Читать книгу Momente des Erkennens - Emma zur Nieden - Страница 14
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Nach dem obligatorischen freitäglichen Mahl – mit allem Drum und Dran von der Vorspeise über einen umfangreichen Hauptgang bis zu einem köstlichen Dessert – servierte Stefanie Ruth und sich einen Espresso aus dem neuen Kaffeevollautomaten, den Ruth sich vor einer Woche geleistet hatte. Stefanie setzte sich Ruth gegenüber an den Esszimmertisch und nippte von ihrem Espresso.
„Der schmeckt fantastisch!“, lobte sie.
„Das tut er“, stimmte Ruth zu. „Ich habe die exquisitesten Bohnen gekauft, die ich kriegen konnte. Liebling,“ Ruth ergriff über den Tisch hinweg Stefanies Hand und streichelte darüber, „dein Menu war fantastisch.“ Sie entzog der Geliebten die Hand und nahm einen Schluck des großartigen Espressos. Dass sie dabei die Augen schloss, zeigte, dass sie das Getränk genoss, während sie es sich auf der Zunge zergehen ließ.
„Diese Ausgabe hat sich wahrhaftig gelohnt.“ Stefanie nahm einen Schluck. Sie gab sich einen Ruck, denn sie hatte eine unangenehme Mitteilung zu machen, die zweifelsohne dafür sorgen würde, dass die ausgelassene und heitere Stimmung zerstört würde. „Ruth, ich muss mit dir über die Herbstferien reden.“
„Ich kann in den Herbstferien nicht“, wiegelte Ruth sofort ab. Sie schien zu ahnen, dass Stefanie eine Reise plante. „Wie du weißt, beginnt das neue Semester.“
„Natürlich weiß ich das. Ich bin heute gefragt worden, ob ich Lust habe, eine Woche mit Segeln zu gehen. Es ist jemand ausgefallen, und es ist ein Platz auf dem Schiff frei, das einige Kollegen gechartert haben.“
„Ich dachte, du hilfst mir beim Semesterbeginn.“ Ruth klang verärgert. In den vergangenen Jahren hatte Stefanie Ruth bei den letzten Vorbereitungen ausnahmslos zur Seite gestanden, bevor ein neues Semester begann.
„Du brauchst mich dabei eigentlich nicht“, wandte Stefanie ein. Die „Hilfe“ würde vor allem darin bestehen, dass sie Ruth rund um die Uhr zur Verfügung stand, um sie zu bedienen, weil die finalen Maßnahmen für die Vorlesungen und Seminare stets bis weit in die Nacht dauerten. Ruth mochte es, wenn Stefanie da wäre und Kaffee und Snacks ins Arbeitszimmer brachte. Darüber hinaus ging es lediglich um banale Handlangerarbeiten wie Ausdrucke anfertigen, Kopien machen und mit Klammern versehen. Das gehörte nicht gerade zu Stefanies Lieblingsbeschäftigungen. Außerdem hatte Ruth all diese Aufgaben selbst erledigt oder ihren Hilfskräften in der Uni aufs Auge gedrückt, bevor sie beide zusammen waren. Derartige Aufgaben könnte sie zur Abwechslung durchaus wieder einmal delegieren, fand Stefanie. Ihre Assistenten wurden nämlich für all diese Tätigkeiten bezahlt. Wenn die Assis tatsächlich die niederen Arbeiten erledigen sollten, würde Ruth in ihrem Büro an der Uni arbeiten müssen. Und das mochte sie nicht, wie sie Stefanie einmal eindringlich dargestellt hatte.
„Ich schätze deine moralische Unterstützung und deine Anwesenheit“, bekräftigte Ruth und schlug den liebevollsten Ton an, dessen sie fähig war. „Und deine kulinarischen Leckereien.“ Sie strich Stefanie vorsichtig über die Hand und hauchte ihr einen Kuss auf den rechten Handrücken offensichtlich in der Hoffnung, Stefanies Pläne durchkreuzen zu können.
