Anfang der Eskalation des Nervenkriegs, und seit diesem Tag war nichts mehr ganz so, wie es eigentlich hätte sein sollen.
Das dachte sie, als sie in die Fuglesang-Allee einbog und an der Handelsschule und dem Konservatorium vorbeifuhr. Dachte, dass irgendetwas absolut nicht stimmte und Bo irgendetwas plante, von dem sie keine Ahnung hatte. Die Unruhe griff nach ihr wie eine eiskalte Hand. Er war verzweifelt. Und verzweifelte Männer waren unberechenbar.
Sie fuhr den Fuglebakkevej hoch, und ein furchtbarer Anblick empfing sie. Er erinnerte an Bilder aus dem zerstörten Kosovo, Bilder aus einem Kriegsgebiet, wo man erwartete, Maschinengewehre zu hören und Gebäude einstürzen zu sehen. Nicht, dass sie selbst das erlebt hatte, aber sie wusste es von Bo, wenn er ein seltenes Mal von seinen Reportagetouren erzählte, die ihm anerkannte Fotopreise, aber leider nicht das große Geld eingebracht hatten.
Sie erblickte John Wagner, der sich mit einem Mann in einem orangefarbenen Overall unterhielt. Sie spürte den Ansatz eines schlechten Gewissens, weil sie Ida Marie so lange nicht angerufen hatte. Es war feige, und sie hatte die elendste Entschuldigung, die man sich denken konnte, und selbst die war nur die halbe Wahrheit.
Wagner riss sich von den Kollegen los und kam ihr entgegen. Seine sonst südländische Hautfarbe war im Winter blasser geworden, aber er unterschied sich noch immer von den anderen durch seine gebogene Nase und die schweren Augenlider, die ihn ständig müde aussehen ließen, wovon man sich aber nicht täuschen lassen sollte. Er war zwölf Jahre älter als Ida Marie, und die abgetragene Tweedjacke ließ einen an alte Tugenden wie Ritterlichkeit und Zuverlässigkeit denken.
»Lange nicht gesehen«, sagte er als knappen Gruß und gab ihr die Hand.
»Ich hatte viel zu tun.«
In seinen Augen sah sie, dass er wusste, dass sie log. Aber es war schwer, das Glück der anderen mit anzusehen, während man selbst auf dem letzten Loch pfiff. Und seit Ida Marie Martin zur Welt gebracht und sich gegen den Vater des Kindes für ihren Polizeibeamten entschieden hatte, schien sie im siebten Himmel zu schweben.
»Es ist so viel passiert. Ich bin jetzt in einer neuen Redaktion«, erklärte sie weiter.
Er antwortete nicht. Sie gingen zu dem abgebrannten Gebäude hinüber, wo eine Gruppe Brandtechniker mit Schutzhelmen und blauen Overalls mit der Aufschrift Polizei, Kriminaltechnische Abteilung ihrer Arbeit nachgingen. Das Gelände war mit einem rotweißen Band, dem so genannten Flatterband, abgesperrt worden, und an dem verrußten roten Mauerwerk lehnten Leitern. Andere Männer in blauen Overalls, auf deren Rücken Katastrophenschutz Mitteljütland stand, beförderten nicht verbrannte Dachsparren in einen Container.
Auf dem Parkplatz standen mehrere Autos. Ein Fotograf fotografierte drauflos, und Dicte erkannte den Reporter der Stiften, der sich umschaute.
»Was hast du von dem anderen Brand erzählt? Woran denkst du dabei?«
Er fragte, während sie außerhalb der Absperrung an dem abgebrannten Gebäude entlanggingen. Sie erzählte von dem Brand und wie der Hund sich erbrochen hatte. Unverdautes Hundefutter.
»Und wie lautet deine Schlussfolgerung, Sherlock?«
Er zog sie auf, aber sie hörte den zugrunde liegenden Ärger. Die Polizei war nicht begeistert, wenn Journalisten Detektiv spielten, und Wagner bildete keine Ausnahme. Aber er war klug genug zu wissen, dass in gewissen Fällen beide Seiten voneinander profitieren konnten. Das hatte er bewiesen, als sie bei dem Moses-auf-dem-Århus-Fluss-Fall zusammengearbeitet hatten. Zugegeben, sie war sich nicht sicher, ob Wagner ihren Informationsaustausch als Zusammenarbeit bezeichnen würde.
»Dass der Hund um Mitternacht etwas zu fressen bekommen hat.«
»Eine seltsame Uhrzeit, um seinen Hund zu füttern.«
Sie zuckte mit den Schultern.
»Das ist ein verwöhnter Schoßhund. Meine Tochter bezeichnet ihn als Teppichpisser. Manche Menschen geben ihrem Hund zu fressen, bevor sie ins Bett gehen.«
Plötzlich drehte er sich um und sah sie an.