„Wie du weißt, ist die Zeit in der Schule momentan nicht leicht für mich. Ich arbeite ziemlich viel und brauche unbedingt eine kleine Auszeit. Eine Doppelbelastung war es übrigens immer, wenn ich die Handlangerarbeiten übernehmen musste.“ Stefanie gelang es nicht, den Vorwurf aus der Stimme herauszuhalten.
„Das klingt, als hätte ich dich gezwungen.“ Ruths Stimmung schlug schlagartig um. Sie war unverblümt verärgert „Und es sind ja nicht nur Handlangerarbeiten.“
„Natürlich hast du mich nicht gezwungen! Allerdings war ich vor einem Jahr in einer ziemlichen stressigen Situation, als du mich um meine Hilfe gebeten hast. Damals habe ich sie dir dennoch nicht verweigert. In diesem Jahr brauche ich den Urlaub einfach mehr als je zuvor.“ Stefanie sprach mit Nachdruck, um zu zeigen, wie nötig sie eine Unterbrechung des Alltags wirklich hatte.
„Was fragst du mich, wenn du dich längst entschieden hast?“, brachte Ruth deutlich missgestimmt hervor. „Und verbieten werde ich es dir ohnehin nicht. Das steht mir gar nicht zu.“
„Ich hätte es begrüßt, du würdest dich für mich freuen, dass die Kollegen mich gefragt haben.“ Stefanie hörte sich erschöpft an.
„Das tue ich ja. Ich hätte dich schlichtweg lieber bei mir gehabt.“
Klar, dachte Stefanie gereizt. Um zu kochen, einzukaufen, hinter dir her zu räumen und deine Texte zum Semestereinstieg zu lesen und die Flüchtigkeitsfehler zu finden. Und freuen tust du dich ganz bestimmt nicht für mich.
„Du hast bereits zugesagt?“, wollte Ruth versöhnlicher wissen.
„Ich wollte mit dir sprechen, bevor ich diesen Entschluss fasse.“
„Und sagst du zu oder bleibst du bei mir?“, verlangte Ruth eine endgültige Entscheidung.
„Ich werde zusagen. Du hast mich nicht überzeugt“, war Stefanie beharrlich. „Du wirst dich für den Semestereinstieg auch ohne mich hervorragend vorbereiten. Du hast in der Uni genug Assistenten, die dir zur Hand gehen können. Diesbezüglich sind sie sowieso viel zu verwöhnt.“
„Schade!“ Ruth blickte traurig zu Stefanie. Diese drehte den Kopf zur Seite, um dem Dackelblick zu entgehen, der sie eventuell umstimmen würde. Stefanie wusste, sie würde die Ferienzeit über deprimiert sein, wenn sie den Segeltörn absagte. Sie würde gleich mit Hannah telefonieren, um ihr zuzusagen, damit sie es sich nicht noch einmal anders überlegen konnte.
Zur Strafe ließ Ruth sie mit dem Chaos in der Küche allein, das sie nach solch einem opulenten Mahl manchmal zu zweit bewältigten. Aus Ruths Arbeitszimmer hörte sie den Drucker rattern. Wenn ein Gespräch nicht lief, wie Ruth es sich vorstellte, verdrückte sie sich in ihr Zimmer und erweckte den Anschein, als seien die Arbeiten, die sie dort verrichtete, unaufschiebbar. Ich lasse sie schmollen, nahm Stefanie sich vor. Ich werde nicht schon wieder diejenige sein, die einlenkt. Dazu gibt es nicht den geringsten Anlass. Und ich brauche diese kurze Ablenkung von der Schule in den Ferien unbedingt. Wenn ich bliebe, wäre das keine Erholung. Und nach einer Woche bin ich ohnehin wieder da. Ruth könnte durchaus mehr Verständnis zeigen.
Ihr fiel ein, dass sie vergessen hatte, Ruth mitzuteilen, dass sie morgen Nachmittag bei Hannah wäre, um mit ihr den Vortrag durchzugehen, den diese am Dienstag halten würde. Das würde sie morgen Früh beim Frühstück erledigen. Sie wusste, dass ein neuer Streit sich nicht verhindern ließe.