»Bist du überhaupt als Zeugin verhört worden?«
Sie schüttelte den Kopf. In dem ganzen Durcheinander hatte scheinbar niemand Zeit gehabt, sich näher mit ihr zu unterhalten. Sie hatten alle Hände voll zu tun gehabt, das Feuer zu löschen und die Situation einzuschätzen.
»Die Polizei ist erst später gekommen. Sie haben ein paar vordergründige Fragen gestellt, und das war’s.«
Sie hörte ihn seufzen und führte es auf den Personalmangel, die Menge der Freischichten und die vielen anderen Probleme der Polizei zurück, die sich zurzeit häuften. Die Presse hatte die Verantwortlichen unter Beschuss genommen, und auch ihre eigene Zeitung hatte sich nicht zurückgehalten, als es galt, darüber zu berichten, wie zwei Beamte junge Autodiebe angeschossen hatten oder wie die Knöllchen der Polizei verschwunden waren. Vielleicht erklärte das die Kälte von Wagners Seite, dachte sie.
»Du sagst, eine Schwester wohnt mit im Haus. Vielleicht ist sie nicht gemeldet?«
Wagners Stimme knisterte wie der Frost. Dicte nickte.
»Und du meinst, die Schwester ist gegen Mitternacht zu Hause gewesen und hat dem Hund zu fressen gegeben. Wo ist sie dann jetzt?«
Er ließ die Frage naiv und belanglos klingen. Aber sie biss sich daran fest. Sie erinnerte sich, wie das leere, auf den Kopf gestellte Haus auf sie gewirkt hatte ... die Angst des Hundes ... die systematische Zerstörung und das dahinterliegende Gefühl, dass hier etwas sehr Privates angetastet worden war ... die zertrampelten Familienfotos ...
»Ich kenne sie nicht, aber man könnte sich so einiges vorstellen. Jedenfalls solltet ihr wissen, dass sie dort wohnt. Mit ihrem Hund.«
»Und warum wohnt sie dort?«
Sie hustete. Die rauchige Luft kratzte in Nase und Hals. Noch immer stieg aus dem abgebrannten Gebäude Rauch auf.
»Es gehen ein paar Gerüchte um. Über ihre Vergangenheit, meine ich. Dass sie zu ihrer Schwester gezogen ist, um über ein schreckliches Erlebnis hinwegzukommen.«
Er runzelte die Brauen, und seine Stimme troff vor Sarkasmus:
»Über einen psychopathischen, gewalttätigen Mann mit einer pyromanischen Veranlagung vielleicht?«
Sie wurde rot.
»Getratsche, demnach«, stellte Wagner fest.
Sie fuhr unverdrossen fort, während die Stiefel im Gras quatschten, das die Löschschläuche der Feuerwehrleute in Eismatsch verwandelt hatten. Er wusste genauso gut wie sie, dass man auf Getratsche hören musste. Dass es mit zu dem Gesamtbild gehörte, sowohl in der Journalistik wie bei der Polizeiarbeit. Manchmal repräsentierte das Getratsche die Wahrheit, auch wenn sie das nicht zugeben mochten.
»Irgendetwas mit einem Mann jedenfalls«, sagte sie und wäre beinahe ausgerutscht, sodass sie nach seinem Arm greifen musste. Er wartete geduldig, bis sie wieder fest auf den Füßen stand. »Es ging um Gewalt. Die Details hängen davon ab, wer mir was erzählt, wenn ich einen Gang mit dem Hund mache. Aber die Frau hat eine Geschichte, daran besteht kein Zweifel.«
Sie blieb stehen. Versuchte, die Stimme neutral zu halten, und dachte an den vergangenen Abend. Wann hatte sie die Schwester zuletzt gesehen?
»Ich habe nur so ein dummes Gefühl.«
Sie wollte gerade auf dem Absatz kehrtmachen, als ein Feuerwehrmann etwas aus der rauchenden Ruine rief.
»Ein Überlebender«, kam es trocken von seinem Kollegen, der etwas aus einer kleinen Tüte zog.
Als sie näher kamen, sahen sie, dass es ein kleiner gelber Bär war. Vorn auf seiner blauen Strickjacke stand in weißen Buchstaben der Name Simon.
Wagner lächelte. Eine gewisse Schläue kroch in seine Stimme.
»Du sagst, du willst etwas über die Møllevang-Schule hören. Eine Exklusivstory, nehme ich an.«
Sie zuckte mit den Schultern. Das war doch nicht so schwer verständlich. Sie musste ihrer Arbeit nachgehen, und wie alle anderen Redakteure liebte es auch Kaiser, wenn sie etwas hatten, was die anderen nicht hatten.
»Ich schlage vor, du rufst Jan Hansen im Präsidium an und erzählst ihm, dass sie Simon gefunden haben. Er kann dir die Story erzählen«, sagte Wagner und drehte ihr den Rücken zu.